Weimarer Beiträge 50.2004
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Der deutsch-französische Literatur- und Kulturwissenschaftler Robert Minder (1902-1980) ist heute nicht mehr so präsent, wie er es in den sechziger und siebziger Jahren war, weit über den akademischen Rahmen hinaus. Was diesen angeht, beweist seine außerordentliche Wertschätzung - speziell innerhalb der deutschsprachigen Germanistik - die anläßlich seines 70. Geburtstags erschienene Festschrift 'Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlass des 70. Geburtstags von Robert Minder, herausgegeben von Siegfried Unseld (Frankfurt/Main 1972)'. - Aus Anlaß seines 100. Geburtstags, den Minder im Jahre 2002 hätte feiern können, organisierten Albrecht Betz (Aachen) und ich in Zusammenarbeit mit dem Berliner Centre Marc Bloch und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach in Schillers Geburtsort eine Tagung über Minder, deren Vorträge den Grundstock für den umfangreichen Sammelband 'Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich' (Würzburg 2004) abgeben. In den 'Weimarer Beiträgen' soll über diesen Band - speziell meinen dortigen Aufsatz 'Wie, warum und zu welchem Ende war Robert Minder Literatursoziologe?' - hinaus der Literaturethnologe und Regionalforscher Minder thematisiert werden.
Frühe Leser von Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' verwarfen ihre schockierende, perverse Offenheit. Wie Hans Beilhack schon 1916 schrieb, sei Kafkas Erzählung sadistisch, und ihr Autor sei ein "Lüstling des Entsetzens". Otto Erich Hesse ging einen Schritt weiter, indem er behauptete, Kafka und seine Leserschaft seien "Ekel erzeugen[de]" sexuelle Scheusale, die "sich an derartigen Quälereien erlustier[en] und aufgeil[en]." Selbst Kafkas Bewunderer fühlten sich verpflichtet, sich von den sexuellen Exzessen zu distanzieren, wie auch von der Beschuldigung, daß sie perverses Vergnügen aus ihr zögen. Kurt Tucholsky, der erste öffentliche Verteidiger der Erzählung, befürchtete, Kafkas Beschreibungen von Nadeln, die einen nackten Körper durchdringen, würden Vergleiche zu den allgemein bekannten sadomasochistischen Schriften des "parfümierten Salonsadisten" Hans Heinz Ewers ziehen. Doch Tucholsky betonte, daß man weder Kafka noch den Protagonisten seiner Erzählung, einen Offizier, korrekterweise als einen "Sadist[en]" bezeichnen könne. Zwar mag der Text einem perverse sexuelle Phantasien ins Gedächtnis rufen, aber das eigentliche Thema von In der Strafkolonie ist politischer Natur: Es geht um die Schilderung eines militärischkolonialen Regimes, das Amok läuft.
Zweimal Palau : Imagewandel des Pazifikinsulaners in der Vorgeschichte des deutschen Kolonialismus
(2004)
Der Kulturrelativismus Herderscher Prägung, der das 18. Jahrhundert weithin bestimmte, dann aber im späteren Verlauf des 19. durch die kolonialistische Zivilisationsideologie überschattet wurde, hat in der zweiten Hälfte des 20. erneut Auftrieb bekommen im Zusammenhang postkolonialer Interessenrichtungen. In der unmittelbaren Gegenwart werden jedoch auch Stimmen laut, die den "Kult der Kulturen" als Affront gegen die zivilisatorischen Werte Europas verdächtigen. So namentlich Roger Sandall in seinem Buch 'The Culture Cult' (Westview, Boulder 2001), das auch in den deutschsprachigen Ländern ein starkes Echo ausgelöst hat (vgl. Merkur, November 2002, S. 1024–1028).
Die Vorgeschichte des deutschen Kolonialismus kennt diesen Konflikt sozusagen in Reinkultur.