Jüdische Studien - Literatur
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Kunz
(2018)
Die Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift "Hinz&Kunzt" gehören auf Hamburgs Straßen wie Blechmusikanten in den Berliner Untergrund. [...] Die Verschmelzung von Kunz, dem austauschbaren Jedermann, und der Kunst als vielgestaltiger Vermittlerin von Freude und Leben, erzeugt durch das schlichte Anhängen eines Buchstabens, verweist auf mehr als ein phonetisches Wortspiel. Was aber macht die semantische Nähe dieser beiden Vokabeln aus? Aufschluss gibt womöglich ein drittes Wort, ein jiddisches Fremdwort, das, ganz egal, in welcher Sprache es gebraucht wird, unübersetzt bleibt und damit seine Fremdheit beibehält: 'kunz', genauer 'di kunz'. Herkommend vom deutschen "Kunst", bedeutet es keinesfalls "Kunst", sondern so viel wie "Trick", "Kunststück" oder "Einfallsreichtum" - etwas, was potenziell jeder hat oder kann.
Alin Bashja Lea Zinner fokussiert in ihrem Aufsatz ein Tabu innerhalb der literarischen Aufarbeitungsgeschichte der NS-Verbrechen. In "Das Tabu der sexuellen Gewalt in der Holocaust-Literatur" stehen die literarischen Werke des Holocaust-Überlebenden Yehiel DiNur im Zentrum der Aufmerksamkeit, die mit einem Vexierspiel aus Faktualität und Fiktionalität die sexuelle Ausbeutung von Häftlingen entlarven und sich aufgrund dessen in ihrer Rezeptionsgeschichte Anfeindungen und Vorwürfen der pornographischen Ausschlachtung und Proftigier ausgesetzt sahen.
Nicolas Berg wirft einen Blick auf die intensive und facettenreiche Goethe-Verehrung deutsch-jüdischer Milieus um 1900. Mit Goethe habe sich im deutschen Judentum grundsätzlich die Hoffnung auf eine Anverwandlung "universeller Werte der Kultur" verbunden, und die Beschäftigung mit Goethes Leben und Werk sei aus diesem Grund weder mit bloßer "Klassikerbeflissenheit" noch mit gängigem "Kulturnationalismus" zu verwechseln. Dies erkenne man nicht zuletzt daran, dass jüdische Spielarten der Goethe-Aneignung eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Goethe keineswegs ausgeschlossen hätten. Berg erinnert an die Fülle philologischer, philosophischer wie populärwissenschaftlicher Goethe-Arbeiten von jüdischen Autoren. Von besonderer Attraktivität sei dabei oft der Goethe'sche Bildungsgedanke gewesen, da dieser die Überwindung "beruflicher Barrieren" wenigstens im Imaginären zugelassen habe. Das Bedürfnis nach einem Ausweis deutsch-jüdischer Affinitäten zeige sich darüber hinaus an der Behauptung einer inneren Verwandtschaft v. a. zwischen Spinoza und Goethe, die spätestens um 1900 zum Topos aufsteige. Der Blick auf die gesellschaftspolitischen Realitäten der Zeit drohe freilich, die gesamte Konstellation als traurige "Phantasmagorie" offenzulegen.
Nicht nur die Philologie, sondern auch die Philosophie setzt sich jedoch in der Moderne mit dem Kommentar und seiner religiösen Dimension auseinander. Der Beitrag von Christoph Schulte zeigt dies an zwei Maimonides-Kommentaren aus der Haskala, der jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert: Sowohl der Kommentar Moses Mendelssohns (1761/65) als auch derjenige Salomon Maimons (1791) greifen auf die kanonische Autorität des mittelalterlichen Autors zurück, um die moderne Philosophie der Aufklärung unter ihren jüdischen Zeitgenossen zu propagieren. Nicht zufällig verwenden sie dafür das Genre des Kommentars, die dominante literarische Gattung im rabbinischen Judentum, und damit eine eminent religiöse Form. Dabei will Mendelssohns Kommentar zu Maimonides' Kommentar zu Aristoteles' Logik und Metaphysik die jüdische Religion selbst als kompatibel mit der Aufklärung erweisen. Salomon Maimon hingegen liefert in seinem Kommentar zu Maimonides' philosophischem Hauptwerk "Führer der Unschlüssigen" eine hebräische Einleitung in die Terminologie Immanuel Kants (mit Übersetzung der zentralen Begriffe) wie auch die erste moderne Wissenschafts- und Philosophiegeschichte in hebräischer Sprache überhaupt. Beiden Aufklärern ist also gemeinsam, dass sie sich zwar der nichtjüdischen Welt der Aufklärung öffnen, dabei aber nicht die rabbinische Tradition des religiösen Judentums preisgeben.
Im Marktflecken Thannhausen bei Augsburg, der in einer adligen Enklave im markgräflich Burgauischen Mindeltal lag, existierte um 1600 eine für diese Zeit beachtlich große jüdische Landgemeinde, die mit ihren etwa dreißig Haushaltungen nach der Vertreibung der Juden aus Günzburg und Burgau 1617/18 die zahlenmäßig stärkste Gemeinde in Schwaben darstellte. An Chanukka des Jahres 5372, Anfang Dezember 1611 christlicher Zeitrechnung, kam dort ein Rechtsstreit zwischen der jüdischen Gemeinde zu Thannhausen und ihrem Schtadlan Kofman vor ein jüdisches Schiedsgericht. Es ging um die Entlohnung Kofmans für eine Mission, auf die ihn die Gemeinde im Frühsommer desselben Jahres nach Prag entsandt hatte, um bei der Ortsherrschaft ihre Interessen zu vertreten. Der Prozess, der zu den wenigen Schiedsgerichtsverfahren dieser Zeit gehört, deren Protokolle weitgehend erhalten sind, soll hier untersucht werden; dabei wird jedoch weniger das Verfahren oder der Gegenstand des Prozesses als solcher, die Auseinandersetzung um Kofmans Lohn, im Mittelpunkt stehen, als vielmehr der Konflikt um die Interpretation der Rolle des Schtadlan, des Fürsprechers der Gemeinde bei der Obrigkeit, durch die beiden Prozessparteien. Die Deutungen, wie sie in den Aussagen der Prozessbeteiligten artikuliert werden, weichen in erheblichem Maße von der in der Forschung vorherrschenden Darstellung des Amtes des Schtadlan in der Frühneuzeit ab – ebenso wie die Definition der Tätigkeit, die der bekannteste Fürsprecher des 16. Jahrhunderts, Josel von Rosheim, in seiner Korrespondenz und in seiner Chronik für sich verwandte. Aussagen der Beteiligten, Auftraggeber und Funktionsträger, sollen hier also auf die Frage nach Amt, Funktion und Titel des Schtadlan im 16. Jahrhundert im Lichte ihrer jeweiligen subjektiven Wahrnehmung der Vorgänge hin analysiert werden.
Es waren gleich drei Gebetbücher, die im Jahr 1786 von jüdischen Aufklärern herausgegeben wurden. Zuerst erschien Isaak Satanows hebräische Gebetbuchausgabe Tefilot Jisrael, als deren zweiter Teil David Friedländers deutsche Übersetzung der Gebete der Juden auf das ganze Jahr in hebräischen Buchstaben herausgegeben wurde und schließlich folgte Isaak Euchels deutsche Übersetzung der Gebete der hochdeutschen und polnischen Juden in gotischen Lettern. Auch wenn der Titel von Euchels Übersetzung danach klingt, handelte es sich nicht um die täglichen Gebete nach deutschem und polnischen Ritus, einem Sidur minhag aschkenas, sondern um allgemeine Gebetbücher. Die Übersetzungen beinhalten Gebete für die Feier- und Festtage sowie die Sprüche der Väter (Pirkej avot beziehungsweise Masechet avot), die üblicherweise im Machsor enthalten sind, und sie verzichten auf die Aufnahme von Pijjutim, folgen somit auch keinem bestimmten Ritus. Konsequenterweise betitelte Euchel seine zweite Ausgabe von 1799 simpel mit Gebete der Juden. ...