830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Im deutschsprachigen Raum ist anschlussfähige Forschung an die international und interdisziplinär ausgelegten 'Energy Humanities' noch unterrepräsentiert. Im folgenden Beitrag werden zunächst das Forschungsfeld, seine Herkunft und Zielperspektiven aufgeschlüsselt. Energie und Energienutzung werden als Teil menschlicher Kultur verstanden. Um aufzuzeigen, wie sich literarische Analysen in den Gesamtkontext der 'Energy Humanities' einfügen, exemplifiziert der Beitrag drei Lektüren von Jane Austens "Emma" (1816), Émile Zolas "Germinal" (1885) und Erik Neutschs "Spur der Steine" (1964). Alle drei Texte erfordern einen individuellen energie-kritischen Fokus, durch den die ihnen eigenen Energiesysteme hervortreten können. Komparatistisch gelesen zeigen sie den Facettenreichtum energie-kritischer literarischer Studien auf: Energienutzung als Statussymbol, Rohstoffextraktion als Kontamination des Menschen, industrielle Energieproduktion als Staatsminiatur.
Keiner will im Ruhrgebiet leben : Deindustrialisierung und Nachbergbau in der Ruhrgebietsliteratur
(2024)
Seit dem Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet steht die Region durch den Verlust dieser identitätsstiftenden Industrie vor einer unklaren Zukunft. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider, die sich etwa ab 2010 vermehrt mit dem Erbe des Bergbaus und den Aussichten für eine Zukunft der Region befasst. Hierbei beschreiten Autor:innen ganz unterschiedliche Wege. In den Romanen "Wie hoch die Wasser steigen" (Anja Kampmann) und "Marschmusik" (Martin Becker) sind Rückblicke auf das Zeitalter der Montanindustrie zentrale Bestandteile der Erzählung. Die Prognosen für die Zukunft bleiben jedoch andeutungsweise und vage, Kampmanns und Beckers Protagonisten scheinen mit der Bewältigung der Vergangenheit ausgelastet. Anders machen es die Romane "Anarchie in Ruhrstadt" (Jörg Albrecht) und "Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer" (Sascha Pranschke). Beide entwickeln auf Basis der Montanindustriegeschichte des Ruhrgebiets dystopische Erzählungen des Ruhrgebiets der Zukunft.
Konservativ, feministisch, schuldig? : Genderkonzepte in zwei Gedichten von Marie Luise Kaschnitz
(2024)
Marie Luise Kaschnitz' Haltung in Bezug auf Genderkonventionen und -rollen ist ambivalent. Das untersuche ich an zwei Gedichten. Das frühe Gedicht "Grabstele" (1936) zeigt ein stereotypisierendes Genderdenken, das sich auf Oberflächlichkeiten beschränkt. Kaschnitz hat das Gedicht später kritisiert und sich Gedanken über ihre eigene Haltung gemacht. Trotzdem lässt sich auch in "Grabstele" eine subversive Tendenz festmachen, die Sprechinstanz ist nämlich in Bezug auf Gender unterdeterminiert. Kaschnitz imaginierte sie zwar später als weiblich, im Text ist das aber nicht so festgelegt. Der Aufruf zu Subversion und Ungehorsam der Frauen ist im zweiten untersuchten Gedicht "Frauenfunk" (1972) stärker und expliziter. Das liegt unter anderem am historischen Kontext, dieses Gedicht wurde durch den Feminismus geprägt. Beiden Gedichten gemeinsam ist ein essentialistisches Genderkonzept mit bürgerlichen Genderrollen, das sich durch Kaschnitz' Werk zieht.
Buch des Monats Mai 2023
(2023)
Kurzvorstellung der folgenden Publikation:
Die Geschichte von Gustav, dem naschhaften Knaben, der gerne Kirschen haben wollte, und der getrieben von diesem Verlangen in Klausen's Garten sich vergangen : wie er alsdann zur Einsicht gekommen und nie mehr fremdes Gut genommen : in 6 brillant colorirten Bildern. Eßlingen : Verlag von J.F. Schreiber, [ca. 1865]. - 2 ungezählte Seiten, 4 ungezählte Blätter, 2 ungezählte Seiten, 6 ungezählte Blätter Tafeln. (Schreiber's Kinderbücher ; 1).
Der aus Ungarn stammende israelische Satiriker Ephraim Kishon (1924–2005) gilt als ‚Versöhnungsfigur‘ zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden im bundesdeutschen Nachkriegsdiskurs. Seine „israelischen Satiren“ erfreuten sich in der freien Übertragung durch Friedrich Torberg vor allem in den 1960er bis 1990er Jahren enormer Beliebtheit. Dabei wurde zunächst verdrängt, dass Kishon selbst Überlebender der Schoah war und seinen Humor als Überlebensstrategie entwickelt hatte. Bisher wurde die Bedeutung der Schoah für Kishons Schreiben nur unzureichend berücksichtigt.
Birgit M. Körner beleuchtet das Phänomen von Kishons Erfolg in der Bundesrepublik nun von drei Seiten: von der Seite des Autors und Schoah-Überlebenden Kishon, von der Seite des Mitschöpfers und Übersetzers Friedrich Torberg und von der Seite der Rezeption durch ein postnationalsozialistisches deutschsprachiges Publikum.
Im Fokus steht zunächst die Rekonstruktion von Kishons Verfolgungs- und Überlebenserfahrung anhand bisher unbekannter Akten und der Nachweis, dass sich deren Spuren in Kishons Satiren finden lassen. Kishon und Torberg konstruieren einen „israelischen Humor“, der maßgeblich auf den europäischen jüdischen Humortraditionen – dem ostjüdischen Witz und der jüdischen Tradition des literarischen Sarkasmus – sowie auf Kishons Schoah-Überleben basiert. Deutlich wird dabei Torbergs Tendenz, das deutschsprachige Publikum zu ‚schonen‘ und explizite Stellen zu streichen, u.a. um eine positive Haltung zu Israel zu fördern. Kishon selbst stand seiner Rolle als ‚Versöhnungsfigur‘ für ein westdeutsches Publikum durchaus ambivalent gegenüber.
Der Beitrag sucht Georg Christoph Lichtenbergs Position im Sprachdenken der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu bestimmen. Diese ist durch eine Kombination von anthropologischen und technisch-pragmatischen, sprachhandwerklichen Überlegungen zur "Wörterfertigung" geprägt, bei der Fragen von Lexik und Nomenklatur im Vordergrund stehen. Zu den Leitkriterien des guten Stils gehören Lichtenberg zufolge Wahrheit und Genauigkeit sowie Natürlichkeit und Individualisierung.
Am Nachdruck, wie er bei Johann Christoph Gottsched, Johann Jacob Bodmer, Johann Jacob Breitinger, Johann Georg Sulzer und Johann Gottfried Herder diskutiert wird, lässt sich exemplarisch beobachten, wie eine Gruppe von rhetorischen Verfahren zur Kennzeichnung von nationalen Kollektivstilen ausgebaut wird. Eine wichtige Voraussetzung für die Ausweitung des Nachdrucks von einer Stilfigur zu einem 'nachdrücklichen Stil', so die hier verfolgte These, ist der über physikalische Leitvorstellungen von Druck, Stoß und Wurf geleistete metaphorische Anschluss an ästhetische Kraftvorstellungen.
Der Begriff des 'körnigen Stils' steht in der Sprach- und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts für eine kurze und gehaltvolle, oft auch als 'nachdrücklich' beschriebene Schreibart. Im Literaturstreit zwischen Johann Christoph Gottsched und den 'Schweizern' erlangte er zugleich programmatische und polemische Bedeutung. Im Zentrum des Aufsatzes steht die für das 'Körnige' konstitutive Konstellation von Kürze, Kraft und Konkretion. Ausgehend von Theodor W. Adornos stilsoziologischer Beobachtung, dass der lakonische Stil in Briefen des 18. Jahrhunderts Ausdruck bürgerlicher Notdurft sei, zeige ich an Texten von Johann Christoph Adelung, Johann Jacob Breitinger, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder, dass das Stilideal des Körnigen im 18. Jahrhundert mit dem Streben nach einer Erneuerung und Bereicherung der deutschen Schriftsprache einherging. Zum Kapital, aus dem diese neue Sprache sich speisen sollte, gehörte das ausdifferenzierte Vokabular des Handwerks und des Handels. Der zeitgenössischen Theorie zufolge stellte der körnige Stil also weniger die Notdurft als den Reichtum und die Sprachmächtigkeit des Bürgertums zur Schau.
In seinem Frühwerk "Über die neuere deutsche Literatur" arbeitet der junge Johann Gottfried Herder an der Herausbildung einer neuen Prosa. Durch kommentiertes Zitieren aus den "Briefen, die neueste Literatur betreffend" entwirft er das Ideal einer 'biegsamen' und 'behaglichen' ungebundenen Schreibweise, die sich ganz wesentlich in Stilversuchen manifestiert - in beschriebenen, kritisierten und zitierten sowie denjenigen des Verfassers selbst.