Komparatistik : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft ; 2016
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Unter dem Terminus "Apokryphen" versteht man in der alttestamentlichen protestantischen Wissenschaft jene biblischen Bücher, die in der griechischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, der sog. Septuaginta, bzw. der lateinischen Übersetzung, der Vulgata, zu finden sind, jedoch nicht im Kanon der Hebräischen Bibel. In der Septuaginta sind dies die vier Makkabäerbücher, das 3. Esrabuch, Jesus Sirach, die Weisheit Salomos, die Psalmen Salomos, Tobit, Judit, Baruch, der Brief Jeremias und Baruch sowie die Zusätze zu Daniel und zu Ester. Wie alt dieser Kanon ist und ob er bereits auf einen jüdischen Kanon zurückgeht, ist eine offene Frage der Forschung; in jedem Fall gehören diese Schriften der Septuaginta bis heute zum Kanon der Ostkirche. Im Westen dagegen setzte sich der etwas weniger umfangreiche Kanon der Vulgata durch, in dem das 3. und 4. Makkabäerbuch und das 3. Esrabuch fehlen. Da diese Texte nicht auf Hebräisch überliefert wurden und auch nicht Bestandteil der jüdischen Bibel sind, haben die Reformatoren, die unter dem Einfluss des Humanismus mit seinem Leitgedanken "ad Fontes", der Hinwendung zu den Quellen, standen, diese aus ihrem Kanon ausgeschieden.
Der vorliegende Beitrag setzt sich Zweifaches zum Ziel: erstens, Karl Dedecius' Weg zum renommierten Übersetzer der polnischen Lyrik in Deutschland sowie sein Konzept der Übersetzungskunst zu skizzieren, und daran anschließend – an zwei Gedichten von Wisława Szymborska in der Übersetzung von Dedecius ('Das erste Foto' und 'Katze in der leeren Wohnung') – aufzuzeigen, wie selbst eine große Meisterschaft an bestimmte Grenzen stößt, die dem Übertragen der Lyrik in eine andere Sprache innewohnen.
Im Jahr 1926 erschien in der 'Revista de Occidente', einer von José Ortega y Gasset in Madrid herausgegebenen Zeitschrift mit kulturpolitischer und philosophischer Ausrichtung, eine merkwürdige Publikation unter dem rätselhaften Titel "Cancionero apócrifo de Abel Martín. Recopilación y estudio de Juan de Mairena." Auf den ersten Blick scheint es so, als fungiere Antonio Machado hier lediglich als Herausgeber einer von Juan de Mairena kompilierten Sammlung, welche wiederum der Autorschaft eines Abel Martín zugeschrieben wird. Trotz der rätselhaften doppelten Herausgeberfiktion hatte das damalige Lesepublikum offenbar keine Probleme damit, Antonio Machado als den eigentlichen Autor der genannten "apokryphen" Prosa- und Gedichttexte zu identifizieren. Denn die Namen Juan de Mairena und Abel Martín bezeichnen nicht etwa reale Dichterpersönlichkeiten der damaligen Epoche oder der spanischen Literatur- geschichte, sondern sie sind – wie die damaligen Leser durch Ausschlussverfahren selbst erraten konnten – Konstrukte von Machados Phantasie, fiktive Autorprojektionen, deren Erfindung und Gestaltung er mit erstaunlichem gedanklichen Aufwand und Akribie betrieben hatte. Abel Martín und sein 'Schüler' Mairena gehören zu einem ganzen Spektrum von imaginierten Dichtern und Philosophen, deren fingierte Werke ihr Erfinder Machado als "apokryph" bezeichnete. Die bemerkenswerte Praktik, eigene Hervorbringungen, Lyrik und Prosa, nicht unter dem eigenen Namen zu publizieren, sondern einem Kreis fingierter Autorpersönlichkeiten zuzuordnen, hebt sich von dem gewöhnlichen Gebrauch von Pseudonymen, von künstlerischen Decknamen, deutlich ab. Zumal der Autor in jenem Zeitraum in den 1910er und 1920er Jahren keineswegs mehr ein Unbekannter war.
Die Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit der historischen Gründungsphase der Rhythmusforschung und dem kulturellen Umfeld, in dem der Begriff eine mythische Bedeutung im Sinne von Magris gewinnt. Dass damit aber keineswegs die mythische Dimension des Rhythmus als historisches und ideologisches Phänomen erschöpft ist, zeigt die Anbindung der Diskussion an die gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts geführte Debatte zur Neuen Mythologie und die utopischen Potenziale des Mythos. So lässt sich auch der Rhythmus um 1900 als kulturelle Konstruktion verstehen, die sowohl einen Ausweg aus dem Alptraum der Geschichte zu weisen vermochte wie als Baustein einer faschistischen Weltanschauung dienen konnte.
Als Adorno 1950 nach Deutschland zurückkehrte, kam er in ein Land, dem er zutiefst misstraute. Die objektive Unmöglichkeit, hier wieder zu existieren und zu arbeiten, wurde für ihn paradoxerweise zum Stimulans seiner Existenz und Arbeit. Statt sich innerlich an die neue Umwelt anzupassen, immunisierte er sich ihr gegenüber. Als jemand, der nicht dazugehören wollte, vermochte er die zähen Rückstände einer Ideologie der Zusammengehörigkeit zu zersetzen. Eine Rücksichtnahme auf sogenannte fundamentale Gewissheiten war aus seiner Sicht deswegen nicht geboten, weil sich solche Gewissheiten als Selbsttäuschung erwiesen hatten. In dem Maße, wie Adorno im Deutschland der Nachkriegszeit ein Bedürfnis nach kritischer Reinigung verspürte, begann sich sein intellektuelles und publizistisches Schaffen expansiv zu entfalten. Der Außenseiter, der gebraucht wurde, rückte unverhofft ins Zentrum, ohne doch sein Außenseitertum einzubüßen. Wenn Gershom Scholem, Adornos Briefpartner, tastend, von seiner neuen israelischen Heimat herkommend, über die Schweiz wieder Kontakt mit Deutschland, seiner alten Heimat, aufnimmt, so vollzieht sich bei ihm eine ähnliche Entwicklung wie bei Adorno. Dass auch er innerhalb der deutschen Geisteswelt eine Rolle zu spielen beginnt – allerdings später als Adorno –, kann überraschen. Als Katalysator dafür fungiert die Durchsetzung des OEuvres von Walter Benjamin. Das Werk Adornos wird durch seinen Briefwechsel mit Scholem, dem entschiedenen Juden, in ein neues Licht gerückt. Deutlicher als vorher tritt nun zutage, wie sehr doch das Denken Adornos von spezifisch jüdischen Intuitionen bestimmt wird.
[Rezension zu:] Anatoly Livry. La Physiologie du Surhomme. St-Pétersbourg : Aletheia, 2015. 312 p.
(2017)
La 'Physiologie du Surhomme' est un ouvrage qui unit démarche philosophique, critique littéraire et réflexion sur la morale, en s'attachant à des questions éternelles et néanmoins actuelles. Il s'agit aussi de la thèse de doctorat en littérature générale et comparée rédigée par Anatoly Livry en français pour être soutenue à l'Université de Nice-Sophia Antipolis en 2011, puis réécrite en russe en vue de sa publication de St-Pétersbourg. Dès les premières pages, Anatoly Livry exige de son lecteur une attitude particulière, nécessaire à l'absorption de l'ouvrage. Se penchant sur le cas de l "humain" et de son éventuelle fin – une idée que je puis qualifier de post-moderne –, il décortique les notions de "vertu", de "justice", d' "égalité" ou de "fraternité" usées dans nos sociétés. Cet "anti-progressisme" post-moderne d'Anatoly Livry semble logique si l'on connaît ses passions auparavant exprimées dans ses articles scientifiques, ouvrages et interviewes. En revanche, dans la présente monographie, ces opinions, unies dans un courant de réflexion, acquièrent les particularités d'un vrai système philosophique.
Von der Begriffsgeschichte [...] ist das Barbarische erstaunlicherweise eher vernachlässigt worden. Der vorliegende, von Maria Boletsi und Christian Moser herausgegebene Sammelband 'Barbarism Revisited' versucht, hier Abhilfe zu schaffen. Er verfolgt das Ziel, den Barbarenbegriff und seine Funktionsweisen in verschiedenen historischen Zusammenhängen zu beleuchten und so die weitreichenden Implikationen auch seiner heutigen, eben erneut inflationären Verwendung herauszuarbeiten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Umgang mit dem Barbarischen in Bereichen, die die klassische Begriffsgeschichte oft ausgeklammert: Kunst, Literatur und Film. Weit davon entfernt, einfach affirmiert zu werden, ist der Barbarenbegriff gerade in der Literatur immer wieder mit dem Ziel aufgerufen worden, seinen phantasmatischen Charakter auszustellen und das von ihm eingeforderte oppositive Denken in Frage zu stellen.
Im vorliegenden Band geht es ausdrücklich nicht um die implizite Aufforderung jedes Buches, es und damit auch sich selbst als Leser zu bewegen, sondern vielmehr um eine Sonderform des Buches, die von den Herausgebern mit dem Begriff des Bewegungsbuches bezeichnet wird. Bücher sind heute mehr denn je Konsumartikel, deren ästhetische Qualitäten in den seltensten Fällen Beachtung finden, und zwar auch dann, wenn sich zahlreiche Künstler und Autoren ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darum bemüht haben, dem konventionellen zweidimensionalen Buch Alternativen gegenüberzustellen, die sich vornehmlich dadurch von jenem unterscheiden, dass sie den Leser zu Bewegungen veranlassen, die vom herkömmlichen Umblättern und Drehen deutlich abweichen. 'Movable books' oder 'livres animés' können die Dreidimensionalität explorieren, müssen dies jedoch nicht zwangsläufig tun. Repräsentanten der ersten Gattung sind beispielsweise Pop-up-Bücher, die sich erst durch ein Aufklappen rezipieren lassen.
Christian Bennes so aspekt- wie umfangreiche Abhandlung zur "Erfindung des Manuskripts" 18. Jahrhundert eminent anregende Perspektiven eröffnet – nicht nur der literarischen Arbeit im engeren Sinn, sondern auch der Konzepte und Praktiken des philosophischen und wissenschaftlichen, des privaten und autobiografischen Schreibens. Dieser These zufolge gewinnt mit dem 18. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen Druck und Manuskript diskursprägenden Status – und zwar als eine keineswegs nur theoretische, sondern zudem auch in mehr als einer Hinsicht praxisrelevante Unterscheidung. Um "Manuskripte" geht es nicht in erster Linie (wenngleich in Folge dann unter anderem doch auch) unter Akzentuierung des Umstands, dass die fraglichen Texte per Hand geschrieben statt von einer Maschine erzeugt worden sind. Entscheidend ist vielmehr, dass Manuskripte – verglichen mit dem Druck – einen vorläufigen Status besitzen, dass sie noch verändert, erweitert, ergänzt werden können, dass sie Entwürfe und Entwicklungsphasen darstellen.
Kremnitz nähert sich dem Thema der Mehrsprachigkeit in der Literatur aus der Sicht des Sprachwissenschaftlers und Soziologen, worauf nicht zuletzt der Untertitel des Bandes verweist. Seine Arbeitsweise der "Soziologie der Kommunikation" richtet sich gegen die von ihm konstatierte Vernachlässigung der Kommunikation in der Sprachwissenschaft und strebt eine Verknüpfung zwischen interner (d. h. formaler) und externer Sprachbetrachtung an. Gerade für die kommunikative Erscheinung der Literatur würden externe Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, die man zumal bei der Frage nach der Mehrsprachigkeit in der Literatur bzw. der Sprachwahl von AutorInnen nicht vernachlässigen sollte. In seinem knappen Literaturüberblick, der allerdings durch eine in der Neuauflage erweiterte und aktualisierte Bibliographie ergänzt wird, stellt Kremnitz einerseits einen Mangel an systematischen Untersuchungen zum Thema fest, der auch elf Jahre nach dem ersten Erscheinen seines Buches noch zu registrierensei. – Es überwögen Fallstudien zu einzelnen AutorInnen, die zudem meist rein literaturwissenschaftlich argumentierten und die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft nicht berücksichtigten. Diesen Lücken in der Forschung setzt Kremnitz sein Buch entgegen, in dem er einerseits das Terrain von Mehrsprachigkeit in der Literatur mit einigen grundlegenden theoretischen Überlegungen abstecken möchte und andererseits sprachwissenschaftliche Erkenntnisse mit zahlreichen Autorenbeispielen (und damit literaturhistorischen Hinweisen) zusammenführt. Im Zentrum des Interesses stehen die Frage nach den Kriterien für die Sprachwahl von mehrsprachigen AutorInnen sowie der Versuch, aus den konkreten Aussagen einzelner AutorInnen zu verstehen, welche Bedeutung sie der Sprachwahl zumessen. In diesem Sinne ist das Buch auch strukturiert: Die Kapitel eins, drei und vier beschäftigen sich mit grundlegenden, theoretischen Fragen, während die Kapitel zwei, fünf und sechs historisch angelegt sind und Beispiele verhandeln.