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Christian Reuter ist Universitätsprofessor für Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) am Fachbereich Informatik mit Zweitmitgliedschaft im Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt. Er beschäftigt sich insbesondere mit interaktiven und kollaborativen Technologien im Kontext der Sicherheits-, Krisen- und Friedensforschung und hat mehr als 160 wissenschaftliche Veröffentlichungen im Bereich Informatik, Wirtschaftsinformatik, Mensch- Computer-Interaktion (HCI), Computerunterstützte Gruppenarbeit (CSCW), Krisen-, Sicherheits- und Friedensforschung und Soziale Medien publiziert.
Bereits seit den 80er-Jahren erleben wir die Digitalisierung der Kommunikation. Mit dem Siegeszug des Internets in den 90er-Jahren intensivierte sich dieser Prozess und erreichte ab Mitte der 2000er mit der Verbreitung sozialer Medien und Smartphones eine neue Dimension. Neue technische Möglichkeiten haben neue gesellschaftliche Trends hervorgebracht bzw. verstärkt. Die Digitalisierung der Kommunikation verändert aber auch traditionelle Organisationsformen in atemberaubender Geschwindigkeit. Diese Publikation bietet einen Überblick zu diesen beiden Entwicklungen: gesellschaftliche Entwicklungen wie das Ineinandergreifen von realer und digitaler Welt, ständige Vernetztheit, Fake News und Shitstorm auf der einen Seite und die Auswirkungen dieser Prozesse auf traditionelle Medien, Arbeitswelt, Schulen, Nichtregierungsorganisationen und den Sportsektor auf der anderen Seite. ...
In dieser Studie wird Ernst Jandls experimentelle Dichtung unter Einbeziehung seiner komplexen Sprachwelt und verschiedener Interpretationsansätze beschrieben. Um seine poetologischen Überlegungen und Schreibverfahren zu erfassen, werden einige zum Kanon gehörende Texte vorgeführt. Dabei wird von den selbstreferenziellen Positionen des Autors und den diversen Untersuchungen aus der Sekundärliteratur ausgegangen, die vordergründig die innovatorischen Qualitäten der Dichtungen hervorheben.
Als Alternativen zu den oftmals melodramatisch inszenierten Figuren des Blinden in vielen populären Filmen verstehen sich Projekte, die sich - in Kooperation mit blinden Menschen - an deren spezifische Wahrnehmung anzunähern versuchen. Die Regisseurin Nina Rippel stellt in ihrem Bildessay eigene Filmprojekte vor, die blinden Menschen sozusagen auf Augenhöhe begegnen wollen. Rippel beschreibt zum einen ihre filmischen Versuche, mit Unterwasseraufnahmen differente Wahrnehmungsweisen bzw. Wahrnehmungsstörungen zu simulieren. Zum anderen reflektiert sie ihre dokumentarischen Arbeiten, in denen sie auf filmtechnisch komplexe Weise blinde Menschen im Gespräch mit der Regisseurin porträtiert und deren eigene ästhetische Praxis, etwa als blinde Orchestermusikerinnen oder als blinde Fotografen, herausarbeitet.
Thorsten Roelcke beleuchtet sowohl die Koexistenz als auch die Reflexion auf den Gebrauch von Volkssprache und Latein in Barock und Frühaufklärung. Dabei interessiert er sich insbesondere für die 'Arbeitsteilung' von Latein und Deutsch etwa in Kirche und Universität und für ihren Strukturvergleich unter grammatischen wie lexikalischen Gesichtspunkten im Hinblick auf die 'Eignung' der jeweiligen Sprache im Rahmen bestimmter (Spezial-)Kommunikationen.
Eine grundsätzliche Intention der Werbung besteht darin, die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu wecken. Nicht nur diese Absicht wird oft durch Phraseologismen realisiert. In diesem Beitrag werden verschiedene Klassifikationen von Phraseologismen und das Vorkommen von bestimmten Typen am Beispiel von Werbeslogans untersucht.
Irina Sandomirskaja befasst sich mit dem Verhältnis von Blindheit und Sehen im Kontext der gesellschaftlichen Neuordnungen nach der russischen Oktoberrevolution. Sie beschreibt, wie die Idealisierung des Blinden als Mensch mit Defiziten, der im Sinne einer Kompensation zu 'übermenschlichen' Fähigkeiten imstande ist, sich bis weit ins 20. Jahrhundert fortsetzte. Sie erinnert an den russischen Kunst- und Entwicklungspsychologen Lew Vygotskij, der in den 1920er Jahren eine kulturrevolutionäre Lehre, die 'Defektologie', entwickelte, nach welcher Blindheit als soziales Konstrukt anzusehen sei und das richtig geförderte blinde Kind seine Grenzen überwinden könne. Vygotskij, so Sandormirskaja, remystifizierte die Blindheit und machte aus 'dem blinden Kind' erneut eine Allegorie, diesmal für das besitzlose revolutionäre Subjekt, das lernen könne, die gesellschaftlichen Hindernisse zu überwinden und zu einem gleichberechtigten Sowjetbürger zu werden.
Für eine Literatur, die sich im Interim von Territorien und kulturspezifischen Denkstilen bewegt, ist das verbindende Dazwischen von anthropologischen Themen wie Heimat, Geschlecht, Tod, Identität etc. ebenso von Bedeutung wie Reflexionen über ihre literarische Gestaltung. In dieser Hinsicht gehören die Romane der Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky "Am Fluss" (2014) und "Hain: Geländeroman" (2018) sicherlich zu den aktuell sehr interessanten und facettenreichen Texten. Der River Lea wird in Esther Kinskys Roman "Am Fluss" zur Grenzmarkierung und zugleich zu einem Wegweiser für zahlreiche Erzähltraditionen. Gleiches gilt für die Kleinstadt Olevano, die die Ich-Erzählerin in "Hain: Geländeroman" bereist. Der Beitrag möchte der Frage nachgehen, worin in beiden Texten Anteile eines gestalteten sowie gestaltenden Schreibens im Zusammenhang von Migration als einem literarästhetischen Experimentierfeld zu suchen sind.
Genau wie Schlegel wandte sich auch Adam Müller in seinen ebenfalls in Wien gehaltenen Reden und Vorlesungen an ein Publikum, das nicht auf die institutionalisierte Gelehrsamkeit beschränkt blieb. Müllers Überlegungen zur Wissenschaft untersucht Peter Schnyder unter dem Gesichtspunkt ihres komplexen Gegenwartsbezugs. Habe 'Gegenwart' bis weit in das 18. Jahrhundert hinein primär eine räumliche Relation gemeint, komme es in Müllers Gebrauch des Begriffs zu einer systematischen Amalgamierung von Raum und Zeit, da Wissenschaft in seinen Augen auf ihren Adressatenkreis möglichst direkt einzuwirken habe. Bezeichnenderweise teile Müller die Rhetorikaversion Kants und weiter Teile der Philosophie durchaus nicht, vielmehr bedürfe es ihm zufolge einer neuen Rhetorik, um eine möglichst große "Wechselwirkung zwischen der Gegenwart des Redners und derjenigen des Publikums" erzielen zu können. Freilich stellten solche Überzeugungen einen ähnlichen performativen Selbstwiderspruch dar wie bei Fichte, denn Müller habe stets "aus einem zuvor sorgfältig konzipierten Manuskript" gelesen.
Das Werk der österreichischen Autorin Brigitta Falkner beruht auf einem unerschöpflichen Prozess der Grenzüberschreitung und der Hybridisierung. Daraus folgt u. a. eine Erweiterung der Grenzen des Literarischen: Biologie, Mathematik, Physik und andere Wissenschaften werden überraschende Akteurinnen in der neuen 'Ordnung der Dinge', die Falkner in ihren Produktionen verwirklicht.
Der Beitrag fasst die Ergebnisse einer Analyse des so genannten Meißner Rechtsbuchs zusammen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung standen die deutsche Version dieses Rechtsdokuments, die zwischen den Jahren 1357 und 1387 entstanden ist, und deren 19 alttschechische Übersetzungen aus den Jahren 1428–1516. Viele in diesen Texten gefundene Germanismen sind Entlehnungen, die zur Benennung der neuen Inhalte dienten, die in den böhmischen Ländern bisher unbekannt waren. Eine andere Gruppe von Germanismen bilden Ausdrücke, die in der Zeit der Übernahme eine Konkurrenz für Wörter indigener Herkunft darstellten. In der vorliegenden Studie werden parallel entsprechende Passagen im alttschechischen und im deutschen Text behandelt.
Birgit Stark ist Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist Sprecherin des Forschungsschwerpunkts Medienkonvergenz und leitet als Co-Direktorin das Mainzer Medieninstitut. Ihre Forschungsarbeiten thematisieren die Folgen des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit auf Medieninhalte und -nutzung. Dabei fokussiert sie sich auf die Rolle von Informationsintermediären (z. B. Google, Facebook) und analysiert die Auswirkungen algorithmenbasierter Informationsnutzung. Ihre derzeitigen DFG-geförderten Projekte untersuchen ländervergleichend demokratische Medienqualität und die Folgen fragmentierter Mediennutzung auf gesellschaftliche Integrationsprozesse.
Christian Stegbauer ist außerplanmäßiger Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Netzwerksoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Er forscht zurzeit zur Herausbildung von Mikrokulturen innerhalb von Beziehungsstrukturen. Wie dies geschieht, wird an alltäglichem Verhalten im Buch "Grundlagen der Netzwerkforschung: Situationen, Mikronetzwerke und Kultur" dargelegt. Seine aktuelle Publikation "Shitstorms: Der Zusammenprall digitaler Kulturen" wendet die Erkenntnisse an und zeigt, welches die Bedingungen der Entstehung von Shitstorms sind.
In die Zeit der Entwicklung der neuen ophthalmologischen Auffassung vom Sehen im 19. Jahrhundert fiel auch die Konjunktur der spiritistischen Fotografie, mit der sich Bernd Stiegler in seinem Beitrag beschäftigt. Im Zentrum steht Arthur Conan Doyle, der als Erfinder der Sherlock Holmes-Romane mit verlässlichen Spuren verschiedenster Art arbeitete, darunter auch die fotografische Abbildung. Zugleich war Doyle in die Diskussionen um die Darstellbarkeit des Übersinnlichen und die Repräsentanz von Geistern auf Fotografien involviert. Stiegler zeigt, dass sowohl die Verfechter der Existenz übersinnlicher Wesen als auch die Gegner des Spiritismus, die die angeblich fotografisch fixierten Geister nicht als real akzeptierten, die jeweils andere Partei einer Sehstörung bezichtigten. Jede Seite warf der anderen vor, aus ideologischen Gründen das vermeintlich Evidente auf den Bildern falsch zu interpretieren, also an einem Mangel an Scharfsichtigkeit und -sinnigkeit gleichermaßen zu leiden.
Im vorliegenden Artikel werden drei kürzlich entdeckte Depotfunde vorgestellt, die einen Einblick in die Ideologie der kriegerischen Häuptlingstümer der Spätbronzezeit in Ungarn geben. Darüber hinaus spezifizieren sie die Identität der führenden Krieger und stellen sie in eine neue Perspektive. Das Schwertdepot von Mezőberény ist ein Beispiel dafür, wie der Akt der Deponierung einem anscheinend unbedeutenden Teil einer Landschaft eine neue Bedeutung verleihen kann. Die Schwertdepots in dem endlosen Weideland spiegeln vermutlich die Bemühungen der Viehzüchter-Clans, die um die natürlichen Resourcen konkurrierten, wider, das von ihnen genutzte Gebiet auch symbolisch in Besitz zu nehmen. Die Zusammensetzung der Hortfunde aus Pázmándfalu zeigt eine enge Verbindung mit Grabbeigaben der Elitekrieger in Mitteleuropa und in den Alpen. Daher ist davon auszugehen, dass diese drei repräsentativen Fundkomplexe im Rahmen einer komplexen Zeremonie niedergelegt wurden, die indirekt mit dem Grabritus in Verbindung steht. Die Zusammensetzung und die Platzierung der Horte erlauben auch eine andere mögliche Interpretation: ein Grabritual in Verbindung mit dem Heroenkult. Das Beispiel der goldenen Beinschiene aus Gyálarét veranschaulicht den Prozess, in dem die Attribute der Krieger in der transzendenten Sphäre Bedeutung erlangen: in der Welt der mythischen Vorfahren, Seelen und Götter. Die Einzigartigkeit der goldenen Beinschiene impliziert, dass dieses Stück den sozialen Status seines Besitzers repräsentierte; zudem könnte es ein mit spirituellen Kräften durchdrungenes Objekt gewesen sein, das eine besondere Behandlung erforderte. Es ist auch möglich, dass die Beinschiene keiner lebenden Person gehörte, sondern stattdessen als Teil einer Kultstatue versteckt worden ist.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Motivation des Wechsels von der Lyrik zur Prosa im Frühwerk von Thomas Bernhard und bemüht sich zu zeigen, wie sich die 'neue' Gattung als Experimentierraum sprachlicher Konstruierbarkeit einer literarischen Wirklichkeit und die Existenzialphilosophie als neues Ausdrucksmittel des leidenden Subjekts erweist. Beide bilden die Voraussetzungen für den neuen Bernhard'schen Ton, der sich im Roman 'Frost' (1963) zum ersten Mal zeigt. Das Experimentelle im Romanerstling Bernhards ist soziologisch motiviert und äußert sich sowohl erzähltechnisch als auch konzeptuell in der 'experimentellen Sprache' des Malers Strauch.
This study explores the relation between the development of narrative skills at the macrostructural level and the productive lexical abilities (verbs) of German-Russian children. The narratives are elicited using the Multilingual Assessment Instrument for Narratives (MAIN) and the lexical abilities are assessed using different tests. Twenty-one preschoolers (mean age: 3;9), forty-four 1st graders (mean age: 6;11) and twenty-two 3rd graders (mean age: 9;3) were included in the study. Correlation analyses were performed between verb lexicon and the following macrostructural components: Story Structure, Structural Complexity and Internal State Terms. The analysis also targets cross-language effects. In addition, the production of verbs within the elicited narratives was taken into account. Some positive correlations were found; however, no clear pattern across age groups and languages was observed. It is suggested that cognitive abilities might be a more decisive factor than lexical abilities and/or that the verbs assessed via the vocabulary tests are more specific than the ones required to achieve high scores for macrostructure.
Alexandra Tacke erinnert in ihrem Beitrag daran, dass sich in Fotografien von Blinden, die selbst nicht zurückblicken können, eine voyeuristische Struktur potenziert, die die Blinden - als Angesehene und bildlich Fixierte - in doppelter Weise zu Objekten macht. Vor dem Hintergrund einer 'Sozialgeschichte des Anstarrens' von Menschen mit Behinderung zeigt Tacke, dass sich das Zum-Objekt-Werden der Sehbehinderten in politisch und medizinisch motivierten Fotografien von kriegsversehrten Blinden des Ersten Weltkrieges zuspitzt, die zu Exempeln für die Realität des Krieges werden sollten. Am Beispiel eines Langzeitprojekts des Fotografen Martin Roemers, "The Eyes of War" (2012), und am Beispiel der fotografischen Praxis des blinden Gegenwartsfotografen Evgen Bavčar stellt Tacke künstlerische Interventionen vor, die weniger eine Exposition der blinden Menschen oder ihrer spezifischen Sichtweisen sind, sondern vielmehr den Blick der Sehenden auf Blinde problematisieren.