Gesellschaftswissenschaften
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Lange ist die Zeit vergangen, als die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung den Einsatzvon Söldnern durch den britischen König als "völlig unwürdig einer zivilisierten Nation" bezeichnete. Heute sind die USA der weltweit größte Nutzer von Private Military Contractors (PMCs). Ein Markt mit rasanten Wachstumsraten, der vor dem Irakkrieg global noch etwa 100 Milliarden Dollar betrug und nun auf etwa 200 Milliarden angestiegen ist. ...
In den vergangenen Jahren sind in Venezuela, Bolivien und Ecuador Linksregierungen gewählt worden, die eine Wiederverstaatlichung der Erdöl- und Erdgasressourcen ihrer Länder zu ihrem wichtigsten Projekt erklärt haben. Mit dieser Politik verfolgen sie das Ziel, die Kontrolle über die Rohstoffe zurückzugewinnen und die daraus resultierenden Mehreinnahmen für die eigene Entwicklung zu nutzen. Darüber hinaus setzt Venezuela seinen Ölreichtum auch zur lateinamerikanischen Integration ein. Dieses Ansinnen weist durchaus Ähnlichkeiten mit der europäischen Montanunion der 50er Jahre auf. Allerdings sind im lateinamerikanischen Fall ausschließlich staatliche Unternehmen beteiligt; dadurch soll verhindert werden, dass der Löwenanteil der Erträge weiterhin in die Kassen der transnationalen Energiekonzerne fließt. ...
Der Militär Chávez ist der Hoffnungsträger der sozialen Bewegung in Venezuela. Seine Rolle ist aber ambivalent. Einerseits stützt er die zunehmende Macht der Basisarbeit. Anderseits scheint Chávez ihr alleiniger Garant der Beteiligung und schwächt so die Selbstorganisation wieder. Klientelistische Strukturen, wachsende Korruption und das gescheiterte Verfassungsreferendum zeigen die Grenzen des jetzigen Transformationsprozesses auf.
Die neuen Söldner
(2008)
Bezahlte Erbringer von militärischen Dienstleistungen, Söldner genannt, sind in der Kriegsgeschichte nicht unbekannt. Mit der Erfindung der Privaten Militärunternehmen, der Private Military Contractors (PMC) und Private Security Contractors (PSC) Anfang der 1990er Jahre wurde das Geschäft allerdings in den vermeintlich »sauberen« Wirtschaftsbereich überführt. Somit können die Unternehmen offen rekrutieren und ihre Dienstleistungen auf dem Weltmarkt anbieten. Die Industrie der neuen Söldner hat sich in den vergangenen 20 Jahren weltweit entwickelt und PMC und PSC aus den USA, Großbritannien, Israel, Frankreich, Deutschland, Australien, Russland, Rumänien, Bulgarien und anderen Länder bieten Dienstleistungen jeder Art an. Hoch professionelle Unternehmen aus den USA und Großbritannien stellen jedoch mehr als 70 Prozent der Militärdienstleistungen rund um den Globus zur Verfügung. Sie kommen vor allem im Irak und Afghanistan, aber auch in Kolumbien, Somalia, Sudan und anderen Ländern zum Einsatz. ...
Nach ihrer angeblichen Demobilisierung in Kolumbien im Jahr 2003 begannen die Paramilitärs, massiv nach Venezuela einzusickern. Von den Grenzgebieten aus hatten sie sich zunächst im Gebiet des Andenkorridors im Nordwesten Venezuelas ausgebreitet. Sogar logistische Zentren zur Unterstützung der konterrevolutionären Aktivitäten einschließlich der Anwesenheit ausländischer Spezialisten soll es in der Region geben. Militärstrategischer Logik folgend wird nach dem Andenkorridor die Paramilitärpräsenz im Zentrum, also in Caracas und dem angrenzenden Bundesstaat Miranda, gestärkt. Als letztes wird der Aufbau einer »Ostfront« entlang der Achse Sucre-Delta/Amacuro/Bolívar, den drei östlichsten Bundesstaaten, sichtbar. (...)
Venezuela steht wegen seiner großen Rohstoffreichtümer im Blickpunkt der Vereinigten Staaten. Aber das besondere Augenmerk der Hegemonialmacht gilt dem bolivarischen Prozeß in Venezuela, denn das Land spielt eine wichtige Rolle bei der Integration des Kontinents und der damit verbundenen Möglichkeiten für fundamentale Veränderungen, die Venezuelas internationale Politik anderen Ländern eröffnet. ...
Das Unternehmen Krieg : Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung
(2000)
Im Neoliberalismus werden nicht nur Staatsbetriebe privatisiert, sondern auch die Kriegführung. So übernehmen private Militärunternehmen im Auftrag des Pentagon verstärkt Kampfaufträge. In Afrika verwandeln sich reguläre Armeen in private Bergbauunternehmen. Zur Aufstandsbekämpfung rüsten in Kolumbien und der Türkei Politiker private Paramilitärs aus, die gleichzeitig vom Drogenhandel profitieren. In Afghanistan werden Warlords unter Protektoratsherrschaft mit Regierungsgewalt ausgestattet. "Das Unternehmen Krieg" geht neuen Formen der Kriegsführung nach. Statt "Staatszerfall" und "Chaos", wie in den Medien oft beschworen, zeichnen sich dabei die Konturen einer "Neuen Kriegsordnung" ab. In ihr werden private militärische Akteure von Eliten eingesetzt, um Herrschaft zu sichern. Dabei ist oft nicht mehr ein militärischer Sieg, sondern die Kriegführung selbst das Ziel, um Profite erzielen zu können. Hinterlassen werden Hunderttausende von Opfern und Gesellschaften, in denen Wege zur Emanzipation neu eröffnet werden müssen. Der Sammelband füllt diese Thesen mit Länderkapiteln zu Kolumbien, der Türkei, Mexico, Guatemala, Jugoslawien, Afghanistan, Indonesien, Kongo, Angola und den USA. Die AutorInnen versuchen einen Beitrag zur Information und Diskussion der Neuen Kriege zu leisten und zielen damit nicht zuletzt auf die Anti-kriegs-und die Friedensbewegung ab. Wichtig erscheint dabei insbesondere die Erkenntnis, dass sich die Grenzen zwischen Krieg und Frieden immer weiter verwischen. Wie die im Buch dargestellten Entwicklungen zeigen, ist das Bombardement Bagdads oder Belgrads eben keineswegs die kurzzeitige Unterbrechung eines imaginierten "Friedens" durch den Ausnahmezustand "Krieg". Vielmehr breitet sich in größer werdenden Teilen des Globus ein permanenter Kriegszustand unterschiedlicher Intensität aus, der komplexere Antworten erfordert, als die Forderung nach dem Ende der Bombardierungen. Mit Beiträgen von: Thomas Seibert, Dario Azzellini, Knut Rauchfuss, Matilde Gonzales, Boris Kanzleiter, Dr. Matin Baraki, Henri Myrttinen, Björn Aust, Lisa Rimli, Dieter Drüssel und Volker Eick
Eine eindrucksvolle, übersichtlich strukturierte Einführung in die politische Geschichte und Aktualität des viertgrößten Landes des Subkontinents. Mit großer Sachkenntnis nähern sich die Autoren den historischen Wurzeln des kolumbianischen Dramas, der "Violencia", jener angeblich unerklärlichen, allgegenwärtigen Gewalt, die den Mord zur häufigsten Todesursache unter jungen Kolumbianern werden ließ. Dabei werden die engen Verflechtungen der staatlichen Eliten mit dem militärischen Repressionsapparat und ihre wirtschaftlichen Interessen aufgezeigt. Auch die internationalen Konzerne (allen voran die aus den USA, Großbritannien und Deutschland) sind mit im Spiel, wenn es um die billige Ausbeutung von Erdöl, Gold und der natürlichen Artenvielfalt kolumbianischer Regenwälder geht. Der Paramilitarismus wird ausführlich behandelt, ebenso die Guerillabewegungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Darstellung der Drogenökonomie. Abgerundet wird das Buch durch einige Interviews und eine Aktualisierung vom November 2000.
Das kolumbianische Magazin "Semana" wählte den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez jüngst zum "Mann des Jahres 2005". Damit war Chávez der erste Ausländer, dem diese Auszeichnung zuteil wurde. Er habe, so die Begründung, die "politische Landkarte" Lateinamerikas grundlegend verändert und die Möglichkeit anderer zwischenstaatlicher Beziehungen aufgezeigt. Dadurch sei Chávez zum inzwischen einflussreichsten Mann des Subkontinents avanciert. ...
Kolumbien ist seit mehr als zwanzig Jahren ein Experimentierfeld für die privatisierte Kriegsführung. Polizei, Armee, Politik, Drogenhandel, Großgrundbesitzer, Paramilitärs, US-Armee, die nordamerikanische Antidrogenagentur DEA, transnationale Konzerne und private militärische Einheiten (PME) kooperieren in wechselnder Besetzung, um ihre jeweiligen Interessen gegen Bauernorganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und bewaffnete Aufstandsbewegungen durchzusetzen. In Kolumbien sind um die zwanzig PME mit etwa 2000 Angestellten tätig. Die größte PME ist DynCorp, die auch im Irak arbeitet. In Kolumbien ist eine ihrer Dienstleistungen die Besprühung von Coca- und Mohnfeldern. Für die Besprühungen in Kolumbien stehen DynCorp 88 Helikopter und Kleinflugzeuge des Pentagon zur Verfügung. Die Firma gibt die Anzahl ihrer Beschäftigten in Kolumbien nicht bekannt. Geschätzt werden zwischen 100 und 355 Mitarbeiter, von denen weniger als ein Drittel US-Amerikaner sind. Die Einnahmen von DynCorp stiegen von 6,6 Millionen US-Dollar 1996 auf 30 bis 40 Millionen Dollar jährlich seit 1999. ...
In den letzten Jahrzehnten hat vor allem die Frage nach der Übernahme der (Staats-)Macht für Kontroversen innerhalb der Linken gesorgt. Ob der Staat übernommen wird, bis zu einem bestimmten Punkt mit staatlichen Institutionen zusammengearbeitet werden solle oder doch lieber jede Kooperation vermieden werden müsse, war ein zentraler Streitpunkt. Die Wahl verschiedener linker Regierungen in Lateinamerika, vor allem die Fälle Venezuelas und Boliviens, spielen eine zentrale Rolle. Mit der Wahl von Hugo Chávez zum Präsidenten Venezuelas und seiner Amtsübernahme Anfang 1999 begann ein Prozess wirksamer und auf eine sehr breite linke Bewegung gründender sozialer Transformationen, der die Linke zwingt, bestimmte tradierte Konzepte neu zu denken.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht eine Untersuchung zum internationalen Talent-austausch, zur Mobilität und zur Ausbildung von medizinischen und natur-wissenschaftlichen Hochschulabsolventinnen und -absolventen des institutionellen BMEP-Programms (BMEP/Biomedical-Exchange-Program) während des Studiums und beim Übergang ins Berufsleben. Das transatlantische Biomedical Exchange Programm ist ein Programm zum Talentaustausch von Graduierten und Post-Graduierten mit den USA und verankert Innovations- und Wissenstransfer-Forschung von universitärer und industrieller Welt in der Life-Science-Industrie1). Das Programm wurde im Jahr 1979 von Prof. Dr. John Boylan, Prof. of Medical and Physiology an der University of New York, Buffalo und Medical School Farmington (Connecticut) und Prof. Dr. Hilmar Stolte von der Medizinischen Hochschule Hannover ins Leben gerufen. Es handelt sich um eine soziologische Aufgabenstellung mit der thematischen Zielsetzung im Bereich der Karriereforschung. Die Untersuchung hat geklärt, ob internationale Ausbildung und interdisziplinäres Wissen einen Wissensvorsprung bedingen, der sich im Hinblick auf internationale Karrieren und Führungspositionen in unserer heutigen Wissens-gesellschaft auswirkt. Um die Arbeit in den bestehenden Forschungskontext einzuordnen, ist es notwendig, sowohl soziologische als auch ökonomische Teilgebiete der Karriere-, Qualifikations- sowie Mobilitätsforschung zu berücksichtigen, was in den Kapitel 3 und Kapitel 4 dargestellt wird. Die Arbeit ist eine erstmalige empirische Untersuchung über das institutionelle, transatlantische und interdisziplinäre Biomedical-Exchange-Program (BMEP) zum Talentaustausch von medizinischen und naturwissenschaftlichen Studenten mit den USA auf der Ebene von universitärer und industrieller Welt. Um die Effektivität und Leistungsfähigkeit des institutionellen BMEP-Programms zu evaluieren, wurden je drei ehemalige Absolventen pro Jahrgang des Programms der Jahrgänge 1979-2004 mit Hilfe eines Fragebogens befragt. Die Untersuchung befasst sich schwerpunktmäßig mit den ursprünglichen Intentionen und Motiven der Teilnehmer, den Schwierigkeiten, die sich auf diesem Wege in die USA ergeben haben und den Absichten, die verwirklicht werden konnten. Sie fragt, ob erfolgreiche internationale Karrieren durch die Teilnahme am BMEP-Programm entstanden sind, sowie Unternehmertum, Selbständigkeit und internationale Science Frontier-Kontakte und ob im Laufe des Programms Publikationen entstanden sind. ....
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen das qualitative soziologische Interview und seine Auswertung. Hierzu werde ich die im Zusammenhang mit einem konkreten abgeschlossenen Forschungsprojekt geführten Interviews und deren Interpretation empirisch untersuchen. Die zentrale erkenntnistheoretische Basis besteht in der Vorstellung einer narrativen Konstruktion von Wahrheit sowie der Vorstellung von wissenschaftlicher Geltung im Allgemeinen und der Geltung dieser konkreten Auswertungen im Besonderen. ...
In dieser Arbeit werden die zentralen Kernfragen, Probleme und Sorgen skizziert, welche die bürgerlich-radikalen Pionierinnen in den Anfängen der Sexualreformbewegung im Kaiserreich und der Weimarer Republik in ihrer von sexual- und bevölkerungspolitischen Debatten und Refomen gesättigten biopolitischen Welt aufwarfen und auf die sie eine Antwort suchten. Die bislang vorwiegend auf Helene Stöcker und den Bund für Mutterschutz gerichtete Sicht wird erweitert durch die Analyse der Schriften von Rosa Mayreder und Grete Meisel-Hess. Im Mittelpunkt stehen nicht die im engeren Sinn körperpolitischen und bevölkerungspolitisch-eugenischen Positionen dieser feministischen Sexualreformerinnen, sondern die vielfältigen Bezüge ihres Diskurses zu zeitgenössischen geschlechtertheoretischen Debatten, kultur- und sozialgeschichtlichen Untersuchungen sowie zu medizinischen und sexualwissenschaftlichen Theorien.
The impact of the end of the Cold War on United States foreign and defense policy in the 1990s is frequently misunderstood within the field of International Relations. On the one hand, it is often assumed that the US was able to achieve a substantial ‘peace dividend’ after finally claiming victory over the Soviet Union. Yet it is also common for scholars to see the early potential for a more peaceful international order after the cessation of Cold War hostilities as having been frustrated by a series of unexpected events during the 1990s. On the other hand, scholars who focus on understanding contemporary developments and the prosecution of US foreign and defense policy in the Global War on Terror often restrict their analysis to the unfolding of recent events, rather than critically investigating the roots of contemporary US defense policy, which lie in the years immediately following the fall of the Berlin Wall and the end of the Cold War in 1989. This thesis puts forward the notion that the contemporary parameters of US security policy can only be fully understood when they are placed within a broader analytical narrative that incorporates the politics of US defense policymaking during the late-1980s, as well as the decade following the end of the Cold War. In doing so, it suggests two key factors not sufficiently highlighted in the existing literature. The first is that analyzing how US ‘defense coalitions’ are formed, which conditions facilitate their influence on the defense policy agenda, and what the consequences of this are for US security strategy is crucial to understanding the intense political struggles that inform US threat perception, strategic planning, and the development of major weapons systems. Building on earlier theories of the Military-Industrial Complex, the concept of defense coalitions establishes greater analytical leverage for providing a compelling account of the dynamics of change and continuity in US defense policy during the 1990s. The second factor is the importance of studying the use of rhetorical action, which is aimed at the construction of an overarching security narrative, for understanding how political entrepreneurs within the US defense policy community have sought to shape the post-Cold War defense policy agenda. In sum, the thesis argues that political elites who were committed to the maintenance of a high volume of US defense spending in ‘peacetime’ were able to shape how external events were interpreted within the defense policy community, in order to construct a new overarching security narrative that helped to legitimize their policy goals.
Wer nutzt den Online-Gebrauchtwarenmarkt? : Umweltorientierte, Prosumenten und andere User auf eBay
(2010)
Dass unser Lebensstil und Konsum auf Dauer das Klima bedrohen, die Vielfalt der Arten reduzieren, das Trinkwasser immer knapper werden lassen, ist der Bevölkerung durchaus bewusst. Doch nur eine Minderheit ist bereit, im Alltag auf das Auto zu verzichten, für Urlaubsreisen nicht das Flugzeug zu benutzen, ökologische Lebensmittel zu kaufen oder beim Kauf von Möbeln auf das Zertifikat »nachhaltige Holzwirtschaft« zu setzen. Wie lässt sich der Widerspruch zwischenWissen um den eigenen Ressourcenverbrauch und Sorge um die Umwelt einerseits und wenig nachhaltigem Konsumverhalten andererseits erklären?
Genauso wie die zentralen materiellen Güter unserer Gesellschaft sozial ungleich verteilt sind, ist auf einer zeitlichen Ebene die Zeit sozial ungleich verteilt. Kann die Zeit als eine zentrale Ungleichheitsdimension bezeichnet werden? Um dieser Antwort auf die Spur zu kommen, wird ein besonderer Untersuchungsblickwinkel gewählt, der an eine bestehende Debatte in der Ungleichheitsforschung anschließt. An die Entstrukturierungsthese anknüpfend, die das Verschwinden vertikaler Strukturen beschreibt, wird davon ausgegangen, dass soziale Schichten als klassisches Konzept der Soziologie noch immer eine wichtige Bedeutung im gesellschaftlichen Leben aufweisen. In einer Sekundäranalyse mit einem Datensatz der amtlichen Statistik (Zeitbudgeterhebung 2001/02) wird deshalb die ungleiche Verteilung auf der Ebene der Alltagszeit mit einem Schichtungsansatz verbunden. Die Zeit äußert sich im Lebensalltag der Menschen vor allem als abstrakte Zeit, sie ist die in homogene Einheiten eingeteilte Zeit. Die zentrale Hypothese dieser Arbeit lautet: Die Zeiten der alltäglichen Routine - Schlafenszeit, Erwerbsarbeitszeit, Hausarbeit, Freizeit und Wegezeit - sind ungleich in verschiedenen sozialen Schichten verteilt. Neben Zeitlängen werden auch die Uhrzeiten, wann etwas getan wird, und der Ort, wo etwas getan wird, theoretisch und empirisch in die Analyse integriert. Geschlecht und Alter ergänzen als horizontale Dimensionen die Forschungsperspektive. Weil Frauen und Männer keine homogene Gesamtheit darstellen, werden schichtspezifische Differenzierungen innerhalb der Geschlechter bei der (un)gleichen Verteilung der Zeiten der alltäglichen Routine untersucht. Die mittleren sozialen Schichten weisen in der "Durée der Alltagserfahrung" oft Konvergenzen auf, während vor allem die Unterschicht und Oberschicht kontrastreich in vielen Aspekten der Zeiten im Alltag sind. Am Wochenende haben die Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" die längsten Erwerbsarbeitszeiten, die Akteure der "Oberschicht und oberen Mittelschicht" die geringsten. Weil ihre Arbeitszeit in einer Zeitinstitution liegt, die für Regeneration steht, sind die Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" bei der bezahlten Arbeitszeit in diesem Aspekt benachteiligt. Für Frauen gilt: Je niedriger die soziale Schichtzugehörigkeit, desto kürzer sind die bezahlten Erwerbsarbeitszeiten an einem Werktag. Die schichtspezifische Regionalisierung der bezahlten Arbeitszeit macht die soziale Ungleichheit deutlich: Die Arbeitszeiten sind für soziale Schichten in Zonen am Tag eingeteilt: Die erwerbstätigen Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" beginnen die Alltagsroutinen der Erwerbsarbeit viel früher am Morgen - im Durchschnitt 2 Stunden früher - und beenden diese auch früher am Tag. Ihre Mittagspause ist in einer anderen Zeitzone verortet (12 Uhr) als die Mittagspause der Erwerbstätigen aus "Oberschicht und oberen Mittelschicht" (13 Uhr). Männer der Oberschicht haben weitläufigere Zonen bei Freizeiten und bezahlten Arbeitszeiten. Dadurch eröffnen sich ihnen neue Interaktionsrahmen, in denen Wissen und Macht vermehrt werden können. Im Vergleich zu anderen Dimensionen sozialer Ungleichheit lassen sich Vor- und Nachteile sozialer Zeit schwieriger bestimmen. Während mit höherem materiellem Wohlstand, zunehmender Macht, Bildung und zunehmendem Prestige die Vorteile und Begünstigungen in der Gesellschaft ansteigen, so gilt diese "Je mehr desto besser" Regel bei der Zeit nicht unbedingt.
Die Herausbildung normativer Ordnungen : zur Idee eines interdisziplinären Forschungsprogramms
(2010)
Ein geistes- und sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm betritt mit der These, dass wir in einer Zeit tiefgreifender sozialer Veränderungen leben, kein Neuland. Ein thematischer Fokus auf die Frage der Herausbildung normativer Ordnungen mit Bezug auf die entsprechenden Verschiebungen, Umbrüche und Konflikte in verschiedenen Gesellschaften und auf transnationaler Ebene bringt dagegen etwas Neues und Wichtiges ans Licht. Das ist jedenfalls unsere Überzeugung.
Hundert Jahre nach seiner Premiere im Oktober 1910 findet der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie wieder in Frankfurt am Main statt. Damit unterstreicht die Fachgesellschaft die Bedeutung, die dem Wissenschaftsstandort Frankfurt für die zeitgenössischen Sozialwissenschaften zukommt. Neben dem 1971 gegründeten Frankfurter Fachbereich Gesellschaftswissenschaften haben das traditionsreiche Institut für Sozialforschung, das Sigmund-Freud-Institut, das Cornelia-Goethe-Centrum sowie der Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« das gegenwärtige Erscheinungsbild der Frankfurter Soziologie nachhaltig geprägt. ...
In welcher Welt leben wir? : Soziologiekongress zum Thema "Transnationale Vergesellschaftungen"
(2010)
Frankfurt wird vom 11. bis 15. Oktober zum fünften Mal Austragungsort des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) sein. Zu diesem mittlerweile 35. DGS-Kongress – der erste fand vor 100 Jahren ebenfalls in Frankfurt statt – werden rund 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt erwartet. ...
Das Bild unter der Schneedecke : visuelle Soziologie: Erforschung des Sozialen mit anderen Mitteln
(2010)
"Unter der Fotografie eines Menschen ist seine Geschichte wie unter einer Schneedecke vergraben", schrieb Siegfried Kracauer 1927 in seinem Essay "Das Ornament der Masse". Visuelle Soziologie nennt sich heute eine relativ junge Fachrichtung, die versucht, diese Schneedecke mit soziologischen Methoden beiseite zu räumen. Dann wird der Hintergrund sichtbar, auf dem die Geschichte des Bildes sich abspielt, das soziale Beziehungsgeflecht, dem die Fotografie ihre Existenz verdankt. Ist doch dieses Bild die Manifestation verschiedener Beziehungen, die sich etwa zwischen Fotograf und Fotografiertem, zwischen Betrachter und Betrachtetem, zwischen Auftraggeber und Nutzer entwickeln und in die ideologische Weltsichten ebenso eingehen wie die sozialen Lagen der Akteure. Visuelle Soziologie fragt also nach der Produktion, Distribution und Konsumtion von Bildern und stellt sie in Beziehung zur Sozialstruktur der Gesellschaft. ...
Welche Rolle spielt Religion – abseits von radikalem Extremismus – im politischen Geschehen der modernen westlichen Gesellschaften? Diese Frage motivierte unser Forschungsprojekt; wir untersuchen dabei einen ganz spezifischen Sachverhalt: Welchen Einfluss hat Religion darauf, ob Bürger staatliche Umverteilungspolitik unterstützen? ...
In vielen Familien der Mittelschicht sind mittlerweile beide Ehepartner berufstätig. Das männliche Alleinverdiener-Modell verschwindet zwar nicht, aber nimmt ab. Die Arbeit zu Hause ist trotzdem noch ungleich verteilt und überwiegend Frauensache geblieben – wenn auch häufig unter neuen Vorzeichen: Oft übernehmen Migrantinnen, insbesondere aus Osteuropa, einen Teil der Care-Arbeit. Welche Konsequenzen hat dies für deren Familien?
Um Dynamiken und Netzwerke in den untersuchten Clubszenen und urbanen Räumen Berlins wissenschaftlich erfassen zu können, bedarf es einer multidimensionalen Herangehensweise. Ethnografi sche Methoden sind dabei von größter Bedeutung: teilnehmende Beobachtung im Alltag sowie auf Veranstaltungen vor Ort, fokussierte Gespräche mit Szenegängern und reflektierende Berichte über die eigene Positionierung als Forscherin. Das gesammelte Datenmaterial ist vielfältig: detaillierte Feldnotizen nach jedem Club- oder Barbesuch, aber auch nach relevanten Gesprächen, sei es »face-to-face«, über E-Mail- oder Chatverkehr nehmen den größten Part ein. Bildmaterial wie Plakate, Flyer und selbst gemachte Fotos in Clubs ergänzen das Schriftmaterial auch visuell. Das Verfolgen stadt- und kulturpolitischer Entwicklungen, Beobachtungen sozioökonomischer Gegebenheiten in den jeweiligen Szenen und der Einfl uss urbaner Infrastruktur auf das Ausgehverhalten sind weitere Mosaiksteine, die dazu beitragen, ein möglichst ganzheitliches Bild entstehen zu lassen. Nach der Feldforschungs- und Datenerhebungsphase wird das gesamte Datenmaterial ab Januar 2011 einer qualitativen Analyse unterzogen.
Migranten werden in politischen Debatten oft als festgefügte Gemeinschaft betrachtet, die in ihrer eigenen nach außen abgeschotteten Welt leben – in einer Parallelgesellschaft. Doch ist das wirklich so? Wie gestalten insbesondere junge Leute mit Migrationshintergrund ihre sozialen Bindungen, wenn sie sich in der urbanen Clubszene europäischer Großstädte bewegen? Das Team um die Soziologin und Kulturanthropologin Kira Kosnick untersucht die Dynamiken dieser Prozesse.
Ein Mikrokosmos sozialer Kontraste : mit soziologischem Blick durch das Frankfurter Bahnhofsviertel
(2010)
Das Frankfurter Bahnhofsviertel genießt einen überregionalen Ruf. Es ist sowohl als Vergnügungsmeile und Rotlichtbezirk, als auch wegen der öffentlichen Sichtbarkeit abweichenden Verhaltens bekannt – oder vielmehr berüchtigt. Bei Tag ist von dem pulsierenden Leben, das sich abends zwischen Hauptbahnhof und Schauspielhaus, zwischen Gründerzeit vil len und Bankhochhäusern abspielt, kaum etwas zu erahnen. Soziale Tatsachen wie die Unterbevölkerung des Stadtteils, die gezielte Ansiedlung von andernorts unerwünschten Branchen und Dienstleistungen, die Koexistenz verschiedener Kulturen stehen auf den ersten Blick erst recht außerhalb der Wahrnehmung. Dagegen fallen diejenigen Phänomene, die augenscheinlich den Bruch zwischen der »Normalität« und der Abweichung kennzeichnen, umso stärker ins Auge. Das gilt besonders für das Prostitutionsmilieu und die lokale Drogenszene.
Rüstungskontrolle entwickelte sich während des Ost-West-Konflikts zu einem wichtigen Element für die Stabilisierung des internationalen Systems und zur Verhütung eines Atomkriegs, wobei jedoch die Rahmenbedingungen der bipolaren Blockkonfrontation immer wieder einschränkend wirkten. Das Ende des Kalten Krieges brachte zunächst eine Welle des Optimismus und der Hoffnung mit sich, dass nun größere Fortschritte in der Rüstungskontrolle möglich sein sollten. Und in der Tat stellten sich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre Erfolge ein: Unter anderem wurden die Zahl der atomaren Sprengköpfe reduziert, Chemiewaffen und Antipersonenminen verboten, der nukleare Umfassende Teststoppvertrag (CTBT) abgeschlossen und der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) an die neuen Bedingungen angepasst. Ab Mitte der 1990er Jahre setzte jedoch eine Stagnation in der Rüstungskontrolle ein, die sich spätestens mit der Amtsübernahme der Bush-Administration zu einer handfesten Krise auswuchs. Von manchen Beobachter/innen und Praktiker/innen wurde gar das Ende der Rüstungskontrolle – zumindest in ihrer bisher bekannten Form – postuliert oder diagnostiziert.
Die Regime gegen Massenvernichtungswaffen erfüllen wichtige sicherheitspolitische Funktionen und tragen dazu bei, Terrorismus mit diesen Waffen zu verhindern. Eine regimetheoretische Analyse zeigt für alle drei Regime stabilisierende und destabilisierende Tendenzen sowie eine Spaltung zwischen Nord und Süd. Im nuklearen Nichtverbreitungsregime wirkt die Diskriminierung zwischen Kernwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten in Verbindung mit der mangelhaften Umsetzung der Abrüstungsverpfl ichtung destabilisierend. Das Biowaffen-Regime zeigt eine neue Dynamik zum Thema Biosicherheit, aber auch anhaltende Konfl ikte um Technologieaustausch und Verifikation. Obwohl das CWÜ derzeit am stabilsten erscheint, gilt es, drohende Probleme z.B. im Bereich Verifi kation und Abrüstung abzuwenden. Wenn die Regime ihrer Aufgabe effektiv nachkommen sollen, müssen die strukturellen Defizite bearbeitet sowie jeweils die Abrüstungs-, Nichtverbreitungs- und Kooperationsbestimmungen gleichermaßen vollständig und ausgewogen umgesetzt werden.
Feministische Politik in der Türkei ist das Ergebnis von jahrelangen, politischen Kämpfen, Aushandlungsprozessen, Verhandlungen und umkämpften Strategien der feministischen Bewegung in einer politischen Gesellschaft und Öffentlichkeit, die durch eine hegemoniale Männlichkeit gekennzeichnet ist. Die politischen Praktiken und die frauenpolitischen Artikulationen der feministischen Bewegung stützen sich auf wertvolle Ressourcen, wie feministische Wissensaneignung, feministischen Aktivismus und die Sammlung von Erfahrungen in einer langjährigen, politischen Auseinandersetzung mit den patriarchalen, männerbündischen und männlichhegemonialen Gesellschaftsstrukturen in der Türkei. Dass die feministische Bewegung hierbei auch ein Potential für eine gesamtgesellschaftliche, demokratiefördernde und emanzipatorisch-transformierende Bewegung aufweist, liegt auf der Hand. Politischoppositioneller Radikalismus und fundamentale Gesellschafts- und Demokratiekritik sind politische Charakteristiken der feministischen Bewegung, die sie als eine der emanzipatorischsten sozialen Bewegungen in der Türkei seit den 1980ern in die politische Gesellschaft trägt. Die gegenwärtigen feministischen Debatten über die vermeintliche "NGOisierung" der feministischen Bewegung, den "Projektfeminismus" (vgl. Sirman 2006; Üstündag 2006; Bora 2006; Yalcin 2006; Hacivelioglu 2008), die Bündnisse mit staatlichen Institutionen und Akteuren bzw. Akteurinnen und den dadurch eingetretenen Verlust der ihr "einst" innewohnenden, gesamtgesellschaftlichen Radikalität (vgl. Mutluer 2007a; Üstün 2007a; Coban 2008) sind in Anbetracht der politischen Dynamik und Wirkungsmacht, die sich die feministische Bewegung seit 2000 wieder aneignen konnte, notwendige Auseinandersetzungen um eine politische "Neupositionierung" in der politischen Gesellschaft und der sich verändernden politischen Konjunktur in der Türkei. ...
In diesem Aufsatz konzentriere ich mich auf einen wichtigen und überaus kühnen, praktisch-politischen Vorschlag des Projekts der kosmopolitischen Demokratie (Archibugi/Held 1995; Archibugi et al. 1998; Beck 2004; Held 1998): auf die Parlamentarisierung der Weltpolitik (Übersicht bei Bienen et al. 1998). Das kosmopolitische Projekt unterstellt, dass die Vergemeinschaftung der Menschheit einen Grad erreicht hat, der es erlaubt oder gar erfordert, die Herstellung von Recht – einschließlich von Weltbürgerrecht (Brunkhorst et al. 1999) und die Kontrolle seiner richtigen exekutiven Anwendung in die Hände einer globalen Legislative zu geben.
Gegenstand der qualitativen, empirischen Untersuchungen sind die sozialen Beziehungen in Anwendungen des Internets (web 2.0 / social networks) am Beispiel der virtuellen Welt "Second Life". Neben umfangreichem Hintergundwissen zu dieser Anwendung, aber auch zur Chatkommunikation, bietet sie in der Hauptsache Interpretationen zum Nutzerverhalten. Grundlage dafür sind Daten, die in Form von Interviews mit den Nutzern und teilnehmender Beobachtung gewonnen wurden. Diese Daten wurden mit Hilfe der Reflexiven Sozialforschung und der Objektiven Hermeneutik (Sequenzanalyse) ausgewertet und analysiert. Als Interpretationsstütze dienen u.A. die Kritische Theorie und Richards Sennetts Theorien zur Arbeitsgesellschaft. Die Arbeit wurde mit der Note 2,0 bewertet und von den Gutachtern für den innovativen Zugang zum Forschungsgegenstand gelobt.
Zwischen Macht und Gerechtigkeit : Zustand und Perspektiven des nuklearen Nichtverbreitungsregimes
(2008)
Das nukleare Nichtverbreitungsregime weist eine erstaunliche Erfolgsstory auf. Die Zahl der Staaten, die kernwaffenorientierte Aktivitäten in verschiedenen Stadien des Fortschritts aufgegeben haben, ist weitaus größer als die der Kernwaffenstaaten. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs droht dem Regime jedoch Ungemach aus zwei Richtungen: Eine kleine Anzahl von „Ausbrechern“ und „Außenseitern“ unterminiert seine zentrale Zielsetzung, die Weiterverbreitung dieser Waffen aufzuhalten. Die Verweigerungshaltung der Kernwaffenstaaten gegenüber ihrer Abrüstungspflicht verstößt gegen den im Regime eingelassenen Gerechtigkeitsgrundsatz und zerstört damit seine Legitimität. Diese Erkenntnis ist mittlerweile aus dem „Ghetto“ der unverdrossenen Abrüstungsenthusiasten in den sicherheitspolitischen Mainstream vorgedrungen. Von ihrer Durchsetzungsfähigkeit wird letztlich die Zukunft des Regimes abhängen – mit weitreichenden Konsequenzen für die globale Sicherheit.
Der „demokratische Frieden“ und seine außenpolitischen Konsequenzen Demokratien führen gegeneinander keine Kriege; oder jedenfalls „fast“ keine. Dieser statistische Befund ist ziemlich robust gegenüber Veränderungen in der Definition von „Demokratie“ und von „Krieg“. Demokratien erfreuen sich überdies im Durchschnitt größeren Wohlstands, vermeiden erfolgreich Hungersnöte, bieten ihren Bürgerinnen und Bürgern mehr Freiheit und lassen sich eher auf internationale Organisationen und auf die Rechtsbindung in internationalen Verträgen ein als Staaten mit anderen Regierungsformen; dies sind natürlich Durchschnittswerte, von denen es Abweichungen gibt. Aber die Nachricht ist ziemlich klar: Demokratien bieten eine vergleichsweise bessere Form von „Good Governance“ als andere Systeme.
Die Diskussion um die Richtungsentscheidung in der Islampolitik findet im Parlament in einem stark strukturierten Umfeld statt. Die Diskutanten gehen von einem höchst voraussetzungsvollen Staatskirchenrecht aus, das möglichen Anwärtern auf rechtliche Gleichstellung mit den christlichen Kirchen hohe formale Hürden stellt. Die rechtliche Struktur kann den korporierten Religionsgemeinschaften umfassende Privilegien und Autonomie unter der Ägide des Staates bieten. Die machtvolle Positionierung der Kirchen beschert ihnen gute Einflussmöglichkeiten in den parlamentarischen Diskurs und macht sie zu wichtigen außerparlamentarischen Diskursteilnehmern im Feld der Islampolitik. Weiterhin nehmen die Massenmedien eine zentrale Rolle ein, da sie es sind, die Persönlichkeiten in der öffentlichen Debatte positionieren. Politiker beziehen sich in der Islampolitik immer wieder auf Interviews und Stellungnahmen öffentlich bekannter Persönlichkeiten in der Presse, um politische Positionen argumentativ zu untermauern. Das Diskursfeld ist darüber hinaus durch die Absenz religiöser Muslime und Islamverbände als Sprecher charakterisiert. Durch institutionelle Ausschließung aus dem Parlament und fehlende symbolische und organisatorische Ressourcen auf der Seite der Minderheit können religiöse Muslime ihre Positionen nicht direkt in den Diskurs einbringen. Diese Ausgangssituation, die sich in der staatlichen Verwaltung fortsetzt, verursacht gleichzeitig ein großes Wissensdefizit im Parlament über Denkrichtungen, Bedürfnisse, politische Ziele und Organisationsstrukturen religiöser Muslime. Dadurch müssen sich Politiker auf Aussagen von, durch Medien geschaffene, Persönlichkeiten aus dem muslimischen Kulturkreis oder auf meinungsbildende Institutionen berufen, um ihre Aussagen zu plausibilisieren. Während Bleses und Rose feststellen, dass im Falle der von ihnen untersuchten sozialpolitischen Diskurse „nur äußerst selten fremde Meinungen explizit aufgegriffen werden“ (1998: 280), scheint ein charakteristisches Merkmal der islampolitischen Debatte gerade die Bedeutung von außerparlamentarischen Meinungen für den politischen Diskurs zu sein. Ein wichtiger Grund hierfür ist der Mangel an gesichertem Wissen. Politiker sind dadurch genötigt, sich auf fremde Quellen zu stützen, um ihren Aussagen Authentizität zu verleihen. Dieses Defizit wird erst durch die Einrichtung der Islamkonferenz (2006) etwas aufgewogen. ...
Semiotik der Außenkulturpolitik : Sport, Künste, Wissenschaft & Personenaustausch in der Staatenwelt
(2010)
Gebührenfinanzierte Hochschulen vor dem Hintergrund schichtenspezifischer Bildungsbeteiligung
(2009)
Mit Durchführung der Schröderschen Arbeitsmarktreformen ist der schon einmal in den 1980er Jahren diskutierte Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens und die mit ihm verbundene Diagnose einer »Krise der Arbeitsgesellschaft« in die reformpolitische Debatte zurückkehrt. Sie bilden eine sich zunehmend artikulierende »Antithese« zu dem in Deutschland von der rot-grünen Bundesregierung eingeführten Modell der »aktivierenden Arbeitsmarktpolitik«, das unter anderem eine Kultur des Misstrauens gegenüber Arbeitslosen institutionalisiert hat. Vor diesem Hintergrund versammelt das vorliegende Buch sozialwissenschaftliche Diskussionsbeiträge. Im Anschluss an eine Rekapitulation und Neuformulierung dieser Diagnose, die in Deutschland erstmals von Hannah Arendt prononciert formuliert wurde und nun wie eine »Wiederkehr des Verdrängten« eine Renaissance erfährt, folgen darauf bezogene zeitdiagnostische Fallrekonstruktionen sowie Beiträge zu Fragen der Realisierung des Grundeinkommensvorschlags. Enthält Beiträge von Olaf Behrend, Eva Daniels, Thomas Franke, Manuel Franzmann, Achim Greser, Heribert Lenz, Matthias Jung, Ingmar Kumpmann, Jörn Lamla, Wolfgang Ludwig-Mayerhofer, Matthias Müller, Ulrich Oevermann, Michael Opielka, Andé Presse, Gerhard Schildt, Ariadne Sondermann, Johannes Suciu, Yannick Vanderborght, Philippe Van Parijs, Georg Vobruba, Götz W. Werner.
Was Frankfurt ist : über die Schwierigkeiten, sich im Europa der Metropolregionen zurechtzufinden
(2009)
Was man alles über Metropolen gesagt hat. Laboratorien der Moderne seien sie. Eben avantgardistisch, weil sich in diesen Städten früher zeige, was später sein werde. In ihren Räumen vermessen wir die Zeit, ist der Kulturwissenschaftler Karl Schlögl überzeugt. Die eigene Zeit, wohlgemerkt. Allein – ist Frankfurt eine Metropole?
Die Rekonstruktion historischer Bauten wie der Frankfurter Altstadthäuser, des Berliner Schlosses oder der Dresdner Frauenkirche wird oft als Identitätssuche in der Vergangenheit und als Rückwärtsgewandtheit bewertet. Doch jahrzehntelange Auseinandersetzungen zwischen Frankfurter Bürgern, deren Geschmack sich deshalb an Erinnerungen orientiert, weil ihnen häufig die neue Architektur missfällt, und Experten, deren Sichtweise sich an professionellen Kriterien der Moderne ausrichtet, belegen: Es geht sowohl um das Erinnern als auch um das Vergessen der verlorenen Altstadt und damit um ästhetische und planerische Alternativen in einem schwierigen Erneuerungsprozess.
Nichtregierungsorganisationen, in der englischen Abkürzung: NGOs (Non Governmental Organisations), sind seit Ende der 80er Jahre und besonders seit der UNO-Umweltkonferenz in Rio 1992 im sozialwissenschaftlichen Milieu ein gängiges Thema. Dabei verweisen die mal optimistischeren, mal pessimistischeren Einschätzungen über NGOs als Akteure auf internationaler Ebene im Kontext der aktuellen Globalisierungsprozesse auch darauf, dass nach dem Ende des Ost-WestGegensatzes die Debatte um die sogenannte internationale Zivilgesellschaft in den Vordergrund gerückt ist. Der Bedeutungszuwachs der NGOs in der internationale Arena hat mit dem Niedergang der Neuen Sozialen Bewegungen in den kapitalisitschen Metropolen, dem Ende des Ost-West-Konflikts und nicht zuletzt der damit verbundenen neoliberalen Globalisierung zu tun. ...
Mit der vorgelegten Dissertation wird ein Beitrag zur Diskussion um Beschäftigungssicherung unter veränderten globalen und betrieblichen Beziehungen geleistet. Aufgezeigt werden betriebliche Strategien im Umgang mit Beschäftigungskrisen in der Metall- und Elektroindustrie und der Beitrag einer aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Sicherung von Beschäftigung. Hintergrund bilden die massiven Beschäftigungseinbrüche, insbesondere Anfang der 1990er Jahre, in der Metall- und Elektroindustrie. Veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Verlauf des Strukturwandels führten zu einer Umorientierung bei den Unternehmens- und Managementstrategien, um auf veränderte Marktanforderungen und verschärfte Wettbewerbsbedingungen zu reagieren und auch weiterhin Gewinnspannen realisieren zu können. Neue Reorganisationskonzepte in den Unternehmen und der zunehmende Druck der von Shareholder Value-Strategien ausgeht, führen immer wieder zu unternehmerischen Anpassungsstrategien, die mit Stelleneinsparungen einhergehen. Am Ende betrieblicher Reorganisation steht häufig der Verlust von Arbeitsplätzen. Allein der Blick auf das Endresultat Personalabbau reicht allerdings nicht aus, um die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf Betrieb, Beschäftigte und nicht zuletzt den Arbeitsmarkt erfassen zu können. Ziel der Arbeit ist es, anhand der Analyse von vier Fallstudien Ansatzpunkte dafür zu finden, wie Prozesse im Rahmen von Beschäftigungsabbau beeinflusst und gestaltet werden können. Dabei werden neben betriebsinternen Möglichkeiten der Beschäftigungssicherung ebenfalls Beschäftigungsperspektiven in der Region in den Blick genommen. Für diese Studie wurde ein disziplinenübergreifender Ansatz gewählt, in dem Elemente der Industriesoziologie und der Arbeitsmarktforschung integriert sind. Im Bereich der Industriesoziologie wird auf die Arbeitspolitik und damit einen handlungsorientierten Ansatz der Industriesoziologie zurückgegriffen. Aus dem Bereich der Arbeitsmarktforschung dient der segmentationstheoretische Ansatz als theoretische Grundlage, um die Strukturierung des Arbeitsmarktes und ihre Verfestigung aufzeigen zu können. Präventive Beschäftigungssicherung zu untersuchen setzt voraus, die Grenzen zwischen industriesoziologischen und arbeitsmarktpolitischen Fragestellungen zu überschreiten. Diese Forschungsperspektive ermöglicht es, den in der Regel zu engen Blick auf die Bestandssicherung der vom Abbau bedrohten Arbeitsplätze zu erweitern und ihn für die Beschäftigungsperspektiven im Unternehmen selbst und über das Unternehmen hinaus zu öffnen.
Die Podiumsdiskussion fand als öffentliche Abendveranstaltung im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Workshops "Krise der 'Arbeitsgesellschaft' - Transformation zur 'Grundeinkommensgesellschaft'? Diskurse, Deutungsmuster und Habitusformen im Wandel" statt, der vom 14. bis 15. Juli 2006 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main abgehalten wurde. Veranstalter war das soziologische Forschungsprojekt "Praxis als Erzeugungsquelle von Wissen" (Leiter: Prof. Dr. Ulrich Oevermann) im Forschungskolleg und Sonderforschungsbereich 435 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Initiiert und organisiert wurde der Workshop von Manuel Franzmann mit Unterstützung zahlreicher Kollegen und Förderer.
Ulrich Oevermann, Begründer der Objektiven Hermeneutik, ist Professor für Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Am Rande seines traditionellen Blockseminars am Berner Institut für Soziologie bot sich für soz:mag die Gelegenheit, den Professionalisierungs- und Sozialisationstheoretiker zu treffen. Bei einer Portion Fisch mit feinen Salzkartoffeln und Salat im Restaurant "Mappamondo" kam es zum Gespräch über die Hochschulreform, die Logik der Forschung, das Problem von Uni-Rankings, die Konkurrenz um den guten Studenten und die Vorteile der Zwiebel.
Das Haar ist mehr als nur profane Pracht oder Ausdruck des modischen Wandels. Mit dem Haupthaar definiert sich das Individuum selbst, gleichzeitig nehmen andere es wahr und verbinden damit ihre Einschätzung der Person. Wie Haut, Gestik und Mimik ist das Haar gleichermaßen natürlich wie kulturell domestiziert. Gestaltete Haare als Ort der Kommunikation – eine wahrhaft andere Perspektive auf das millionenfach in der Kopfhaut verwurzelte "fadenförmige Oberhautgebilde", eben eine soziologische, die Alltagsphänomene der Gegenwartsgesellschaft wissenschaftlich ergründet. Danach übernimmt die Frisur die Aufgabe, das Identitätsprojekt einer Person zu adeln, zu verklären und zu akzentuieren – das Individuum macht sich so gleichsam zum Porträtisten des eigenen Entwurfs.
Auch knapp zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung des deutschen Nationalstaates in Frieden und Freiheit kommt der Frage nach dessen zukünftigem außenpolitischem Kurs seitens der Wissenschaft große Aufmerksamkeit zu. Mit den revolutionären Ereignissen der Jahre 1989/90 und der unverhofft gelingenden „Wende“ war für manchen zeitgenössischen Beobachter auch die Rückkehr des „deutschen Problems“ in Europa unmittelbar verbunden. Würde das zukünftig wieder vollständig souveräne Deutschland weiterhin fest im Westen eingebunden bleiben oder sich entlang historischer Vorerfahrungen erneut stärker nach Osten hin orientieren? Würde es am Leitmotiv eines in die NATO eingebundenen europäischen Deutschland festhalten oder doch nach einem deutschen Europa streben? Auf diese Fragen ließen sich aufgrund der zentralen theoretischen Annahmen der diskursbestimmenden Paradigmen der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen recht eindeutige – wenn auch völlig unterschiedliche – Prognosen ableiten. Für die einen bestand kein Anlass zur Sorge, da ein Bruch mit dem handelsstaatlichen, zivilmächtigen und institutionalisierten Außenpolitikstil weder den deutschen Interessen noch der inzwischen fest geformten Rolle beziehungsweise Identität des deutschen Nationalstaats entspräche. Der außenpolitische Kurs des größeren und souveränen Deutschlands werde daher maßgeblich von Kontinuität geprägt sein, lautete die zuversichtliche Prognose des liberalistischinstitutionalistischen Lagers. Die zweite Gruppe von Forschern hingegen hielt die Anpassung der deutschen Außenpolitik an die veränderten systemischen Bedingungen und eine Neuausrichtung aufgrund des absolut wie relativ vergrößerten Machtpotentials aus ihrer 2 realistischen Sicht für unausweichlich. Deutschland werde erneut eine am nationalen Interesse orientierte klassische Großmachtpolitik betreiben, so dass es zu einem erheblichen Wandel der deutschen Außenpolitik kommen werde.
Die Frage nach Kontinuität oder Wandel deutscher Außenpolitik diente damals als ein wichtiges Schlachtfeld des innerdisziplinären Theorienwettstreits und ist bis heute, wenn auch in fortlaufend veränderter Form, ein von vielen beachtetes Forschungsfeld geblieben. Die vorliegende Arbeit sollte als ein Beitrag zu einer vielstimmigen Debatte verstanden werden, die, obwohl sie gelegentlich schon als beinahe erledigt galt, dennoch immer wieder in aktualisierter Form aufkam und inzwischen seit beinahe zwanzig Jahren andauert. Die Befunde des vorliegenden Forschungsprojektes sprechen, ohne zu viel vorweg zu nehmen, jedenfalls dafür, dass deutsche Außenpolitik auch auf absehbare Zeit ein wichtiges politikwissenschaftliches Forschungsfeld bleiben, ja zukünftig noch an Relevanz gewinnen wird.
In dieser Einleitung werden zunächst die im Diskursraum zentralen Argumente dafür erörtert, weshalb die Erforschung der Entwicklung deutscher Außenpolitik aus Sicht der Experten ein lohnenswertes Unterfangen darstellt (1.1). Hieran schließt sich die rahmengebende Darstellung des bisherigen Stands und Verlaufs der Forschung zu diesem Thema an (1.2), bevor die eigenen Forschungsinteressen und die sich daraus ergebenden Forschungsfragen dargelegt werden und ein kurzer Überblick darüber gegeben wird, was den Leser bei der Lektüre der anschließenden Kapitel erwartet (1.3). ...
Seit den 1980er Jahren erfreut sich die kritische Theorie im intellektuellen Diskurs Chinas großer Beliebtheit. Dank der chinesischen Reformpolitik wird die Sozialphilosophie der Frankfurter Schule zunehmend als Methode verwendet, um den politischen Alltag und den gesellschaftlichen Wandel kritisch zu analysieren. Hierbei spielen die Schriften von Jürgen Habermas und besonders seine Ansichten zur Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit und zur Schlüsselrolle der Kommunikation eine wichtige Rolle. Im Rahmen der vom Interdisziplinären Zentrum für Ostasienwissenschaften der Goethe-Universität veranstalteten Konferenz »Kritik – Theorie – Kritische Theorie. Die Frankfurter Schule in China« gab der Habermas-Experte und Übersetzer Cao Weidong Einblick in das chinesische »Habermas-Fieber«.
Mit Dollys Geburt am 27. Februar 1997 gelingt es Forschern erstmals, die ausdifferenzierte Körperzelle eines erwachsenen Schafes so zurückzuprogrammieren, dass aus ihr ein neuer Embryo und damit ein (fast) identischer Klon des Muttertieres entsteht. Das Ergebnis ist ein kleines Schäfchen und ein Sturm an moralischer Entrüstung. Menschen zu klonen, über lange Zeit als unmöglich postuliert, ist plötzlich in den Bereich des Machbaren gerückt. Auch Habermas lässt sich von diesen Neuigkeiten beunruhigen. In einem kurzen Artikel in der »Süddeutschen Zeitung« vom 17. / 18. Januar 1998 beschreibt er das Klonen von Menschen als eine neue Form der Sklaverei. Der Klon könnte der Möglichkeit beraubt werden, sich als freies und gleiches Mitglied der moralischen Gemeinschaft zu verstehen. »Für den Klon verstetigt sich nämlich in der Definition eines unwiderruflichen Kodes ein Urteil, das eine andere Person vor seiner Geburt über ihn verhängt hat.« (Habermas 1998, 245) Anders als bei der Erziehung könne der Klon, der um seine Herkunft weiß und mit dieser hadert, sich nicht von seiner genetischen Festlegung durch eine andere Person lösen. Vielleicht bliebe es ihm daher für immer versagt, sich als alleiniger Autor seiner Lebensgeschichte zu verstehen und für diese die volle Verantwortung zu übernehmen. Auch die Gleichheit von Klon und demjenigen, der eingreift, sei gefährdet: Anders als in traditionellen Eltern-Kind-Beziehungen lassen sich die sozialen Rollen von Kloner und Geklontem niemals vertauschen. (Habermas 2002, 112)
Erfolgreiche Unternehmer wie SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp oder Microsoft-Gründer Bill Gates sind Pioniere von Corporate Social Responsibility (CSR). Regelmäßig erichten die Medien über ihre vielfältigen sozialen Aktivitäten und animieren damit andere Unternehmen, sich in ähnlicher Weise zu engagieren. Welche Motive stecken dahinter? Wollen diese Firmen etwas Gutes für die Gesellschaft tun oder bestimmen Strategien, die von negativen Folgen kapitalistischen Handelns ablenken sollen, ihr altruistisches Handeln? Fußen betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf sozialem Engagement, oder macht der demografi sche Wandel die verstärkte Integration von Frauen erst notwendig?
Kein deutscher Gegenwartsphilosoph findet weltweit eine solche Aufmerksamkeit wie Jürgen Habermas, der am 18. Juni 80 Jahre alt wird und bis zu seiner Emeritierung 1994 an der Goethe-Universität lehrte und forschte. In seiner Doppelrolle als Wissenschaftler und Intellektueller, als Gesellschaftstheoretiker und streitbarer Diskutant hat er nicht nur das Modell der diskursiven Vernunft kreiert, er ist zugleich Praktiker dieser Diskursivität und hat damit die intellektuellen Debatten der vergangenen Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst – von der Reform der Hochschulen über Embryonenforschung bis zur Zukunft Europas.
Die Arbeit behandelt einen Vergleich der Medientheorien Jean Baudrillards und Stuart Halls. Im Fokus steht die Frage nach der ‚Macht der Medien’: Versteht man Massenmedien als wichtigen Integrationsfaktor pluralistischer Gesellschaften – sie geben einen Orientierungsrahmen ‚relevanten’ Wissens an –, so sind sie gleichzeitig auch Machtfaktoren. Als radikal-apokalyptischer Theoretiker einer von medialen ‚Simulationen’ durchdrungenen Welt, sah Jean Baudrillard durch Massenmedien eine allumfassende gesellschaftliche Kontrolle eingerichtet. Aus Sicht der Cultural Studies, für deren Beschäftigung mit den Medien Stuart Hall wegweisend war und ist, treffen Medieninhalte auf ein Publikum, das immer schon über Erfahrungen, Wissen und Prägungen verfügt und daraus seine Präferenzen im Mediengebrauch ableitet – und auch entsprechende Kompetenzen ausbildet. Die Verbindung von Medien und Macht geschieht anhand des von Michel Foucault aufgestellten Modells des ‚Dipositivs’, das von Johanna Dorer für die Analyse öffentlicher Kommunikation fruchtbar gemacht worden ist. Der Blick wird hier auch auf das Internet gerichtet, durch dessen Verbreitung sich die Kommunikationslandschaft grundlegend gewandelt hat.
Experten des Gesundheitswesens fordern den "mündigen Patienten": Er soll sich über medizinische Entwicklungen auf dem Laufenden halten und im Krankheitsfall selbst aktiv Informationen einholen. Printmedien, Fernsehen und Internet haben in den vergangenen Jahren ihr Informationsangebot erheblich ausgeweitet und versuchen, medizinische Themen laiengerecht zu vermitteln. Welche sozialen und kulturellen Kompetenzen benötigt man, um als "mündiger Patient" agieren zu können? Ein Projekt des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, das als didaktisches Modell "Forschenden Lernens" gemeinsam mit Studierenden durchgeführt wurde, untersuchte, wie Laien Zugang zu medizinischem Wissen suchen und wie sie sich diese Informationen aneignen.
In der Frauenarbeit liegt einer der wichtigsten Schlüssel zur Weltentwicklung. Frauen arbeiten – bezahlt und unbezahlt – sehr viel mehr als Männer. Weltweit sind 40 Prozent der Menschen in Beschäftigungsverhältnissen Frauen. Die unbezahlte Familien- und Fürsorgearbeit, wozu neben Versorgung, Erziehung, emotionaler und gesundheitlicher Pfl ege auch die unentlohnte Arbeit in der Landwirtschaft gehört, ist bekanntlich überwiegend Frauensache. Frauen sind somit zugleich zentrale Akteurinnen und Adressatinnen, wenn es um die Lösung der großen Probleme von Weltentwicklung wie Klimawandel, Ernährungskrise oder Bevölkerungsentwicklung geht. Auch die großen politischen Ziele wie die Sicherung von Frieden und Demokratie lassen sich nur erreichen, wenn Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind.
"Von der Freizeit in die Delinquenz" - Der Titel der vorliegenden Arbeit impliziert die Unterstellung, dass Freizeit als ein Bereich des menschlichen Lebens zu verstehen sei, welcher stets mit abweichendem und insbesondere strafbarem Verhalten einhergehe. Es ist hier zu betonen, dass bestimmte Verhaltensweisen, die in der Freizeit gezeigt werden, nicht zwangsläufig mit Delinquenz in Beziehung stehen müssen. Dieser Arbeitstitel wurde vielmehr gewählt, um zu provozieren. Er ist zugleich eine Anspielung auf die derzeit aktuellen öffentlichen Diskussionen über das Freizeitverhalten von Jugendlichen und dessen mögliche Auswirkungen auf delinquente Handlungen. Ziel dieser Arbeit ist eine Bestandsaufnahme der Zusammenhänge von Freizeitverhalten und Delinquenz im Jugendalter. Zur Beschreibung des theoretischen Rahmens werden vornehmlich soziologische Begriffsdefinitionen und Erklärungsansätze herangezogen. Die aufgestellten Hypothesen sowie die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zum Thema werden anhand eines Datensatzes von 3661 Jugendlichen überprüft. Es handelt sich dabei um eine im Rahmen der "Schülerbefragung 2006" des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen getätigte Vollerhebung aller Schüler der neunten Jahrgangsstufe in Hannover, d. h. die zum Zweck dieser Arbeit durchgeführte Auswertung ist sekundäranalytisch. Die Betrachtung dieser Schülergruppe ist dazu geeignet, als Beispiel der Datenlage einer deutschen Großstadt zu dienen, in der sich viele Zusammenhänge (auch die in der Literatur beschriebenen) widerspiegeln könnten. Bei Neuntklässlern, die im Mittel 15 Jahre alt sind, ist der "eigentliche Kern des Jugendalters" zu finden, da in diesem Altersabschnitt die Ausformung jugendtypischen Verhaltens beginnt und gleichzeitig persönliche Grundausrichtungen verfestigt werden. Da männliche Jugendliche weitaus häufiger zu delinquenten Handlungen neigen als weibliche Jugendliche, wird sich diese Arbeit insbesondere mit dem Verhalten von Jungen befassen.
Die vorliegende kurze Studie zur Blutspende als Gemeinwohlbeitrag ist Teil einer größeren fallrekonstruktiven Untersuchung zur alltäglichen Solidaritätsbereitschaft. (1) Der Schwerpunkt dieser Untersuchung lag auf der Rekonstruktion von biographischen Interviews, die nach dem Kriterium maximaler Kontrastivität ausgewählt wurden. Ziel dieses Vorgehens war es, sich von den in ihrer biographischen Totalität betrachteten Fällen in größtmöglicher Unvoreingenommenheit die existierenden Formen von Solidarität und Gemeinwohlbindung aufzeigen zu lassen. Bei der vorliegenden Studie haben wir zur Ergänzung dieses Vorgehens eine andere Verfahrensweise gewählt. Wir haben uns von vornherein eine bestimmte alltägliche solidarische Praxis ausgesucht und im Jahr 2002 bei einem städtischen Blutspendetermin im Ruhrgebiet Blutspender in kurzen Interviews selektiv nach ihren Beweggründen zur Blutspende gefragt. Daß diese Studie separat und nicht als Teil der Gesamtuntersuchung erscheint, hat zwei Gründe. Zum einen handelt es sich bloß um eine Ergänzungsstudie, die sich in Anlage, Durchführung und Ausarbeitung auch auf ein abkürzendes Verfahren beschränken mußte. Zum anderen waren wir gezwungen, bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der Hauptuntersuchung Platz zu sparen, und es lag am nächsten, die vorliegende Ergänzungsstudie auszugliedern. Was hat uns dazu bewogen, speziell die Blutspende als alltäglicher solidarischer Praxis ins Auge zu fassen? Die unentgeltliche Blutspende, auf der hier das Augenmerk liegt und die die Blutspendepraxis in Deutschland absolut dominiert, ist eine freiwillige solidarische Praxis, die auf ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein bei den Bürgern angewiesen ist. Zwar ist sie im Prinzip von jedem Erwachsenen, der die gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt, moralisch erwartbar. Trotzdem ist sie im hohen und zunehmenden Maße auf Freiwilligkeit angewiesen, was sie zu einem interessanten Fall von intrinsisch motivierter Solidarität im engen Sinne des Zusammenstehens in Notlagen macht, an dem sich insbesondere die Problematik einer solidarischen Praxis unter Bedingungen der Auflösung traditionaler Milieus studieren läßt.
Diese Studie analysiert die deutsche UN-Reformpolitik der letzten Jahre. Im Mittelpunkt steht eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Zielsetzung, einen nationalen ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erlangen. Vor dem Hintergrund prominenter Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrats wird zunächst die Genese dieses Anspruchs rekonstruiert. In einem weiteren Schritt werden die Positionen wichtiger Verbündeter und Partner untersucht. Dabei wird deutlich, wie wenig Unterstützung Deutschland selbst von seinen wichtigsten Partnern erfährt und wie sehr diese Unterstützung in den letzten Jahren abgenommen hat. Die anschließende Analyse der wichtigsten Argumente für einen ständigen deutschen Sitz zeigt, dass sie einer kritischen Prüfung nicht Stand halten können. Die Studie schließt mit einem Plädoyer und konkreten Vorschlägen für eine Wiederbelebung einer europäischen Option.
Rezension des Werkes: Titel: Zwischen Idee und Zweckorientierung. Vorbilder und Motive von Hochschulreformen seit 1945 Herausgeber: Franzmann, Andreas; Wolbring, Barbara Ort: Berlin Verlag: Akademie Verlag Jahr: 2007 ISBN: 978-3-05-004308-1 Umfang/Preis: 237 S.; € 49,80 Das besprochene Werk ist eine Aufsatzsammlung, als Ergebnis einer Tagung, die im März 2006 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfand und vom Sonderforschungsbereich 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“ ausgerichtet wurde.
Was charakterisiert Universität? Welchen Leitbildern folgten – und folgen – Hochschulreformen? Unter diesen zentralen Fragestellungen den bundesrepublikanischen Diskurs im Spannungsfeld von universitärem Selbstverständnis und gesellschaftspolitischen Anforderungen näher zu beleuchten, seine Entwicklung zu dokumentieren und zu deuten, war Anliegen der Tagung „Zwischen Idee und Zweckorientierung. Vorbilder und Motive von Hochschulreformen seit 1945“.[1] Die im Rahmen des Forschungskollegs „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“ von den Teilprojekten Soziologie und Neuere Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt vom 2. bis zum 4. März 2006 ausgerichtete Veranstaltung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung unterstützt. ...
Alterssicherung durch kollektive Versicherungssysteme - dies gehört zweifellos zu den fundamentalen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Erst mit dem Übergang von der agrarischen zur industriell-kapitalistischen Lebensweise stellte sich dieses Problem überhaupt, und der staatlichen Sozialversicherung gingen jahrzehntelang private Initiativen voraus. So auch die Alterssicherung in Unternehmen und von Unternehmen. Diese Tradition und den heutigen demographischen Wandel, der das überkommene staatliche Sozialversicherungsmodell auf eine harte Bewährungsprobe stellt, nahm die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zum Anlaß, im Rahmen ihres 25. wissenschaftlichen Symposiums nach dem Zusammenhang von Unternehmen und Alterssicherung zu fragen. Welche Funktionen übernahm die unternehmerische Alterssicherung in Deutschland? Wie erschlossen Unternehmen andererseits das Versorgungsrisiko Alter als Geschäftsfeld? Welche Auswirkungen hatten politische Rahmenbedingungen und der Aufbau eines umfassenden Systems der staatlichen Sozialversicherung? Und wie sind diese spezifischen Institutionalisierungen in international vergleichender Perspektive zu bewerten? ...
Rechtssoziologie am Institut für Sozialforschung Im Mittelpunkt des aktuellen Forschungsprogramms des Frankfurter Instituts für Sozialforschung stehen die Paradoxien und Ambivalenzen der kapitalistischen Modernisierung. Grund legend hierfür ist die Beobachtung, dass sich fortschrittliche soziale Prozesse im Nachhinein unter den Bedingungen einer gewandelten Moderne in ihr Gegenteil verkehren können. Mit dieser These beschäftigt sich auch der Forschungsschwerpunkt »Politische Öffentlichkeit und Recht«. Mit Bezugnahme auf die gegenwärtige Rechtsentwicklung interessiert vor allem die Frage, ob und wie das Recht auf Veränderungen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft und auf die fortschreitende Individualisierung reagiert. Auch interessiert, wie die Rechtsentwicklung im Alltagsverständnis wahrgenommen wird. Antworten auf diese Fragestellungen werden derzeit aus den Ergebnissen des DFG-Projekts »Die Zuschreibung von Verantwortung in den Rechtsmeinungen von Bürgerinnen und Bürgern« wie auch aus der fortlaufenden Diskussion über »Verantwortung und Gerechtigkeit« im Arbeitskreis Rechtssoziologie gewonnen. Im Rahmen des Forschungsprojektes unter der Projektleitung von Prof. Dr. Klaus Günther und Prof. Dr. Axel Honneth wurden in 45 qualitativen, Leitfaden-gestützten Einzelinterviews Befragte um ihre Urteile zu drei vorgegebenen Rechtsfällen gebeten. Der Arbeitskreis Rechtssoziologie beschäftigt sich vor allem mit den in vielen gesellschaftlichen Lebensbereichen häufig aufgestellten Postulaten der Eigen- oder Selbstverantwortung; dabei soll untersucht werden, welche Konzepte einer verantwortlich handelnden Person damit einhergehen und in welchem Verhältnis sie zu den gesellschaftlichen Bedingungen verantwortlichen Handelns stehen. Die Ergebnisse der Diskussionen und des empirischen Projektes sollen ein Fundament für eine normative Theorie liefern, die Kriterien für eine gerechtfertigte Verteilung von Verantwortung in der Gesellschaft begründen soll.
Wikipedia, die größte Online-Enzyklopädie, gibt Rätsel auf: Was treibt so viele Menschen an, in ihrer Freizeit an einem virtuellen Lexikon mitzuarbeiten? Wie kommt es, dass das Niveau der meisten Beiträge so hoch ist und Fehler so schnell korrigiert werden, zumal der Zugang für jeden ohne Ausweis seiner Qualifikation frei ist? Mithilfe der Netzwerkanalyse lässt sich nachweisen, dass schon die Einbindung in ein solches Netzwerk wie Wikipedia das Handeln bestimmt und auch die Motivation beeinflusst.
Das hervorstechendste Merkmal deutscher Außenpolitik seit 1990 ist die Kontinuität der Kontinuitätsrhetorik. Helmut Kohl hatte sie nach der gewonnenen Bundestagswahl im Dezember 1990 genauso eingesetzt wie Gerhard Schröder nach seinem Sieg im Herbst 1998. Mochte sich die Republik im Innern auch noch so sehr ändern, mochte sich ihr äußeres Umfeld dramatisch verschieben – die Grundkonstanten deutscher Außenpolitik, sie sollten dieselben bleiben. Politisch gab und gibt es für diese Rhetorik fast durchwegs gute Gründe, denn angesichts einer einhellig konstatierten "Erfolgsgeschichte" bundesrepublikanischer Außenpolitik auf der einen Seite sowie, auf der anderen, deutlicher Sorgen im Ausland, dass es damit nach der Vereinigung vorbei sein könnte, sprach alles dafür, eine Fortsetzung des Alten selbst dann zu beschwören, als vieles sich änderte. Die Rede von der Kontinuität bundesdeutscher Außenpolitik hatte zudem innen wie außen eine dankbare Zuhörerschaft, denn sie handelte von einer guten alten Zeit der "Beschaulichkeit" und "Bescheidenheit" der alten Bundesrepublik, die man heute als "Bonner Republik" fast schon in der historischen Nähe der "Weimarer Republik" wiederfindet. ...
Hurra-Multilateralismus
(2001)
Gibt es so etwas wie "konservative Außenpolitik"? Die erste Antwort, die dazu einfällt, hat Joschka Fischer auf eine vergleichbare Frage gleich nach seinem Amtsantritt als neuer Außenminister gegeben. Nein, "eine grüne Außenpolitik gibt es nicht, nur eine deutsche". Klassische weltanschauliche Überzeugungen, die im innenpolitischen Wettstreit in Gegenbegriffen wie "konservativ" und "fortschrittlich" einsortiert werden, lassen sich nach dieser Auffassung nicht auf das Feld der Außenpolitik übertragen. Genau diese Position vertrat auch Kaiser Wilhelm als er kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs ausrief: "Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche"...