830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen allesamt 'medias in res'. In einem weitläufigen Sinne kann man sie deshalb als Fallstudien ansprechen, die empirisch Material zusammentragen und philologisch informiert Texte aufschließen. Obwohl man angesichts der neu entbrannten Debatten um Legitimität und angemessene Verfahren einer solchen Verknüpfung von Literatur mit Wissen und Wissenschaft vorwerfen könnte, hinsichtlich ihrer theoretischen Voraussetzungen und methodischen Orientierung naiv zu sein, dokumentieren die Beiträge doch zweierlei: Zum einen ist die Fragestellung nach gut einem Jahrzehnt der Latenz und einem weiteren der Virulenz im vergangenen Jahrzehnt in gewisser Weise selbstverständlich geworden. Zum anderen aber mangelt es noch immer an solchen Fallstudien, die tatsächlich neuartige Gegenstände konstituieren und Einsichten in unbeachtete, übersehene Zusammenhänge ermöglichen.
Obwohl man also schon allein mit der Leistung der Beiträge zufrieden sein kann, Material für eine phänomenal und medial unterbestimmte Theoriedebatte beizubringen, möchte diese Einführung sie mit der Skizze einer haltbaren Theorieoption begleiten. An einer solchen Theoretisierung scheint es, trotz einschlägiger Kontroversen, nach wie vor zu mangeln. Die Forschung ist darin weit weniger vorangekommen, als es die aufgeregten Debatten zwischen kulturwissenschaftlicher Wissenspoetik auf der einen Seite und robuster Axiomatik der analytischen Literaturwissenschaft auf der anderen vermuten lassen.
Es gibt ihn, den komplexen, vielschichtigen, eigenständigen Berlin-Roman des Vormärz. Zweifelsfrei kann ein solcher Roman nicht auf einen eigenen elaborierten Stadtdiskurs zurückgreifen, wie er in Paris spätestens seit Sebastien Merciers "Tableaux de Paris" ausgearbeitet wurde. Aber es wäre naiv zu glauben dieses 'know how' würde gleichsam an Paris kleben und sei nicht produktiv auf andere Städte transferierbar. In gewisser Weise ist man sogar berechtigt zu behaupten, die Schwäche Berlins, über einen erst sich nach 1800 allmählich herausbildenden eigenständigen publizistischen Stadtdiskurs zu verfügen ist seine potenzielle Stärke. Die erzähltechnische und poetologische Virtuosität dieses ersten bedeutenden Berlinromans gilt es im Folgenden zu belegen.
Der Vormärz ist eine Periode emphatischer Selbst- und Fremdwahrnehmung: der eloquenten Beschimpfung, des kämpferischen Angriffs, der messianischen Huldigung, der agitierten Publizistik. Vieles hiervon spielt sich in der Literaturkritik ab, die in den Mittelpunkt des folgenden Beitrags gestellt wird. Geboten werden soll ein Einblick in die Funktionen von Literaturkritik bei der Organisation von Märkten unterschiedlicher Wertskalen. Der betrachtete Zeitraum sind die 1830er bis 1850er Jahre. Der 'Markenwert' der Literatur bestimmt sich einerseits über ihre Unabhängigkeit und Widerständigkeit - die intellektuelle Autonomie ist ihr anerkanntes symbolisches Kapital. Das gilt für die Literatur des Vormärz in besonderem Maße. Auf der anderen Seite ist Literatur Ware in einem System, das an ökonomischen Maßzahlen ausgerichtet ist. Dieses System verzeichnet im Untersuchungszeitraum deutliche Wachstumszahlen. Beide Systeme, Ökonomie und Literatur, schreiben Werte zu und verteilen Anerkennungen; Autoren müssen sich in beiden positionieren, und Erfolge in dem einen Bereich haben keine notwendige Entsprechung im anderen. Im folgenden soll betrachtet werden, wie sich diese Perspektiven in der 'Laborzeit' entfalten, zusammenhängen oder einander im Wege stehen.
Dem bemerkenswerten wissenschafts- und ästhetikgeschichtlichen Interesse an Friedrich Theodor Vischers Werk in der Gegenwart lässt sich ein weiterer Akzent hinzufügen, wenn man Vischers repräsentative Rolle sowohl im Vormärz wie im Nachmärz rekonstruiert und dabei vor allem auf seine Selbstkorrekturen und Revisionen die Aufmerksamkeit lenkt. In wissenschaftshistorischen Studien der jüngsten Zeit gewinnt die 'Historische Epistemologie' an Kontur.
Kaum je zuvor unterlag im deutschsprachigen Raum ein ganzes Gewerbe so strenger obrigkeitsstaatlicher Kontrolle und Restriktion wie die Buchbranche zwischen Karlsbader Beschlüssen und Märzrevolution. Andererseits aber erlebte in jener Phase auch kaum ein anderer Geschäftszweig einen derartig starken Aufschwung wie das Verlagswesen und der Buchhandel - dieses Paradoxon gehört zu den vielen erstaunlichen Ungleichzeitigkeiten, die für den Vormärz so charakteristisch sind.
Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 16.2010 : Literaturbetrieb und Verlagswesen im Vormärz
(2011)
Literaturbetrieb und Verlagswesen spiegeln auf vielfältige Weise die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Vormärzzeit wider. Wie in vielen anderen Bereichen wurden in jener Epoche auch hier die Grundlagen für manche modernen Verhältnisse geschaffen, wie sie teilweise auch noch heute Bestand haben. Mit dem Schwerpunktthema Literaturbetrieb und Verlagswesen will das Jahrbuch des "Forum Vormärz Forschung" diese Prozesse nachzeichnen. Aus verschiedenen Blickwinkeln erörtern die hier versammelten Beiträge, welche neuen Publikations- und Verkaufsstrategien für die neue Literatur gefunden wurden, welche Veränderungen sich auf dem Buch- und Zeitschriftenmarkt, bei der Zusammensetzung und den Erwartungen der Leserschaft ergaben, wie sich Vertriebswege und Lesekultur wandelten. Sie untersuchen, welche Rolle das Rezensionswesen spielte, was für Rückwirkungen die Marktgesetze und die verschärfte Konkurrenzsituation auf die Literatur und ihre Inhalte sowie auf die Autoren, ihr Selbstverständnis und ihre öffentliche Selbstdarstellung hatten. Der Umgang der Presse und Buchverlage mit der Zensur im deutschsprachigen Raum ist dabei ein durchgängiges Thema.
Literatur ist ein Spiegel ihrer Zeit, sie ist aber zugleich auch ein Spiegel ihrer selbst. Mit anderen Worten: Literatur ist in der Umbruchsituation aufgefordert, nicht nur diese, sondern auch sich selbst im Rahmen ihrer geänderten Produktionsmöglichkeiten (und das sind nun einmal die spezifischen Darstellungsmodi der Literatur) zu reflektieren. Es scheint also ein Perspektivwechsel gegenüber der älteren Vormärzforschung angebracht. Die Literatur der Jahre zwischen 1815 und 1848 wäre dann nicht länger ein vornehmlich politischer, sondern ein poetologischer Akt, also eine durch neue Produktionsbedingungen erzwungene Form der poetischen Selbstreflexion - und zwar mit den Mitteln der Poesie selbst. Ziel einer solchen Poetologie wäre also die Darstellung der veränderten Bedingungen im Medium der Literatur: 'Dichtung' stellt sich und ihre Verfahrensweisen dar. Im Sinne einer Poetologie werden so die literarischen Reflexionsmuster der Literatur auf ihre ureigensten Produktionsverhältnisse rückbezogen, ohne in Literatur wenig mehr als einen Spiegel der gewandelten technischen und sozialen Realitäten zu sehen: Vielmehr reicht die Reflexionsfähigkeit der Literatur bis in die syntaktische und semantische Gestaltungsebene hinein.
Während der frühen 1840er Jahre erfuhren Volkslyrik und volkstümliche Romane gerade im Rheinland einen plötzlichen, unerwarteten Erfolg. [...] Soziale Lyrik wurde zwar noch immer in Gedichtsammlungen herausgegeben; zu ihrem hauptsächlichen Verbreitungsorgan wurde allerdings die durch Lesegesellschaften immer weitere Kreise erreichende Presse - und sie war auf diese angewiesen, denn nicht selten waren ihre Inhalte mit der Drucklegung eines Gedichtbands bereits wieder überholt. Die sich immer mehr im Alltag auch der arbeitenden Bevölkerung etablierenden Zeitungen wurden als per se demokratische Züge tragende Verbreitungskanäle erkannt. [...] Zu dieser Lage kam im Rheinland eine besondere Konstellation: die außergewöhnliche Nähe von Dichtung und Malerei. [...] Im Hinblick auf dieses traditionelle Zusammenspiel sind einige Feststellungen entscheidend: Erstens der Anspruch der akademischen Malerei, sich mit historischen oder biblischen Themen überzeitlicher Bedeutung zu beschäftigen, zweitens eine deutliche Hierarchie, in der die Literatur die Malerei dominiert. Drittens könnte man eine gewisse akademietypische Abscheu vor der 'Avantgarde' nennen, ohne dass dieser Begriff für die sprunghaft wachsende Gruppe akademiekritischer Düsseldorfer Landschafts- und Genremaler wirklich zutreffend wäre. [...] Es soll im Folgenden gezeigt werden, dass diese junge Künstler- und Dichtergeneration in ihrer Rebellion gegen die eigenen Wurzeln eine Öffnung gegenüber spektakulären, zuvor undenkbaren Inhalten bewirkte, dass dabei aber fraglich bleibt, ob dem Abschütteln der alten Hierarchien und Abhängigkeiten zum Trotz ebendiese nicht teilweise erhalten bleiben oder durch neue ersetzt werden. Die freiheitliche Bewegung im Rheinland schuf die Voraussetzungen dafür, etablierte Kooperationen zwischen Dichtung und Malerei fortzuführen, dabei aber deren als reaktionär empfundene Aussage gewissermaßen von innen heraus zu revolutionieren. Die rheinische Volkslyrik stand in den 1840er Jahren in außergewöhnlich engem Kontakt zu jener wachsenden Zahl von Malern, die sich von der als verkrustet und aristokratisch empfundenen Düsseldorfer Akademie unter Wilhelm Schadow abwandten und in Vereinen und Verbänden für einen neuen, freien Kunstmarkt eintraten.
Obgleich die Brüder Johann Friedrich (1795-1865) und Friedrich Gottlob Franckh (1802-1845) zu den wirkungsmächtigsten Verlegern in Süddeutschland gehörten und politisch bewegte Biographien aufweisen, existieren bis auf wenige kleinere Festschriften keine modernen Darstellungen, die der Bedeutung des Verlagsunternehmens gerecht würden. Es hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Firma profiliert, die sich mit einem neuen Selbstverständnis und spektakulären Vermarktungsstrategien nicht nur im süddeutschen Raum schnell einen Namen machte. Die Gebrüder Franckh spezialisierten sich auf preiswerte Lieferungswerke und Buchreihen, die nicht allein über den regulären Sortimentsbuchhandel, sondern vielmehr über die weit verzweigten Kolportagenetzwerke im süddeutschen Raum ihren Absatz fanden. In der Gründungsphase bemühte sich der Verlag um die Einbindung junger, noch wenig bekannter Autoren aus dem Schwäbischen Dichterkreis. Zu den namhaftesten Autoren zählten Wilhelm Waiblinger, Wilhelm Hauff, Eduard Mörike und Carl Spindler. [...] Das Spekulieren auf den schnellen ökonomischen Erfolg, kurzfristige Auf- und Zukäufe von Firmenanteilen, schnelle Inhaber- und Geschäftsführerwechsel, eine von schnellen Entscheidungen geprägte Strategie, die nach dem Ende der Napoleonischen Kriege für den süddeutschen Buchhandel zum Markenzeichen wurde, blieb dem norddeutsch-protestantischen Buchhandel zunächst suspekt. Der vorliegende Beitrag versteht sich lediglich als Forschungsskizze, gilt es das Verlagsunternehmen der Brüder Franckh im Rahmen des Editionsprojekts "Digitale Gesamtausgabe der Werke Karl Gutzkows" an anderer Stelle gründlich aufzuarbeiten. Hier soll versucht werden, den Verlag der Gebrüder Franckh als ein im Vormärz womöglich prototypisches Unternehmen zu profilieren und seine Bedeutung für die Vormärzforschung aufzuzeigen.
Erst in der Zeit zwischen 1815 und 1848 dockte die neuere österreichische Literatur an den Kanon der deutschsprachigen Literatur an. Ein beträchtlicher Teil der heute noch viel gelesenen und in den Schulen unterrichteten Dichter zwischen Restauration und Vormärz kam bekanntlich aus dem Kaisertum Österreich: Genannt seien nur Franz Grillparzer, Nikolaus Lenau, Johann Nestroy, Ferdinand Raimund und Adalbert Stifter. Über das Wiener Verlagsumfeld dieser Autoren, deren Lebensmittelpunkt die kaiserliche Residenzstadt häufig war, ist aber nach wie vor wenig bekannt. Das Bild eines von Zensur und Metternichscher Repression eingeschnürten Buchmarkts besteht nicht zu Unrecht; was aber in den Wiener Buchhandlungen verkauft und verlegt wurde, und wer die dort ansässigen Verleger waren, ist nach wie vor weitgehend 'terra incognita' der Germanistik. Dieser Beitrag möchte daher in aller Kürze einige Schlaglichter auf das Verlagswesen des vormärzlichen Wien werfen, das zu dieser Zeit die größte deutschsprachige Stadt und zugleich das multiethnische Zentrum des Kaisertums Österreich war. Eingegangen wird zunächst auf die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen des Buchhandels, danach werden einige wichtige Wiener Verlage und ihre Produktion im Überblick dargestellt.
Schwerpunktthema des vorliegenden Jahrbuches des FVF ist das Verhältnis von Literatur und Recht im Vormärz, ein seit den Anfängen der Vormärzforschung zentraler und kontinuierlich bearbeiteter Problemaufriss mit hoher Relevanz für das Verständnis der Literatur nach den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819. Die hier versammelten Beiträge stehen daher einerseits in der Kontinuität bisheriger Beschreibungsmodelle vormärzlicher Literatur. Sie beschreiten andererseits neue Wege, insofern sie das traditionell auf die Zensur fokussierte Interesse am Verhältnis von Literatur und Recht erweitern. Sie knüpfen zudem an die vielfältigen Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Recht und Literatur im Allgemeinen an, die in den letzten Jahren unter dem anregenden Impuls der "Law-and-Literature"-Bewegung in den Literatur- und Geisteswissenschaften ein besonderes Interesse hervorgerufen haben. Es ist folgerichtig, dass das FVF auch diese Ansätze aufgreift, abwägt und für seinen Gegenstand fruchtbar macht.
Christoph Schmitt-Maaß beschreibt, dass vor dem Hintergrund der Ideen der historischen Rechtsschule und der Studien der Brüder Grimm eine spezifische Poetologie im Gefüge von Rechtsgeschichte, Sprachwissenschaft und Nationalliteratur entsteht, die für die Herausbildung der 'Kulturnation' eine wichtige Bedeutung zukomme. Die Durchdringung von Rechts-, Wissenschafts- und Dichtersprache erweise sich an einem Kulminationspunkt der deutschen Geschichte als bewusstseinsstiftend, insofern sich noch viele Vormärzschriftsteller im Kontext von Recht, Sprache und Poesie auf von Savigny bezögen und dessen Poetologie fortschrieben, auch wenn sie längst zur Chiffre geworden sei. Schmitt-Maaß illustriert diese Wirkungsgeschichte von Savignys und der Brüder Grimm am Beispiel von Heinrich Heine und Hoffmann von Fallersleben. Während Heine eine kritische Distanz zu den rechtshistorischen Positionen der historischen Rechtsschule einnehme, begreife Hoffmann von Fallersleben, dessen liberale Auffassungen eng mit der mittelalterlichen Literatur, etwa Walthers von der Vogelweide, in Verbindung gesetzt würden, die Aufgabe von Dichtung als Politik, die sich aus der Gemeinsamkeit von Recht und Poesie im 'germanischen' Altertum ergebe. Schmitt-Maaß weist nach, wie Literatur, Literaturgeschichtsschreibung und Jurisprudenz im Vormärz zusammentreten.
Wilfried Sauter beschäftigt sich mit der Frage des staatlichen Strafsystems im Vormärz und ordnet diese Diskussion in den Kontext von Gesellschaftsvorstellungen des politischen Liberalismus ein. Er führt am Beispiel der Lebensgeschichte demokratischer Revolutionäre wie Otto von Corvin, August Röckel, Otto Leonhard Heubner, Julius Füeßlin, Theodor Mögling, Gottfried Kinkel, Georg Friedrich Schlatter und August Peters, die wegen ihrer Teilnahme an den revolutionären Bewegungen des Jahres 1849 zu Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, vor, wie diese mit den Bedingungen ihrer langjährigen Haft umgingen und in Veröffentlichungen darstellten. Die Umstände des Strafvollzugs, wozu insbesondere die Schreibbedingungen gehörten, und die Reformbemühungen, etwa zur Einzelhaft, sind konsequenterweise Thema jener bereits im Gefängnis entstandenen oder viele Jahre später erschienenen Schriften, die sehr unterschiedliche Funktionen übernehmen, von der Rechtfertigung über den Dank an Freunde bis hin zur Rechtskritik.
Schwerpunktthema des vorliegenden Jahrbuches des FVF ist das Verhältnis von Literatur und Recht im Vormärz, ein seit den Anfängen der Vormärzforschung zentraler und kontinuierlich bearbeiteter Problemaufriss mit hoher Relevanz für das Verständnis der Literatur nach den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819. Die hier versammelten Beiträge stehen daher einerseits in der Kontinuität bisheriger Beschreibungsmodelle vormärzlicher Literatur. Sie beschreiten andererseits neue Wege, insofern sie das traditionell auf die Zensur fokussierte Interesse am Verhältnis von Literatur und Recht erweitern. Sie knüpfen zudem an die vielfältigen Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Recht und Literatur im Allgemeinen an, die in den letzten Jahren unter dem anregenden Impuls der "Law-and-Literature"-Bewegung in den Literatur- und Geisteswissenschaften ein besonderes Interesse hervorgerufen haben. Es ist folgerichtig, dass das FVF auch diese Ansätze aufgreift, abwägt und für seinen Gegenstand fruchtbar macht.
Wenn man die Fülle der Reiseliteratur, die das 18. und 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, als Indiz für das Fernweh nimmt, muss dies damals immens gewesen sein. Lange mochte die Germanistik aber wenig von dieser Art von Literatur wissen, zumindest wenn sie nicht in dem eindeutig als pädagogisch wertvoll betrachteten Goethe-Winckelmann-Kontext des 18. Jahrhunderts stand. Heute hat sich dies im Zeichen gesteigerter akademischer Weltläufigkeit geändert, es geraten auch andere Epochen und neue Autorinnen und Autoren ins Blickfeld der Forschung, darunter auch die Reiseliteratur des Vormärz wie die des gesamten 19. Jahrhunderts. Allerdings steht die Forschung hier noch sehr am Anfang. Was das Reisen und den deutschsprachigen Reisebericht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts charakterisiert, ist unklar. [...] Eine Typologie aufzustellen und die Gattung endgültig zu definieren würde auch daran scheitern, dass die Reiseberichte vieler Autorinnen und Autoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterhin der Aufarbeitung harren. Der vorliegende Sammelband versteht sich allerdings als Beitrag auf dem Weg zu solch einer Charakterisierung. Ein Ergebnis ist jedoch bereits klar, die Landschaft des Reiseberichts im Vormärz ist viel bunter als die vorangegangener Epochen, was auch daran liegt, dass das Privileg des Reisens und des Reise-Beschreibens von einer bunteren Autorinnen- und Autorenschar wahrgenommen wurde. Die Vielfältigkeit der Reiseschriftstellerei im Vormärz ist in der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben, dabei erscheinen gerade die Reisebeschreibungen so pluralistisch wie keine andere Gattung.
Die Periode des Vormärz steht zwischen zwei Reise-Epochen, die alten schematisierten Reisen der Grand Tour existierten kaum noch, und die moderne, durch die Eisenbahn und ihre Streckennetze nicht minder normierte touristische Bildungsreise existierte unter den Deutschen damals noch nicht. Im Gegenteil, die touristisch organisierte Zukunft des Reisens kam den deutschen Literaten des Vormärz noch ausgesprochen komisch vor, insbesondere wenn diese in Gestalt der Briten, der europäischen Pioniere des Tourismus auftrat [...] Natürlich versuchten sich die englischen wie die deutschen Literaten von den bloß touristisch Reisenden abzusetzen und dringend neue Reisewege und Reiseerfahrungen zu erschließen, die sich möglichst stark von denen der "Neckermänner" des 19. Jahrhunderts unterschieden. Musste in der Klassik noch ein Kunst- und Besichtigungsprogramm abgearbeitet werden, um so Bildung dokumentieren zu können, galt bald das Gegenteil für wünschenswert: Das gesehen zu haben, was eine immer größere Anzahl an Reisenden gesehen hat, musste zwar sein, war aber nicht mehr unbedingt der literarischen Rede wert. Man war stattdessen auf der dringenden Suche nach einem eigenen, individuellen Zugang, den man bevorzugt abseits des 'beaten track', des ausgetrampelten Pfads, zu finden hoffte.
Die Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reagiert auf die dynamisierte Fortbewegungsform der Eisenbahnfahrt. Zwei mögliche Reaktionen konkurrieren miteinander: eine euphorische, die in ihrer Darstellung die neuerfahrene Dynamik in die Textgestaltung einzuholen versucht; und eine kritische, die die neue Dynamik als Gefahr einer Entfremdung fasst. Beide Formen der Auseinandersetzung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, unterscheiden sich jedoch in ihrem poetologischen Reflexionspotential. Die poetologisch reflektierten Texte bilden zugleich ein Korrektiv zum Fortschrittsoptimismus. [...] Die durch die poetologischen Reflexionen gewährleistete Entschleunigung des Textes wirkt als Korrektiv der euphorischen Vorstellung einer "Beschleunigung als Heilserwartungsrest".
Die 1848er Revolutionen haben die hier beschriebene Salongeselligkeit und die aus ihr resultierenden Vermittleraktivitäten erst möglich gemacht. In einem Europa, in dem Nationalstaatlichkeit eine immer wichtigere Rolle spielte, stiftete das gemeinsame 1848er Erlebnis somit den Ausgangspunkt eines über Sprach- und Landesgrenzen hinausgehenden Kommunikationsnetzes. Dieses Fazit entspricht allerdings der Vogelperspektive der globalen historischen Betrachtung. Im realen Lebenszusammenhang fungierte der Salon als Ort, an dem die in diverse Länder verstreuten 1848er Aktivisten, von denen viele auch nach Amnestien nicht mehr dauerhaft in Deutschland leben mochten, noch einmal zusammen kommen konnten, er war so Schauplatz des progressiven Gedankenaustauschs und Amusements, der Lebenshilfe wie der Kultur- und Politikvermittlung, fungierte auch als postrevolutionäre Kontaktbörse. Die internationalen Nachmärzsalons sind so zur paradoxen Nachwehe der überwiegend national argumentierenden 1848er Bewegung geworden. Sie waren schließlich eine ausgesprochen international und europäisch agierende Kulturform, womit sie faktisch, wenn auch den Akteuren nicht unbedingt bewusst, zunehmend in krassen Gegensatz zum Zeitgeist in Deutschland und Italien gerieten. Deshalb verwundert es nicht, dass die internationalen Nachmärzsalons in den nächsten 150 Jahren wenig Wertschätzung und keine wissenschaftliche Aufarbeitung fanden. In der Überwindung dieser Denkbarrieren und intellektuellen Nationalismen liegt eine interessante Forschungsperspektive, die viele neue Facetten und Aspekte des Vor- wie des Nachmärz zu Tage fördern könnte.
Most Germans went first to Great Britain to witness and describe what in comparison to the conditions in the German petty principalities was very progressive in its industrial advancement, free trade, extraordinary wealth-creation, very advanced civil rights and parliamentary democracy and to hold it up as a model to the Germans. Some then added on a trip to Ireland, which after all was a part of the political entity "The United Kingdom", to see, as they thought, more of the same. Instead they came face to face with the most abject poverty any of them had ever experienced, including the professional ethnographer Johann Georg Kohl, who had been all over Europe and as far as Siberia. For the Vormärz authors this raised questions as to why "John Bull's other island", as George Bernhard Shaw would much later call Ireland, was so utterly neglected
Die historische Übersetzungsforschung ist eine Disziplin, die sich noch ziemlich in den Anfängen befindet. Es fehlen wichtige Dinge sowohl hinsichtlich der bibliographischen Aufarbeitung (wenngleich die Bibliographie von Hans Fromm aus den 1950er Jahren hier immer noch gute Dienste leistet), besonders aber hinsichtlich der Personen der Übersetzer, über die häufig gar nichts bekannt ist. Zu vielen sehr unbedeutenden und gar nicht gelesenen Schriftstellern der Zeit liegen mehr Informationen vor als zu Übersetzern, die eine ganze Fülle von Werken vor ein deutsches Massenpublikum gebracht haben. Dabei kann man aus der Untersuchung von historischen Übersetzungen eine Menge lernen. Nicht nur, was die praktische Übersetzungsarbeit angeht, sondern vor allem in Blick auf unsere eigene Kultur- und Literaturgeschichte. "Wir leben in einer Übersetzungskultur - und sind uns dessen kaum bewusst" - heißt der (apodiktische) erste Satz, mit dem im jüngsten Heft der Zeitschrift "Sprache im Technischen Zeitalter" ein Themenspektrum eröffnet wurde, das "Bausteine einer Übersetzungskultur" versammelt. Wenn es also darum geht, die "Kulturtechnik des Übersetzens […] zu beschreiben, die Fundamente einer Übersetzungskultur freizulegen", dann ist sogleich auch festzuhalten: "Eine Übersetzungskultur kommt nicht aus ohne die Beschreibung ihrer historischen Prägungen." Einem solchen Baustein zu einer Geschichte der Übersetzungen in die deutsche Sprache und der Auswirkungen auf die deutsche Literatur widmet sich der vorliegende Band, der aus einer kleinen Düsseldorfer Tagung im November 2007 hervorgegangen ist und nach einer einleitenden Erkundung zum Übersetzen im Vormärz dann einerseits Übersetzer, andererseits übersetzte Autoren als Fallbeispiele vorstellt.
Es handelt sich beim kulturellen Transfer um ein höchst komplexes Feld von Interaktionen, die keineswegs in linear-einsinniger Weise beschreibbar sind, sondern eingebunden bleiben in gesellschaftliche Dynamiken und deshalb historisch variabel sind. Eine solche historische Variable, die Einfluss auch auf die Transferprozesse zwischen Deutschland und Frankreich nimmt, ist die zu verschiedenen historischen Zeitpunkten jeweils unterschiedliche Wahrnehmung der französischen Gegenwartsliteratur. Einige Aspekte dieser Wahrnehmung im deutschen Vormärz untersucht Bernd Kortländer im Folgenden.
Vorwort
(2008)
Die historische Übersetzungsforschung ist eine Disziplin, die sich noch ziemlich in den Anfängen befindet. Es fehlen wichtige Dinge sowohl hinsichtlich der bibliographischen Aufarbeitung (wenngleich die Bibliographie von Hans Fromm aus den 1950er Jahren hier immer noch gute Dienste leistet), besonders aber hinsichtlich der Personen der Übersetzer, über die häufig gar nichts bekannt ist. Zu vielen sehr unbedeutenden und gar nicht gelesenen Schriftstellern der Zeit liegen mehr Informationen vor als zu Übersetzern, die eine ganze Fülle von Werken vor ein deutsches Massenpublikum gebracht haben. Dabei kann man aus der Untersuchung von historischen Übersetzungen eine Menge lernen. Nicht nur, was die praktische Übersetzungsarbeit angeht, sondern vor allem in Blick auf unsere eigene Kultur- und Literaturgeschichte.
George Sand (1804-1876) zählt zu den herausragenden Figuren der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. [...] Auch in Deutschland gehörte Sand, legt man die Präsenz ihrer Romane im Bestand der zeitgenössischen Leihbibliotheken als Maßstab zugrunde, zu den meistgelesenen französischen Autoren. Da heute nicht mehr von einer vergleichbar breiten Kenntnis ihres Werks ausgegangen werden kann, erscheint es sinnvoll, einleitend einen Abriss des literarischen Schaffens der Schriftstellerin voranzustellen, dessen übersetzerische Vermittlung im Vormärz Gegenstand der folgenden Untersuchung ist. [...] Ein Blick auf die beteiligten Übersetzer zeigt ein heterogenes Bild. [...] Eine breite Vermittlung der Texte als Unterhaltungsliteratur wird durch ästhetisch und politisch gebundene Deutungsdiskurse einer intellektuellen Avantgarde ergänzt, die in vielen Fällen direkt an bestimmte Übersetzungen geknüpft sind, in Form von Einleitungen, Vorworten oder erläuternden Artikeln in verlagseigenen Zeitschriften, offenbar mit dem Ziel, die Rezeption in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die folgende Studie möchte diesen Steuerungsprozessen im Rahmen der übersetzerischen Rezeption nachgehen und untersuchen, inwiefern sie tatsächlich Ausdruck einer doppelten Vermittlung der Sand-Übersetzungen sind, zum einen ausgerichtet auf das Unterhaltungsbedürfnis eines entstehenden Massenlesepublikums, zum anderen eingepasst in den Ideenkampf bestimmter, tonangebender Milieus.
Rezension zu Vom Salon zur Barrikade. Frauen der Heinezeit. Hg. Irina Hundt. Mit einem Geleitwort von Joseph A. Kruse. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2002. 460 Seiten ; "Kommen Sie, wir wollen 'mal Hausmutterles spielen." Der Briefwechsel zwischen den Schriftstellerinnen Therese Huber (1764-1829) und Helmina von Chézy (1783-1856). Hg. Jessica Kewitz. Marburg: Tectum, 2004. 108 Seiten.
Im folgenden Beitrag soll 'Jugend' im Vormärz in sozial- und kulturhistorischer Perspektive behandelt werden. Es soll dargestellt werden, wie 'Jugend' als eigenständige Lebensphase im ausgehenden 18. Jahrhundert entstand, welche Aufgaben der Jugendphase sukzessive zugeschrieben und welche Hoffnungen mit ihr verbunden wurden. Dabei soll an einer Fallstudie aus dem Wirtschaftsbürgertum auch diskutiert werden, ob die Vorstellung von 'Jugend', die in der zeitgenössischen Literatur zumeist mit revolutionärer Erneuerung und mit Protest gegen die älteren Generationen verbunden wurde, auch realhistorischen Entwicklungen entsprach. Betrachtet wird vornehmlich die männliche bürgerliche Jugend, da diese sowohl in der zeitgenössischen Literatur als auch in den öffentlichen Debatten um die Jugend die prominenteste Rolle spielte.
Die Jugend der Moderne
(2007)
Das vorliegende Jahrbuch 2006 geht in seinem Schwerpunkt der Genese und markanten Ausprägungen des modernen Jugend-Konzepts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Bereits die Rede vom "Jungen Deutschland", nicht selten als Epochenbegriff für die Jahre zwischen 1830 und 1848 verwendet, enthält jene Ambivalenz, die dem Thema und seinen bisweilen diffusen Konnotationen Aufmerksamkeit sichert: Der Aufbruch zu neuen (politischen, sozialen, künstlerischen) Ufern ist angesprochen, aber nicht wenige Zeitgenossen meinen auch Infragestellung bewährter Werte und Deutungsmuster. Diese charakteristischen Mehrdeutigkeit soll zunächst skizziert werden.
Das vorliegende Jahrbuch 2006 geht in seinem Schwerpunkt der Genese und markanten Ausprägungen des modernen Jugend-Konzepts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Bereits die Rede vom "Jungen Deutschland", nicht selten als Epochenbegriff für die Jahre zwischen 1830 und 1848 verwendet, enthält jene Ambivalenz, die dem Thema und seinen bisweilen diffusen Konnotationen Aufmerksamkeit sichert: Der Aufbruch zu neuen (politischen, sozialen, künstlerischen) Ufern ist angesprochen, aber nicht wenige Zeitgenossen meinen auch Infragestellung bewährter Werte und Deutungsmuster. [...] Den folgenden Beiträgen kommt es weniger darauf an, Kontinuitäten und Traditionen in der literarischen Darstellung von Jugend zu verfolgen oder den jeweiligen jugendlichen Protest gegen die von den 'Alten' dominierten "fatalen bürgerlichen Verhältnisse" immer aufs Neue zu entdecken, als darauf, die Verfahren kultureller Konstruktion von Lebensaltern zu untersuchen, wie sie sich auch in literarischen Texten vollzieht. Denn diese Texte werden nicht selten - auch von ihren literaturwissenschaftlichen Kommentierungen - pauschal als Belege für einen seit zweihundert Jahren währenden Konflikt der Generationen gelesen.
Der vorliegende Artikel kontextualisiert die Faszination deutscher Studenten am Freitod in der Zeit nach den Befreiungskriegen am Beispiel von Karl Ludwig Sand. Er spürt den Repräsentationsformen in der Kunst, Literatur, Philosophie und Presse nach, um die politische Instrumentalisierung der jugendlichen Naivität offen zu legen. Der Artikel begreift Ereignisse wie die Ermordung August von Kotzebues nicht nur als Attentat, sondern gleichzeitig als bewußt gewählten Freitod des Ausführenden.
Vorliegend wird davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Rechtssätzen für die Vermessung des menschlichen Lebenslaufs seit 1750 erheblich zugenommen hat. Dies gilt in besonderem Maße für die Entstehung des rechtlich geschützten Raums der Jugend. Die Wandlung "vom 'jungen Herrn' zum 'hoffnungsvollen Jüngling'" hat ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhundert. Eine Verdichtung rechtlicher Regelungen ist aber vor allem im Vormärz zu bemerken. Hier sollen lediglich die gesetzlichen Neuerungen betrachtet werden.
Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 11.2005 : Europäische Karikaturen im Vor- und Nachmärz
(2006)
Seit Eduard Fuchs' Jubliäumsbuch "1848 in der Caricatur" reißt die Flut der Publikationen über die Revolutionskarikatur nicht mehr ab. In diesem Band tritt sie zurück, um anderem Platz zu machen: dem Vor- und Nachmärz sowie dem europäischen Kontext der Karikatur. Sowenig die Revolution von 1848 die Bildsprache der Karikatur mit einem Schlag ändert, sowenig werden ihre Mittel und Motive von Land zu Land neu erfunden. Der Zeitrahmen dieses Bandes ist also weiter gesteckt, von 1814/15, dem Jahr der Neuordnung Europas und der Gründung des Deutschen Bundes, bis 1858/59, dem Beginn der "Neuen Ära". Ebenso breit wird der europäische Raum ausgemessen, denn in dieser Zeit geben Frankreich und England den Ton in der Karikatur an, und man errichtete eine künstliche Scheidewand, wollte man die deutsche Karikatur gegen ihre Nachbarn isolieren. Dasselbe gilt übrigens für das mehr oder weniger enge Zusammenspiel von Bild und Text, wie es sich nach Vorläufern in England ("The Scourge") und Frankreich ("Le Nain Jaune", "Le Figaro") zwischen 1830 und der Jahrhundertmitte herausbildet.
Seit Eduard Fuchs' Jubliäumsbuch "1848 in der Caricatur" reißt die Flut der Publikationen über die Revolutionskarikatur nicht mehr ab. In diesem Band tritt sie zurück, um anderem Platz zu machen: dem Vor- und Nachmärz sowie dem europäischen Kontext der Karikatur. Sowenig die Revolution von 1848 die Bildsprache der Karikatur mit einem Schlag ändert, sowenig werden ihre Mittel und Motive von Land zu Land neu erfunden. Der Zeitrahmen dieses Bandes ist also weiter gesteckt, von 1814/15, dem Jahr der Neuordnung Europas und der Gründung des Deutschen Bundes, bis 1858/59, dem Beginn der "Neuen Ära". Ebenso breit wird der europäische Raum ausgemessen, denn in dieser Zeit geben Frankreich und England den Ton in der Karikatur an, und man errichtete eine künstliche Scheidewand, wollte man die deutsche Karikatur gegen ihre Nachbarn isolieren. Dasselbe gilt übrigens für das mehr oder weniger enge Zusammenspiel von Bild und Text, wie es sich nach Vorläufern in England ("The Scourge") und Frankreich ("Le Nain Jaune", "Le Figaro") zwischen 1830 und der Jahrhundertmitte herausbildet.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des
Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie
von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen
Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
Stand die ältere Parteienhistoriographie vor dem Zweiten Weltkrieg noch weitgehend vor dem Problem der Trennung von politischen Ideen und Parteiengeschichte und der Etablierung eines eigenen Theorie- und Methodenansatzes, und konzentrierte sie sich hauptsächlich auf die einseitige Darstellung der großen politischen, männlichen Denker bzw. auf
die Persönlichkeiten, die Parteien-Geschichte schrieben, so profitierte die neuere Forschung nach 1945 von der allgemein positiveren Einschätzung von Parteien als verfassungsrechtlich geschützten, staatstragenden Elementen in pluralistischen Demokratien und wandte sich im Anschluß an die ab den 1960er Jahren in die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft Einzug haltende Sozialgeschichtsschreibung und deren Methodik auch der bisher vernachlässigten Strukturanalyse des Parteiensystems zu. Nachdem die auf diesem Felde liegenden Desiderata größtenteils ausgeräumt worden waren, erkannte die sich den Ursprüngen und Anfängen der deutschen Parteien widmende Fachhistorie, daß sie mit einer rein strukturgeschichtlichen Untersuchung und der damit häufig korrespondierenden Übertragung moderner Parteibegriffe, -verständnisse und einer aus der Gesellschaftsgeschichte abgeleiteten Klassenkampfterminologie auf eine noch vorindustrielle, traditionale Gesellschaft dem politischen Alltag und der gesellschaftlichen Realität des deutschen Vormärz wie den Wirkungsmöglichkeiten sozio-politischer Gruppierungen in dieser Zeit nicht gerecht wurde und diese auch nicht vollständig erfassen konnte. Denn das gesellschaftspolitische Denken der damaligen Gruppierungen orientierte sich noch an den zwischen 1815 und 1848 im
Deutschen Bund existierenden Herrschaftsordnungen. Angesichts des sich abzeichnenden Zerfalls dieser alten Machtstrukturen suchten die vormärzlichen Politiker und Theoretiker zwar fieberhaft nach neuen Ordnungsgefügen, Politikentwürfen und Handlungsräumen, doch aufgrund der obrigkeitlichen Willkür, staatlichen Verfolgungspraxis und Zensurmaßnahmen konnten sie diese kaum in der politischen Öffentlichkeit, sondern eigentlich nur im halböffentlichen Raum oder in dem
im Untergrund tätigen Assoziationswesen erproben.
In Württemberg unterstützte der Kultusminister Karl von Wangenheim den Reformprozess. Er war auf den jungen, pragmatischen und scharfsinnigen Beamten Friedrich List aufmerksam geworden. Dieser kannte die Verwaltungssysteme von der Kommunalebene bis zu den zentralen Staatsorganen und konnte sowohl im Detail als auch in institutionellen Zusammenhängen denken. Als nach 1819 die Restaurationswelle Europa überrollte, gewannen die altständischen Kräfte die Initiative zurück. Von Wangenheim wurde als württembergischer Gesandter des Bundestags nach Frankfurt versetzt. Lists Eifer wurde nicht mehr gebraucht. Seine kleinbürgerliche Herkunft und sein temperamentvoller Charakter störten die Gediegenheit des wieder funktionierenden traditionellen Machtapparates. Als Abgeordneter hielt er im württembergischen Landtag eine zu kühne Rede, die sein Schicksal besiegelte. Er wurde aus Württemberg ausgewiesen und verbrachte sein Leben im Exil. Als einer der wenigen Vormärzdeutschen mit industriellen, medientechnischen und parteipolitischen Erfahrungen in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, England und den Vereinigten Staaten von Amerika ist er im Zeitalter der beschleunigten Globalisierung eine besonders interessante Figur.
Als bevölkerungsstärkste Einwanderungsgruppe des 19. Jahrhunderts stellten deutsche Immigranten und Exilanten die Frage nach den Kennzeichen des amerikanischen Wertesystems besonders deutlich. Die eigene kulturelle Prägung diente bei der Suche nach Antworten als sowohl negative als auch positive Bezugsfläche. Nicht selten kam es bei der interkulturellen Begegnung zu Enttäuschungen, deren Ursachen in falschen Vorstellungen über die Realitäten des amerikanischen Wirtschafts-, Politik- und Gesellschaftssystems lagen. Bei der Wahl zwischen resignierender Anpassung an die neuen Verhältnisse oder aktiver Mitgestaltung der Wertegemeinschaft entschieden sich vor allem die Freiheitskämpfer des politischen Vormärz zugunsten einer reformerischen Haltung. Im Folgenden sollen daher nicht die ethnischen Kommunen untersucht werden, die sich um den Preis isolationistischer Vereinsmeierei der Bewahrung deutscher Traditionen, Gebräuche und Sprache verpflichteten, sondern jene Aktivisten, die in den USA ihre Vorstellung einer besseren, vorbildlichen Welt zu verwirklichen suchten. Die deutsch-amerikanische Geschichtsschreibung hat sich traditionell mit der Frage befasst, welche Beiträge deutsche Immigranten zur amerikanischen Kultur leisteten. Dabei ließen in der Vergangenheit viele Arbeiten einen wissenschaftlich analytischen Ansatz vermissen. Neue Zugänge zur von zwei Weltkriegen überschatteten deutsch-amerikanischen Einwanderungsgeschichte können, wie Werner Sollors betont, Analysen der internationalen, poly-ethnischen und multilingualen Kontexte eröffnen?
Auch in der Matratzengruft ist dem Dichter sein Exil noch ein notwendiges. Wenn er auch über die verbrannten Flügel jammert, so verleiht doch seine Sprachkunst dem Jammer Flügel. Dem Käfer sind die Flügel verbrannt, aber Pegasus hat die Kraft seiner Flügel durchaus nicht verloren. Der Autor reiht sich ja explizit mit Dante ein in die Reihe der großen sprachmächtigen Dichter. Heines kunstvoller Umgang mit der Sprache, der ihm vertrauten deutschen Sprache, macht das Gedicht selbst zu einer Libelle, die uns etwas vorgaukelt und die Schmerzen des Exils
mit "beflügelter Herrlichkeit" hinter sich läßt.
Die Einsicht in die Notwendigkeit des Exils entsteht bei den meisten Autoren unter dem existentiell gewordenen Druck, einer Ausweisung zuvorzukommen. Die Furcht vor bevorstehender Inhaftierung, die Angst vor einem Berufsverbot oder vor einer schikanösen Zensurhandhabung veranlaßt jene Autoren, welche die politischen Ereignisse in Deutschland und Österreich-Ungarn kommentieren, ihre Heimatstaaten zu verlassen.
Denn bei vielen Emigranten der schreibenden Zunft handelt es sich vor allem um 'Censur-Flüchtlinge' wie Rudolf Gottschall in seinem gleichnamigen Gedichtband die politischen Exulanten nannte. Diese sind nicht nur darum bemüht, in den Anrainerstaaten eine alternative Verlagslandschaft
zu organisieren, sondern verändern infolge des Blicks von außen auf die Geschehnisse im Heimatland ihre Sichtweisen auf die Politik. Mit dem Exil wandelt sich also nicht nur das berufliche und private Umfeld, sondern auch die politische Einstellung, sei es daß eine Politisierung erstmals stattfindet, daß bestehende Vorstellungen bestätigt oder radikalisiert werden oder daß die Ferne zur Heimat und die Erlebnisse in der Fremde eine Veränderung der politischen Auffassung, also einen Politikwechsel bewirken.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
"Welch ein schönes Land und welche häßlichen Menschen" : Ludwig Börne in der vormärzlichen Schweiz
(2005)
Die Schweiz werde ich im folgenden, was im Vormärz naheläge, nicht eigentlich als Exilland ansprechen; vielmehr wird gefragt werden, wie ein Pariser Exilant in den Jahren nach 1830 die Schweiz als Tourist erlebte. In der noch immer bescheidenen Börne-Forschung ist diesem Aspekt bislang kaum Rechnung getragen worden.
Zu Beginn des Jahres 1848 erscheint unter dem Titel: "Nord und Süd, Monatsblätter für Unterhaltung und Zivilisazion" eine neue Monatszeitschrift für das deutsche Publikum, verlegt von Michael Schläpfer in Herisau. Bereits die zweite Nummer gerät in den Strudel der beginnenden Revolution, und nach etwa vier Monaten findet das Projekt ein Ende.
Die größeren deutschsprachigen Zeitungen enthielten in der Regel recht umfangreiche Nachrichten über deutsche und europäische Ereignisse und Entwicklungen, was offensichtlich einem starken Interesse der Leserschaft entsprach, Neuigkeiten über die alte Heimat und den europäischen Kontinent zu erfahren. Gleichzeitig spiegelte es auch ein Bedürfnis der eingewanderten Vormärzemigranten wider, den Lesern Informationen über die neuesten politischen Vorgänge in Europa zu vermitteln, um sie gegebenenfalls für eine Unterstützung demokratischer Bewegungen in der alten Heimat zu gewinnen, was auch materielle Zuwendungen einschließen konnte. Die deutschsprachigen Zeitungen in den USA besaßen zwar keine eigenen Korrespondenten in Europa – lediglich die "Alte und Neue Welt" hatte einen Mitarbeiter in Frankfurt/M., doch die in New York und Philadelphia erscheinenden Blätter erhielten größere Sendungen von europäischen Journalen, aus denen sie Auszüge abdruckten. Die Zeitungen des Binnenlandes wiederum kopierten dann diese Auszüge. Eine weitere Informationsquelle waren die vielfachen brieflichen Kontakte zwischen Deutschen in Amerika und Verwandten oder Freunden in der alten Heimat. Die Briefe wurden häufig ganz oder in Auszügen inverschiedenen Zeitungen abgedruckt, wenn sie im Hinblick auf einen interessanten Nachrichtenwert von öffentlichem Interesse waren.
Bisher von der Forschung nicht oder kaum wahrgenommen ist das Bemühen von August Hermann Ewerbeck, mit seinen Publikationen und Artikeln in den 40er und 50er Jahren des 19. Jahrhunderts das französische Geistesleben mit dem deutschen Kulturgut des Vormärz vertraut zu machen. Umgekehrt vermittelte er in verschiedenen Schriften für
Deutschland Auffassungen sozialistischer und kommunistischer Strömungen Frankreichs. Darüber hinaus unternahm er, der als Deutscher Frankreich zu seiner Wahlheimat erkoren hatte, vielfach Initiativen, um ein festes politisches und organisatorisches Bündnis zwischen der deutschen und französischen Demokratie während der Revolution von 1848
herzustellen. Lässt man sein gesamtes Wirken Revue passieren, so hat er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinen geringen Beitrag für das gegenseitige Verstehen beider Völker geleistet. Dank ihrer literarischen
Ausstrahlung stehen als Repräsentanten hierfür Ludwig Börne und Heinrich Heine. Ewerbeck ist in seinem Eintreten für die Völkerverständigung beider Länder jedoch zu Unrecht vergessen worden.