BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.07.00 Ästhetik
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Ein trompe-l’oeil ist es nur auf den zweiten Blick, was der Maler, Zauberer, Ingenieur und Cineast Georges Méliès (1861–1938) um 1900 gemalt hat, eher die malerisch gelungene Zerstörung eines fast leeren Bildes und dessen Ersetzung durch ein Porträt. Méliès stellt ein Tafelbild her, das über jenes auf der Staffelei stehende Tableau um ein Weniges hinausragt. Der die Leinwand durchstoßende Kopf (des Malers) – seine realistische Darstellung läßt selbst die weißgefleckten Schrammen auf Nase und Stirn nicht aus und zielt darauf ab, den Betrachter zu erschrecken.
Es gab augenscheinlich ein Bild, eine Darstellung, die vor diesem Augenblick der (gemalten) Zerstörung vorhanden war – und sei es die leere, monochrome Leinwand, auf die die lateinische Zeile "Ad Omnia" und darunter – und damit assoziiert? – "Leonardo da Vinci" wie ein fragmentarisches Logogryph geschrieben ist. [...]
Leonardo wie Méliès waren ubiquitäre Künstler. Sie vereinigten auf sich die Fähigkeiten des Handwerks, die künstlerische Gestaltung sachlicher Zeichnung, konzeptuelles Design und utopische Entwürfe. Méliès war professioneller Zauberer, wie Leonardo planender Ingenieur war. Leonardo hat diese Galerie eröffnet, und Méliès, der heute nur noch als phantasievoller Pionier der Kinematographie gewürdigt wird, sieht sich, zu Recht, in dieser großen Reihe. Mit diesem Bild hat er sich ein Denkmal gesetzt.
Wie die Gesichter der Menschen, die in früheren Epochen gelebt haben, ausgesehen haben, wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, welche Gesichtszüge sie hatten. Uns ist unbekannt, mit welcher Miene sie ihre Zeitgenossen angeschaut haben, wie ihr Lächeln, ihre Trauer, ihre Angst oder ihr Zorn ausgesehen haben mögen. Und wir wissen nicht, ob wir das Antlitz der früher lebenden Menschen als schön und angenehm empfänden oder uns lieber abwenden würden. Wir kennen ihre Züge nur durch bildliche Darstellungen: von Skulpturen, aus deren ebenmäßigen Gesichtern uns die steinernen Augenhöhlen wie blind anschauen, von den Abdrücken der Grabmasken mit ihren toten Blicken, denen immer etwas Fremdes oder Geheimnisvolles anhaftet, oder aus der Malerei, aus deren Geschichte die Gattung des Porträts hervorgegangen ist. In ihm verdichtet sich die Idee vom getreuen Abbild einer Person mit individuellen Gesichtszügen, so dass es zum Modell und Ideal des Bildnisses geworden ist: das Porträt als ähnliches Abbild eines lebenden Urbildes, in dem dessen Gesicht als gleichsam natürlicher Ausdruck des Charakters eingefangen ist. Doch bildet das Porträt nicht nur das Ideal von Gesichtsdarstellungen, es ist auch deren Sonderfall. Sowohl die Gesichter, die uns aus der Zeit vor dem Zeitalter der Porträts überliefert sind, als auch die medialen Gesichter und die Dekonstruktionen in der Kunst der Moderne machen deutlich, dass uns Gesichter überwiegend in Gestalt von Artefakten vertraut sind. Das Bild vom Menschen basiert nicht unwesentlich auf der Geschichte von Bildnissen.
Zwischen 1700 und 1850 erfährt der Begriff des Ausdrucks in Kunst und Wissenschaft eine deutliche Aufwertung und Verbreitung. Die damit einhergehenden praktischen und diskursiven Veränderungen unterschiedlicher Ausdruckskulturen erforscht der vorliegende Band in Form eines interdisziplinären Dialogs.
Ausdrucksphänomene werden dabei als Figuren des Wissens verstanden, zum einen als Darstellungsweisen des Schauspielers, Musikers, Malers, Rhetors oder Wissenschaftlers. Zum anderen als Denkfiguren, die das grundlegende Verhältnis von Affekt und Ausdruck, etwa die Probleme der künstlerischen Gestaltung in Malerei und Schauspiel oder die Systematisierungen der Rede durch die Rhetorik kulturwissenschaftlich erschließen. Erst durch eine Analyse seiner Formierungsprozesse wird die Erfolgsgeschichte des Ausdrucksbegriffs nachvollziehbar.
Timothy Findley's "The Wars" is a very powerful and disturbing book. Despite the novel's historically distant setting, the events of "The Wars" do not seem distant at all: the reader is brought close to the horrible violence of World War I and its devastating impact on a young mind. The question is why? The topic is certainly not new — we are аll too familiar with the World War I period. The theme is also an old one — a young man's loss of innocence and baptism by fire on the battlefield. The novelty and vividness of Findley's work are attributable to another source: its form. I hope to show that one artistic device in particular — de-automatization — is largely responsible for the novel's powerful impact on the modern reader.
In 1937, when Bulgakov was working on Master i Margarita and suffering from rejection by the theatre community, an old friend appealed to him: "Вы ведь государство в государстве. Сколько это может продолжаться? Надо сдаваться, все сдались. Один вы остались. Это глупо." And indeed "государство в государстве" ("a state within a state") is an appropriate way of describing a man who was feverishly working on a modernist novel at the height of socialist realism. The very fact that Master i Margarita was written in the oppressive environment of the 1930s makes it a unique modernist work, for it emerges as a protest against socialist realism and a defense of artistic freedom. In this respect the modernist qualities of Bulgakov's novel acquire a new dimension because Master i Margarita becomes a kind of artistic devil, fulfilling the traditional diabolic role of opposing authority. This is why Woland, as a character, is the metonymic expression of the novel's revolt.
In dem von thematischer Heterogenität geprägten Werk "Oráculo manual y arte de prudencia" (1647) bildet das untergründige Wechselverhältnis von Wahrheit und Lüge den zentralen Leitgedanken. In dem vielzitierten "aforismo" 13 reflektiert Baltasar Gracián die Problematik der Täuschung und konstatiert, dass die Aufrichtigkeit in Gestalt des Betrugs auftreten kann und dass die eigentliche und die fingierte Absicht einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Dies lässt nicht nur die einzelne Situation zum Verwirrspiel werden, sondern stellt überdies die Möglichkeit einer klaren Unterscheidbarkeit von Wahrheit und Täuschung grundsätzlich in Frage. Die hier zu Tage tretende epistemologische Problemstellung gewinnt aber erst in der Übertragung auf den Bereich der Handlungspragmatik ihre komplexe Mehrdeutigkeit. Die im "Handorakel" vorgestellte "arte de prudencia" besteht in der ambivalenten Gleichzeitigkeit aus taktischer Beobachtung der Außenwelt und dem stets mitgeführten Bewusstsein, selbst Gegenstand kritischer Beobachtung und Beurteilung zu sein. Der Höfling, dem das "Oráculo manual" zur Orientierung im gesellschaftlichen Ränkespiel am Hofe an die Hand gegeben wird, hat daher eine zweipolige Aufgabe zu verfolgen: Auf der einen Seite muss er die Gabe besitzen, seine Mitmenschen mit "Scharfblick und Urteil" zu ergründen und durch gezielte Beobachtungen ihr Innerstes zu entziffern; auf der anderen Seite muss er, um seine Ziele zu erreichen, die eigenen Absichten und Beweggründe verbergen oder sogar verstellen. Die Verknüpfung von Sehen und Wissen wird auf diese Weise zu einem strategischen Kerngedanken des Textes.
Baltasar Graciáns Aphorismensammlung "Oráculo manual y arte de prudencia" (1647) wird häufig als Anleitung zum taktisch klugen Agieren in einer säkularisierten Konkurrenzgesellschaft angesehen, wie es im Übrigen auch das Vorwort bekräftigt, in dem das Handbüchlein als "epítome de aciertos de vivir" apostrophiert wird. Gracián war zwar Geistlicher und Mitglied des Jesuitenordens, dennoch scheint das für den Alltagsgebrauch im Aphorismus komprimierte Wissen des Handorakels keiner transzendenten Größe verpflichtet zu sein. Nicht zuletzt mit Blick auf die Oberen der Gesellschaft Jesu hat Gracián sämtliche seiner Texte – mit Ausnahme seiner einzigen religiösen Schrift "El Comulgatorio" (1655) – unter dem Pseudonym Lorenzo Gracián veröffentlicht, was ihn allerdings nicht vor Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzten bewahren sollte.
Ich möchte die verbreitete These von der Dominanz einer politisch-pragmatischen Handlungspsychologie im "Oráculo manual" im Folgenden um die jesuitische Dimension erweitern und eine Lesart vorstellen, bei der auch die dogmatischen Implikate des Textes Berücksichtigung finden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verknüpfung von konzeptistischer Rhetorik und Ethik sowie die damit verbundene Frage nach dem Stellenwert von taktischer Lebensklugheit und Gottverbundenheit. Die berühmte "regla de gran maestro", die sowohl kürzeste als auch am häufigsten interpretierte Sentenz des "Oráculo manual" hat oftmals als Beleg für eine kategoriale Trennung von weltlicher Lebenspraxis und Transzendenz herhalten müssen: "Hanse de procurar los medios humanos como si no huviesse divinos, y los divinos como si no huviesse humanos. Regla de gran maestro; no ai que añadir comento."
Dream worlds and cyberspace : intersubjective tertiary reality in fantasy and science fiction
(2013)
What is real? Or rather, is that which we perceive with our senses "real", in the sense that it objectively exists? This question has kept philosophy and literature busy for centuries. An obvious answer is mirrored by language: The German verb "Wissen" for instance, as well as the English "to wit", derive from Proto-Germanic *witanan, "to have seen": We know that which we have seen. Equivalent verbs in Romanic languages derive from Latin "sapere", "to taste, have taste". Sensory input determines our knowledge of the world - a practical truth proven also in scientific experiments.
For Plato, of course, it wasn't so simple. In his allegory of the cave, he shows that "to see" doesn't necessarily mean "to know" in the sense of "to have a correct view of objective reality". His cave dwellers perceive only shadows of artificial objects on a wall, while the true light of reality remains outside, unseen and unknown. Their knowledge of "the world" is an illusion, a fiction existing only in their (and the fiction-makers') heads – a shared sensory experience misleading to a limited, distorted and conventional view of reality. Because we're bound to the physical world by the limitations of our bodies, sensory experience is no valid proof for its ultimate reality.
At first glance, "The Name of the Wind" and "The Wise Man's Fear", volumes I and II of Patrick Rothfuss' as yet incomplete trilogy "Kingkiller Chronicles", appear to fulfill many conventions of heroic fantasy. The books are set in a world called the Four Corners (of civilization), consisting mostly of feudal states, a mostly rural and agrarian landscape. This world has a distinct but slightly vague "old-timey" atmosphere – there is little technology, transport is mainly by horse-power, there seem to be no fire-arms and no media. However, a form of postal service exists, science and medicine are taught at university and women have access to university education, so it is hard to place this fictional universe within a "real-life" historical epoch.
Manche Weltanschauung ist von ihren Inhalten so sehr überzeugt, dass sie glaubt, die von ihr postulierte Entwicklung komme mit so unabänderlicher Zwangsläufigkeit, dass sie unausweichlich ist. Begründet wird das dann damit, dass die Zielvorstellung, beispielsweise einjenseitiges oder auch ein irdisches Paradies, der Entwicklung inhärent sei und den Gesamtprozess determiniere. Eine teleologische Entwicklung ist dann, mit Michael Hampe gesprochen, "eine Dekodierung von Informationen und kein bloßes Wachstum". Derartige Vorstellungen sind als Teleologien in die Ideengeschichte eingegangen, benannt nach dem griechischen Wort für Ziel, telos. Neben einer Teleologie des Handelns und einer Anschauung von Kausalitätsgeschehen als teleologisch ist es vor allem die Teleologie in der Geschichte, die sich als wirkmächtige Idee erwiesen hat und es im Bereich des Glaubens auch immer noch ist.
Eine Telosidee begreift einen Gegenstand von seinem Ende her. Irgendetwas zieht eine Welt, eine Gesellschaft, ein Lebewesen oder ein beliebiges Ding Richtung Endziel. Ursache und Wirkung sind dabeidurchaus noch zu beobachten, indem etwa auch in den frühen Überlegungen zur Biologie noch ein Mutter- und ein Vatertier eine Kindergeneration zeugen, aber eigentlich ist Leben für die Antike und das Mittelalter, bis zum "Verlust der Naturteleologie" in der Neuzeit, in der Nachfolge der Entelechie des Aristoteles eine "Zielverwirklichung im Sinne der Entfaltung des in der Form des Einzeldings grundgelegten Wesens" (ebd.). Oder, bezogen beispielsweise auf teleologische Überlegungen in der Geschichtsphilosophie, indem Hegel die Menschheitshistorie betrachtet und eine stetige Zunahme der Zivilisationsstufen von der Vorgeschichte über Antike und Mittelalter bis zur Neuzeit konstatiert, die letztlich Ausdruck eines "Naturwillens" sein sollen, in dem sich als Telos "die Werkzeuge und Mittel des Weltgeistes, seinen Zweck zu vollbringen, ihn zum Bewusstsein zu erheben und zu verwirklichen" manifestieren. Oder indem die Bibel sagt, die "Ursache" Gott schuf die "Wirkung" Erde in sechs Tagen. Doch all diese Dinge – Tier, Gesellschaftsgeschichte, die Welt – werden durch göttlichen Willen oder eine andere inhärente Kraft auf ihr Ziel zu bewegt, nachgerade so, als ziehe ein Magnet sie an. Und das lässt sich bekanntermaßen nicht einmal widerlegen. Gerade dadurch aber hat sich die Teleologie als ein mit wissenschaftlichen Mitteln untersuchbarer Gegenstand erledigt und ist längst von der Vorstellung evolutionärer Prozesse als Ursache von Ist-Zuständen abgelöst worden. Was von der Teleologie des Handelns übrig blieb, ist spätestens seit Max Weber in dessen Zweckrationalität aufgegangen. Teleologische Vorstellungen innerhalb von Kausalitätsabläufen haben sich angesichts der wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten hundert Jahre im Mikro- wie im Makrobereich als nicht haltbar erwiesen. Erwähnt sei hier als berühmtestes Beispiel nur die vom Vitalismus des Aristoteles vertretene und schon erwähnte Entelechie, die spätestens durch die Entdeckung der DNS als Erbinformationsträger gegenstandslos geworden ist.