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Nach Hause … [enth.: Olympia – Rom – New York / Michael Kempe ; Athen – Bagdad / Marie Theres Fögen]
(2003)
Geplünderte, rauchende Paläste, umgestürzte Statuen, ausgeweidete Museen – anders als die Ruinen von Bagdad, an die uns der TV-Jahresrückblick Ende 2003 erinnern wird, verweist die nur noch auf Bildern existierende Ruine der New Yorker Twin Towers nicht auf die Folgen eines Krieges, in dem auch das Völkerrecht ruiniert wurde, sondern auf die Folgen eines Terroranschlags, der das einstige stolze Symbol Manhattans in weniger als zwei Stunden in Schutt und Staub verwandelte. ...
So geht es einer Stadt, die Frieden schaffen sollte – selbst, aus eigner Kraft! – und für den Sieg gebetet hat. Als ob es Siege gäbe, wenn die Menschen sterben.
Wer diese Euripides-Verse in der Übertragung von Walter Jens im März 2003 am Vorabend, buchstäblich am Vorabend, eines Krieges gelesen hat, kann sich über den Titel des Buches, in dem sie stehen, nur wundern: "Ferne und Nähe der Antike". Wieso denn "Ferne"? Euripides- Jens ist so nah wie der Krieg nah war. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. ...
Der Kreis des Wissens kann schon lange nicht mehr geschlossen werden. Zur Zeit der Aufklärung und im wissenschaftsverrückten 19. Jahrhundert schien das noch möglich zu sein, jedenfalls glaubte man fest daran, und die Enzyklopädien und Dictionnaires encyclopédiques kamen massenhaft von der Druckerpresse auf die Welt. Im 20. Jahrhundert ging die diktionnarische Produktion zwar unvermindert weiter, doch war das Ganze der Welt, auch partikularer Welten, unfassbar geworden. Die vielen Weltteile zersetzten die Einheit des Wissens. Das Alphabet der Enzyklopädie, die Fragmente der Information, die Teilchen des Ganzen, zerstörten den Kreis des Wissens, also die Möglichkeit der Enzyklopädie. ...
Wozu Rechtsgeschichte?
(2003)
Es ist kaum noch zu ertragen. Immer wieder diese alten Fragen. Warum Aufklärung? Was können wir wissen? Wozu sollen wir das oder jenes wissen? Turfanforschung – schon das Sujet ist dem Normalsterblichen ein Rätsel. Ägyptologie – hier verspricht der Gegenstand wenigstens eine vorstellbare und noch heute erlebbare Exotik. Zwei Wochen Nilfahrt. Aber das alte Schreiben und Denken und Musizieren der Turkmenen? Wer will das kennen lernen? Wem mögen die Kenntnisse über die Turkmenenkultur nutzen? Dann doch lieber gleich Kulturwissenschaft tout court. Das kommt an. Also etwa die Kultur des Riechens, von der Toilette über das Parfum zu den Gerüchen der Städte. Damals und heute. Da kann, zu welchem Behufe auch immer, jeder mitriechen – auch der kultivierte Steuerzahler, der die Kulturwissenschaft bezahlt. Die ebenso zahlenden unkultivierten Bürger interessieren nicht weiter. Oder das sagenhafte Gehör der Wüstenspringmaus. Das ist Grundlagenforschung, bei der sich immerhin ahnen lässt, es könnte à la longue etwas dabei herauskommen, ein neues Hörgerät, nicht für Mäuse, sondern für Menschen. ...
"Sie wissen, was man manchmal zur Rechtfertigung der Henker sagt: man müsse sich wohl oder übel dazu entschließen, einen Menschen zu foltern, wenn seine Geständnisse Hunderten das Leben retten." Für Jean-Paul Sartre war die Rettungsfolter am 6. März 1958, als er diesen Satz schrieb, eine "Heuchelei". Zwei Wochen zuvor war "La Question" von Henri Alleg, dem Herausgeber des Alger Républicain, der einzigen freien Tageszeitung Algeriens, in den Éditions de Minuit erschienen: der vielleicht aufregendste, weil auf eigener Erfahrung beruhende und doch so kühl erzählte, Bericht über die Praxis in den französischen Folterkellern Nordafrikas. Sartre griff zur Feder und schrieb über die Folter im Zeitalter der Zivilisation, des 20. Jahrhunderts, das schon in seiner Mitte massenhaft Folterungen gesehen hatte, das die Folter zur Raserei werden ließ, das den Folterknecht in einen Sisyphos verwandelte, der immer wieder zur Tortur zurückkehren muss, in einem Jahrhundert, in dem die Folter endlich ihren Grund gefunden hat: sich selbst. Die letzten Jahrzehnte sahen, wie die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die Globalisierung des Schmerzes der Gefolterten – der unterworfenen Untermenschen der Moderne. In dieser weltweiten Orgie der Qual – nicht nur dokumentiert in den Berichten von Amnesty International – geht es kaum um die Rettung von Menschen, um das Erzwingen von Geständnissen, um das Aufdecken einer Wahrheit. Es geht um die totale Herrschaft von Menschen über Menschen (Jan Philipp Reemtsma), um das Zusammenhalten der Gesellschaft durch die Drohung mit körperlicher Gewalt (Adorno), um den Blutkitt zwischen den Menschen, der diese beisammen hält, um die "Ich-Ausdehnung" der Peiniger (Lutz Ellrich). Die Folter des 20. Jahrhunderts – ob in Chile, in Indonesien oder im Deutschen Reich – kommt ohne Recht aus, interessiert sich nicht für in Körpern eingeschlossene Wahrheiten und feiert Feste der Angst. ...
Für die Erforschung der spätantiken Herrscherideologie hat Andreas Alföldi (1895-1981) Grundlegendes geleistet. Ihm gelang es, bildliche Darstellungen zum Sprechen zu bringen und ihre Bedeutung für die Repräsentation der Kaiser zu verdeutlichen. In dieser Tradition bewegt sich der Tübinger Althistoriker (und zeitweilige Assistent Alföldis) Frank Kolb mit seinem hier anzuzeigenden Buch. Darin führt er die verstreuten, von verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen vorangetriebenen Forschungen zur spätantiken Herrscherideologie zusammen, die er durch eigene Beiträge wesentlich beeinflußt hat. ...
Bartolus "down under"
(2003)
In einem abgedunkelten Raum der Heidelberger rechtshistorischen Bibliothek am Friedrich-Ebert-Platz findet man separiert die wertvollen Rara-Bestände; darunter auch die letzte Ausgabe der Opera Omnia des Bartolus von Sassoferrato (1314–1357), die in Venedig 1615 für die Bedürfnisse juristischer Praktiker verlegt wurde. Friedlich vereint stehen die Folianten Rücken an Rücken, Regal an Regal, Wand an Wand – so als ob sie seit den Gründungsjahren der Universität im 14. Jahrhundert, mindestens aber seit der Zeit der Druckerpresse und damit ihrer eigenen Herstellungszeit, schon immer so gestanden hätten. Kommunizieren die Bücher etwa heimlich miteinander, wenn niemand sie beobachtet? ...
Die Erinnerung ist eine seltsame Macht und bildet den Menschen um, schreibt Erich Kästner. Wie sich Menschen und insbesondere der sogenannte "gemeine Mann" in der Vergangenheit an die Vergangenheit erinnerten und wie sie soziale Wirklichkeit und deren Veränderung wahrnahmen, ist Thema eines Sammelbandes von – meist jüngeren – Historikern. Als Dokumente der Wahrnehmungen des "einfachen Mannes" werten sie Zeugenverhörprotokolle aus. Derartige Protokolle liegen für den Bereich nördlich der Alpen erst seit der Frühen Neuzeit in großer Zahl und Ausführlichkeit vor, weswegen alle Beiträge zum deutschen Raum sich diesen Untersuchungszeitraum gewählt haben. Allerdings vernachlässigen die meisten Einzelbeiträge eine konsequente Analyse ihrer Quellenbeispiele anhand rechtshistorischer Kategorien. Anscheinend erinnern sich heutige Historiker nicht daran, wie starke juristische Wurzeln gerade die frühe Geschichtswissenschaft hatte. Nur so lässt sich erklären, warum in vielen Beiträgen staunend empirische Befunde aus Zeugenverhörprotokollen mit teilweise erheblichem, sozialwissenschaftlichem Theorieaufwand "erklärt" werden, statt sie zunächst konsequent an den zeitgenössischen normativen Vorstellungen zu messen. Diese waren von Juristen seit Jahrhunderten in der Doktrin des gelehrten Prozessrechts bis hin zu einfachen Praktikerleitfäden präzisiert worden. Im Untersuchungszeitraum wurden sie zunehmend auch in den verschiedenen Prozessordnungen mit der Sanktion des Gesetzgebers versehen. ...
Hein Kötz hat es vor Jahren schon festgestellt: "Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung sind Holz vom gleichen Stamm. Sie sind Zwillingsschwestern." Und wie dies mit Zwillingen nun einmal so ist – sie lassen sich bisweilen nur schwer auseinander halten. So geht es auch dem Leser von Stefan Vogenauers fünfzehnhundert Seiten starker Dissertation zur Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent: Mochte man als Rechtshistoriker zunächst noch glauben, es handele sich dabei um Rechtsvergleichung, wurde der "monumentalen Untersuchung Vogenauers" inzwischen bescheinigt, sie sei auch "als bedeutende rechtshistorische Leistung" zu würdigen. Aber macht es denn tatsächlich so viel aus, welche der beiden Disziplinen die Arbeit für sich vereinnahmen kann? ...
"Die Jurisprudenz ist eine philologische Wissenschaft", wusste schon Friedrich Carl von Savigny. Die Zeit, in der sich juristische Auslegungslehre und literarische Philologie in enger wechselseitiger Beziehung entwickelten, liegt aber nun schon mehr als hundert Jahre zurück; seither haben sich Sprach- und Rechtswissenschaft so sehr verselbständigt, dass von einer Diskussion zwischen den Disziplinen kaum mehr die Rede sein kann. Der Geschichte der Rechtssprache ist es dabei ergangen wie allen anderen zwischen den Disziplinen liegenden Gegenständen: Weder die Juristen noch die Linguisten haben es gewagt, sie anzufassen. Den Offenbarungseid der Rechtsgeschichte leistet insoweit das Coingsche Handbuch, das der Gesetzessprache gerade einmal neuneinhalb Zeilen widmet und damit nur allzu deutlich macht, dass es sich in der Tat um ein "gänzlich unerforschtes Problem" handelt. ...
Durch diese Studie beabsichtigt Vanda Fiorillo, die deutsche Naturrechtslehre der frühen Neuzeit auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen, um damit ein Modell zu identifizieren, das uns auch dabei helfen kann, unsere Gegenwart, d. h. den historischen Zustand der polyarchischen Demokratien, zu verstehen und zu beherrschen. Das erwünschte allgemeine Prinzip findet die Verfasserin in der Theorie des Pflichtenstaats, die sich dadurch auszeichne, dass sie in der Konstruktion des Gemeinwesens nicht vom Recht des Einzelnen, sondern von dessen Pflichten ausgehe, und so ein besonderes Modell (7), einen "sittlichen und vernunftmäßigen Archetyp in der deutschen Auffassung von der Politik" (8) darstelle. Am eindeutigsten lasse sich die Idee des Pflichtenstaats bei den Autoren der Kant-Zeit rekonstruieren, deren theoretische Voraussetzungen auf Wolff und Pufendorf zurückgingen. Die Idee der Pflicht sei bei allen Autoren des späten 18. Jahrhunderts so grundlegend, dass auch Schriftsteller aus entgegengesetzten Lagern wie der preußische Liberale Johann Adam Bergk und der radikale Demokrat Ernst Ferdinand Klein gleichermaßen berücksichtigt werden können. ...
Wenn in Romanen Gerichte vorkommen, geht es meistens um Prozesse. Bei den populären Varianten halten diabolische Staatsanwälte gnadenlose Plädoyers gegen unschuldige Angeklagte (jung und weiblich), gutaussehende Strafverteidiger (jung und männlich), die immer gerade ihren ersten Fall haben, fallen ihnen heroisch ins Wort und tragen am Ende den Sieg und die Angeklagte davon. Bei den weniger populären gehen die Prozesse oft schlecht aus. Menschen werden verurteilt, ohne dass sie etwas Böses getan hätten, oder Rosshändler enden auf dem Schafott. ...
Kaum auf dem Markt, hatte Simon Coles Buch Suspect Identities schon einigen Wirbel verursacht. Cole, in Harvard in Science and Technology Studies promoviert, beschäftigt sich mit der Geschichte des Fingerabdrucks und anderer Identifizierungsverfahren. Sein Buch schildert die Revolution der Kriminaltechnik ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und endet in der Gegenwart: Auf die Begeisterung für die Polizeifotografie folgen Versuche mit dem Fingerabdruckverfahren (Daktyloskopie) sowie der "anthropometrischen Bertillonage", die eine Person anhand ihrer Knochenlängen und anderer körperlicher Merkmale identifizieren wollte. Aus der Konkurrenz und Koexistenz geht schließlich das Fingerabdruckverfahren ob seiner Einfachheit in der Datenerhebung und -archivierung als eindeutiger Sieger hervor. Mittlerweile wird es zunehmend vom genetischen Fingerabdruck ergänzt, der eine historisch nie dagewesene Zuverlässigkeit bietet, aber als forensisches Beweismittel verblüffend ähnliche Strukturprobleme in sich birgt. ...
Die deutsche Normalschraube
(2003)
Moderne Selbstbeschreibungen können durchaus produktiv die historische Forschung zu neuen Paradigmen anregen. Die derzeit sehr populäre Vorstellung von "Netzwerken" lässt sich mit Gewinn sogar auf historische Gesellschaften übertragen. Die Folgen dieses Konzepts für Theorien der Herrschaft beschäftigten am 5. und 6. Dezember 2002 am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz einen von Peter Becker und Raffaele Romanelli organisierten Workshop – sein Thema: "Governing through Networks: International Collaboration between Public Administrators". Der Veranstaltungstitel bildet nicht ab, dass es sich um ein dichtes Expertengespräch zum 19. Jahrhundert handelte. Thomas Nutz (München)berichtete über den sich internationalisierenden Gefängnisdiskurs in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, Pietro Corsi (Paris) breitete imposantes Material über die bis heute fruchtlosen Versuche italienischer Geologen aus, eine vollständige Karte des Landes zu erstellen. Hier wie auch bei den Statistikern (Silvana Patriarca, Fordham) wurde deutlich, welch überragende Rolle internationalen Netzwerken von wissenschaftlichen Experten im Verlauf von nur wenigen Jahrzehnten zugewachsen war. Sie organisierten sich in privaten Vereinen oder halbstaatlichen Organisationen und bildeten grenzüberschreitende Wissenssysteme, denen zunehmend eine Schlüsselstellung bei der politischen Entscheidungsfindung zukam. ...
Wenige Wochen nach dem vergleichsbedingten Fehltritt der Bundesjustizministerin hat sich der Hessische Ministerpräsident, ein mutmaßlicher "kommender Mann" der deutschen Politik, nicht enthalten und erneut historische Parallelen ins politische Spiel gebracht. In diesem Falle ging es nicht um Bush und Hitler, sondern um laufende Vermögenssteuerdebatten und ein geschmacklos-primitives Outing reicher Leute einerseits und andererseits um die Stigmatisierung jüdischer Menschen durch den sogenannten Judenstern. Erneut wogte die Empörung der intellektuell-medialen Teilöffentlichkeit angesichts des "Unvergleichbaren" hoch – eine Dublette an der Grenze zur Groteske, mit dem für unseren Kontext freilich nicht so wichtigen Unterschied, dass Däubler-Gmelin ging und Koch – wie auch anders – blieb. ...
Brüssel im November. Drei Tage lang präsentiert die Europäische Union "Research Europe 2002", die Auftaktveranstaltung zum 6. Forschungsrahmenprogramm. Ort des Geschehens: die Messehallen von Heysel. An die zehntausend Teilnehmer waren angemeldet und Tausende sind gekommen, Forscher, Forschungspolitiker, Forschungsverwerter aus ganz Europa, mancher auch von noch weiter her – etwa ein Drittel aus Wirtschaft und Industrie, viele Osteuropäer, viele junge Leute mit Elan und European spirit. Drei Tage der Vorträge, der Podiumsdiskussionen, der Workshops, der Schulungsveranstaltungen – alles mit dem einen Ziel, das zu konstituieren, worum es aller Förderprogrammatik letztlich geht: den gemeinsamen europäischen Forschungsraum. ...
Die Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich kreisten jahrelang um das Reichskammergericht (RKG). Dass sich das nun zu ändern beginnt, ist aus zwei Gründen ein Verdienst Eva Ortliebs. Zum einen verzeichnet sie in Wien die Akten des zweiten höchsten Reichsgerichts, des Reichshofrats (RHR), zum anderen beleuchtet sie in ihrer Dissertation einen zentralen Tätigkeitsbereich des RHR im 17. Jahrhundert, nämlich das Kommissionswesen. Aus der RKG-Forschung wusste man, dass Kommissionen im Rahmen von Beweiserhebungen eine wichtige Aufgabe im gemeinrechtlichen Zivilprozess erfüllten. ...
Rechtsgeschichte wozu? Die Frage drängt, diesen und jenen Nutzen anzuführen oder zu bestreiten. Doch wozu? Vor welchem Forum? Vor welchem Maßstab? Nützlich oder unnütz für wen: – für Laien, Juristen, Historiker, Wissenschaftler überhaupt, – für Jus-Studierende, Rechtsprofessoren, Juristen überhaupt, – für Rechtspolitiker, Hochschulpolitiker, Politiker überhaupt, – für Geschichtsspieler, Rechtsspieler, Spieler überhaupt, usw.? Für Quellenliebhaber, Exotikfreunde, Fällesammler, – usw.? ...
Es gibt sogenannte "Fakten" oder "Tatsachen" der Geschichte, die sich nach intensiver Überprüfung als Fiktionen erweisen. Es gibt Vorstellungen, die jahrhundertelang als gesichertes Wissen galten und bis heute in Enzyklopädien und einschlägigen Handbüchern zu finden sind. Ihre Faktizität gilt als gesichert; man sieht sie als "wirklich bestehende Sachverhalte" an. Und doch entpuppen sich immer wieder vermeintlich gesicherte Tatsachen als fiktiv. Jedoch können solche "fiktiven Tatsachen" in verschiedenen Zusammenhängen – und sei es "nur" in der Wissenschaftsgeschichte – ein Eigenleben entwickeln. Der traditionelle Begriff der Fälschung greift hier nicht mehr. Neuerdings verbreitet sich der Begriff der "imaginären Tatsache". ...
Wer an die allmähliche Verbesserung der Menschheit durch den "Fortschritt" glaubt, muss das immer wieder auftauchende Verbrechen für die letzte Bastion des Irrationalen halten. Je mehr man über Kriminalität weiß, desto größer wird die Herausforderung ihrer Beseitigung. Seit der Mitte des fortschrittstrunkenen 19. Jahrhunderts entsteht deshalb nicht nur der Kriminalroman, sondern es bemächtigen sich auch die Naturwissenschaften des Verbrechens und der Verbrecher. Das Rätsel Kriminalität scheint lösbar durch Biologie, Medizin, Eugenik und Psychiatrie. Schädel werden vermessen, man sucht Merkmale für "geborene Verbrecher", streitet um die Merkmale "geistiger Minderwertigkeit" und kombiniert dies mit Kriminalstatistiken und Milieustudien der beginnenden Soziologie. Die Juristen spüren, dass der ganze Sanktionsapparat von Schuld und Vergeltung durch die Aufdeckung determinierender Faktoren ins Wanken kommt. Setzen sie nicht mehr auf die Freiheit, sondern auf den Schutz der Gesellschaft, dann haben sie Schwierigkeiten zu begründen, dass der Schutz irgendwo aufhören muss, da man nicht alle "Minderwertigen" vorsorglich einsperren kann. Also erwägt man (neben anderen Schutzmaßnahmen) deren Sterilisation. Wenn es "geborene Verbrecher" gibt, dann sollte sich doch, so meinte man, wenigstens auf diesem Weg die nächste Generation dieser unerwünschten Variante des Menschseins verhindern lassen. ...
Raul Hilberg ist heute einer der bekanntesten Holocaust-Forscher der Welt. Er hat Preise und Orden bekommen, zuletzt in Deutschland die höchste Stufe des Verdienstordens der Republik und den Geschwister-Scholl-Preis 2002. Seine Anfänge waren eher mühsam. Seit 1948 studierte der 1938 mit seinen Eltern aus Wien in die USA geflohene Hilberg die Akten, die papierne Hinterlassenschaft des großen Mordens. Jahrzehntelang lehrte und schrieb er an der kanadischen University of Vermont. 1961 erschien sein dreibändiges Hauptwerk "The Destruction of European Jewry". Eine erste deutsche Ausgabe blieb fast unbeachtet. Die Taschenbuchausgabe von 1990 brachte den Durchbruch. Nun wurden auch die übrigen Bücher erfolgreich (Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981; Täter, Opfer, Zuschauer, Frankfurt 1992; Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, Frankfurt 1994). ...
"Die Frage nach Rollen, Handlungsräumen und Deutungen von Frauen und Männern in der sozialen Praxis politischer Geschichtsprozesse wurde bisher kaum untersucht." So schwungvoll und unzutreffend steht es in der Einleitung dieser Untersuchung. Die Verfasserin mag aber damit Recht haben, wenn sie sich den Untersuchungsgegenstand in bestimmter Weise zurechtlegt. Das geschieht so: Sie richtet ihr Hauptaugenmerk auf die "geschlechter- und alltagsgeschichtliche Perspektive", untersucht nur die "Hochverratsverfahren gegen den linken Widerstand" und sie sortiert vor allem die in Frage kommenden 258 Prozesse vor dem Volksgerichtshof in der Weise, dass herauskommt, was herauskommen soll. Die Autorin sagt es selbst: "Ausschlaggebend war … mein Ziel, Frauen soweit wie möglich selbst als Handelnde ins Blickfeld zu rücken und sie nicht von vornherein nur als Begleiterinnen des männlichen Widerstandes zu verstehen". ...
Auf dem von Sabine Holtz bearbeiteten Feld kreuzen sich Forschungslinien der württembergischen Landesgeschichte, der Bildungs- und Sozialgeschichte, der Geschichte des Beamtentums und der Rechtswissenschaft. Es geht, ähnlich wie in Rudolf Stichwehs Buch "Der frühmoderne Staat und die europäische Universität" (1991), um die "Interaktion von Politik und Erziehungssystem". Um die Fragen konkreter zu machen, werden Begrenzungen eingeführt, nicht nur territorial und zeitlich auf das Württemberg des 17. Jahrhunderts, sondern auch durch Konzentration auf die 418 Beamten der Zentralbehörden des Herzogtums. Was haben diese Kanzler und Vizekanzler, Landhofmeister, Oberräte, Regierungsratssekretäre, Kanzleiadvokaten, Rentkammerräte, Rentkammer-Expeditionsräte, Kirchenräte und Kirchenratsadvokaten studiert? Waren es Landeskinder, sind sie in Lateinschulen oder Gymnasien vorbereitet worden, und schließlich, wie haben sie gelebt? ...
Rezensionen zu: Richard Wagners politische Theologie : Kunst zwischen Revolution und Religion / Peter Hofmann. - Paderborn : Verl. Ferdinand Schöningh, 2003. - 320 S., ISBN 3-506-73929-8, 39,80 Euro Richard Wagner : Ahasvers Wandlungen / Dieter Borchmeyer. - Frankfurt am Main [u.a.] : Insel Verl., 2002. - 647 S., ISBN 3-458-17135-5, 44,90 Euro.
Rezensionen zu: Enthüllung und Entrüstung / Karl Otto Hondrich. - Frankfurt am Main : Suhrkamp Verl., 2002. - 166 S., ISBN 3-518-12270-3, 9 Euro. Der Neue Mensch / Karl Otto Hondrich. - Frankfurt am Main : Suhrkamp Verlag, 2001. - 222 S., ISBN 3-518-1227-8, 10 Euro. Wieder Krieg / Karl Otto Hondrich. - Frankfurt am Main : Suhrkamp Verlag, 2002. - 192 S., ISBN 3-518-12297-5, 9 Euro.
Die Fettleibigkeit nimmt in Europa in alarmierender Weise zu und ist deshalb von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eine weltweite Epidemie eingestuft worden. Für die europäische Vereinigung zur Untersuchung der Obesitas (European Association for the Study of Obesity, EASO), in der Grundlagenforscher, Kliniker und Epidemiologen zusammenarbeiten, gilt die Fettsucht als "wichtigste Barriere zur Prävention chronischer, nicht-übertragbarer Krankheiten". In vielen europäischen Ländern ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig und bis zu 30 Prozent der Bevölkerung sind fettleibig. Die Prävalenz bei Kindern ist deutlich ansteigend, so dass in einigen Regionen nahezu jedes vierte Kind betroffen ist.
Warten auf das Begehrenswerte – der eine bekommt es jeden Sonntag, der andere wartet, bis er alt und faltig ist. Springer veranlasste eine aufwändige Kampagne, um mit "BamS" neben der alltäglichen "Bild" einen zusätzlichen sonntäglichen Lesegenuss zu versprechen – immer unter dem gleichen Motto "Jeder sollte etwas haben, auf das er gerne wartet", aber mit wechselnden Motiven.
Können sich die indianischen Kulturen Nordamerikas im 21. Jahrhundert anders behaupten als nur in der Pflege von Folklore? Wie können Stammesangehörige mit den überlieferten Kenntnissen umgehen und damit ihr Leben in der modernen amerikanischen Gesellschaft gestalten? Wie bestehen Kulturen, die nur knapp der Ausrottung entgangen sind, als Minderheiten im eigenen Land?
Problematische Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen liefern regelmäßig Stoff für mehr oder weniger reißerische Schlagzeilen. Die öffentliche Meinung ist dabei relativ eindeutig: Früher ist alles besser gewesen! Damals hätten die Schüler das, was sie lernen sollten, gelernt und sich darüber hinaus auch noch ordentlich benehmen können. Heute dagegen könnten sie weder richtiges Deutsch sprechen noch rechnen. Frechheit, Vandalismus und Gewalt seien in Schulen an der Tagesordnung. Schuld seien Fernsehen, Computerspiele, die erziehungsunfähigen Eltern, die überforderten Lehrerinnen und Lehrer, die sozialen Verhältnisse oder der Werteverlust in unserer postmodernen Gesellschaft. Lehrer klagen, dass die Schüler immer unruhiger und unaufmerksamer werden; geordneter Unterricht sei kaum noch möglich. In extremen Fällen greifen sie zu dem aus ihrer Sicht einzig bleibenden Mittel: Sie beantragen eine Umschulung problematischer Kinder in Sonderschulen. Prof. Dr. Hans-Peter Langfeldt hat die für diesen Prozess notwendigen »Gutachten« unter die Lupe genommen.
In südlichen Gefilden wächst so manches, was in Maßen genossen dem Wohlbefinden dient. Dies gilt nicht nur für Heilkräuter und Rotwein, sondern vermutlich auch für andere für den Mittelmeerraum typische Getränke und Speisen. Auf der Suche nach diesen "natürlichen Apotheken" erfassen Wissenschaftler aus Deutschland und sechs weiteren europäischen Ländern derzeit seltene Unterarten bewährter Nutzpflanzen wie Thymian, Olive, Wein und Orange. Sie erforschen, ob die seit Jahrhunderten überlieferten Schutzund Heilungskräfte der Gewächse einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten und worauf sie beruhen. Die Frankfurter Gruppe um Prof. Dr. Walter Müller hat dabei insbesondere Stoffe im Blick, die das Nervensystem beeinflussen. Macht mediterrane Kost wirklich geistig fit?
Die Welt wird kleiner. Moderner Verkehr und moderne Kommunikation lassen die Kontinente enger zusammenrücken. Die Staaten verlieren mehr und mehr Funktionen an supranationale Organisationen und Konzerne; vielerorts ist gar die Rede vom nahen Ende der Nationalstaaten und ihrer Epoche. In einem großen Teil Europas jedenfalls hat die Einführung des Euro vor einem guten Jahr diesen Souveränitätsverlust, der für Währungen, Zölle und vieles andere längst zuvor vollzogen worden war, auch sinnlich erfahrbar gemacht.
Wenn man in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bereits den Begriff "Brain Drain" (Abwanderung) gekannt hätte, dann wären damit bestimmt nicht die deutschen Wissenschaftler gemeint gewesen, denn die geistige Elite zog es noch nicht in Scharen aus ihrer Heimat. Im Gegenteil! Damals folgte die internationale wissenschaftliche Elite dem Ruf nach Deutschland, weil hier weltweit herausragende Forscherpersönlichkeiten arbeiteten und lehrten. Das galt auch für die Frankfurter Universität. Namen wie Paul Ehrlich, Franz Oppenheimer oder Friedrich Dessauer stehen für hochkarätige Forschung, die ausländische Studenten und Wissenschaftler in die Mainmetropole lockte, bis das Nazi-Regime mit der Verfolgung der jüdischen Wissenschaftler dieser Blütezeit ein jähes Ende setze und viele Forscher ins Ausland – insbesondere in die USA – fliehen mussten.
Seit der TIMSS- und PISA-Studie sind sie wieder einmal Thema der bildungspolitischen Diskussion: die naturwissenschaftlichen Fächer in unseren Schulen. Deutschen Schülerinnen und Schülern wird bescheinigt: Sie haben nur mangelnde Kenntnisse, verstehen zu wenig, sind nicht recht in der Lage, Fragestellungen methodisch anzugehen, und denken zu wenig darüber nach, wie sie naturwissenschaftliche Probleme lösen könnten. Aber auch viele Erwachsene geben offen zu, besonders von den »harten« Naturwissenschaften wie Chemie wenig zu verstehen und sich nie besonders dafür interessiert zu haben. Wie kommt es, dass eine Wissenschaft, die wesentlich zum Verständnis unserer stofflichen Umwelt beiträgt und deren praktische Anwendung unser tägliches Leben in hohem Maße beeinflusst, auf ein so geringes Interesse stößt?
Die Mitteltemperatur hat sich in den vergangenen 120 Jahren um mindestens 0,6 Grad Celsius erhöht. Für die nächsten hundert Jahre wird ein weiterer Anstieg um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius prognostiziert. Auswirkungen dieser Erwärmung sind heute schon in der Tierwelt in unseren Regionen zu spüren: So ziehen einige Vogelarten im Winter nicht mehr in ferne Gefilde, sondern überwintern deutlich näher an ihren Brutgebieten. Verschiedene Tier- und Pflanzenarten, wie die Zebraspinne (Argiope bruennichi) oder das Salomonsiegel (Polygonatum odoratum), breiten sich stärker nach Norden aus. Immer häufiger gerät die friedliche Koexistenz von Tieren ins Wanken: Wegen der gestiegenen Temperaturen erwachen die Siebenschläfer deutlich früher aus ihrem Winterschlaf und stellen eine Bedrohung für höhlenbrütende Singvögel dar.
Heute erkranken in Deutschland etwa 750 Kinder und Jugendliche Jahr für Jahr an Leukämien und anderen bösartigen Bluterkrankungen, davon rund 600 an einer Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) und 150 an einer Akuten Myeloischen Leukämie (AML). Seit der Einführung moderner Chemotherapieprotokolle im Jahr 1970 ist aus dieser einst tödlichen eine jetzt heilbare Erkrankung geworden. Allerdings erleiden immer noch zirka 20 Prozent der Kinder mit einer ALL einen Rückfall. Die meisten der Kinder benötigen eine Stammzelltransplantation. In Deutschland sind dies pro Jahr etwa 100; in Frankfurt werden im Jahr gegenwärtig 20 Patienten mit Stammzelltransplantationen behandelt, davon rund 55 Prozent mit akuten Leukämien. Eine Stammzell-transplantation kostet bei Kindern gegenwärtig etwa 120000 Euro.
Von Schnecken und Menschen : beeinflussen Umweltchemikalien die Entwicklung und Fortpflanzung?
(2003)
In allen Stämmen des Tierreichs werden Entwicklung und Fortpflanzung durch chemische Botenstoffe gesteuert. Obwohl die generelle Strategie der endokrinen Kontrolle im Laufe der Evolution weitgehend unverändert blieb, bildeten die verschiedenen systematischen Gruppen stark divergierende Hormonsysteme aus. Gleichwohl werden einige Hormonklassen, etwa die zu den Steroiden gehörenden Geschlechtshormone der Wirbeltiere, auch von wirbellosen Tieren, wie den Stachelhäutern (Echinodermaten) oder den Vorderkiemerschnecken (Prosobranchier), als Signalstoffe verwendet.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die Inselgruppe der Malediven im Indischen Ozean in rasantem Tempo von einem geografisch isolierten und deshalb nahezu unbekannten Flecken am Rande der Welt zum Geheimtipp für Tiefseetaucher und weiter zum modernen, internationalen Touristikzentrum entwickelt. Von den zirka 1250 Inseln, die dem Inselstaat angehören, sind heute fast 100 als "tourist resorts" ausgebaut , die über einen internationalen Flughafen und mit Wasserflugzeugen bequem erreichbar sind. Nur die wenigsten Besucher werden dabei bemerken, dass die Bewohner des zwischen Afrika und Asien gelegenen Archipels zu einer alten Kulturnation gehören. Tatsächlich können die Malediver auf eine schriftliche Tradition zurückblicken, die der des Deutschen in ihrer zeitlichen Erstreckung nicht nachsteht; sie ist zudem durch den durchgreifenden Wechsel der Staatsreligion vom Buddhismus zum Islam und einen mehrfachen Wandel der Schrift geprägt.
Welche Art Strahlung geht vom Handy und von Relaisstationen aus? Wie kann sie auf den Menschen wirken, welche Wirkmechanismen werden ausgelöst? Welche Vorschriften und Grenzwerte gibt es? Wohl kaum ein Thema wurde in den vergangenen Jahren in Medien und in Öffentlichkeit so heiß und kontrovers diskutiert wie das "Strahlenrisiko" durch Mobilfunkanlagen, Mobiltelefone und schnurlose Telefone. Insbesondere, wenn Relaisstationen für mobile Kommunikationseinrichtungen in Verbindung mit dem neuen UMTS-Netz eingerichtet werden, beobachtet man oft erbitterte Konfrontationen zwischen Betreibern und Gegnern, die manchmal zu merkwürdigen Entwicklungen führen; so wurde beispielsweise die Antenne auf einem Kirchendach als Kreuz getarnt. Oft nutzen auch erklärte Gegner von Relaisanlagen am Wohnort beruflich oder privat ihr Handy.
Chemiker stehen in ihrer Mentalität Architekten nahe: Sie planen und bauen Moleküle. Schon lange, bevor der atomare Aufbau der Materie experimentell bewiesen war, entwickelten sie genaue Vorstellungen über die Raumstruktur von Molekülen. Erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurden diese "Arbeitshypothesen" – zum Beispiel das von Jacobus van’t Hoff postulierte Tetraedermodell für den vierbindigen Kohlenstoff – von den Physikern glänzend bestätigt. Zwar ist es mittlerweile möglich, die Struktur von unbekannten Molekülen zuverlässig vorherzusagen; doch nach wie vor sind genaue experimentelle Strukturbestimmungen ein unverzichtbarer Bestandteil vieler Forschungsprojekte.
Der "Generationenvertrag" der gesetzlichen Rentenversicherung hat die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Damit ist die "erste Säule" der Alterssicherung, die auf diesem Umlageverfahren basiert, ins Wanken geraten. Schuld daran ist die zunehmende Überalterung der Gesellschaft, aber auch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die zu enormen Beitragsausfällen führt. Schon heute sind die Rentenzahlungen nur noch zu rund 75 Prozent durch die Sozialversicherungsbeiträge der arbeitenden Bevölkerung gedeckt, der Rest muss – ähnlich wie bei den Beamtenpensionen – aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Das birgt vor allem für die jungen Beitragszahler substanzielle Risiken. Angesichts dieser Perspektiven sind immer weniger junge Menschen bereit, steigende Rentenbeiträge bei stetig sinkenden Leistungen zu akzeptieren. Kann die kapitalgedeckte Alterssicherung diese Defizite auffangen? Wie lassen sich die vielfältigen Konzepte der privaten Alterssicherung bewerten?
Rezensionen zu: Stefan Müller-Doohm : Adorno. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2003, ISBN 3-518-58378-6, 1056 Seiten, 24 Seiten Abbildungen, 36,90 Euro. Lorenz Jäger: Adorno. Eine politische Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, München, 2003, ISBN 3-421-05493-2, 320 Seiten, 22,90 Euro. Detlev Claussen : Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2003, ISBN 3-10-010813-2, 352 Seiten, 22,90 Euro. Theodor W. Adorno Archiv (Hrsg.), Adorno-Bildmonographie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2003, Leinen, ISBN 3-518-58377-8, 309 Seiten, 39,90 Euro. Kartoniert, ISBN 3-518-58382-4, 309 Seiten, 24,90 Euro Reinhard Pabst (Hrsg.) : Adorno. Kindheit in Amorbach. Bilder und Erinnerungen. Mit einer biographischen Recherche. Insel Verlag, Frankfurt 2003, it 2923, ISBN 3-458-34623-6, 228 Seiten, 9,50 Euro. Christoph Gödde und Henri Lonitz (Hrsg.) : Theodor W. Adorno, Briefe an die Eltern. 1939–1951, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2003, ISBN 3-518-58376-X, 576 Seiten, 8 Seiten Abbildungen, 39,90 Euro. Wolfram Schütte (Hrsg.) : Adorno in Frankfurt. Ein Kaleidoskop aus Texten und Bildern, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2003, ISBN 3-518-58379-4, etwa 250 Seiten, zirka 24,90 Euro. Wolfgang Schopf (Hrsg.) : »So müßte ich ein Engel und kein Autor sein« Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld. Suhrkamp Verlag 2003, ISBN 3-518-58375-1, 760 Seiten, zirka 39,90 Euro. Roger Behrens : Adorno-Abc, Verlag Reclam Leipzig, Leipzig, 2003, ISBN 3-379-20064-6, 248 Seiten, 11,90 Euro.
Kanada ist ein offiziell zweisprachiges Land, in dem der Dualismus von Englisch und Französisch Geschichte hat. Die Frankophonie in Kanada ist in den letzten 20 Jahren in Bewegung geraten: Wirtschaftswandel und Migration aus französischsprachigen Ländern haben ihre soziale Struktur deutlich verändert. Damit einher geht auch ein Wandel in der Politik: Die Basis-Alphabetisierung für frankophone Erwachsene hat Priorität, um damit die Voraussetzung für bessere ökonomische Chancen zu schaffen. Dagegen rücken kulturelle Interessen, wie sie noch in den 1980er Jahren eine wesentliche Rolle für die "Selbstidentifikation" der Frankophonen spielten, in den Hintergrund.
Wer heute ins Baltikum reist, gelangt in eine europäische Kulturregion, die jugendlich wirkt und ihrer Traditionen sich wieder besinnt, anders als Mitteleuropa, das die seinigen nicht mehr sehr hoch zu schätzen bereit ist. Die Menschen dieser Länder ziehen Kraft aus dem Bewusstsein ihrer so lange unterdrückten Eigenart.
Die Organische Synthese – also die Kunst, aus einfachen Molekülen gezielt komplexe Moleküle herzustellen – war immer schon sowohl von akademischem als auch von industriellem Interesse, wie schon die Anfänge der Farbenindustrie beweisen. Ohne organische Synthese wäre eine Indigoproduktion oder die Herstellung von Anilinfarben aus Steinkohlenteer zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts undenkbar gewesen. Die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Technologie auf dem Gebiet der organischen Synthese zieht sich wie ein roter Faden durch die Chemie bis hin zu den aktuellen biologischen oder materialwissenschaftlichen Fragestellungen. So ist die Entwicklung von Wirkstoffen – sei es für Arznei- oder Pflanzenschutzmittel – auch heute ohne organische Synthese undenkbar.
Wer tagtäglich in die Mikrowelt eintaucht, dem geht weniger die sichtbare Welt verloren, vielmehr zieht er Gewinn aus den Strukturen der sonst unsichtbaren Feinheiten aus belebter und unbelebter Natur . Vielleicht lüftet nicht jede Probe spektakulär Neues, aber es offenbaren sich ständig wechselnde ästhetische Momente im unerschöpflichen Reichtum des Mikrokosmos. In jenem abgedunkelten Raum, in dem sich das Raster-Elektronenmikroskop mit seinen tuckernden Vakuumpumpen befindet, blicken wir auf Fernsehmonitore, die durch den nachleuchtenden Elektronenstrahl eine plastische, sehr tiefenscharfe Gebirgswelt zaubern, eine Kraterlandschaft, scheinbare Phantasiegebilde, die beispielsweise von der Unterseite des Lavendelblattes stammen.
Auch wer noch nicht das Computerspiel "Tomb Raider" gespielt hat, kennt die Hauptfigur Lara Croft: Sie wirbt auf Plakatwänden für die Zeitung "Die Welt", ist die Haupfigur in einem Werbespot für die Frauenzeitschrift "Brigitte" oder spielt im Musikclip "Männer sind Schweine" der Popgruppe "Die Ärzte" mit. Lara Croft ist eine der frühesten weiblichen Hauptfiguren im Computerspiel-Genre: Zwei Jahre nach dem Erscheinen der Sony-Playstation-Computerspielkonsole kommt 1996 das Action-Spiel "Tomb Raider" des englischen Spieleherstellers Eidos heraus, gefolgt von einer jährlichen Fortsetzung des Spiels, das im Juni mit der sechsten Folge "Angel of Darkness" erschienen ist.
Golf und dem Nördlichen Eismeer, der Mandschurei im Osten und Polen im Westen leben. Bei aller kultureller Vielfalt, die sich aus diesem weit verzweigten Verbreitungsgebiet ergibt, sind die Türkvölker hauptsächlich durch ihre Sprachen miteinander verbunden; eine gewisse gesellschaftliche und kulturelle Konvergenz scheint sich aber heute, nach dem Zerfall der Sowjetunion, anzubahnen.
Die Pleitewelle in Deutschland steuert nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) auf einen neuen Höchststand zu. Für 2003 erwartet der Verband bereits zum vierten Mal in Folge sowohl bei Unternehmens- als auch Verbraucherinsolvenzen Rekordmarken: Die für 2003 geschätzten 40 000 Unternehmenspleiten (zuzüglich weiterer 58 000 Pleiten von Selbstständigen und Privaten) mit einem zu erwartenden volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von über 50 Milliarden Euro tragen erheblich zur schlechten Stimmung in Deutschland bei. Diese Zahlen verdeutlichen auch, wie außerordentlich wichtig ein modernes Insolvenzrecht ist, das neben dem Gläubigerschutz auch der möglichen Sanierung eines Unternehmens Rechnung trägt.
Die Häufigkeitsrate atopischer Erkrankungen bei Kindern, wie Heuschnupfen, Asthma, Neurodermitis (atopische Dermatitis), nimmt weltweit zu. Die Gründe sind vielschichtig. Gesichert ist der Zusammenhang zwischen der erblichen Überempfindlichkeit gegenüber natürlichen Substanzen (Atopie) und vermehrter Allergen- und Passivrauch-Exposition sowie Zunahme der Ein-Kind-Familien, Veränderung der mikrobiologischen Besiedlung des Darmes und Infektexposition. Besonders gut untersucht wurden diese Zusammenhänge von Erika von Mutius in einer Studie, in der sie von 1991 bis 1992 die Häufigkeit von Asthma in München (5030 Kinder) und Leipzig/Bitterfeld (2623 Kinder) verglichen hat.
Lipide sind essentielle Strukturelemente von Zellen. Sie sind unter anderem Hauptbestandteil von Membranen, die einerseits verschiedene Kompartimente innerhalb der Zelle gegeneinander abgrenzen und andererseits die Zelle nach außen abschotten. Membranen regulieren den Transport von Ionen, kleinen polaren Molekülen sowie peptidartigen Botenstoffen, da sie für viele Bestandteile des Organismus nicht oder nur wenig durchlässig (permeabel) sind.
Wie findet man einen neuen Wirkstoff? Die pharmazeutisch-chemische Forschung steht mit diesem Vorhaben vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe, denn der "chemische Raum" aller wirkstoffartigen Moleküle ist unvorstellbar groß. So wurde geschätzt, dass man prinzipiell aus 1060 bis 10100 verschiedenen Verbindungen die geeigneten Kandidaten auswählen kann. Zum Vergleich: Seit dem Urknall sollen "nur" etwa 10 hoch 18 Sekunden, etwa 14 Milliarden Jahre, vergangen sein. Dies bedeutet, dass der chemische Raum praktisch unendlich ist. Aus dieser Überlegung lassen sich zumindest zwei Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen gibt es die begründete Hoffnung, dass ein Molekül mit der gewünschten Aktivität existiert, zum anderen stellt sich die Frage, wie diese unvorstellbar große Zahl chemischer Verbindungen systematisch durchmustert werden kann? Doch die Situation ist nicht so hoffnungslos, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Dies zeigt die erfolgreiche Entwicklung immer neuer Medikamente. Das Forschungsgebiet der Chemieinformatik befasst sich mit der Entwicklung von intelligenten Lösungsansätzen, die Chemikern bei dieser Suche nach den "Nadeln im riesigen Heuhaufen" helfen können.
Die Frankfurter Universitätsklinik hat mit der Eröffnung des interdisziplinären Brustkrebszentrums 1997 im Rhein-Main-Gebiet neue Maßstäbe bei der Behandlung von Brustkrebs gesetzt. Ziel ist es, die diagnostischen und therapeutischen Abläufe in der Brustkrebsbehandlung zu optimieren sowie die ökonomischen und fachlichen Ressourcen besser zu nutzen. Doch eine gute Therapie ist nur ein Werkzeug bei der Bekämpfung der seit Jahren zunehmenden Brustkrebserkrankungen. Nach Kaufmanns Ansicht ist es wichtig, "zweigleisig zu fahren: Früherkennungsmaßnahmen tragen dazu bei, Tumoren früh zu erkennen. Darüber hinaus gilt es, durch mehr Information mehr Körper- und Gesundheitsbewusstsein zu entwickeln. Denn wer gut informiert ist, hat die besseren Chancen."
Neueren Schätzungen zufolge leiden bis zu 15 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung unter klinisch bedeutsamen Schlafstörungen. Die "Internationale Klassifikation der Schlafstörungen" (ICSD-R) umfasst insgesamt 88 Störungen, die sich vier Oberkategorien zuordnen lassen: "Dyssomnien" (Schlafstörungen, die entweder durch Ein- oder Durchschlafstörungen oder übermäßige Schläfrigkeit gekennzeichnet sind), "Parasomnien" (zum Beispiel Schlafwandeln oder Sprechen im Schlaf), "Schlafstörungen bei körperlichen oder psychiatrischen Erkrankungen" sowie "Vorgeschlagene Schlafstörungen" (diagnostische Kategorien, die derzeit noch näher erforscht werden).
Bei jeder chemischen Reaktion werden Bindungen gebrochen und andere neu geknüpft. Dabei ändert sich die Anordnung und eventuell Anzahl der Atome im Molekül. Voraussetzung hierfür sind Bewegungen der beteiligten Atome und Moleküle. Um chemische Umwandlungen in "Echtzeit" zu studieren, müssen Untersuchungen im Zeitbereich der Schwingungs- und Rotationsdynamik durchgeführt werden. Dazu nutzen Wissenschaftler des Instituts für Physikalische und Theoretische Chemie die Möglichkeiten der modernen Ultrakurzzeit-Lasertechnik.
Hinter dem Begriff "Schlaganfall" verbergen sich verschiedene Krankheitsbilder, die durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind: Die Beschwerden treten akut auf, oftmals von einer Sekunde zur anderen. Ein Schlagfall ist darüber hinaus durch das Auftreten von charakteristischen neurologischen Symptomen gekennzeichnet, wie halbseitige Lähmungen, Sprach-, Seh- oder Gefühlsstörungen. Die Ursache hierfür liegt in Veränderungen in den Blutgefäßen des Gehirns, wie die Autoren erläutern.
Glukose ist ein zentrales Element des normalen Energiehaushalts im Körper. Seine Konzentration im Blut wird von Insulin, einem Hormon, das außerdem für Wachstums- und Entwicklungsprozesse mitverantwortlich ist, reguliert. Normale Glukosespiegel im Blut und in den Zellen sind die Folge einer fein abgestimmten Insulinwirkung am Insulinrezeptor, der in der Zelle eine nachgeschaltete Signalkette auslöst, bei der Glukose in die Zelle eingeschleust wird. Insulin bindet an den Insulinrezeptor nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, wobei die Türöffnung hier den Eintritt von Glukose in die Zelle bedeutet. Gibt es zu wenig Insulin (Typ 1-Diabetes) oder ist die Wirkung von Insulin am Rezeptor oder in der nachgeschalteten Signalwirkung gestört, so resultieren Zuckerstoffwechselveränderungen bis hin zu Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit). Für die häufigste Diabetes mellitus-Form (Typ 2) sind Störungen am Rezeptorsystem verantwortlich.