BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Walter Benjamin's best-known comment regarding nihilism - "to strive for such a passing away [for nature is messianic by reason of its eternal and total passing away] [...] is the task of world politics, whose method must be called nihilism" (SW III, 306) - occurs at the conclusion of his "Theological-Political Fragment" (1920–1921). In this pithy fragment Benjamin challenged the distinction between the political and the theological by pointing out the necessary relation - even codependence - of historical time and messianic time, the secular and the redemptive. The focus is the temporal dimension that dictates one’s "rhythm of life," on the one hand, and politics - its formative power - on the other. Benjamin’s translation of such abstract principles into different systems - the secular and the religious, the abstract and the particular, the collective and the individual - have confused scholars for many years. The result was often a misreading of Benjamin’s last sentence, connecting politics to nihilism and identifying the maker with his method. In order to reverse such readings, this chapter moves in four consecutive stages. I begin with the "temporal-rhythmic" principle, relating it to Benjamin's notion of Nihilism as a method. Second, I consider the specific meanings of "Nihilism" during the 19th and early 20th centuries, which I identify with the idea of a temporal 'stasis'. Third, I track down Benjamin’s uses of Nihilism and demonstrate that they reflect a certain methodological approach rather than a solution to a problem. Finally, commenting directly on contemporary interpreters of Benjamin who see him as a "nihilist" or an "anarchist," I show that Benjamin focused on the temporal and critical dimensions in order to 'overcome' nihilism and stasis.
Barth und Benjamin verbindet ein radikales Bemühen, um ein neues Wort- und Sprachverständnis, das der eine gegen die traditionelle Theologie, der andere gegen eine positivistische Geisteswissenschaft vorbringt. Damit nehmen sie gewollt oder ungewollt eine prophetische Haltung ein, die sie zeitweise zu absonderlichen Einzelgängern und zu Protagonisten auf verlorenem Posten macht. Barths Diagnose der Erfahrungsarmut traditioneller Exegese für die Arbeit des Theologen ebenso wie Benjamins Sprachduktus und die teils surrealistisch anmutende Themenwahl seiner wissenschaftlichen Fragestellungen lassen vermuten, dass der prophetische Gestus ihres Selbstverständnisses die Ablehnung der Umwelt schon einbezieht und Benjamins Text "Der destruktive Charakter" den Keim einer Theorie der Prophetie 'en miniature' für beide bereitzuhalten scheint. Denn der "destruktive Charakter steht in der Front der Traditionalisten" (GS IV, 398), von denen sich Barth und Benjamin umgeben sahen. Und so könnte man sagen, der Prophet (ebenso wie der destruktive Charakter) zertrümmert nicht einfach das Überlieferte. Er erarbeitet "Trümmer [...] um des Weges willen, der sich durch sie hindurchzieht" (ebd.). "[N]ur eine Parole: Platz schaffen", schreibt Benjamin, "nur eine Tätigkeit: räumen ", in einem Bedürfnis "nach frischer Luft und freiem Raum" (396).
Wer nach positiven Bestimmungen der Desorientierung sucht, wird bei Benjamin schnell fündig. So ist der Flaneur, eine zentrale Figur im Passagen-Projekt, nicht zu denken, ohne die Fähigkeit, sich zu desorientieren. Beim Flanieren wird die Stadt erkundet, ohne den jeweils eigenen Standort genau bestimmen zu können (vgl. z. B. GS V, 524 f. u. 1052 f.). Die Probleme, die mit Benjamins "Irrkünsten" (GS VI, 469) einhergehen, werden von ihm kaum expliziert, sondern zeigen sich lediglich in der Praxis. Am Beispiel einer Handschrift der Vorrede zum Trauerspielbuch lässt sich nachzeichnen, wie Benjamin trotz des emphatischen Plädoyers für eine "Kunst des Absetzens" (GS I, 212, 931) die Desorientierung beim Schreiben als Problem ausmacht, das praktische Lösungsmöglichkeiten erfordert.
Das Buchstabieren Benjamins
(2011)
Im Brief vom 28. Februar 1933 an Gershom Scholem spricht Walter Benjamin von einer "neuen - vier kleine Handschriftenseiten umfassenden - Sprachtheorie", die "[d]rucken" zu lassen er nicht beabsichtige, ja von der er nicht einmal wisse, "ob sie auch nur einer Maschinenübertragung fähig" sei. Der brieflich geäußerte Hinweis auf die Medialität der heute unter dem Titel "Lehre vom Ähnlichen" (GS II, 204–210)2 gedruckt vorliegenden 'Seiten' führt ins Zentrum des Textes: Benjamin entwickelt sein berühmtes Konzept einer "unsinnlichen Ähnlichkeit" der Sprache über "Verspannung[en]", und zwar "Verspannung[en]" nicht nur "zwischen dem Gesprochnen und Gemeinten sondern auch zwischen dem Geschriebnen und Gemeinten und gleichfalls zwischen dem Gesprochnen und Geschriebnen". Damit antwortet der Text auf die Frage, inwiefern man "Sprache", verstanden als "Kanon" der "Merkwelt des modernen Menschen", als Transformation alter Traditionen "magischer" "Fassungen" von "Ähnlichkeitserfahrungen" begreifen könne.
"Nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige wird, so hat man gesagt, der Analphabet der Zukunft sein" (GS II, 385) - eingängig wie ein Slogan steht diese Formulierung im letzten Absatz von Walter Benjamins 'Kleiner Geschichte der Photographie'. Der Autor dieser von Benjamin derart wiedergegebenen und gleichzeitig durch den Einschub 'so hat man gesagt' rhetorisch abgebremsten Parole ist ursprünglich László Moholy-Nagy, der 1927 in der Avantgardezeitschrift 'i 10' prognostiziert hatte, dass "die fotografie [...] in der nächsten periode ein unterrichtsfach wie heute das abc und das einmaleins" sein werde, denn es sei "der fotografie-unkundige der analfabet der zukunft". Moholy präsentiert hier ein Narrativ, das Marshall McLuhan später in ähnlicher Form als Geschichte vom Ende der Gutenberg-Galaxis erzählen wird und das auch schon Moholys und Benjamins Zeitgenosse Béla Balázs im Rahmen seiner Stummfilmtheorie in ähnlicher Fassung angeboten hatten, indem er die Verschiebung von einer "begriffliche[n]" zu einer "visuellen Kultur", bzw. vom lesbaren zum "sichtbaren Geist" diagnostizierte. In allen drei Fällen handelt es sich um die Erzählung eines Leitmedienwechsels, bei dem eine primär schriftlich-buchstabengestützte Kultur von einer primär technisch-bildlich symbolisierenden und kommunizierenden Kultur abgelöst wird. 'Photographische Alphabetisierung' wäre demnach ein 'visual literacy'-Programm, damit diejenigen, die bisher nur schriftlich geschult wurden, auch die Zeichen, oder vielmehr die phototechnischen Bilder, über die Kommunikation künftig stattfinden wird, zu 'lesen' imstande sind.
Dieser zweite Band der 'Benjamin-Studien' zeigt nicht nur die Lebendigkeit und Produktivität der Benjamin-Forschung, er steht auch in einer gewissen institutionellen Kontinuität. Denn er folgt auf den 2008 erschienenen ersten Band der 'Studien', der seinerseits den Faden der 2002 erstmals erschienenen 'Benjamin Studies' ('Perception and Experience in Modernity', hg. v. Helger Geyer-Ryan/Paul Koopman/Klaas Yntema) aufnahm. Wir hoffen, dass dieser Faden sich fortsetzt und die Auseinandersetzung mit Benjamin auch künftig in den 'Studien' ein Forum finde, welches durch Benjamin inspirierte Untersuchungen ebenso wie Beiträge zur theoretischen, historischen und philologischen Erschließung seiner Texte und ihrer Rezeption Raum gibt. Die Benjamin-Studien sind offen für das internationale und fachliche Spektrum der Benjamin-Forschung in seiner ganzen Breite und veröffentlichen Texte in deutscher, englischer und französischer Sprache.
Although Walter Benjamin was never timid when it came to writing, one practice he consistently avoided was that of creating neologisms. It is therefore with all the more reluctance that I find myself compelled to resort to something similar, in order to sum up a motif that has imposed itself over the years in my reading of Benjamin. What is involved is, to be sure, not exactly a neologism, since it does not involve the creation of a new word, but rather the highlighting of a word-part, a suffix (eine Nachsilbe). In English, to be sure, this suffix, when spoken, is indistinguishable from a word: what distinguishes it from a word is not audible, but only legible: a hyphen, marking a separation that is also a joining, a 'Bindestrich' that does not bind it to anything in particular and yet that requires it to be bound to something else. The suffix in question thus sounds deceptively familiar, since it coincides, audibly, with the word "abilities". However, unlike that word, its first letter - which purely by accident happens to be the first letter of the alphabet--is preceded by a dash. When written in isolation, this gives it a somewhat bizarre appearance, to be sure, since suffixes are not usually encountered separately from the words they modify. But this bizarre appearance pales when compared to its German 'original'. If the book of essays to be published in English under the title, "Benjamin’s -abilities," is ever translated into German - "back" into German I was tempted to write, since German here is of course the language in which Benjamin wrote and in which I generally read him - then its title, were it to be entirely faithful to the English, would indeed have to involve the creation of a neologism. For translated back into German, the German title would require its readers to "read, what was never written", namely: "Benjamins -barkeiten" (written, "Bindestrich- b--kleingeschrieben").
En tentant de regarder une image singulière avec quelques mots de Walter Benjamin, je voudrais, non pas me livrer à un exercice de commentaire, de glose ou de déchiffrement, mais, plus modestement, faire acte de reconnaissance, porter témoignage d’une experience de l’image, d’une 'poétique de l’image'. Walter Benjamin, l’un des penseurs qui a le plus radicalement bouleversé - réinventé - la notion de lisibilité (Lesbarkeit), est aussi l’un des penseurs au contact duquel l’histoire de l’art se trouve bouleversée dans son rapport même à la visibilité (Sichtbarkeit) et à la temporalité des images. Il ne s’agit pas seulement de rendre hommage à celui qui, mieux que quiconque, aura théorisé le rôle de la reproductibilité, taconté l’histoire de "l’art en tant que photographie" ou décrit le "déclin de l’aura". Il s’agit de travailler avec sa façon de mettre le temps au coeur de toute question d’image, et de faire de l’image - à commencer par la fameuse "image dialectique" - l’opérateur central de toute historicité. Le meilleur hommage, la meilleure justice que l’on puisse rendre à quelque chose, dit Benjamin - en parlant des "guenilles", des "rebuts" de l’histoire -, c’est de l’utiliser. Je vais tâcher de suivre cette leçon en vous présentant un objet de travail et en essayant de restituer la 'valeur d’usage' d’un ou de deux textes de Benjamin pour tenter de savoir, tout simplement, 'comment regarder une image'.
Die Tatsache, dass Benjamins Schreiben in vielen Fällen zu keiner abgeschlossenen Gestalt geführt und sich nicht immer zu einem 'Text' gefügt hat, erfordert dringend eine produktionsästhetische Perspektive, die das Augenmerk mit Entschiedenheit auf die Entstehungsprozesse lenkt. In diesem Punkt kann die Benjamin-Forschung Neuland betreten. Was damit zudem zur Diskussion steht, ist nichts Geringeres als eine überlieferungsgeschichtliche Revision ihrer textuellen Grundlage. Was heute als Texte Benjamins gelesen werden kann, ist das Resultat von jahrzehntelanger Werkpolitik. Sie unterliegen einer editorisch hergestellten Suggestion von Abgeschlossenheit, die sie aber in der Logik von Benjamins Produktion häufig nicht besitzen. Alles, was aus dem Nachlass an Aufzeichnungen, Notizen, Entwürfen, Arbeitshandschriften überliefert ist und in den Archiven schlummert, ist vielmehr Zeuge eines infiniten 'work in progress', der sich nicht in ein werkästhetisches Korsett zwingen lässt. Im Folgenden wird an einer kleinen, aber prominenten Aufzeichnung Benjamins materiale Poetik des Schreibens exemplarisch veranschaulicht. Die Fragen nach den Implikationen und Konsequenzen für den interpretatorischen und überlieferungskritischen Umgang mit seinen nachgelassenen Schriften stehen dabei im Vordergrund.
In a letter to Scholem, dated 22 December, 1924, Benjamin famously writes of the manuscript that was to become his 'Trauerspiel' book: "[I]ndessen überrascht mich nun vor allem, daß, wenn man so will, das Geschriebene fast ganz aus Zitaten besteht" (GS I.3, 881). Much has been made of the mosaic-like citational technique to which Benjamin refers here; his "Zitatbegriff" is said, for example, to subtend the theory of a "mikrologische Verarbeitung" of "Denkbruchstücken" into "Ideen" that Benjamin develops as his theory of representation in the "Erkenntniskritische Vorrede", which in turn figures the relation between individual phenomena and their "ideas" in astral terms. Because, however, the 'Trauerspiel' book is so often understood only on this theoretical level, e.g. as either an early articulation of Benjamin’s "avant garde" and "messianic" philosophy of history (Jäger, Kany, and Pizer) or as a performance of his systems of allegory (Menninghaus) and "constructivism" (Schöttker), his "Zitierpraxis" and the actual citations that form large parts of 'Der Ursprung des deutschen Trauerspiel' have seldom been read for the purchase they provide on the vexed status of the period and concept that was the book’s direct subject, namely, the German Baroque.