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Vor gut 150 Jahren erschien 1852 der erste Band eines ebenso anspruchsvollen wie bis heute respektierten Buches unter dem Titel "Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung". Geschrieben hatte dieses Buch Rudolf Jhering, damals Professor des römischen Rechts in Gießen. Es sollte sein Lebenswerk bleiben – bis hinein in die große Fortsetzung zum "Zweck des Rechts". Das Buch hat Geschichte gemacht, denn der Autor suchte nicht Geschichten, sondern die Geschichte des Rechts überhaupt. Das Bleibende, die "letzten Gründe" trieben ihn um, so wie seinen Altergenossen Karl Marx, der lebenslang nach der "letzten Instanz" in aller Geschichte suchte. Beide waren fest überzeugt, dieses "Letzte" wissenschaftlich ermitteln zu können. Rechtsgeschichte betrieb Jhering daher zugleich als Universalgeschichte, allgemeine Rechtslehre und Rechtsphilosophie. Was das bedeuten kann und was davon bleibt, geht uns nach wie vor unmittelbar an. Auch wir hängen an den Marionettenfäden historischer und philosophischer Grundhaltungen und Grundbegriffe. Auch wir kommen ohne sie nicht aus. Wissenschaft kann und soll das bewusst machen. Die Unschuld der Naivität ist ihr nicht erlaubt. Dazu muss man zeigen, was dieser Jhering bedeutete, wer er war, welches Problem er mit seinem Hauptwerk aufnahm, und welche Lösungen er dafür anbot. ...
Nach Hause…
(2004)
Read only memory. Eine CD ROM ist ein Festwertspeicher. Die Daten kann man lesen, aber nicht verändern, ergänzen oder löschen. Man kann die Scheibe zertrümmern oder die Platte zerstören, aber die Daten manipulieren kann man nicht. Eine CD ROM schützt sich selbst vor Variation. Die Erfindung dieser Technik hat eine neue, kleine Gewissheit in der chronisch unsicheren Welt geschaffen. Was auf der CD ROM steht, steht fest. Und da viel auf ihr stehen kann – ganze Bibliotheken der Vergangenheit –, steht viel fest. Das macht Historiker glücklich. Drohen ihnen schon die Fakten abhanden zu kommen, verfügen sie immerhin noch über Festwerte, die aus einer zuverlässigen "Quelle" (Oexle, S. 165) fließen. ...
Eine in Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft weit verbreitete Annahme lautet: "Europa muss, um eine Zukunft haben zu können, sich zu einer Geschichtsgemeinschaft entwickeln." Was man dabei übersieht: So wenig sich nationale Geschichtsgemeinschaften identifizieren lassen, so wenig wird sich eine europäische Geschichtsgemeinschaft konstituieren.
Vom Kerbholz zur Konzernbilanz? : Wege und Holzwege zu einem autonomen Recht der global economy
(2004)
Die lex mercatoria, die sich abzeichnende transnationale Rechtsordnung der Weltmärkte, ist in aller Munde. Abgesehen von der vagen Idee eines eigenständigen privaten Rechts der internationalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, das sich jenseits von nationalem Recht und Völkerrecht entwickeln soll, sind indes selbst die Grundfragen der mercatoristischen Doktrin im Streit: So fechten internationale Wirtschaftsjuristen "einen dreißigjährigen Krieg um die Frage der Unabhängigkeit der lex mercatoria aus, ohne daß Münster und Osnabrück in Sicht wären". Auch die Rechtsgeschichte wurde von den streitenden Parteien in diesen Glaubenskrieg verwickelt, geht die neue lex mercatoria angeblich doch zurück auf "das mittelalterliche universale Kaufmannsgewohnheitsrecht des interregionalen und internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, das sich außerhalb des römischen Rechts autonom und in eigenständigen handels- und gesellschaftsrechtlichen Formen entwickelt hatte". Strittig ist, ob die neue lex mercatoria ihren Namen zu Recht trägt oder nur dessen historische Dignität ausbeutet und dadurch eine ihr nicht zukommende Universalität und Autonomie suggeriert; kaum hinterfragt wurde dagegen, ob das immer wieder bemühte historische Vorbild auch tatsächlich die ihm zugeschriebenen Eigenschaften aufweist. ...
Letzte Fragen
(2004)
Eine Debatte anzuzetteln ist immer ein Risiko. Wer von den – sorgsam, wenn auch letztlich arbiträr ausgewählten – Angeschriebenen und Angesprochenen wird auf die freundliche Einladung einen freundlichen Absagebrief schreiben oder gar nichts schreiben oder nur telephonieren? Wer aus der weiten Welt der Rechtsgeschichte-Leser wird sich beteiligen, ohne ermuntert worden zu sein? Wer wird sich auf die Sache, und das heißt hier die Frage, einlassen? Und wie? Wird es eine spannende Debatte werden oder eine langweilige Bestandsaufnahme? Phantasie oder Inventur? Fußnoten oder Thesen? ...
Im Niemandsland
(2004)
Dass die Regierungen westlicher Staaten eine offene oder verdeckte Tendenz haben, die ihnen in einem langen historischen Prozess auferlegten rechtsstaatlichen Bindungen aus politischen Gründen wenn nicht abzustreifen, so doch zu lockern, ist ein Thema, das Juristen, Ökonomen, Politologen und Soziologen gleichermaßen beschäftigt. Giorgio Agamben, italienischer Philosoph und Ästhetiker, spitzt die Thematik mit der These zu, die "Normalität" staatlichen Lebens existiere nicht mehr, es sei das "Niemandsland" des Ausnahmezustandes, "in dem wir leben" ("lo stato di eccezione 'in cui viviamo'"). Er sei die "fundamentale politische Struktur" unserer Zeit; er habe inzwischen die "größte planetarische Entfaltung" erreicht, die Menschen auf die "nuda vita", das nackte Leben, reduziert, das dem Kalkül der Macht unterworfen sei und in eine "beispiellose biopolitische Katastrophe" auszuarten drohe. Seine "Materialisierung" hat der Ausnahmezustand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wie in allen Lagern gefunden, in denen Menschen von der "normalen Ordnung" ausgeschlossen werden; Guantánamo ist für Agamben ein aktuelles Beispiel. Die "Lager" in allen ihren Erscheinungsformen sind die "verborgene Matrix der Politik". Der Ausnahmezustand ist ein arcanum imperii, dessen "Demaskierung" die einzige Möglichkeit ist, den durch ihn bewirkten "Bann" zu brechen. ...
"Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde". Wir wissen das. Wir wussten es vermutlich schon lange bevor der "Prediger" Salomo (3.1), der ein Philosoph war, uns vor nunmehr gut 2200 Jahren darüber belehrte. Aber wir handeln nur selten nach unseren Einsichten. Trennungen fallen schwer und Gewohnheiten verkleiden sich bereitwillig als Notwendigkeit. Verschwendung ist den Reichen keine Kategorie, und wer vom Verschwender lebt, erhebt keine Vorwürfe. Schließlich das Wichtigste: Wer außer Gott hat Kraft und Befugnis "Zeit" und "Stunde" zu bestimmen? ...
Sommer 1789: Frankreich revoltiert, Preußen evaluiert. Staatsminister Johann Christoph von Wöllner, Chef des geistlichen Departements, entsendet einen bewährten Berliner Schulmann ins deutsche Reich, mit dem Auftrag, die außerpreußischen Lehranstalten zu begutachten, "teils überhaupt die Verfassung der fremden Universitäten kennen zu lernen, teils von dem Vortrag solcher Professoren, auf die einmal bei irgend einer preußischen Universität reflektiert werden könnte, zuverlässig Nachricht und Kenntnis einzuziehen". Es ist Friedrich Gedike, der durch ministeriale Order zum Headhunter für das Königreich ernannt wird. Seine Beobachtungen legt er in einem Bericht an den König nieder, der, 1905 ediert, 61 Blätter umfasst. ...
Die Welt wird kleiner. Moderner Verkehr und moderne Kommunikation lassen die Kontinente enger zusammenrücken. Die Staaten verlieren mehr und mehr Funktionen an supranationale Organisationen und Konzerne; vielerorts ist gar die Rede vom nahen Ende der Nationalstaaten und ihrer Epoche. In einem großen Teil Europas jedenfalls hat die Einführung des Euro vor einem guten Jahr diesen Souveränitätsverlust, der für Währungen, Zölle und vieles andere längst zuvor vollzogen worden war, auch sinnlich erfahrbar gemacht.
Rechtsgeschichte wozu? Die Frage drängt, diesen und jenen Nutzen anzuführen oder zu bestreiten. Doch wozu? Vor welchem Forum? Vor welchem Maßstab? Nützlich oder unnütz für wen: – für Laien, Juristen, Historiker, Wissenschaftler überhaupt, – für Jus-Studierende, Rechtsprofessoren, Juristen überhaupt, – für Rechtspolitiker, Hochschulpolitiker, Politiker überhaupt, – für Geschichtsspieler, Rechtsspieler, Spieler überhaupt, usw.? Für Quellenliebhaber, Exotikfreunde, Fällesammler, – usw.? ...
Die juristische Europakarte bestand bis vor kurzem aus dem common law, dem romanistischen civil law und dem sozialistischen Recht. Angesichts dessen Niedergangs und des Zusammenwachsens Westeuropas vereint man die beiden ersteren unter dem altsowjetologischen Schild der western legal tradition, wodurch das Ostrecht aus der europäischen Rechtsgeschichte ausgegrenzt wird. Coings Weitsicht, Osteuropa einschließlich Russlands mindestens teilweise in die Disziplin einzubeziehen, findet praktisch keine Nachahmer. Immer noch versteht man, in Savignys Fußstapfen tretend, unter der "europäischen" mehr oder minder stillschweigend die westeuropäische Rechtsgeschichte. Die "Reformstaaten Mittel- und Osteuropas" tauchen in manchem Traktat der Rechtsvergleichung wie deus ex machina auf. Während man die Zäsur zwischen civil law und common law vernachlässigt, wird die europäische Natur Osteuropas, besonders Russlands und der Balkanländer, angezweifelt. ...
In Band 1 dieser Zeitschrift wurde ein "Vorschlag" gemacht, wie – mit welchem Erkenntnisziel und welchem theoretischen Gerüst – man Rechtsgeschichte betreiben könnte. Dieser Vorschlag wurde von zwei Kollegen kommentiert: Simon Roberts zeigte sich skeptisch, ob ein systemtheoretischer Ansatz für vormoderne Gesellschaften überhaupt brauchbar sei, und besorgt um den Verlust des Menschen sowie konkurrierender Theorien in der Geschichtsschreibung. Marc Amstutz hingegen drängte auf erhöhte theoretische Genauigkeit, insbesondere was die Bedeutung exogener und endogener Faktoren von evolutiven Prozessen betrifft. Beiden sei herzlich gedankt. ...
Hein Kötz hat es vor Jahren schon festgestellt: "Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung sind Holz vom gleichen Stamm. Sie sind Zwillingsschwestern." Und wie dies mit Zwillingen nun einmal so ist – sie lassen sich bisweilen nur schwer auseinander halten. So geht es auch dem Leser von Stefan Vogenauers fünfzehnhundert Seiten starker Dissertation zur Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent: Mochte man als Rechtshistoriker zunächst noch glauben, es handele sich dabei um Rechtsvergleichung, wurde der "monumentalen Untersuchung Vogenauers" inzwischen bescheinigt, sie sei auch "als bedeutende rechtshistorische Leistung" zu würdigen. Aber macht es denn tatsächlich so viel aus, welche der beiden Disziplinen die Arbeit für sich vereinnahmen kann? ...
Bartolus "down under"
(2003)
In einem abgedunkelten Raum der Heidelberger rechtshistorischen Bibliothek am Friedrich-Ebert-Platz findet man separiert die wertvollen Rara-Bestände; darunter auch die letzte Ausgabe der Opera Omnia des Bartolus von Sassoferrato (1314–1357), die in Venedig 1615 für die Bedürfnisse juristischer Praktiker verlegt wurde. Friedlich vereint stehen die Folianten Rücken an Rücken, Regal an Regal, Wand an Wand – so als ob sie seit den Gründungsjahren der Universität im 14. Jahrhundert, mindestens aber seit der Zeit der Druckerpresse und damit ihrer eigenen Herstellungszeit, schon immer so gestanden hätten. Kommunizieren die Bücher etwa heimlich miteinander, wenn niemand sie beobachtet? ...
"Sie wissen, was man manchmal zur Rechtfertigung der Henker sagt: man müsse sich wohl oder übel dazu entschließen, einen Menschen zu foltern, wenn seine Geständnisse Hunderten das Leben retten." Für Jean-Paul Sartre war die Rettungsfolter am 6. März 1958, als er diesen Satz schrieb, eine "Heuchelei". Zwei Wochen zuvor war "La Question" von Henri Alleg, dem Herausgeber des Alger Républicain, der einzigen freien Tageszeitung Algeriens, in den Éditions de Minuit erschienen: der vielleicht aufregendste, weil auf eigener Erfahrung beruhende und doch so kühl erzählte, Bericht über die Praxis in den französischen Folterkellern Nordafrikas. Sartre griff zur Feder und schrieb über die Folter im Zeitalter der Zivilisation, des 20. Jahrhunderts, das schon in seiner Mitte massenhaft Folterungen gesehen hatte, das die Folter zur Raserei werden ließ, das den Folterknecht in einen Sisyphos verwandelte, der immer wieder zur Tortur zurückkehren muss, in einem Jahrhundert, in dem die Folter endlich ihren Grund gefunden hat: sich selbst. Die letzten Jahrzehnte sahen, wie die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die Globalisierung des Schmerzes der Gefolterten – der unterworfenen Untermenschen der Moderne. In dieser weltweiten Orgie der Qual – nicht nur dokumentiert in den Berichten von Amnesty International – geht es kaum um die Rettung von Menschen, um das Erzwingen von Geständnissen, um das Aufdecken einer Wahrheit. Es geht um die totale Herrschaft von Menschen über Menschen (Jan Philipp Reemtsma), um das Zusammenhalten der Gesellschaft durch die Drohung mit körperlicher Gewalt (Adorno), um den Blutkitt zwischen den Menschen, der diese beisammen hält, um die "Ich-Ausdehnung" der Peiniger (Lutz Ellrich). Die Folter des 20. Jahrhunderts – ob in Chile, in Indonesien oder im Deutschen Reich – kommt ohne Recht aus, interessiert sich nicht für in Körpern eingeschlossene Wahrheiten und feiert Feste der Angst. ...
Wozu Rechtsgeschichte?
(2003)
Es ist kaum noch zu ertragen. Immer wieder diese alten Fragen. Warum Aufklärung? Was können wir wissen? Wozu sollen wir das oder jenes wissen? Turfanforschung – schon das Sujet ist dem Normalsterblichen ein Rätsel. Ägyptologie – hier verspricht der Gegenstand wenigstens eine vorstellbare und noch heute erlebbare Exotik. Zwei Wochen Nilfahrt. Aber das alte Schreiben und Denken und Musizieren der Turkmenen? Wer will das kennen lernen? Wem mögen die Kenntnisse über die Turkmenenkultur nutzen? Dann doch lieber gleich Kulturwissenschaft tout court. Das kommt an. Also etwa die Kultur des Riechens, von der Toilette über das Parfum zu den Gerüchen der Städte. Damals und heute. Da kann, zu welchem Behufe auch immer, jeder mitriechen – auch der kultivierte Steuerzahler, der die Kulturwissenschaft bezahlt. Die ebenso zahlenden unkultivierten Bürger interessieren nicht weiter. Oder das sagenhafte Gehör der Wüstenspringmaus. Das ist Grundlagenforschung, bei der sich immerhin ahnen lässt, es könnte à la longue etwas dabei herauskommen, ein neues Hörgerät, nicht für Mäuse, sondern für Menschen. ...
Cominciamo dalla fine. Il passo in cui Radulfus Niger racconta dell’intervento del misterioso Pepo o Pepone nel placito tenutosi in Lombardia alla presenza di Enrico IV è divenuto ormai famoso. Quanti si sforzano di gettare luce sulle origini del rinascimento giuridico medievale, lo hanno letto e riletto indagandone anche i minimi dettagli. Eppure, ogni ulteriore lettura di quel passo sembra proporre motivi di interesse e spunti di riflessione sempre nuovi. ...
Es war eine heißer, schwüler Sommerabend, als John Rawls im Hörsaal H der Frankfurter Universität einen Vortrag hielt. Er sprach leise, fast schleppend, und er hatte sich vorgenommen, den Text in einer deutschen Übersetzung vorzulesen, was für einen amerikanischen Professor ungewöhnlich war und deshalb Bewunderung verdiente. Doch war die angespannte Konzentration spürbar, die Rawls aufbringen musste, um deutscheWorte mit so wenig amerikanischer Phonetik wiemöglich zu sprechen, und der Vortrag wurde dadurch noch langsamer, die Stimme noch leiser. Außerdem funktionierte das Mikrofon nicht richtig. Deshalb wurde es ihm von seinem Übersetzer, Wilfried Hinsch, mit ausgestrecktem Arm so nahe an denMund gehalten, dass wenigstens ein paar Worte zu verstehen waren. Nach kurzer Zeit verließen die ersten Zuhörer den Hörsaal. Der ausgestreckte Arm des Helfers wurde sichtbar schwerer; Anstrengung und Hitze ließen Schweißbäche rinnen und das Oberhemd nass werden.Der Vortragwar nicht einfach. Rawls machte, wie gewohnt, keinerlei Konzessionen, sondern diktierte einen komplexen Satz nach dem anderen. Wer etwas verstehen wollte, musste von der komischen Situation absehen, alle Kräfte gegen die von der schwülen Hitze geführten Ermüdungsattacken aufbieten und sich irgendwie konzentrieren. Der einzige, der sich davon nicht beirren ließ, sondern hartnäckig Satz für Satz in den schwülen Sommerabend hämmerte, war der kleine, schmächtige, blasse, sein Gesicht hinter einer riesigen Brille verbergende, aber Respekt heischende Professor Rawls. Wenn Geist so unmittelbar präsent ist, wird eben alles andere banal. ...
Nach Hause … [enth.: Olympia – Rom – New York / Michael Kempe ; Athen – Bagdad / Marie Theres Fögen]
(2003)
Geplünderte, rauchende Paläste, umgestürzte Statuen, ausgeweidete Museen – anders als die Ruinen von Bagdad, an die uns der TV-Jahresrückblick Ende 2003 erinnern wird, verweist die nur noch auf Bildern existierende Ruine der New Yorker Twin Towers nicht auf die Folgen eines Krieges, in dem auch das Völkerrecht ruiniert wurde, sondern auf die Folgen eines Terroranschlags, der das einstige stolze Symbol Manhattans in weniger als zwei Stunden in Schutt und Staub verwandelte. ...
So geht es einer Stadt, die Frieden schaffen sollte – selbst, aus eigner Kraft! – und für den Sieg gebetet hat. Als ob es Siege gäbe, wenn die Menschen sterben.
Wer diese Euripides-Verse in der Übertragung von Walter Jens im März 2003 am Vorabend, buchstäblich am Vorabend, eines Krieges gelesen hat, kann sich über den Titel des Buches, in dem sie stehen, nur wundern: "Ferne und Nähe der Antike". Wieso denn "Ferne"? Euripides- Jens ist so nah wie der Krieg nah war. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. ...
Ein beunruhigendes Gefühl, ausgelöst durch die knappe Mitteilung auf dem Anrufbeantworter: Walter Wilhelm ist gestorben. Das Gefühl, dass es mir zukomme, über diesen Toten einen Text zu schreiben. Weil anders wahrscheinlich niemand über ihn schreiben würde. Was freilich gleichgültig ist, wegen der Kraftlosigkeit von Geschriebenem, das sich einer Person zu bemächtigen sucht, und angesichts der Flüchtigkeit von Texten im Gedächtnis. Wozu also schreiben – zumal Walter Wilhelm ein emphatischer Gegner akademischer Nachrufe war, grimmiger Verächter sentimental verklärter Lügengeschichten und ins Grab geschleuderter professoraler Hochrufe, die dem einsamen Leben nicht gegönnt waren? Aber manche Worte lassen sich nicht auf Dauer bändigen, bohren sich hartnäckig in die Geschäfte des Tages, winken und starren abends mit vorwurfsvollen Augen auf eine beginnende Bequemlichkeit. Man muss ihnen nachgeben und hoffen, dass sie einen nicht unversehens im Stich lassen.
Mitte der 70er Jahre war ich manchmal bei Walter Wilhelm zu Gast. Wir hatten uns bald nach meinem Dienstantritt als Professor an der Universität Frankfurt im Jahre 1968 kennen gelernt. ...
Premiere
(2003)
Die 1968 gegründete Zeitschrift "Kritische Justiz" stand anfangs am äußerst linken Rand der juristischen Publikationen. Auch der Rezensent, der in einer Ausgabe des Jahrgangs 1970 die Neuauflage der Lebenserinnerungen des KommunistenMax Hoelz "Vom 'Weißen Kreuz' zur roten Fahne" besprach, machte aus seinem dezidiert linken Standpunkt kein Geheimnis: die Neuauflage sei "wichtiges Lehrmaterial für die gegenwärtigen Klassenkämpfe" (Kritische Justiz 1970, 363–365). ...
Die deutsche Normalschraube
(2003)
Moderne Selbstbeschreibungen können durchaus produktiv die historische Forschung zu neuen Paradigmen anregen. Die derzeit sehr populäre Vorstellung von "Netzwerken" lässt sich mit Gewinn sogar auf historische Gesellschaften übertragen. Die Folgen dieses Konzepts für Theorien der Herrschaft beschäftigten am 5. und 6. Dezember 2002 am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz einen von Peter Becker und Raffaele Romanelli organisierten Workshop – sein Thema: "Governing through Networks: International Collaboration between Public Administrators". Der Veranstaltungstitel bildet nicht ab, dass es sich um ein dichtes Expertengespräch zum 19. Jahrhundert handelte. Thomas Nutz (München)berichtete über den sich internationalisierenden Gefängnisdiskurs in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, Pietro Corsi (Paris) breitete imposantes Material über die bis heute fruchtlosen Versuche italienischer Geologen aus, eine vollständige Karte des Landes zu erstellen. Hier wie auch bei den Statistikern (Silvana Patriarca, Fordham) wurde deutlich, welch überragende Rolle internationalen Netzwerken von wissenschaftlichen Experten im Verlauf von nur wenigen Jahrzehnten zugewachsen war. Sie organisierten sich in privaten Vereinen oder halbstaatlichen Organisationen und bildeten grenzüberschreitende Wissenssysteme, denen zunehmend eine Schlüsselstellung bei der politischen Entscheidungsfindung zukam. ...
Joint Venture : International Max Planck Research School for comparative european legal history
(2002)
Gegenwärtigen Fusionspraktiken folgend, haben auch Rechtshistoriker sich verbündet, um international Synergien zu erzeugen. Das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und das Institut für Rechtsgeschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität haben – mit dem Segen und dem Geld ihrer "Mütter" – ein gemeinsames Forschungskolleg gegründet. ...
Im vergangenen Jahr habe ich ihn noch einmal gesehen bei der Feier zum 60. Geburtstag seines Schülers Rüdiger Bubner. In einer improvisierten Rede brachte er das Enigma des Verstehens gleichsam auf den letzten Stand vor einem eingeweihten, die Fakultäten überspannenden Publikum. Unter den Zuhörern war auch der Autor des Buches, das vom kulturellen Gedächtnis handelt, Jan Assmann. ...
"Nun stand er nackt da." Bloßes, entblößtes, reines Leben. Das alte Gerichtsverfahren überzeugte nicht mehr. Der Offizier, der die Urteile vollstreckt hatte, die der hergebrachten Prozedur entsprungen waren, erkannte, dass es nun Zeit war, das Ende des Verfahrens selbst zu vollstrecken.Mit Hilfe der Maschine, die er so liebte und die den Verurteilten die Urteile auf den Leib, den nackten Leib, geschrieben hatte. Es war, wie es immer gewesen war. Der Offizier hörte sich die Angaben an und fällte sofort das Urteil. Weitere Nachforschungen, gar Vorladungen, Befragungen hätten die Sache nur kompliziert. Lüge hätte sich an Lüge gereiht und am Ende wäre nur Verwirrung entstanden. Dabei war alles sehr einfach. "Die Schuld ist immer zweifellos." Jedenfalls hatte dieser Grundsatz, nach dem der Offizier entschied, unter dem alten Kommandanten uneingeschränkte Gültigkeit gehabt. Der Kommandant hatte die Urteilsarten in einer Mappe mit eigenen Handzeichnungen – er war Soldat, Richter, Konstrukteur, Chemiker und Zeichner – aufbewahrt. Die Verurteilten kannten ihr Urteil nie. Es wurde ihnen nicht verkündet. Wozu auch? Sie erfuhren es auf ihrem Leib. ...
Ausgemustert
(2002)
... Urkundlich belegt ist, dass der der Wehrtauglichkeitsprüfung unterzogene Dackel nicht Troll, sondern Atta Troll hieß. Der Halter des Hundes sah sich angesichts der amtlichen Aktion zu einer Namensfälschung gezwungen, um das Tier vor dem Verdacht der Fremdrassigkeit zu schützen. Heinrich Heine, Atta Troll, Kap. VIII: "Hüte dich vor der Menschendenkart, sie verdirbt dir Leib und Seele…"
Öffentlichkeit der Verhandlung ist eine der obersten Maximen unserer Strafprozesse. So mühsam diese Forderung im Geist der Aufklärung vom bürgerlichen Liberalismus vor 200 Jahren erkämpft wurde, so hoch wird der heilige Grundsatz – "das Kernstück des Strafverfahrens" (so Pfeiffer in der Einleitung des Karlsruher Kommentars zur StPO) – noch heute, meilenweit von der Geheimjustiz des Absolutismus entfernt, gehalten. In peniblen Entscheidungen hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung über Generationen mit so zentralen Fragen wie der auseinandergesetzt, ob ein versehentliches Abschließen einer Gerichtstür oder ein unzulänglicher Hinweis auf den Verhandlungssaal zur Urteilsaufhebung nach § 338 Nr. 6 StPO (Verletzung der Öffentlichkeit) führen muss – und dabei die doch wohl recht beschränkte praktische Relevanz des Publizitätsprinzips etwas aus den Augen verloren oder überbewertet. ...
Nach Hause…
(2002)
Wer kennt ihn nicht, den leisen, herzzerreißenden Klagelaut einer displaced person namens E.T.: "nach Hause…". Die übergroßen Augen sehnsuchtsvoll ins Weltall gerichtet, jammert jenes kleine, auf der Erde vergessene, unglückliche Wesen nach seiner Heimat, die fern und den Erdenbewohnern fremd und unbekannt ist – ein Nichtort, der gleichwohl der Ort des Ursprungs, des Zuhauseseins und aller Wehmut ist. ...
Geschichtsschreibung lebt davon, dass sie Veränderungen beobachtet. Selbst eine Geschichte des Augenblicks kommt nicht ohne ein Vorher und ein Nachher aus. Es gibt keine Geschichte ohne Ereignis und ohne die Differenz, welche sie als "Zeit" begreift und beschreibt. Rechtsgeschichte hat es mit Veränderungen im Recht zu tun. Das Recht eines beliebig gesetzten Zeitpunkts X wird betrachtet und danach beurteilt, was neu, was anders geworden, was gleich geblieben ist. Das muss erst einmal erkannt und beschrieben werden, ehe man nach den Gründen fragt, warum es denn anders geworden ist, und zwar so und nicht anders anders geworden ist. ...
Konnte Michael Stolleis noch 1985 im Rechtshistorischen Journal beklagen, dass die Strafrechtsgeschichte ein blinder Fleck in der (rechts-)historischen Forschung sei, so ist seit etwa 1990 geradezu ein Boom der historischen Kriminalitätsforschung zu verzeichnen, der inzwischen auch die Rechtsgeschichte erfasst hat ...
L'occhio, che tutto vede ...
(1996)
Anders als das Grundgesetz enthält der EWG-Vertrag Bestimmungen zum Schutz der Umwelt und ermächtigt die Gemeinschaft zum Erlaß eigenen Umweltrechts. Der Jurist Thomas Schräer erläutert, daß aber aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Gefahr besteht, daß die Umweltpolitik das Nachsehen gegenüber der Rechtsangleichung hat, die notwendig ist, um bis Ende 1992 den EG-Binnenmarkt zu verwirklichen. Es wird auch die Möglichkeit eingeschränkt, im Alleingang strengeres nationales Umweltrecht anzuwenden. Schröer entwickelt ein Modell zur Abgrenzung der vertraglichen Gesetzgebungsermächtigungen, das beiden Anliegen Rechnung zu tragen versucht.
Nell’ambito di questo seminario, il mio compito, come da titolo, non consisterà in un’esposizione del progetto, ma in una riflessione sul medesimo, condotta dall’esterno e in linea con gli interessi della ricerca tedesca. Quanto dirò dovrà dimostrare che proprio una riflessione di questo tipo può condurci nei pressi di questioni ero ciali e spesso non sollevate consapevolmente -, le quali concernono intrecci di relazioni scientifiche, afferiscono, di conseguenza, anche al progetto e possono evidenziarne il significato per la storia della scienza tedesca. ...