BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren
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A relação pai-filho é uma das pedras angulares da pesquisa psicanalítica. Este artigo examina tal relação, assim como se apresenta no romance "Zipper und sein Vater" (1928, "Zipper e seu pai"), de Joseph Roth, em um contexto histórico e psicossocial relevante. Traçando um paralelo entre a figural paternal do Imperador Austro-Húngaro, Franz Joseph, e o pai de Arnold Zipper, e valendo-se da experiência pessoal do narrador (e do próprio Roth), o artigo apresenta uma análise da importância da figura e as consequências devastadoras de sua ausência.
Die labyrinthische Organisation des Erzählraums, die bisweilen dem Prinzip der Assoziation durch Josef K. zu folgen scheint, korrespondiert historisch mit der desorientierten Wirklichkeitserfahrung der Moderne - einem "Gefühl der 'Ohnmacht' und der 'Entfremdung' des 'modernen Menschen'". Nicht ohne Grund wird "Der Proceß" so in der verbreiteten sozialgeschichtlichen (und vor allem sozialkritischen) Lesart zur literarischen "Gestaltung der verwalteten Welt, der vielfältigen Einengungen und Bedrohungen, die das Individuum heute durch anonyme Mächte erfährt, zur Anklage des Kapitalismus, zur prophetischen Vorwegnahme der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts oder, aktueller und à la Foucault, zur Verbildlichung der das Begehren unterdrückenden 'Macht'". Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, diese sozialgeschichtliche Lesart unter Hinzunahme des in der Kafka-Forschung bislang nur randläufig berücksichtigten Paradigmas der 'Biopolitik' bzw. 'Biomacht', wie es insbesondere von Michel Foucault analysiert wurde, noch einmal produktiv zu erweitern. [...] Franz Kafkas literarisches Werk befasst sich zweifellos immer wieder mit modernen Machtverhältnissen und Normierungsprozessen sowie auch mit den Individuen, die vor der (scheinbaren) Wahl stehen, sich zu assimilieren oder von eben jenen verschüttet zu werden. Dieser Beitrag wird erstens zu zeigen versuchen, wie das Gericht in Der Proceß durch seine Raumordnung als Metapher für eine breitere Machtökonomie der diegetischen Gesellschaftsordnung lesbar wird. Zweitens wird er der Frage nachgehen, inwieweit die Kategorie des Angeklagten als Schnittpunkt gelesen werden kann, der zwar intradiegetisch einen eigenen institutionellen und epistemologischen Stellenwert hat, auf der Metaebene allerdings der Logik des modernen Zusammenspiels bio- und disziplinarpolitischer Interventionen und Prozesse nachspürt.
The study deals with the contacts between Princess Mechtilde Lichnowsky and the Prague German writer Franz Werfel in the years 1913–1914. The author outlines the friendly relationship between Mechtilde and Werfel, sketching the social and biographical background on the eve of World War I. In this context, attention is paid not only to Mechtilde Lichnowsky's drama "Ein Spiel vom Tod", but also to its reception by Werfel, by other authors, and not least by the contemporary press.
This article points out facts that help to explain why Franz Kafka was not awarded the Nobel Prize.
Es bleibt festzustellen, dass Kafkas "Kleine Frau" kein Fremdkörper im "Hungerkünstler"-Band ist. Vielmehr führt der Text wie alle Geschichten ab 1912 Kafkas zentrale Themen Freiheit und Religion durch, und dass er dabei durch Andeutungen und Parabolik, wie sie der Zürauer Sprachaphorismus zu denken gibt, die Deutung erlaubt, macht Spekulationen über die Psyche des Autors überflüssig. Durch die Figur des Schriftstellers und die Frage nach einer 'reinen' Literatur lässt sich die Erzählung in die Reihe der Künstlererzählungen des Zyklus einrücken.
No trabalho de Bertolt Brecht relacionado com o cinema pode-se distinguir quatro fases: 1. Início dos anos vinte - argumentos, guiões para filmes publicitários e de aventura. Os únicos projectos realizados: Mysterien eines Frisiersalons de Erich Engel, 1923 (Brecht colaborou na realização). O seu argumento Robinsonade auf Assuncion escrito em conjunto com Arnolt Bronnen foi alterado para o filme SOS. Die Insel der Tränen (1923). 2. Início dos anos trinta - processo contra a companhia Nero-Film para recuperar os direitos de autor concedidos para a versão fílmica da Ópera dos três vinténs; realizada por Georg Wilhelm Pabst em 1930/31 (argumento: Laszlo Vajda, Leo Lania, Béla Balázs). Primeiro documento cinematográfico de uma peça de Brecht: Mann ist Mann (Bert Brecht, 1931); o filme ideológico (esteticamente infl. por Eisenstein): Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt? realizado por Slatan Dudow em 1931 (argumento: Bert Brecht e Ernst Ottwalt). 3. Exílio americano – para ganhar dinheiro Brecht volta a escrever argumentos e guiões para a indústria de Hollywood. Dos ca. de 50 textos produzidos só um foi aproveitado para o filme anti-fascista Hangmen also die (Fritz Lang, 1943), no qual Brecht colaborou no argumento. È considerado uma das produções mais importantes deste género junto com Casablanca (M. Curtiz, 1943). 4. Produção pós-guerra - guiões para Mutter Courage (1952) e Herr Puntila und sein Knecht Matti (1955); realização das versões fílmicas da comedia Katzgraben (1957) de Erwin Strittmatter e da sua peça Die Mutter (1958), encenadas pelo Berliner Ensemble.
Musils Tagebücher, von der Forschung als Archiv für Belege und Zitate benützt, werden im Folgenden als Text sui generis gelesen, in dem Motiv und Aporie eines Schreibprojekts aufeinandertreffen. Das 33. Tagebuch-Heft, Musils Merkheft für eine nie Zustande gekommenen Lebensbeschreibung, präsentiert reduzierte Bilder des Ichs, deren Prägnanz zur Ursache für die Unabschließbarkeit des Textes wird. Damit ist ein Repräsentationsverfahren bezeichnet, in dem nicht das Leben des Autobiographen, sondern die autobiographische Arbeit selbst zum Gegenstand der Autobiographie wird. Diese Schreibpraxis zeigt Musils Zugehörigkeit zur Tradition der europäischen Moralistik.
Alfred Döblin is a theorist of German Expressionismus and of the epic novel. In "Berlin Alexanderplatz", he shows the theories of his essay "Der Bau des epischen Werks" ("The construction of the epic werk") in practice. The present paper analyses the following aspects of the novel: 1) the development of the plot, 2) the structure, 3) the language, 4) the function of time, 5) the space of the city, 6) the narrator, 7) the characters.
"Berührungsfurcht" : soziale Imaginationen der Unterklassigen in der Kanon-Literatur der Moderne
(2020)
Die gutbürgerliche Literatur verwahrt sich mit allem, was ihr eigen ist - Sprache, Aisthesis, Kreativität, Imagination, Wissen und Bildung - gegen den Übergriff des Anderen und Fremden in Gestalt des sozial Niederen und Subalternen im eigenen Erfahrungsbereich, durchsetzt mit Empathie und Aggression. Aus der Sicht der noblen Literatur fällt der Blick auf die schäbigen Volkssänger, von denen sich Gustav Aschenbach, Thomas Manns Identifikationsfigur im "Tod in Venedig", auf der Hotelempore des Lido bedrängt fühlt, auf die elenden "Schalen von Menschen" in den Straßen und Krankenanstalten von Paris in Rilkes "Malte Laurids Brigge", auf die im Gerede sprachlosen Scheusale von Haushälterin und Hausbesorger in Canettis "Blendung", auf die im 'Jargon' agierende chassidische Schauspieler-Bagage, die Kafka so vehement gegen den Prager Kulturzionismus verteidigt. Die kulturelle Hybris gegenüber den Subalternen und Deklassierten folgt der Spur eines elitären Gestus, auch im politischen Handeln: Verachtung, Abscheu, Angst und Erschrecken angesichts der 'Deplorables', des bedauernswerten Elends der sozial Deklassierten und minder Kultivierten. [...] Das entsprechende Bildrepertoire an einsinnigen Klischees begegnet, ästhetisch nuanciert, in der literarischen Zeitgenossenschaft um 1900 bei Autoren unterschiedlichster Weltanschauung und Schreibweise. Und seitdem, was im Folgenden aufzuzeigen ist, in fast jedem uns vertrauten Text moderner, als bürgerlich verbürgter deutscher Literatur, der sich dem sozial Anderen außerhalb des eigenen Lebens- und Erfahrungsbereichs zuwendet, mehr oder weniger emphatisch oder verdrossen. Bei diesem kleinen Streifzug durch einige Kanon-Texte der Moderne kann es nicht um ihre sozialpsychologische und sozialhistorische Erklärbarkeit gehen. Vielmehr interessieren, als kleiner Nachtrag zur Lektüre der uns wohl bekannten Werke, gewisse Wege und Abwege der sozialen Imagination: der moralisch und ästhetisch oft verquere Umgang mit einem Fremden, das nicht nur in anderen Ländern und Kulturen zu suchen, sondern daheim, hier und jetzt, zu entdecken ist. In der Ferne so nah, voller "Berührungsfurcht", wenn nicht panischem Erschrecken vor dem Anderen.
Nosso objetivo central é apresentar um estudo sobre Heinrich Schüler, cidadão teuto-brasileiro autor de um minucioso livro sobre o Brasil. Com sua ideia de "Brasil, um país do futuro", antecipou-se a Stefan Zweig em quase três décadas. Brasileiro naturalizado, Schüler foi representante consular do Brasil em Bremen e cônsul-adjunto em Hamburgo, onde também ministrou cursos sobre cultura brasileira para universitários. Baseando-nos em pesquisas feitas em jornais brasileiros e teuto-brasileiros, logramos compor uma imagem de Schüler que, como mostram as análises, transitava facilmente entre as diplomacias brasileira e alemã. Justamente por isso, era bem visto por uns, mas com suspeição por outros. Se, por um lado, mostrava-se um fiel cidadão da pátria que o acolhera, por outro, revelava-se um incansável defensor do alemanismo no Brasil. Defendia o envio de "sangue novo alemão" para terras brasileiras, para evitar que "as colônias de expressão alemã muito dispersas no sul do Brasil" tivessem de se mesclar "com os elementos estrangeiros". Diante do perfil de Schüler, conclui-se que, se Stefan Zweig tiver lido a monografia do cônsul como leitura preparatória, posteriormente deve ter-se chocado com as ideias políticas desse homem que flertaria com a intenção hitlerista de implantar células do 'Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei' (NSDAP - em português, Partido Nacional-Socialista dos Trabalhadores Alemães) em estados germanófonos brasileiros.
Franz Kafka's (1883-1924) "Die Brücke" is one of the less well-known texts by one of the most prolific authors of literary modernity. However, this short prose text embodies prevalent questions of literary modernity and philosophy as it reflects the crisis of language in regard of identity, communication, and literary production. Placed in the context of fin-de-siècle's discourse of language crisis, this article provides a dialogue between Kafka's "Die Brücke" and Hannah Arendt's (1906-1975) philosophy of thinking and speaking in "The Life of the Mind". Contrary to Arendt's understanding of the metaphor as "a carrying over" between the mental activities of the solitude thinker and a reconciliation with the pluralistic world shared with others, this article argues for a deconstructionist reading of "Die Brücke" as a tool to reevaluate Arendt"s notion of a shared human experience ensured through language and illustrates the advantages of poetic texts within philosophical discourses.
Der Goldregen im Park von Ulsgaard ist nicht nur eine ("schön blühende, giftige") Pflanze. In der bildenden Kunst (Tizian, Rembrandt, van Dyck, Klimt) ist die auf Ovid zurückgehende Geschichte der Königstochter Danaë oft dargestellt worden.
Die von ihrem Vater in einen Turm Verbannte wird von Zeus in Form eines Goldregens besucht und wird die Mutter des berühmten Helden Perseus. Rilkes Anlehnung an die mythische Tradition wird durch die kreative Anverwandlung besonders
gewinnend und die Begegnung der Liebenden erhält geradezu hintergründig eine erhebende Weihe. Der zurückhaltende Anschluss an den Mythos ist einer Erfahrung angemessen, die sprachlich allenfalls vergleichsweise ("wie"), im Kontrast ("nichts") oder als Möglichkeit ("vielleicht") fasslich erscheint. Die Begegnung von Mutter und Sohn am Fenster des Hauses in Ostia feiert Augustinus als Werk der göttlichen
Vorsehung, die Begegnung des Neffen und der Tante verklärt der Rilkesche Malte zu einem alle Erwartung übertreffenden aber willkommenen Glück: "Schöne, schöne Abelone." Die Deutung der Briefe als Liebesbriefe ergab sich für Malte nachträglich ("wie ich es jetzt sehe") und sie war die Konsequenz aus der Begegnung im Park schließlich.
O presente artigo objetiva reavaliar a questão intermedial do expressionismo referente à "Da aurora à meia-noite", obra destacada de Georg Kaiser. O texto, escrito entre 1912 e 1915, e publicado em 1916, foi encenado em inúmeros teatros a partir de 1917. Em 1920, o diretor Karl Heinz Martin realizou sua transposição para o medium fílmico. A primeira parte do presente estudo analisa a forma textual de "Da aurora à meia-noite" entre tradição teatral e possíveis adaptações de técnicas cinematográficas. A seguir, investiga-se o aspecto visual de sua encenação no âmbito da nova visualidade expressionista no teatro, enquanto que a terceira parte se ocupa do filme "Da aurora à meia-noite" no contexto da permanente discussão sobre o chamado cinema expressionista
Die Literatur der Weimarer Republik ist ein diskursives Schlachtfeld, auf dem die "neuen" elektronischen Massen- und Unterhaltungsmedien den traditionellen Buch- und Menschenmedien Konkurrenz machen. Im 19. Jahrhundert findet eine Verschiebung der Medienkonstellationen statt. Die Zahl der Einzelmedien nimmt zu: Die Menschenmedien (Theater), Schreibmedien (Brief, Blatt, Wand) und Druckmedien (u.a. Zeitung, Zeitschrift, Buch) bekommen ab jetzt Konkurrenz von den elektronischen Unterhaltungs- und Massenmedien Telegraf, Fotografie, Telefon, Schallplatte und Film. Diese neuen Medien sind auch in die Literatur eingegangen, u.a. durch so genannte "Medienreflexionen", Reflexionen also über die Medien im Rahmen der literarischen Werke selbst, wie z. B. Prousts Ablehnung des Mediums Film in 'À la recherche du temps perdu'. Wenn Medienreflexionen sich auf ein einzelnes Werk beziehen, spricht man von "Einzelreferenz", wenn sie sich auf eine Mediengruppe beziehen von "Systemreferenz". Wenn Reflexionen über die mediale, ästhetische oder fiktionale Qualität eines Mediums in einem literarischen Text figurieren, spricht man von "Metamedialität". Ein weiterer Terminus, der im vorliegenden Beitrag von Belang ist, ist Transmedialität. Transmedialität wird hier in Anlehnung an Hermann Herlinghaus als das Übersetzen eines Mediums in ein anderes definiert und meint "jene Prozeduren und Wechselwirkungen, die mit einem medialen Gestalt- und Funktionswechsel verbunden sind, das heißt die Transformation von Diskursen eines Mediums in Bilder oder Texte eines anderen: Literaturverfilmungen, 'Verbuchung' von Filmen und Hörspielen, Fernsehinszenierungen nach Theater- und Erzähltexten, Videoaufzeichnungen von Theaterstücken und dergleichen mehr."
Lion Feuchtwanger (1884-1958) schrieb zahlreiche Gegenwartsromane, aber seinen Ruhm begründete er mit der historischen Dichtung, die er für die Aktivierung von Vernunft und Rationalität einsetzt. Sei es im Exil oder in der inneren Emigration, es war für Schriftsteller nicht einfach das Phänomen des "Nationalsozialismus" und vor allem Hitler als eine literarische Figur darzustellen. Um eine größere Leserzahl zu erreichen bevorzugte Lion Feuchtwanger historische und biographische Romane. In dem Roman "Der falschen Nero" übt er mittels Satire politische Kritik gegenüber den aktuellen Begebenheiten seiner Zeit aus.
Die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber der menschlichen Existenz wird bei Rainer Maria Rilke in seiner letzten Schaffensphase in der Schweiz mit einer ähnlichen Radikalität sprachlich-dichterisch kompensiert wie er früher das restlose Hineinbilden (nicht Abbilden!) der Welt in das Sprachkonstrukt nach den Vorbildern von Baudelaire, Rodin und Cézanne – um hier nur die wichtigsten zu nennen – vom eigenen Sprachinstrument forderte. Ich nehme an, daß Rilkes späteste Dichtung und Poetologie nur in engster Verbindung mit dem Konzept des Verzichts ausgelegt werden kann. Exemplarisch für die Poetik dieses lyrischen Ausgleichs im Kontext des spätesten Werkes ist die Sinnfigur der Fontäne, die Produktionsweise und Funktion der dichterischen Bilder illustriert und eine immanente Reflexion auf den Sinn und die Zielvorstellungen des dichterischen Schaffens enthält.
"Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand". Gefäß und Getränk oder Leere und Fülle in Rilkes Dichtung
(2014)
Die Kinderhand als das Bild für das "allerleiseste Empfangen", für das Offensein für einen Anspruch, den niemand herausfordern und niemand erwarten kann, hat eine Tradition in Rilkes Werk, das vor dem Stunden-Buch entstanden ist und es spinnt sich bis ins Spätwerk hinein fort. Die Gleichzeitigkeit von Leere und Fülle als von Gefäß und Getränk immer zugleich ist wohl nirgends so spielerisch und daher dauernd umgesetzt wie in den Sonetten an Orpheus, wo Wein, Kelter und
derjenige, der trinkt, alle eins und in sich doch unterscheidbar sind. Im Bekenntnis zum Hier darf die Unterscheidung nicht aufgegeben werden. Diese lebt aber vom Ununterschiedenen: die Erfahrung des Ununterschiedenen
als eine Erfahrung der "inspiratio" fasst Rilke mit der Gefäß-Metapher.
Das literarische Werk Franz Kafkas ist nicht nur ein seit jeher beliebter und in der Tat nahezu idealer Prüfstein für literaturwissenschaftliche 'approaches' aller Art gewesen; es birgt auch umgekehrt ein immer wieder und immer noch überraschendes Beschreibungspotential für die Konjunkturen, Konstellationen und Dilemmata humanwissenschaftlicher Theoriearbeit. Auch für den seit einiger Zeit zu beobachtenden Konflikt zwischen einer primär auf Texte bezogenen Literatur- und einer primär auf Objekte bezogenen Kulturwissenschaft hält Kafka - "Eines aber kann ich […], das ist – warten" - seit nunmehr nahezu neunzig Jahren ein Szenario bereit: Die Nomaden sind da. Anders als die treu ergebenen Untertanen, die in ihren Hütten vergeblich auf eine Botschaft des Kaisers warten, lagern sie unmittelbar vor dem kaiserlichen Palast. Und wiederum anders als die ebenfalls dort angesiedelten Handwerker und Händler geben sie sich nicht damit zufrieden, Werte zirkulieren zu lassen und ihr Leben von den schmalen Profiten zu fristen. Denn weder interessieren sie sich sonderlich für Verständigung mit den Geschäftsleuten, noch denken sie entfernt daran, für das rohe Ochsenfleisch zu zahlen, das sie verzehren – tot oder lebendig.
Kafkas Rückspiegel-Prognose eines Kulturkollapses in "Ein altes Blatt" ist nicht nur ein Postskript zu dem großen Erzählfragment Beim Bau der chinesischen Mauer; es lässt sich zugleich als Präskript für seine Leser lesen, insbesondere für seine professionellen. Kafka treibt seinen Spaß mit der seit drei Dekaden endlos wiederholten Einsicht subjektzentrierter Hermeneutik, der zufolge einem (im formal-ästhetischen Sinne) modernen literarischen Text ein fester, verlässlicher Sinn nicht zuzuordnen sei: niemals und unter keinen Umständen erreicht der Botschafter des Kaisers das Haus des Untertanen, der sich, immerhin, seine Botschaft erträumen mag. Und Kafka treibt seinen Spaß mit der ebenso alten Tröstung soziologisch aufgeklärter Hermeneutik, nach der literarische Texte zwar keine endgültige Sinnbildung erlaubten, dafür aber eine anhaltende Zirkulation flüchtiger sozialer und kultureller Bedeutungen bewirkten.
Im Jahre 1930 erscheint im stahlhelmnahen Berliner Frundsberg-Verlag ein von dem "konservativ-revolutionären" (Armin Mohler) Publizisten Franz Schauwecker herausgegebener Sammelband mit zwanzig Beiträgen unter dem Titel "Mondstein. Magische Geschichten", darunter ein Text Ernst Jüngers, "Sizilianischer Brief an den Mann im Mond". Mit gerade mal vjerzehn Druckseiten und einigen reichlich kryptisch anmutenden Stellen könnte man ihn im riesenhaften, in acht Jahrzehnten gewachsenen Opus Jüngers getrost vernachlässigen, wenn er ihn nicht selbst zu einem maßgebenden Schlüsseldokument autorisiert hätte [...]. Hier will ich zeigen, wie man den "Brief" tatsächlich als Zäsur von Ernst Jüngers Autorschaft lesen kann, indem er auf eine Tendenz der Zeit bezogen wird, die ich den Einspruch des beginncnden 20. Jahrhunderts gegen das ausgehende 19. nennen möchte. Gleichzeitig wird deutlich, daß "theologische" oder "philosophische" Fragestellungen einen ungewohnt anderen Zugang zu Jüngers Frühwerk eröffnen.