Literatur zum Film
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In den Filmen "Old Joy", "Wendy and Lucy" und "Certain Women" werden die zentralen Themen der US-amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt um Armut und Prekarität als Beschäftigung mit Zeitlichkeit deutlich. Der Artikel interessiert sich weiterführend dafür, wie diese Fragen in ihren Filmen auch als queer gelesen werden können. Hierfür werden verschiedene Bewegungen untersucht, die chrononormativen Zuschreibungen entgegenstehen und potentielle Öffnungen und Gefüge zeitigen. Es handelt sich um filmische Unterbrechungen und kleine Brüche, die eine Unklarheit, Abweichung oder Übertretung und die Neuformulierung von Zeit(ver)läufen und Räumen erlauben. Damit offenbart sich ein filmisches Denken, das sich im Bild selbst, in der Kameraführung oder durch Verbindungen in der Montage äußert.
In diesem Text werden zwei Film- bzw. Mediennetzwerke aus Kanada betrachtet, in denen prekäre Lebensbedingungen nicht nur thematisiert werden, sondern durch die Partizipation und Kollaboration von Filmschaffenden und Bürger*innen Handlungsmacht generiert werden soll. "Challenge for Change" setzte sich ab den 1960er Jahren u. a. gegen Armut ein, "Wapikoni Mobile" ist ein zeitgenössisches indigenes Vlog- und Filmnetzwerk. Beide Projekte werden als handlungsbasierte Dokumentarphilosophien verstanden. Sie werden mit Gilbert Simondon als mögliche Milieus für kollektive Individuationen konzeptualisiert. "Challenge for Change" und "Wapikoni Mobile" werden als technisch-sozial-ästhetische Milieus verstanden, in denen aktivistische und kulturelle Interventionen und Individuationen keinen Gegensatz bilden. "Wapikoni Mobile" wird zudem hinsichtlich seines Potentials für eine Filmkultur des Anthropozäns diskutiert, in der es um die Beziehung von Welt und Mensch geht, die in dokumentarischen Filmen verhandelt wird und die nicht nur abbildet, sondern ebenfalls - mit Gilles Deleuze - ein Band zur Welt knüpft.
Im Anschluss an eine queer-theoretische reparative Perspektive betrachte ich lustvolle Strategien des Überlebens in zwei Film- bzw. Videoarbeiten. Ming Wongs "Lerne deutsch mit Petra von Kant" (2007) und Cana Bilir-Meiers "This Makes Me Want to Predict the Past" (2019) erzeugen unvorhergesehene, lebenserhaltende und "transhistorische Beziehungen". Beide respektieren dabei die mediale Lücke im Zugriff auf die Vergangenheit.
Der Beitrag setzt sich mit der Ambivalenz des dokumentarischen Blicks zwischen Sichtbarmachung und Othering auseinander. Im Zentrum steht der 2016 in Wien entstandene Dokumentarfilm "Brüder der Nacht" von Patric Chiha, der sich mit bulgarischen Arbeitsmigranten befasst, die in Wien als Stricher arbeiten. Das Porträt der jungen Männer dehnt die Grenzen des Dokumentarischen maximal aus und begegnet dem Problem ihrer Viktimisierung auf besondere Weise. Anhand des aktuellen Beispiels werden historische Kontinuitäten und Diskontinuitäten des dokumentarischen Blicks auf prekäres Leben und soziale Armut aufgezeigt.
Der in seinen mannigfachen Referenzen nahezu opake Film "Contra-Internet: Jubilee 2033" von Zach Blas (2018) steht im Zentrum der Frage, welches Internet wir uns aus einer queer-theoretischen und queer-ästhetischen Perspektive vorstellen können. Was ist eine queere Vision des Internets? Wie lässt sich eine Zukunft des Internets prophezeien, die den von Technologieunternehmen herbeigeführten Nexus von Mystik und Mathematik hintertreibt? Am Beispiel der im Film verhandelten Symbole, Objekte und Materialien beschäftigt sich dieser Beitrag mit der queeren Ästhetik des Algorithmischen.
Der Beitrag befasst sich anhand von künstlerischen Arbeiten von Bettina Malcomess mit prekären Sichtbarkeiten und instabilen Narrativen im audiovisuellen Post-Apartheid-Archiv. Dabei werden das Nachwirken von Imperialismus und Apartheid in Südafrika und Strategien der Dekolonialisierung in künstlerischen Praktiken thematisiert.
Dieser Beitrag fokussiert die Arbeiten von Charlotte Prodger als ein Beispiel für gegenwärtige künstlerische Strategien, die sich bewusst einer Vereinnahmung bzw. einer Kommodifizierung queerer Ästhetiken verweigern und stattdessen die Notwendigkeit einer queeren Selbstbestimmung und damit einer queeren Bewegungsgeschichte (erneut) in den Vordergrund rücken. Insbesondere der 2019 bei der Biennale in Venedig gezeigte Film "SaF05" wird dabei im Zentrum der Überlegungen stehen - eine Arbeit, die in gewisser Weise an experimentelle Prozesse des New Queer Cinema anknüpft und die Betrachtenden in und durch queere (Erinnerungs-)Landschaften führt.
"BRIDGIT" ist der Titel des iPhone-Videos, mit dem Charlotte Prodger 2018 den Turner Prize gewann. Der Beitrag zeigt, dass Prodger einerseits an bereits etablierte Ästhetiken des experimentellen queeren Kinos anknüpft, andererseits aber auch über diese hinausgeht. Die ästhetische Verschränkung von Körpern, Begehren, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, Landschaft, Zeit und Queerness ist - auch im Medium des digitalen Filmes - skulptural und setzt darin eine virtuelle Kraft frei, die sich den neoliberalen Normalisierungsprozessen und der Nicht-Intelligibilität von queeren Begehrensformen in subtiler Weise widersetzt.
Im Beitrag werden zwei filmische Positionen zusammengeführt. In beiden finden sich Inszenierungen von Gemeinschaft und Prekarisierungen als ästhetische Aushandlungen einer Politisierung der Filmform. Während der schwedische Film "Folkbildningsterror" (2014) politische Zustände im Musical zur Disposition stellt, untersucht der US-amerikanische Thriller "The Owls" (2010) die Konsequenzen homophober Entwürfe lesbischer Figuren im Film, die bis in die aktuelle Filmgeschichte reichen.
Gegen das tödliche Schweigen und die Einsamkeit setzt Robin Campillo in seinem Film "120 BPM" das gemeinsame Sprechen, die Versammlung. Basierend auf Campillos Erinnerungen an die politische Arbeit mit ACT UP Paris in den frühen 1990er Jahren rückt der Film die wöchentlichen Versammlungen der Gruppe in den Fokus. Ausgehend von diesen werden die queeren Zeitpolitiken des Films herausgearbeitet und gezeigt, dass der Film die Kämpfe nicht einfach als vergangene zeigt; vielmehr etabliert er eine Ästhetik des Präsentischen, die die Verbindungen von Gegenwart und Vergangenheit als performative Vergegenwärtigungen und potentielle Aktivierungen betont.
Wenn queeres Kino und queere Ästhetiken das Prekäre dokumentieren, dann intendiert dies auch eine Revolution im Symbolischen. Oder anders formuliert: ihr ästhetisches Unterfangen, Rahmungen zum Vorschein zu bringen, ohne sie zu wiederholen, erweist sich, wie die hier versammelten Beiträge namhafter Film-, Medien- und Queertheoretiker*innen zeigen, als prekäre Form der Dokumentation. Die Beiträge bieten dabei zugleich einen Einblick in den gegenwärtigen Stand des queeren Kinos - seiner Filme, Videos und visuellen Installationen.
Als Alternativen zu den oftmals melodramatisch inszenierten Figuren des Blinden in vielen populären Filmen verstehen sich Projekte, die sich - in Kooperation mit blinden Menschen - an deren spezifische Wahrnehmung anzunähern versuchen. Die Regisseurin Nina Rippel stellt in ihrem Bildessay eigene Filmprojekte vor, die blinden Menschen sozusagen auf Augenhöhe begegnen wollen. Rippel beschreibt zum einen ihre filmischen Versuche, mit Unterwasseraufnahmen differente Wahrnehmungsweisen bzw. Wahrnehmungsstörungen zu simulieren. Zum anderen reflektiert sie ihre dokumentarischen Arbeiten, in denen sie auf filmtechnisch komplexe Weise blinde Menschen im Gespräch mit der Regisseurin porträtiert und deren eigene ästhetische Praxis, etwa als blinde Orchestermusikerinnen oder als blinde Fotografen, herausarbeitet.
Als der spanische Bürgerkrieg 1939 nach drei langen Jahren endet, sieht sich der siegreiche Francisco Franco einem nicht unerheblichen Problem gegenüber: Es gilt, die zersplitterte und traumatisierte Nation auf Basis einer gemeinsamen Grundlage neuerlich zu vereinen. Zugleich benötigt der durch einen Putsch zustande gekommene 'neue Staat' auch nach Ende des als Kreuzzug betitelten Bürgerkriegs dringend eine Legitimationsgrundlage. Dies versucht man u. a. durch Geschichtstransformationen zu erreichen, die das Franco-Regime als legitimen Nachfolger frühneuzeitlicher Monarchien inszenieren. Daneben soll der Gesellschaft besonders in den 50er Jahren der langsam (wieder) entstehende Konsumkapitalismus schmackhaft gemacht werden: Der Spanier ist aufgefordert, die dargebotenen Güter zu genießen und sich so als dem Franquismus gleichsam 'genüsslich unterworfenes' Subjekt zu konstituieren. In den beiden hier beleuchteten Filmen dieser Epoche werden, wie zu zeigen wird, sowohl die franquistischen Geschichtstransformationen in ihrem fiktiven Charakter entlarvt als auch das staatliche Mandat des 'Genießens' unterhöhlt, indem jenes Genießen als ebenso substanzarm ausgewiesen wird wie die mit ihm einhergehende Politik.
Reinhold Görling geht von einem untrennbaren Zusammenhang von Conatus und Verletzbarkeit bzw. Tod aus, die er mit dem Begriff der Lebensnot verbindet und schon bei Spinoza selbst angelegt sieht. Die These einer immer schon bestehenden Nähe von Conatus und Lebensnot konturiert er im Folgenden im Rahmen eines immanenzphilosophischen und relationistischen medienästhetischen Ansatzes. Mit Deleuze verortet er den Moment, in dem Conatus und Lebensnot in einem singulären Leben verbunden sind in der Kunst. An jenem Punkt, in dem Ethik und Ästhetik in der Kunst ineinander übergehen, finden zugleich Relationalität und Widerstand zusammen. In einer dichten Lektüre des Films "Son of Saul" von Lázló Nemes (USA 2015) über ein Mitglied des Sonderkommandos in Auschwitz legt Görling dar, was er als ethisch-ästhetischen Grund des Films versteht.
Der Aufsatz von Manuele Gragnolati und Christoph F. E. Holzhey "Aktive Passivität?" über Pier Pasolinis Theaterstück und seinen gleichnamigen Film "Schweinestall" (Italien 1969) setzt an der Auseinandersetzung von Julian, dem Protagonisten mit dem ihm im Traum erscheinenden Spinoza an. In dem Gespräch mit Julian, das im Film nicht vorkommt, diesem jedoch zugrunde liegt, tritt Spinoza zunächst als eben jener rationalistische Philosoph auf, der für den bürgerlichen Rationalismus verantwortlich ist. In ihrer Lektüre zeigen Gragnolati und Holzhey, dass Pasolinis Auslegung von Spinozas Philosophie schließlich darin mündet, dass sie Julian ermutigt, sich seinen Affekten hinzugeben, die ihn zu den Schweinen ziehen, um sich von ihnen verschlingen zu lassen. Damit entwickelt Pasolini in seiner subtilen Abschwörung von Spinoza, wie Gragnolati und Holzhey argumentieren, avant la lettre eine queere Kunst des Scheiterns, in der Julian eine mögliche Form des Protestes und der Möglichkeit darstellt, sich der Teilhabe an der Macht zu entziehen.
Entlang von Claude Lanzmanns Film "Le dernier des injustes" (Frankreich 2014) analysiert Getrud Koch, wie sich der Conatus in der extremen Situation eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers, in dem es kaum noch Handlungsspielräume gibt, um das Überleben zu sichern, an den imaginären Entwurf eines Lebens bindet. Im Zentrum steht das Gespräch, das Lanzmann mit Benjamin Murmelstein, einzigem überlebendem Judenältesten und Kollaborateur, über dessen Beitrag an dem Theresienstadt-Film führt, der unter dem Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" fungiert. In ihrer Analyse geht Koch von der doppelten Struktur des Sehens aus, die das Medium Film charakterisiert: Der Film gibt etwas als Bild zu sehen und macht zugleich etwas zu einem Bild. Diese Verschränkung von konkreter Materialität und Artefakt im Film hat zur Folge, dass Leben spielen und am Leben bleiben eins werden. Der Begriff der Imagination geht, wie Koch damit zeigt, durch die technische Implementierung im Film neue Relationen mit dem Materiellen und den Körpern ein, was beide Begriffe, jenen des Conatus und jenen der Lebensnot, und das Verhältnis zwischen ihnen neu zu denken verlangt.
Following Hannah Arendt's remarks on refugee camps as spaces of 'worldlessness', I examine how, in films on European asylum facilities, systemic violence 'makes itself known' in images of nature. Nature separates and isolates ("La Forteresse", "Forst"), it constitutes a sphere of domination and control ("View from Above"), and it functions directly as a murder weapon ("Purple Sea"). Nature, in these films, indicates the Outside within, haunted by the latent and ghostly presence of systemic violence.
Marcus Coelen's essay 'An Eclipse of the Screen: Jorge Semprún's Scripts for Alain Resnais' starts from the assumption that the peculiar status of film scripts (not written to be read as such) can be illustrated by the figure of their eclipse. For they are, in inverting the very logic of the figure they invite, eclipsed for the sake of and by the fractured light on the screen they help to produce. Yet just as the sun, obscured by the 'black writing' of the moon, leaves an ephemeral contour in the skies - a spectacle to many when happening - so too can the script that is made to disappear by the screen be assumed to draw its own particular and even more vanishing traits into the movie that is given not only to sight but also to thought. The analyses and critical constructions proposed by Coelen try to detect such traits in the work of Jorge Semprún the screen writer. Writing not only for movies by Alain Resnais - most notably "La guerre est finie" (1966) and "Stavisky" (1974) - but also publishing versions of them after their release and calling those versions 'scénarios' despite various divergences and subtly violent inversions of the movies' images, the screenwriter's figure describes yet another twist of the eclipse. It can be assumed not only that Semprún strongly resisted the influence of the constellation formed by writing and cinematographic shooting, as well as projecting, but furthermore that this writing was almost imperceptibly yet essentially directed against the eclipse it was drawn into. No minor forces are conjured up in this enterprise. Driven by the desire to re-appropriate cinema's a-personal and anti-psychological movement, to domesticate the images of scribbling lights drifting away from the mental and into thought - as well as into a history not mastered -, Semprún attempted to shape mastery itself and most traditional forms of authorship, along with memory and agency, in order to cloud the eclipse of script - that is, we might add, to conjure up a ghost recovering the trace of what has been eclipsed so that it may continue to haunt.
Volker Woltersdorff's essay 'Sexual Ghosts and the Whole of History: Queer Historiography, Post-Slavery Subjectivities, and Sadomasochism in Isaac Julien's "The Attendant"' discusses the controversial concept of wholeness in historiography with regard to the fascination with past horrors and the desire to do justice to their victims who retain a ghostly presence. The essay retraces how this commitment produces a dilemma, as it can result either in the aspiration to historical wholeness as full memoralization or alternatively in the radical rejection of wholeness as an impossible healing. Employing Elizabeth Freeman's notion of 'erotohistoriography', Woltersdorff introduces affect into the work of historiography in order to find an escape from the dilemmatic impasse between history's wholeness as pacified reconciliation and as ongoing catastrophe along the lines of Walter Benjamin. Sadomasochism is presented as a practice that may correspond most adequately to the paradoxical affect caused by traumatic history that continues to haunt the present. Indeed, re-enactments of historical oppression and violence occur frequently within the BDSM community. However, what distinguishes them from 'living history' re-enactments is their potential to modify affective attachments to history by altering the historical script. The essay elaborates this potential through Isaac Julien's 1993 short film "The Attendant", which, in a kind of queer re-enactment, overwrites the memory of colonial chattel slavery by a sadomasochistic encounter of a black guardian and a white visitor in a museum dedicated to the history of slavery. The film raises the ethical and political question of how to relate affectively to the legacy and ongoing presence of racism. Against this backdrop, the author argues that, through the BDSM scenario and its changes to the historical script, Julien's film represents and promotes a paradoxical way to perform both the memorialization and the forgetting of past horrors and pleasures. Here, historical wholeness acquires a conflicting double meaning of both achieving completeness and restoring integrity. Woltersdorff concludes by interpreting "The Attendant" as urging a utopian perspective, produced by the tension between the impossibility of history's wholeness and the necessary, reparative desire for it. The article concludes by highlighting the paradox that Julien's film shows wholeness 'to be impossible and yet necessary' and 'expresses a necessary desire made impossible'. While the essay explicitly engages with the figure of haunting, one could perhaps speak here also of plasticity insofar as the contradictory conjunction of remembering and forgetting seems to rely on a malleability of affects and on producing an affective economy that sustains the fantasmatic remembrance of a painful past through paradoxical pleasure but breaks with any pleasure derived from real inequality, injustice, or suffering imparted non-consensually.
Ist es möglich das Konzept des Ritornells in eine Philosophie des Spiels einzubinden und mit Benjamins Philosophie der Zweiten Technik, in deren Zentrum bekanntermaßen das Spiel steht, so zu verbinden, dass das Spiel als Teil der Technik erscheint und die Ästhetik ihrerseits als Teil dieses Spiels? Dieser Frage geht Astrid Deuber-Mankowsky in ihrem Beitrag in Form eines spielerischen Versuchs nach. Elemente dieses Versuchs sind die Texte von Deleuze und von Deleuze und Guattari zum Konzept des Ritornells und der dazugehörigen Philosophie der Wiederholung, Benjamins verstreute Ansätze zu einer Philosophie der Technik und der Videofilm "Seeing Red" der US-amerikanischen Experimentalfilmemacherin Su Friedrich. "Seeing Red" spielt mit dem Genre des Diary Films in der sich ausbreitenden Vlog-Kultur. Der Film ist jedoch, wie Deuber-Mankowsky zu zeigen unternimmt, mehr als ein Spiel mit Genres: Su Friedrich betreibt das Filmen selbst als ein Spiel im Sinne des Ringelreihen-Spiels von Deleuze und Guattari: als eine Passage und als eine Bewegung der Intensivierung, als ein Spiel mit Wiederholungen und ein Abschreiten von Variationen. Dies lässt sich freilich nur dann mit dem Begriff der Technik verbinden, wenn Technik nicht instrumentell - und das heißt, auch nicht anthropozentrisch - gedacht wird, sondern, wie Benjamin vorschlägt, in der Nähe zum Spiel, das, wie er schreibt, als "Wehmutter jeder Gewohnheit" auftritt. So ist es von der kleinen Variation nur ein Schritt bis zur unermüdlichen Wiederholung der Versuchsanordnung, welche das Experiment auszeichnet.
In ihrem Beitrag geht Karin Harrasser unter dem Titel "Treue zum Problem" der Frage nach, ob und wie sich das Konzept des situierten Wissens von Donna Haraway mit dem Konzept der Kosmopolitik von Isabelle Stengers verbinden lasse. Treue zum Problem wird dabei zum Begriff für eine Erkenntnishaltung, in der theoretische und wissenschaftliche Problemstellungen aus konkreten Anlässen und Situationen generiert werden. Wie man sich das konkret vorzustellen hat, führt Harrasser am Beispiel des Films von Werner Herzog vor: "Wo die grünen Ameisen träumen".
Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" zählt seit seinem Erscheinen im Jahr 1929 zu den wichtigsten Werken der Großstadtliteratur des Jahrhunderts. Seine Bedeutung für die experimentelle Qualität des Montageromans fußt jedoch nicht nur auf der Großstadterfahrung an sich, sondern ganz wesentlich auf den Folgen des Ersten Weltkriegs, die in "Berlin Alexanderplatz" in einer spezifischen Weise wirksam werden. Es werden die Möglichkeiten und Grenzen des literarischen Schreibens über Traumata der Nachkriegszeit untersucht und Bezüge zur Interpretation von Rainer Werner Fassbinder hergestellt. Die gängige Interpretation des experimentellen Montageromans wird dabei in Frage gestellt.
Ist das Schwert, das der Braut vom Mann aus Okinawa überreicht wird, das zentrale Symbol für den Mythos, der in KILL BILL erzählt und zugleich dekonstruiert wird, so lassen sich an der Geschichte des Schwertes auch die wesentlichen Stationen des Handlungszusammenhangs aufzeigen, der Tarantinos vierten Film kennzeichnet. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich - neben Exkursen zu Homer und der ganz anderen Begegnung von fernöstlicher und amerikanischer Tradition im Kino Takeshi Kitanos und nach grundsätzlichen Überlegungen zur Affektpolitik des Films - zunächst auf das vierte Kapitel des Films, um anhand der Leitmetapher des Schwertes den Remythisierungstendenzen des Films nachzugehen und deren Dekonstruktion aufzuzeigen.
Resolution
(2019)
Many parodies operate through temporal strategies that distort the narrative proportions of their targets. This essay discusses two texts that manipulate time for parodic purposes: the contemporary animated sitcom "Bojack Horseman" and the twelfth-century romance "Ipomedon". Their shared method involves the absurd prolongation of narrative structures of resolution and satisfaction in order to reveal these structures' arbitrary nature. But this method, in turn, shows that resolution - a retrospective determination of shape and meaning - can never be avoided entirely, even if it can be deferred.
Repetition
(2019)
Serial texts must repeat, so that they can be recognized, but they must also change, so that they can remain interesting. Unusual temporal manipulations can emerge in such texts in order to balance these contradictory demands. This essay studies two serial texts whose need for self-extension produces a suspension of historical time: the contemporary animated sitcom "The Simpsons", and medieval romance as theorized by the twelfth-century poet Wace. I suggest that we might name this temporal constraint fiction.
Recovery
(2019)
Despite the increasing incidence of eating disorders, very few films have addressed these conditions in particular. What's more, most of the US-American mainstream fiction films that deal with eating disorders tend to be built on anachronistic clichés, hardly depicting their broad array. Furthermore, the traditional narrative structure of beginning, middle, and (happy) end misrepresents the erratic temporality of eating disorder symptoms as well as the nonlinear phases of recovery and relapse.
Dem Inzesttabu gilt die Aufmerksamkeit in Verena Richters Beitrag "'C'est comme blasphémer: ça veut dire qu'on y croit encore.' Inzest und 68er-Diskussionen in Louis Malles "Le souffle au coeur" (1971)". Louis Malle inszeniert im Film einen Mutter-Sohn-Inzest vor dem Hintergrund eines französischen Nationalfeiertags. Dieses mit kultureller Bedeutung aufgeladene Setting erlaubt es der Autorin nicht nur, den Inzest vor dem Hintergrund einer kritischen Auseinandersetzung mit der Familienstruktur der bürgerlichen Kleinfamilie zu lesen, sondern als kritische Revision paternalistischer Gesellschaftsstrukturen grosso modo.
In Marie Meiningers Aufsatz "Verhandlungen von Tabus in der Populärkultur. Darstellungsweisen in der ARD-Vorabendserie 'Verbotene Liebe'" steht ein serielles TV-Format im Vordergrund der Betrachtung. Bereits im Titel ruft die einstmals erfolgreiche Vorabendserie "Verbotene Liebe" das Tabuisierte auf den Plan. Die Serie nimmt ihren Ausgang von der (De)Thematisierung eines Geschwisterinzests und fokussiert damit ein Tabu, das bereits Freud Anfang des 20. Jahrhunderts neben dem Tötungstabu als eines der bedeutsamsten gesellschaftlichen Regulative beschreibt. Marie Meininger untersucht, wie die Serie jenes Tabu mit aufklärerischem Anspruch inszeniert, dabei eine (moralische) Hierarchisierung verschiedener Inzesthandlungen und -konstellationen vollzieht, die sich außerdem verbinden mit kultur- und geschlechterstereotypen Darstellungsmustern.
Vera Nordhoffs Beitrag "Alles ist erlaubt - oder doch nicht? Subjektive Tabus und ihre Grenzen in der Serie 'Sex and the City'" hat eine populäre US-amerikanische Serie zum Gegenstand, die ob ihrer sexuellen Freizügigkeit scheinbar keine Tabugrenzen zu kennen scheint. Die Autorin führt jedoch den Nachweis, dass es dennoch ein Unantastbares gebe, das in der Serie als unhinterfragtes Heiligtum firmiert: das romantische Ideal monogamer Liebe, das jedoch durch die genrespezifischen Bedingungen des seriellen Formats immer wieder als serielle Monogamie dargestellt und dabei unterlaufen wird.
Mara Kollien beschäftigt sich im Beitrag "Tod und Sterben in der zeitgenössischen Filmkomödie" buchstäblich mit dem Unerfahrbarem, dem Tod als Gegenstand der zeitgenössischen Filmkomödie. Vor dem Hintergrund kultureller Zugangs- und Umgangsweisen mit dem Tod identifiziert die Autorin den humoresken Umgang mit dem Verdrängten als Möglichkeit einer distanzierten Annäherung.
Mit dem Beitrag "Seinfeld und das Tabu der Masturbation" betrachtet Elisabeth Werner Inszenierungen von Tabus und Tabubrüchen in audiovisuellen Formaten. Die Autorin fokussiert die (De)Thematisierung von Sexualität und Autoerotik vor dem Hintergrund der medialen Bedingungen des Formats Sitcom und des spezifischen kulturellen Zuschnitts der Sitcom "Seinfeld", die zuweilen mit ihrer Figurenkonstellation an überlieferte Narrative der jüdischen Kultur anschließt.
In its elusive form between drama, novel and film, "Teorema" marks a 'new turning point in Pasolini's oeuvre'. Both the narrative and the style are remarkable, juxtaposing elements of different genres, nourishing the unresolved tensions within the film: the family members are shown in various scenes that follow one another in seemingly random order. Instead of a cohesive narrative unfolding in time, there reigns a sense of timelessness that gives rise to an oppressive feeling of drifting. Claudia Peppel's essay 'The Guest: Transfiguring Indifference in "Teorema"' explores the figure of the guest, which has always been closely connected with myth and whose appearance often triggers the dramatic conflict. Peppel focuses on "Teorema", in which a sensual stranger causes a bourgeois family to acknowledge its delusions. When he departs, the members of the family are left in a state of unfulfilled yearning, searching for new meaning. While critical literature on Pasolini regularly points to the importance of the figure of the guest but rarely analyzes it, Peppel discusses theories of the guest and hospitality to illuminate the role of the stranger in Pasolini's film. The guest's exceptional state, which is removed from everyday life and removes others from their everyday lives, is meticulously staged and resembles the evenly-suspended attention of the psychoanalyst. He triggers projections, desires, and, ultimately, existential crises.
Figura lacrima
(2012)
Hervé Joubert-Laurencin’s article 'Figura Lacrima', which explores Pasolini's figure of Christ, consists of two interconnected parts. The part called 'Lacrima' argues that Pasolini's Christ sheds a small tear which is analogous to the salvific tear of Dante's Bonconte da Montefeltro. This heretical tear is not explicitly referred to or shown but can only be perceived through the coherent text represented by the ensemble of Pasolini's films. The part called 'Figura' argues that Pasolini invents the new concept of 'figural integration', which extends beyond Erich Auerbach's analysis of medieval figural and typological interpretation and allows him to conceptualize a kind of non-dichotomous tension between the poles structuring his thought and art. Joubert-Laurencin argues thereby that Pasolini's scandal of Christ's small tear is not the simple provocation of a sinful Christ, but the utopian image of a West that frees itself from its own closure through the promise of another world, coming not from somewhere else but from the powers of an outside that it possesses within itself.
Pasolini's literature, film, theatre, and essays engaged with Classical tragedy from the mid-1960s onwards. As Bernhard Groß shows in his paper 'Reconciliation and Stark Incompatibility: Pasolini's "Africa" and Greek Tragedy', this engagement forms a modality in Pasolini's politics of aesthetics that seeks to grasp the fundamental transformation from a rural-proletarian to a petit-bourgeois Italy. Since the mid-'60s, Pasolini was concerned with the bourgeoisie and its utopian potentials, which he sought to make productive by reading Classical tragedy as a possibility to make contradictions visible. Pasolini realized his reading of the Classical tragedy by having 'Africa' and 'Europe' - as he understood them - confront one another without mediation. By means of film analyses and film theory, Groß argues that this confrontation, especially in the films on the ancient world, generates an aesthetic place where the incompatible can unfold in the spectators' experience.
The body of the actor : notes on the relationship between the body and acting in Pasolini's cinema
(2012)
Agnese Grieco's paper 'The Body of the Actor: Notes on the Relationship Between the Body and Acting in Pasolini's Cinema' deals with the specific physiognomy of the actor within Pasolini's 'cinema of poetry'. It argues that Pasolini's films allow the spectator to experience directly a complex and polyvalent reality beyond the traditional idea of 'representation'. As a fragment of that reality, actors quote and present themselves beyond and through their interpretations of a role. Instead of conceiving of the actor as a 'professional of fiction', Pasolini employs a variety of actors who are able fully to convey their own anthropological history. It is particularly the body of the actor, Grieco concludes, that becomes a door opening towards a deeper reality. For instance, the figure of Ninetto Davoli can push us back towards Greek antiquity, and the codified art of the comedian Totò or the iconic fixity of Maria Callas can interact with the African faces of the possible interpreters of an African Oresteia.
Manuele Gragnolati's paper 'Analogy and Difference: Multistable Figures in Pasolini's "Appunti per un'Orestiade africana"' discusses Pasolini's preference for the figure of contradiction and his opposition to Hegelian dialectics by exploring his attempt to look at Africa's process of modernization and democratization in the 1960s as analogous to the synthetic transformation of the Furies into Eumenides at the end of Aeschylus's trilogy. Gragnolati shows that Pasolini is aware of the dangers of analogy, which risks imposing the author's or filmmaker's symbolic order onto that of the 'other' represented in the text or film, and he argues that Pasolini seeks to deal with this danger by constantly shifting back and forth between differing positions. "Appunti per un'Orestiade africana" can thereby be thought as a multistable figure that is left suspended and not only resists synthesis, but also problematizes its own feasibility and challenges its own legitimacy.
Astrid Deuber-Mankowsky's paper 'Cinematographic Aesthetics as Subversion of Moral Reason in Pasolini's Medea' explores the 1969 film "Medea". Pasolini's Medea, masterfully played by Maria Callas, betrays her homeland and her origin, stabs both her children, sets her house on fire, and dispossesses Jason of his sons' corpses. But Deuber-Mankowsky argues that it is ultimately not these acts that render the film particularly disturbing and disconcerting, but, rather, the fact that the spectator is left behind in suspension precisely because Medea cannot be easily condemned for her acts. Pasolini's film and its cinematographic aesthetics thereby not only subvert the projection of Medea into the prehistorical world of madness and perversion, but also undermine belief in the validity of the kind of moral rationality developed and constituted in an exemplary way by Immanuel Kant in his "Critique of Practical Reason". In particular, Pasolini seems to relate conceptually to Nietzsche's artistic-philosophical transfiguration of Dionysus and to accuse belief in a world of reasons of failing to grasp the groundlessness, irrationality, or even a-rationality of reason itself.
By focusing on Pasolini's uncompleted film project "San Paolo", Luca Di Blasi's article 'One Divided by Another: Split and Conversion in Pasolini's "San Paolo"' analyzes the notion of split (the split in the structure of time and, above all, the split of the figure of Paul) and concentrates especially on the very moment of Paul's Damascene conversion. Di Blasi refers to the "Kippbild" as a model that can be used to understand better certain ambivalences in Pasolini's Paul. Locating Pasolini's reading of the founder of the Church in a triangulation with two major contemporary philosophers, Alain Badiou and Giorgio Agamben, Di Blasi shows that two opposing possibilities of interpreting Paul - as militant subject of a universal event and its necessary consequences (Badiou) and as representative of softness, weakness, poverty, "homo sacer" (Agamben) - fit perfectly with the two aspects of Pasolini's Paul. Pasolini's profoundly split Paul thus represents a dichotomy which disunites two major figures of contemporary leftist thought.
Am Beispiel des Stalkerfilms diskutiert Michaela Wünsch filmästhetische Verfahren der Evokation des Unheimlichen und der Angst. Eine Technik, das Unheimliche aufzurufen, besteht darin, die Filmkadrierung durch Rahmungen im Filmbild selbst zu verdoppeln. Wünsch macht deutlich, dass konkrete Techniken in den größeren Zusammenhang einer allgemeinen Unheimlichkeit des Medialen gestellt werden können. Anhand exemplarischer Filmszenen aus "Halloween" analysiert sie die Rahmungen genauer und entwickelt unter Bezugnahme auf Lacans "Seminar X" eine medientheoretische Unterscheidung zwischen dem Gefühl des Unheimlichen und der Angst.
The subject of this paper is a recent comic movie version of Dante's "Comedy": a 2007 puppet and toy theatre adaptation of the "Inferno" directed by Sean Meredith. It is certainly not the first time that Dante and his theatre of hell appear in this kind of environment. Mickey Mouse has followed Dante's footsteps and very recently a weird bunch of prehistoric animals went a similar path: in part three of the blockbuster "Ice Age" (2009), a new, lippy guide character named Buck uses several Dante quotes and the whole strange voyage can be described as a Dantesque descent into dinosaur hell. In the following pages Ronald de Rooy argues that Meredith's version of Dante's "Inferno" is not only funny and entertaining, but that it is also surprisingly innovative if we compare it to other literature and movies which project Dante's hell or parts of it onto the modern metropolis.
'Perhaps the sodomites should be written out of Dante's "Inferno"', Jarman wrote in his journal on 1 August 1990: 'I'll offer myself as the ghostwriter.' What does he mean by 'ghostwriter' here? How queer is this odd speech-act? What is he offering to do to the homophobic landscape of the "Inferno", that forbiddingly sealed textual prison, with his Hollywood pitchman's casual bid to 'write out' the sodomites as if they were a slight embarrassment to the divine justice system? Is he speaking in jest as a writer of gay satires and sacrilegious memoirs, or in deadly earnest as an activist who had renounced the middle-class pretensions and frivolities of the pre-AIDS gay world? [...] Jarman counters the trope of homosexual theft visually with the triumphant figure of Man with Snake. The Dantesque merging of snake and thief is replaced by an erotic dance in which the gilded youth raises his phallic partner above his head and seductively kisses it on the mouth. Whereas Dante would have us notice the grotesque parody of the Trinity played out in the seventh bolgia - with the unchanging Puccio as God the Father, the two-natured Agnello-Cianfa as Christ, and the fume-veiled Buoso receiving his forked tongue from the serpent Francesco in a demonic replay of the gift of tongues from the Spirit - Jarman clears away all overdetermined theological meanings to revel in the purely aesthetic impact of the phallic dancer. All the ghosts from Dante's snakepit are conjured away in the film and replaced with the solid presence of a single gorgeously spotlit male body. Ghostwriting Dante, for Jarman, meant more than a mere appropriation of homoerotic scenes from the "Inferno" into his screenplay. It meant a complete reimagining of their aesthetic significance within the filmscape of his Dantean transformations.
The 1935 Fox Films "Dante's Inferno" (directed by Harry Lachman) traces the rise and fall of an entrepreneur. Its protagonist, Jim Carter (played by Spencer Tracy), begins the story as a stoker on a cruise liner. The narrative opens with a burst of flames from the ship's boiler, and the ensuing scene goes on to show the protagonist competing at shovelling coal for a bet in the sweltering engine-room. Interspersed are shots of the superstructure directly above with a number of elegant and vapid passengers following the game below. This initial sequence thus concisely conveys the main features of the film's social agenda through imagery that anticipates that of two of its later 'infernal' sequences. [...] Spectacular admonition and concern about the ruthless pursuit of wealth are the main features which link this "Inferno" of the thirties to the one that had appeared some six hundred years earlier. Wealth and avarice were, of course, demonstrably serious concerns for Dante: as Peter Armour, for example, has shown, there is a recurrent and pervasive concern with money, its meaning, and its misuse throughout the "Commedia". So it is not surprising that the "Inferno" should also have been appropriated by social critics some hundred years before the 1935 Hollywood fable. [...] Some of the narrative and visual patterns in "Dante's Inferno" imply an uneasy underlying vision of the movie industry and its practices. Other productions, publicity, and journalism of the time reinforce suggestions of such a metafictional approach to movies, morality, and the market in the 1935 "Dante's Inferno".
Als Erfinder sind Kulturheroen mit jener "instrumentellen Vernunft" ausgestattet, die das Denken der Moderne im Guten wie Schlechten prägte. Die Heroen verfügen meist auch über eine spezielle Physis und technologisches Talent. Als Trickster- oder Schelmenfigur überwinden sie alle Hindernisse. Niemand sonst verkörperte dieses heroische Idealbild besser als der sowjetische Wissenschaftler, der keine gottgegebenen Grenzen akzeptierte und systematisch an einer Entzauberung der Natur arbeitete. Wenn Heroen Göttliches usurpieren, erhalten sie gottgleichen Status und gehören daher zwei Sphären an. Als Doppelwesen repräsentiert der Kulturheros eine halbherzige Säkularisierung - löst doch die Epoche der Heroen nach der Revolution die Ära der Götter ab, ohne die religiöse Verehrung ganz aus der Welt zu schaffen. Erich Voegelin diagnostizierte bereits 1938 bei den modernen politischen Massenbewegungen in Deutschland und in der UdSSR Säkularisierungen des religiösen Glaubens, die zu "politischen Religionen" werden. In der Moderne können gewöhnliche Menschen durch para-religiöse Rituale und durch medialisierten Kult selbst zu Heroen werden. In der UdSSR war eines der wichtigsten Medien zur Produktion von Heroen der vom Staat finanzierte Kinofilm für Millionen von Zuschauern. In ihm geschah diese Heroisierung durch den Schauspieler, der den Wissenschaftler als göttlich-heroisches Doppelwesen auf der Leinwand performiert. Die Heroisierung beginnt durch die Einführung der das Gesicht verändernden Maske in den Filmbiographien von Wissenschaftlern der 1930er Jahre. [...] Die untersuchten Filmbiographien befinden sich in einem sowjetischen und einem internationalen Gattungskontext. Durch den Vergleich der medialen Konstruktion des Heroischen kann die Genese des sowjetischen Genres der Filmbiographie rekonstruiert werden. Weiter kann man fragen, in welcher Hinsicht das Medium des Films für die Konstruktion der kulturstiftenden Rolle des russischen Wissenschaftler-Heros geeignet war. Eine zentrale Rolle kommt dem Verfahren der Maske zu, die die Heroen tragen und so über ihre Kultur Aussagen treffen.
Die Obsession für das menschliche Antlitz ist dem 20. Jahrhundert ins Gesicht geschrieben. So produzieren die modernen Bildmedien Fotografie, Film und Fernsehen in zuvor ungekanntem Ausmaß endlose Serien menschlicher Porträts, so erzeugen sie gänzlich neue Perspektiven auf das Gesicht und bringen allgegenwärtige faciale Schemata in Umlauf. Dabei wird das Gesicht zu einem maßgeblichen Vehikel gesellschaftlicher Normierung und zugleich zu einem Paradigma, an dem grundlegende Fragen der Subjektivität, der Kommunikation und der Ästhetik verhandelt werden. Dass nicht nur theoretische Diskurse die Funktionen des medialisierten Gesichts reflektieren, sondern auch die Medien selbst, lässt sich an Georges Franjus Les Yeux sans visage (1959) zeigen. Vermag der Film – ein Klassiker des Horrorgenres – es doch wie kaum ein anderer, die Potentiale des menschlichen Gesichts als Medium der Subjektivität und seine Bedeutung als Sujet des modernen Films auszuloten – und zwar gerade, indem er dessen Verlust in Szene setzt.
Einleitung
(2012)
'Gyser', 'grøsser' oder 'skrekkfilm' – in den skandinavischen Sprachen gibt es mehr als nur eine Bezeichnung für Filme, die dem Horrorgenre zugerechnet und in der Übersetzung alle synonym als 'Horrorfilm' bezeichnet werden. [...] Doch entgegen dieser terminologischen Vielfalt und Uneindeutigkeit ist die Geschichte des Horrorfilms in Skandinavien – auch im weiteren Sinne – sehr übersichtlich, was die quantitative Produktionsmenge betrifft. Bis zur Mitte der 1990er Jahre erschienen lediglich vereinzelte Filme, die allein wegen ihrer singulären Stellung Aufmerksamkeit erregten. Das hat sich in den letzten fünfzehn Jahren deutlich geändert. Nicht nur die allgemeine Filmproduktion in Dänemark, Schweden und Norwegen ist wieder deutlich angestiegen, insbesondere die von Horrorfilmen verzeichnet einen geradezu exponentiellen Zuwachs. Waren es bis in die 1990er wenig mehr als ein Dutzend Filme insgesamt, erreichen nun starke Jahrgänge wie 2005 oder 2008 alleine solche Zahlen. Ein "Aufblühen" der skandinavischen Horrorfilmproduktion seit 2003 kann länderübergreifend beobachtet werden.
All dies hat seine Gründe. Historische, ökonomische, soziale – viele davon interferieren. Im Vergleich zu den USA oder Großbritannien ist nicht nur die Zahl der Filmschaffenden, RegisseurInnen und DrehbuchautorInnen deutlich geringer, auch die jeweiligen Märkte sind es, die die Filmproduktion ebenso bestimmen wie mögliche Koproduktionen oder Exporte. Die skandinavischen Filmförderungsfonds haben in den letzten fünfzehn Jahren ihr Volumen deutlich erhöht. Ein Grund, weswegen es möglich war, dass mehr Projekte junger, noch nicht etablierter Regisseure (wie etwa Ole Bornedals NATTEVAGTEN, 1994) realisiert werden konnten, die durch internationale Erfolge wiederum neue Möglichkeiten eröffneten.
[E]in genauerer Blick auf 'Schindler's List' [kann] den skizzierten Tenor der deutschen Rezeption, es handele sich um einen ,,zutiefst unideologischen Film" […] von quasi-dokumentarischer Authentizität, nicht bestätigen […]. Weder ähnelt der Film in seiner Gestaltung einem dokumentarischen Darstellungsstil, noch ist er historisch getreu. Vielmehr versucht Spielberg das Dilemma einer künstlerischen Gestaltung des Holocaust zu lösen, indem er das historische Material […] zu schematisierten Formen von Erfahrung [bündelt], deren stereotype Prägnanz und kalkulierte Wirkungskraft zu einer gewissen Enthistorisierung des dargestellten Geschehens führen. [Dies] zielt auf eine kathartische Teilnahme am Schicksal der Protagonisten, auf identifikatorischen Jammer und anteilnehmenden Schauder […], eine besondere, ästhetische Form der Lust. […] Einige Kritiker des Films haben ihn deswegen als "seelische Schnell-Reinigung, als Instant-Absolution, als Gefühls-Quickie" kritisiert […], andere sahen darin gerade den "Geniestreich" Spielbergs, weil so "das von Schindler Vorgelebte und im Film Vorgeführte zum Vorbild wird". […]. Man kann diesen Konflikt […] als Ausdruck einer allgemeineren kulturellen Situation beschreiben: Der weltweite Erfolg der Authentizitätsfiktion von 'Schindler's List' wäre dann Folge einer distanzierteren kulturellen Haltung gegenüber dem Holocaust, die nicht den Authentizitätskriterien solcher Zuschauer genügt, die persönliche Erfahrungen mit dem Holocaust verbinden.
Spartacus mußte, als bis dahin teuerste Filmproduktion überhaupt, ein kommerzieller Erfolg werden – was auch gelang. Den weiteren historischen Rahmen des Films bildet das gereizte antikommunistische Klima, das die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschte und in dem man sehr schnell auch gegen Künstler mißtrauisch geworden war. Dalton Trumbo, einer der gefragtesten Drehbuchautoren seiner Zeit, gehörte zu den „Hollywood Ten“, die 1947 vor dem House Un-American Activities Committee die geforderten Denunziationen vermeintlicher Kommunisten verweigert hatten. Folge für sie waren Gefängnisstrafen und Beschäftigungsverbote: die schwarzen Listen. Diese waren 1958, bei Beginn der Arbeiten zu Spartacus, nach wie vor intakt. Viele Drehbuchautoren arbeiteten aber doch für die Produktionsfirmen: unter falschem Namen und größter Geheimhaltung – so auch Trumbo für Spartacus. Während der Dreharbeiten erschien Douglas irgendwann das Risiko tragbar, Trumbo nach 1947 zum ersten Mal namentlichen screen credit zu geben: eines der Ereignisse, die zur Auflösung der blacklist führten. Daß Spartacus offen mit Trumbo und auch Howard Fast, dem kommunistischen Autor der Vorlage, firmieren konnte, ist zunächst erstaunlich. Gibt es doch kaum ein antikes Thema, das kommunismusaffiner erschiene als der Aufstand der Sklaven gegen ihre römischen Unterdrücker, kaum einen Helden, der subversiver zur Identifikation mit dem gefürchteten politischen Gespenst verführen könnte. Zwei Aspekte sollen die folgenden Ausführungen beleuchten: Wie sieht der Held aus, der den Amerikanern seinen Aufstand vorführen darf? Und: Wohin zielt diese Rebellion, die von vornherein auch im Kassenhäuschen der Kinos Epoche machen wollte?