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Sozial- und politikromantische Einbildungen haben eine lange, vielleicht sogar unendliche Lebensdauer, vor allem - aber nicht nur - in den Massenmedien. Zu solchen Vorstellungen gehört, dass die Oper vor allem im 19. Jahrhundert eine revolutionäre und systemkritische Wirksamkeit entfaltete oder die Komponisten dies zumindest beabsichtigten. [...] Die Opernzensur, so wird umgekehrt geschlossen, sei dazu dagewesen, all dies zu unterdrücken. Und die freiheitsliebenden und aufgeklärten Komponisten hätten einen steten Kampf gegen die Zensoren zu führen gehabt. Das hier skizzierte Bild der Operngeschichte darf man, auch wenn es immer noch in wissenschaftlichen Kontexten erscheint, als groben Unfug bezeichnen. [...] Viel wichtiger als das politische Argument war sowohl im 18. wie im 19. Jahrhundert das moralische Argument von Zensoren gegen einzelne Opern.
Der Beitrag unternimmt einen Vergleich zweier Romane, die inhaltlich, erzähltechnisch und sprachlich eng miteinander verknüpft sind, obwohl ihre Entstehungszeiten etwa 50 Jahre auseinander liegen: Juan Rulfos "Pedro Páramo" und Yuri Herreras "Señales que precederán al fin del mundo". Beide Autoren lassen ihre Figuren aus einem Nicht-Ort oder einem "unsichtbaren Ort" (was die wörtliche Übersetzung von 'Hades' wäre) sprechen, aus dem Paradox des "Ich-bin-tot"-Sagens, und verweisen damit auf altmexikanische, altgriechische sowie mittelalterliche Unterweltreisen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass von dort niemand zurückkehren kann, dennoch ist es einigen mythologische Figuren gelungen, die Grenze zwischen Leben und Tod gewissermaßen kurzzeitig außer Kraft zu setzen: Orpheus, Odysseus, Herakles, Aeneas, Dante, bei den Mayas sind es Junajpu und Xbalanq'e, die im Ballspiel die Herren Xibalbas, der Unterwelt der Maya, besiegen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die eigentlich unerlaubte Wiederkehr bzw. Rückkehr hängt eng mit der Schau einer Vergangenheit zusammen, die zentral ist für ein Verständnis der regionalen/nationalen Gegenwart. Den Romanen Rulfos und Herreras ist eine inszenierte Abwärtsbewegung gemeinsam, der schrittweise Abstieg in eine politische Vergangenheit, die die Gegenwart der Protagonist*innen verstehen helfen soll. Beide Romane verbinden damit auch eine Suche nach einem abwesenden Familienmitglied. Zudem greift Herrera auf die besondere Erzählweise Rulfos zurück, die sich erst aus einem Sprechen aus dem Tod ergeben kann.
Als High-End-TV-Drama sprengt die HBO-Serie "Game of Thrones" nicht nur regelmäßig Zuschauerrekorde, sondern ist auch als progressives Serial-Format unter dem Aspekt der seriellen Narration richtungsweisend. Ihre komplexe Handlungsstruktur verdankt die Produktion des US-Pay-TV-Senders der Verortung in einem mittelalterlich anmutenden, von Konflikten dominierten Fantasy-Universum mit mehreren 'Brennpunkten' und einem umfangreichen Charakterinventar. Ebenso wie ihre literarische Vorlage, George R. R. Martins Fantasy-Saga "A Song of Ice and Fire" (seit 1996), präsentiert die Serie den Machtkampf zwischen den verschiedenen Adelsfamilien. Eine Untersuchung der äußerst verschachtelten seriellen Strukturen von "Game of Thrones" vermag die erzählerischen Techniken sowie deren für die Zuschauerbindung essentiellen Funktionsweisen offenzulegen, und bietet so einen Erklärungsansatz für den Publikumserfolg durch die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen komplexem Narrationsgefüge, der Art und Weise der Darbietung, und Rezeptionsverhalten. Die vorliegende Analyse von "Game of Thrones" vollzieht sich aus diesem Grunde in zwei Schritten: In einem ersten Teil soll zunächst die Produktion als Ganzes anhand ihrer spezifischen Merkmale serieller Narration charakterisiert werden. Als Fallbeispiel einer strukturbildenden seriellen Sequenz rückt sodann in einem ausführlichen zweiten Teil die herrschaftliche (Selbst-)Legitimation King Joffreys in der Abgrenzung zu weiteren Herrschergestalten in den Blick, der sich durch die Fragwürdigkeit seines Thronanspruchs dazu veranlasst sieht, seine Macht wie kein anderer zu zementieren. Auf welche Art und Weise Joffrey dies mittels typisch höfischer, und zwar ikonographisch-medialer, d. h. visueller Verfahren bewerkstelligt, bildet einen Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags.
"Die Träume gehören zweifellos zur Wirklichkeit" : Traum-Erzählungen über Kindheit und für Kinder
(2020)
Theodor Storms Kindermärchen Der kleine Häwelmann, von dem Autor 1849 für seinen Sohn Hans verfasst und 1850 veröffentlicht, ist in seiner moralisch-komischen Form ein exemplarisches Exponat der Kinderliteratur des 19. Jahrhunderts. Gemäß der biedermeierlich gestimmten, belehrenden Funktion des Textes steht kindliche Allmachtsfantasie im Mittelpunkt des Geschehens. Die Haltung des ›Mehr-mehr‹ überschreitet indes die Grenzen der Moralerzählung. Entgegen der abschreckenden Funktion scheint vielmehr der kleine Häwelmann in der Verschränkung von Norm-Übertritt und Eskapismus ein ›modernes‹ Kind seiner Entstehungszeit zu sein und durchaus mit den Figuren des Struwwelpeters vergleichbar, die der Arzt und Kinderpsychiater Heinrich Hoffmann 1845 entworfen hat...
»Nun denkt der Traum hauptsächlich in Bildern« (Freud 2008, S. 51), stellt schon Sigmund Freud 1900 in seiner Traumdeutung fest. Träumen ist nach Freud eine visuelle Erfahrung, und als solche erscheint das Bilderbuch prädestiniert, Träume darzustellen. Was von dem Abgebildeten jedoch Traum ist und was nicht, lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen...
Dieses Buch ist so Mindfuck. [...] [D]ieses Buch lebt davon, dass man keinen Plan hat. Dass man, genau wie der Protagonist, keine Ahnung hat, was da eigentlich abgeht. [...] Wie der Protagonist hinterfragt man das, was man kennt, denkt sich zwischendurch »wtf« und ist sich einschließlich des Endes nie so ganz sicher, was jetzt eigentlich Sache ist. (Weltentraeumerin 2019)
Dieses Urteil der LovelyBooks-Rezensentin Weltentraeumerin über Patrick Ness’ Mehr als das (engl. EA More Than This) ist insofern repräsentativ, als fast alle der etwas ausführlicheren Rezensionen auf der Plattform hervorheben, dass die Lektüre dieses Buches mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet...
Traumdarstellungen in Büchern und Filmen mit ›ambiguem‹ Ende sind in der Populärkultur seit den 1990er-Jahren beliebt. (Kuhn 2009, S. 141 f.) Man kann die Popularität solcher plot-Strukturen durchaus plausibel als Reaktion der Kunst auf die zunehmende Komplexität der Gesellschaft (Berndt / Koepnick 2018, S. 7) deuten. Diese Komplexitätssteigerung ergibt sich beispielsweise durch die Möglichkeiten digitaler Technologien, neben der wirklichen Welt auch virtuelle Welten, eine virtual, mixed oder augmented reality, zu kreieren, in denen sich die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschiebt.
In Ludwig Tiecks Die Elfen (1812) und E.T.A. Hoffmanns Das fremde Kind (1817) nehmen Naturräume eine zentrale Position ein. Insbesondere der Wald ist als ein Kindheitsraum besetzt, der ambivalent konnotiert ist. Im Wald können sich die kindlichen Figuren fernab der Eltern autonom bewegen, dennoch geht diese Raumaneignung auch mit bedrohlichen Erfahrungen einher, die die aufstörenden Ablösungsprozesse in der Kindheit verdeutlichen...
In Franz Hohlers Tschipo (1978), dem ersten Teil einer Trilogie, erlebt ein Schweizer Junge Abenteuer auf seltsamen Inseln. Und in Maggie Stiefvaters Serien The Raven Cycle (2012 – 2016) und The Dreamer Trilogy (2019 – ) bekämpft ein amerikanischer junger Erwachsener mit Namen Ronan Lynch magische Gefahren. Was haben Tschipo und Ronan gemeinsam? Eine seltsame Gabe: Von ihren Träumen bleibt am Morgen etwas zurück...
An Kinder- und Jugendliteratur (KJL) herrschte in der DDR, die ja bekanntlich in vielen Bereichen durch Mangelwirtschaft gekennzeichnet war, tatsächlich kein Mangel. Sie wurde vom Staat gefördert und unterstützt, weil sie als wichtiges Instrument der sozialistischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen galt (vgl. Lüdecke 2002, S. 434). Insofern besaß die KJL in der DDR einen vergleichsweise höheren gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Stellenwert als in der alten Bundesrepublik. Auch war die Grenze zwischen AutorInnen, die für eine erwachsene und eine kindliche bzw. jugendliche Leserschaft schrieben, nicht so strikt gezogen, wie man dies aus der Bundesrepublik kannte...