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Rezension zu Claudia Natterer: Faust als Künstler. Michail Bulgakovs 'Master i Margarita' und Thomas Manns 'Doktor Faustus', Heidelberg (Winter) 2002 (= Beiträge zur slavischen Philologie; Bd. 9). 257 Seiten.
Claudia Natterer schließt mit dem Vergleich der beiden großen Künstlerromane des 20. Jahrhunderts 'Master i Margarita' und 'Doktor Faustus' eine Lücke in der umfangreichen germanistischen und komparatistischen Forschung zu den literarischen Bearbeitungen des Fauststoffes.
Im Jahre 2002 hat die Thüringer Landesregierung, damals noch von Bernhard Vogel geführt, die Stiftung Ettersberg zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen und ihrer Überwindung ins Leben gerufen. Die Stiftung selbst führt dies auf einen Impuls zurück, den der Buchenwaldhäftling Jorge Semprún anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahre 1994 gegeben habe.1 Die Verleihung erfolgte in Weimar, unweit des Ettersbergs mit seiner doppelten Lagertradition (KZ Buchenwald und Sowjetisches Speziallager Nr. 2). Die Stiftung ist der "vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen im 20. Jahrhundert und ihrer demokratischen Transformation gewidmet". Die Erwartungen richten sich in besonderem Maße auf "prospektive Geschichtsforschung, die nicht nur Erinnerungsarbeit leistet, sondern darüber hinaus die nachfolgenden Generationen für die latenten Gefährdungen von Freiheit und Demokratie sensibilisiert". In diesem Sinne fühlt sich die Stiftung auch für die "kritische Analyse von Gegenwartsentwicklungen" zuständig. Sie wird von HansJoachim Veen geleitet, über viele Jahre ein führender Kopf des Forschungsinstituts der KonradAdenauer-Stiftung. Mit der Stiftung Ettersberg ist eine weitere zeithistorische Forschungseinrichtung ins Leben gerufen worden, die sich neben den bestehenden Spezialorganisationen in Dresden, München und Potsdam platzieren muss. Besonders in Hinblick auf das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um eine blanke Funktionsdublette handeln könnte. Natürlich ist eine solche wunderbare Kapazitätsvermehrung nach dem Modus der segmentären Differenzierung alles andere als unproblematisch und es mag allein der Glaube Trost spenden, dass Konkurrenz doch das Geschäft belebt. Jedenfalls wird man genau hinsehen müssen, ob die wissenschaftliche Praxis der kommenden Jahre das Engagement der öffentlichen Hände wirklich rechtfertigen kann. ...
Im Jahr 2003 wurde das gedruckte Werk "Karte der natürlichen Vegetation Europas", bestehend aus Erläuterungstext, Legende und Karten, veröffentlicht. Jetzt steht es in digitaler Form mit einigen Verbesserungen bzw. Ergänzungen und mit allen Texten in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung. Lediglich die Übersichtskarte 1:10 Mio. ist nicht enthalten.
Der Titel "Portrayed on the Heart" von Cynthia Hahns vorliegender Publikation bezieht sich auf jene von Gregor den Großen formulierte didaktische Funktion von bildlichen Darstellungen, deren Verinnerlichung gleichsam auf eine Vervollkommnung des Menschen zielte. Dieser Aufgabe war auch die bildliche Hagiographie des Mittelalters verpflichtet, "in inducing a movement beyond words and images - in creating an effect on the soul." (S. 331) Die Frage, welche Bildstrategien entwickelt wurden, um von der Heiligkeit der dargestellten Person zu überzeugen, und wie die Bildrhetorik auf die Wahrnehmung von Heiligkeit Einfluß zu nehmen vermochte, versucht sie am Beispiel der illuminierten "libelli" des 10. bis 13. Jahrhunderts zu beantworten. Diese Handschriften stellten aufgrund ihres Bildprogramms eine eigene Gruppe innerhalb der oft auch schmucklosen "libelli" dar, welche verschiedene hagiographische Texte zur Verehrung eines Heiligen, wie die Vita, das Offizium, Hymnen und Gebete, enthielten. Die in "Portrayed on the Heart" analysierten "libelli" geben der Autorin die Möglichkeit, ihre bisher in verschiedenen Aufsätzen veröffentlichen Erkenntnisse zum Thema von Hagiographie und Bildnarration zu synthetisieren sowie Wesen und Stellenwert von Heiligkeit im frühen und hohen Mittelalter aus mediävistischer Perspektive theoretisch zu hinterfragen. In diesem Sinne stellt das Buch eine anspruchvolle Einführung in das Forschungsfeld mittelalterlicher Heiligkeit dar. ...
Rezension zu Joachim Höppner/Waltraud Seidel-Höppner: Etienne Cabet und seine Ikarische Kolonie. Sein Weg vom Linksliberalen zum Kommunisten und seine Kolonie in Darstellung und Dokumentation. Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle "Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850", Bd. 33. Frankfurt/M.: Peter Lang, 2002.
Italien ist offenbar ein fruchtbarer Boden für Lehrbücher der Rechtsgeschichte. Klassisch war auch in diesem Land, wie in Deutschland und anderswo, für Lehrbücher, Vorlesungen und Lehrstühle die Zuordnung einerseits zum Römischen Recht, andererseits zur "nationalen" Rechtsgeschichte, hier also Storia del diritto italiano. So heißt auch noch die Professur von Italo Birocchi an der Sapienza in Rom. Die Bezeichnungen der Vorlesungen und der Lehrbücher haben sich jedoch in Italien in den letzten Jahrzehnten radikal geändert. Es handelte sich dabei um eine schnelle und koordinierte Reaktion der italienischen Hochschullehrer auf die Umgestaltung der juristischen Universitätsausbildung in ihrem Lande. Auf diese Studienreformen (deren neueste, auf die europäische Angleichung orientierte, gerade im Gange ist) haben die italienischen Rechtshistoriker mit einer Ausdifferenzierung der rechtshistorischen Vorlesungen, und zumeist mit einer dem entsprechenden Vermehrung der rechtshistorischen Professuren geantwortet – also etwa das Gegenteil dessen, was an deutschen Fakultäten der Fall war und ist. ...
Frühjahr 1934. Vorübergehend sieht es so aus, als kehrten im deutschen Reich wieder Ruhe und Ordnung ein: Hilfspolizei und "wilde" Konzentrationslager werden aufgelöst, mit der Wirtschaft geht es bergauf und ein Nichtangriffspakt mit Polen verheißt außenpolitische Stabilität. Das neue Regime hat sich konsolidiert; nun wird die revolutionäre "Bewegung" in rechtsstaatliche Bahnen gelenkt – so sieht es jedenfalls der "Reichsjuristenführer" Dr. Hans Frank. Am 20. März tönt seine Stimme landesweit durch die Volksempfänger: "Der Staat Adolf Hitlers … ist ein Rechtsstaat." Die Macht des Nationalsozialismus verwirkliche sich "ausschließlich in den Formen des Rechts"; sie strebe nach "Rechtssicherheit", "Rechtsschnelligkeit" und "Rechtsklarheit". Kurze Zeit später scheinen Frank Bedenken zu kommen: Im Sommer protestiert er gegen die verfahrenslose Erschießung Ernst Röhms und seiner Gefolgsleute. Die Hinrichtung von Parteigenossen der ersten Stunde passt nicht zum Bild eines völkischen Rechtsstaates. Roland Freisler sieht das anders. Selbstverständlich sei der nationalsozialistische Staat ein Rechtsstaat; man müsse diesen Begriff nur richtig deuten: nicht im Sinne eines Staates der "Shylockgerechtigkeit", in dem "das Formale… zur Zwangsjacke des Lebens" wird, sondern eines Staates des "richtigen", weil aus dem gesunden Volksempfinden geschöpften Rechts: "Ihm ist … Recht alles, was dem Volke dient und frommt" – auch Terror, Verfolgung und Mord. ...
Krieg, das haben wir von den Massenmedien gelernt, ist nur dort, wo jemand zusieht, das spectaculum bedarf des Mediums. Mediale Aufmerksamkeit bestimmt darüber, ob Kriege und ihre Folgen überhaupt noch von jemand anderem wahrgenommen werden als von den unmittelbar Betroffenen. Manipulationen über die Nachrichten vom Krieg sind so alt wie das Kriegswesen, nur tritt heute neben die Manipulation das Ringen um die knappe Währung Aufmerksamkeit. Längst haben wir uns an bizarre Mitteilungen wie die gewöhnt, der Afghanistan- Krieg sei der erste des neuen Jahrtausends gewesen, während dauerhaft schwelende Kriegsherde der Welt unbeachtet bleiben. Und längst ringen die Siegessicheren darum, dass sie ihren Krieg vor allem medial gewinnen – das andere ist gar nicht so wichtig. Um all dies geht es Thomas Scharff in seiner Habilitationsschrift eigentlich gar nicht. Eigentlich. Dennoch ist er mit seiner Analyse von Texten über den Krieg der Karolinger ganz nah dran am 21. Jahrhundert. Nicht warum Krieg geplant, geführt und wie er gewonnen wird, sondern das Schreiben der "Intellektuellen" über Krieg, der Krieg als Thema – das ist Scharffs erklärtes Vorhaben. Nach Politik und Sozialgeschichte soll nun die Historiographiegeschichte den Blick auf neue Facetten eröffnen. ...
Dieses Buch ist im deutschsprachigen Raum das erste umfassende Standardwerk zur Thematik. Wissenschaftlich nüchtern wird ein in der Gesellschaft sehr emotional und kontrovers diskutiertes Thema hinsichtlich allgemeingültiger und spezifischer Mechanismen analysiert sowie systematisch und insbesondere sehr verständlich erläutert.
Die Gegenwart ist heimlicher Komplize der Geschichtsschreibung. Also war nach seinem Standardwerk "A History of American Law" (1973) vom Nestor der amerikanischen Rechtsgeschichte, Lawrence M. Friedman, eine autoritative Fortsetzung zu erwarten. Mit "American Law in the Twentieth Century" liegt sie vor. Fesselnd geschrieben, in die Hand eines jeden Studierenden gehörend, wie es heißt, wirft das umfangreiche Werk – Komplizenschaft hin oder her – eine Reihe von Fragen auf. Warum gerade das 20. Jahrhundert? Waren 1900 und 2000 Schwellenjahre, die den Beginn und das Ende einer diskreten Entwicklungsphase des amerikanischen Rechts markieren? Vielleicht dessen Moderne oder gar Postmoderne? Geprägt von normativen Leitprinzipien oder gesellschaftlichen Umbrüchen? – Der Reihe nach. ...
Seit der Studie Otto Brunners ist der Fehde führende Adlige rechtshistorisch rehabilitiert. Anders steht es umdas Bild des seiner Herrschaft unterworfenen Bauern: Ihm als dem unter grundherrlichem "Schutz und Schirm" Stehenden war – wie auch dem Bürger – das "subsidiäre Rechtsmittel" angeblich nur in der Ausnahmeform von Blutrache und Totschlagsfehde erlaubt. Der "neutralere" Kontext einer regulären Interessenkollision zwischen Parteien, den die Konfliktforschung nahe legt, wird für bäuerliches Handeln nicht in Erwägung gezogen; einen aktiven Part bei der Durchsetzung eigener Ansprüche erkennt man dabei höchstens im kollektiven "Widerstand". Eindimensionale soziale Rollenzuschreibungen bestimmen den Forschungshorizont. Nie ist z. B. die Frage gestellt worden, ob ein mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Mensch tatsächlich der Waffenfähigkeit oder Waffen bedurfte, um eine Fehde zu führen. So weckt der "gemeine Mann" in der viel besprochenen Untersuchung von Gadi Algazi zwar erstmals überhaupt das nähere Interesse einer Untersuchung zum Fehdewesen, tritt jedoch auch da nur als Objekt einer sich sozial reproduzierenden "Herrengewalt" in Erscheinung. Algazis Ansatz hat allerdings Denkanstöße gegeben, ohne welche wohl gerade Christine Reinles Habilitationsschrift nicht jene konzeptionelle Konturschärfe gewonnen hätte, die sie kennzeichnet. Selbstredend setzt sich die Autorin darin nicht nur mit Algazi auseinander – auch wenn dieser mit Abstand ihrHauptgegner bleibt. Die zugegeben nicht sehr quellengesättigte These des Historikers steht auf einer Beobachtungslinie mit den Studien von Joseph Morsel und Hillay Zmora. Allen dreien geht es, grob gesagt, um die soziale statt die seit Brunner oft strapazierte rechtliche Funktion der Fehden – um die Beobachtung einer engen Verknüpfung dieser Konfliktpraxis mit sozialer Stratifikation und adliger Herrschaftsbildung. ...
"Fortgeltung des Zwölftafelrechts" – unter diesem lieblos dahingeworfenen Titel ist jüngst eine Dissertation erschienen. "Geltung" ist das Symbol der Einheit des Rechtssystems: Recht "gilt", und wenn es nicht (mehr) gilt, ist es kein Recht, sondern Geschichte oder Literatur oder ein Märchen aus alten Zeiten. "Fortgeltung" besagt demnach, dass älteren Rechtssätzen in neueren Rechtssätzen weiterhin Geltung zugesprochen wird.
Wenn man im Fall der Rechtssätze der Zwölf Tafeln wissen will, ob sie "fortgalten", was sollte man dann tun? Es empfiehlt sich, eine CD-ROM des römischen Rechts zu starten, "duodecim" einzugeben und die knapp 200 Stellen zu betrachten, in denen die Zwölf Tafeln genannt sind. So kann man Stück für Stück prüfen, welche Sätze der Zwölf Tafeln in den Juristenschriften und den Kaiserkonstitutionen zitiert werden, welche dieser Sätze als "geltend" bestätigt und welche verworfen werden. Das ist eine etwas langwierige, aber für einen romanistisch ausgebildeten Doktoranden eine nicht allzu schwierige Aufgabe. Immerhin wüsste man am Ende, welche Sätze der Zwölf Tafeln sich in den juristischen Kommunikationen über etwa 500 Jahre als "geltend" gehalten haben. Und mit diesem Wissen wäre eine Leserin der "Fortgeltung des Zwölftafelrechts" schon deshalb sehr zufrieden, weil man bisher kaum weiß, welche Sätze der Zwölf Tafeln die römischen Juristen überhaupt kannten, und deshalb schon gar nicht, welche sie als geltend betrachteten.
Man weiß es auch nach Lektüre der "Fortgeltung des Zwölftafelrechts" nicht. Denn der Autor hat mitnichten getan, was nahe liegt ...
Anfang und Ende eines Telefonbuchs: Aalam, Simone – Zywica, Klaudia. Die beiden verbindet (vermutlich) nichts anderes als die Kadenz des Alphabets. Zwischen A und Z gibt es kein Ereignis, keine Begegnung, keine Geschichte. Die meisten Leute haben deshalb keine Freude an der Lektüre von Telefonbüchern. ...
Rezension zu Małgorzata Świderska: Studien zur literaturwissenschaftlichen Imagologie. Das literarische Werk F.M. Dostoevskijs aus imagologischer Sicht mit besonderer Berücksichtigung der Darstellung Polens, München (Otto Sagner) 2001 (= Slavistische Beiträge; Bd. 412). 495 Seiten.
Wenn die polnische Slawistin Małgorzata Świderska nun ihre Tübinger Dissertation über Dostojewskij und Polen vorlegt, so ist das sehr zu begrüßen. Die umfangreiche Abhandlung ist zunächst einmal ein willkommener Beitrag zur Dostojewskij-Forschung, denn noch niemals vorher ist diese Region der Phobien Dostojewskijs derart ausführlich untersucht worden. Zum anderen aber liefert die Verfasserin am Beispiel eines weltliterarisch hochbedeutenden Autors einen Beitrag zur "Imagologie", einer zur Zeit offenbar schon im Absinken begriffenen Disziplin der Vergleichenden Literaturwissenschaft. Im Falle Dostojewskijs jedoch erhält gerade die Imagologie eine besondere Aktualität, weil seine Darstellung des Ausländischen immer wieder von einem extrem engstirnigen Nationalismus bestimmt wird.
Rezension zu Joseph P. Strelka: Exil, Gegenexil und Pseudoexil in der Literatur, Tübingen, Basel (A. Francke) 2003 (= Edition Patmos; Bd. 8). 172 Seiten.
Joseph P. Strelka hat bereits zwei Monographien dem Schaffen von Künstlern im Exil gewidmet: 'Exilliteratur' (1983) und 'Des Odysseus Nachfahren: Österreichische Exilliteratur seit 1938' (1999). In seinem neuen Buch geht es ihm um die Definition des Begriffs "Exil" und die Abwendung seines Mißbrauchs.
Rezension zu Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen, Frankfurt/ Main, Leipzig (Insel) 2002. 647 Seiten.
Dieter Borchmeyer, Germanist und Theaterwissenschaftler in Heidelberg, legt hier die Summe seines Nachdenkens über Richard Wagner vor. Vorausgegangen war 1982 'Das Theater Richard Wagners' mit dem Untertitel 'Idee - Dichtung - Wirkung' (431 Seiten, Reclam, Stuttgart, inzwischen vergriffen). Was an der neuen Monographie sofort als maßgebend ins Auge springt, ist ihre Gliederung in zwei Teile, von denen der erste Wagners dramatische Werkstatt in ihrer Produktion chronologisch vorführt, und deren zweiter die "Beziehungsfelder" benennt und darstellt.
Rezension zu Erika Greber, Konrad Ehlich u. Jan-Dirk Müller: Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld (Aisthesis) 2002 (= Schrift und Bild in Bewegung; Bd. 1). 204 Seiten.
Der Band zeigt, dass sich anhand der Titelformel 'Schrift und Bild in Bewegung' ein sehr heterogenes Spektrum aktueller (literalitäts-)theoretischer Fragestellungen und Forschungen diskutieren lässt, und umfasst schrift- und kulturhistorische Rekonstruktionen der Schrift von den Zählsymbolen über die Hieroglyphenschrift bis zum Unicode, systematische Untersuchungen zur Medienkonkurrenz und zu den Auswirkungen der Materialität und Technizität des Mediums auf seine Form und schließlich exemplarische Analysen alter und neuer Formen mobiler Seh-Texte, die im Insistieren auf der Medialität und Materialität neue Intensitäten der Schrift entdecken.
Berhometh bei Czernowitz
(2004)
Im Osten Neues
(2004)
Rezension zu Thomas Roberg (Hg.): Friedrich Hölderlin. Neue Wege der Forschung, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2003. 328 Seiten.
Nach dem mit Spannung erwarteten Erscheinen des von Johann Kreuzer herausgegebenen umfangreichen Handbuchs zu Friedrich Hölderlin (Johann Kreuzer (Hg.): Hölderlin-Handbuch: Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart, Weimar 2002), hat nunmehr Thomas Roberg eine Auswahl mit ebenso repräsentativen wie beeindruckenden Forschungsstudien zu einem reichen Panorama des Hölderlinschen Werks vorgelegt. Die aufgenommenen Beiträge sind drei großen Themenkomplexen, Poetologie, Poesie und Philosophie sowie Perspektiven des Gesamtwerks, zugeordnet, denen sowohl Aufsätze aus Sammelbänden und Periodika als auch prägnante Auszüge aus Monographien zugeordnet sind. Abgeschlossen wird der Band durch ein systematisch gegliedertes Verzeichnis weiterführender Literatur.
Rezension zu Angelika Corbineau-Hoffmann: Einführung in die Komparatistik, Berlin (Erich Schmidt) 2000. 259 Seiten.
Jüngst hat Angelika Corbineau-Hoffmann eine Einführung in die Komparatistik vorgelegt, die für sich in Anspruch nimmt, sich von vorausgegangenen Darstellungen des Fachs nachdrücklich zu unterscheiden, und bemüht ist, Studienanfänger auf innovativen Wegen in das Studium der Komparatistik zu geleiten.
Die Rechtsgeschichte hat dem vormodernen Asyl lange Zeit einen bestenfalls marginalen Platz eingeräumt und es häufig als Hindernis auf dem Weg zum staatlichen Gewalt- und Justizmonopol bewertet oder den angeblichen "Missbrauch" des Asyls betont. Gleiches gilt cum grano salis für die allgemeine Geschichte, die wenige, eng begrenzte lokale Fallstudien beigesteuert hat, während umfassendere Darstellungen zur Geschichte der "Menschenrechte" oder zur historischen Kriminalitätsforschung das vormoderne Asylrecht weitgehend ignorieren. Erst in jüngster Zeit nahm die Zahl der Arbeiten zu, die sich intensiver mit der Geschichte des Asyls beschäftigen und neue Erkenntnisse sowie Forschungsperspektiven beitragen. ...
Lange hat die Forschung die zehn Kreise des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vernachlässigt. Ließen diese sich doch kaum in das Modell der europäischen (National-)Staatsbildung einordnen. Die Reichskreise bildeten eine separate, spezifische verfassungsrechtliche Ebene zwischen der im Reich nur schwach ausgeprägten "Zentralgewalt", repräsentiert durch Kaiser und Reichstag, und den einzelnen Reichsständen. Unter letzteren billigte die ältere Forschung nur den größeren Territorien staatliche Qualitäten zu. Das Reich wurde dagegen als ein zu moderner Staatsbildung unfähiges "Monstrum" abgetan, das insbesondere in der Gesetzgebung sowie in der Außen-, Wirtschafts-, Ordnungs- und Sicherheitspolitik versagt habe. Erst die jüngere Forschung hat gezeigt, dass das Alte Reich als Ganzes und die Reichsmitglieder durchaus staatliche Funktionen ausübten, und zwar auch im Bereich der frühneuzeitlichen Ordnungs- bzw. Policeygesetzgebung. Die Normenproduktion der Reichskreise und kleineren Reichsstände ist allerdings noch kaum erschlossen, und moderne Editionen gerade umfangreicherer, exemplarischer Policeyordnungen fehlen völlig. Die hier vorzustellenden, von Wolfgang Wüst herausgegebenen drei Bände zur "guten Policey im Reichskreis" bilden folglich nicht nur eine wertvolle Ergänzung zu dem im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte entstandenen Repertorium der frühneuzeitlichen Policeyordnungen und den in diesem Kontext entstandenen Fallstudien, sondern sie verbinden mit den Themen "Reichskreise" und "Policeygesetzgebung" zwei wichtige Felder der Frühneuzeitforschung und eröffnen damit eine neue Perspektive auf die Gesetzgebungsgeschichte und die Entwicklung frühmoderner Staatlichkeit. ...
Der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik in den besetzten Gebieten haben im öffentlichen Bewusstsein der europäischen Nationen tiefe Spuren hinterlassen. Auschwitz - inzwischen als Symbol für die Ermordung der Juden verstanden - scheint zum negativen Referenzpunkt einer gesamteuropäischen Identität zu werden. Eine solche Globalisierung vergangenheitspolitischer Deutungsangebote verdeckt jedoch, dass die Mehrzahl fachwissenschaftlicher Studien zum kollektiven Erinnern und Gedenken immer noch in den nationalen Diskursen verankert ist. Oder positiv gewendet: Die Zeit globaler und international vergleichender Studien hat gerade erst begonnen. ...
Im Osten Deutschlands gilt der Elbebiber als Symboltier des Naturschutzes. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand er am Rande der Ausrottung und überlebte nur in wenigen Exemplaren in den Auen der mittleren Elbe und ihrer Nebenflusse. Heute gilt der Bestand dank strenger Schutzmaßnahmen weitestgehend als gesichert. Das ist eine der bedeutendsten Erfolgsgeschichten des deutschen Naturschutzes.
Die vorliegende Publikation ist eine wohlverdiente Festschrift zu Ehren des Berliner Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Klaus-Dieter Ludwig zu seinem 65. Geburtstag, herausgegeben von der wissenschaftlichen Assistentin Dr. Undine Kramer am Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Festschrift vertritt in ausgewogener Weise die Interessengebiete des Jubilars, in denen die Archaismenforschung aus lexikologischer Sicht und lexikographischer Sicht in letzter Zeit im Vordergrund stand und die übrigen Arbeitsgebiete in Forschung und Lehre in sich einschloss.
In der letzten Zeit sind eine Reihe von Büchern erschienen, in denen Kunstkritiker/innen und Kurator/innen ihre gesammelten Artikel veröffentlichen. Auch Isabelle Graws "Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts" liegt eine Reihe von Aufsätzen zugrunde, die in den 1990er Jahren in Zeitschriften wie Artis und den von Graw herausgegebenen Texten zur Kunst zu lesen waren. Allerdings hat Graw ihre kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Positionierung von Künstlerinnen im Betriebssystem Kunst in drei Kapiteln neu zusammengefaßt, so dass ein eigenständiges Buch entstanden ist. ...
Rezension zu Karl August Varnhagen von Ense/Heinrich Düntzer: "durch Neigung und Eifer dem Goethe'schen Lebenskreis angehören": Briefwechsel 1842-1858. Herausgegeben von Berdt Tilp. Teil 1: Einführung und Text. Teil 2: Kommentar (Forschungen zum Junghegelianismus, hrsg. v. Konrad
Feilchenfeldt und Lars Lambrecht, Band 7), Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2002
Rezension zu: Sarah Kember: Cyberfeminism and Artificial Life. London/New York: Routledge 2003. 257 Seiten, ISBN 0–415–24026–3 (Hardcover) / 0–415–24027–1 (Paperback), € 71,82 (Hardcover) / € 21,98 (Paperback)
"Künstliches Leben" zu schaffen, galt über Jahrhunderte hinweg als Phantasma, dem man vor allem mit den Mitteln der Literatur und der Kunst nachjagte. Ein Topos, der Kultur als Kontrolle, Beherrschung und Verbesserung der Natur definiert – und in dem sich menschliche Machtphantasien und misogyne Obsessionen auf markante Weise mischen: Wo die biologischen Funktionen von "sex" eigentlich überflüssig werden sollten, treten Geschlechterdichotomien und -hierarchien als Konstruktionen um so deutlicher hervor. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Allerdings haben mit den aktuellen Entwicklungen in den Bio- und Informationstechnologien die Phantasmen zunehmend an Realität gewonnen. Ob nun in den Computerlaboren der Unterhaltungsindustrie oder in denen der Genomforschung: Allenthalben scheint es um die Formel des Lebens zu gehen. Aber was bedeutet das eigentlich? Welche Rolle wird "Künstliches Leben" in unserem künftigen Leben spielen? Und welche Rolle spielen dabei die Phantasmen, die dieser Topos transportiert? Wie greifen diese "virtuellen Realitäten" in unsere Körper- und Identitätskonzepte, unsere Subjekt- und Geschlechtervorstellungen ein? Sarah Kembers Buch verspricht, erhellende Schneisen durch das Dickicht der definitionsmächtigen Diskurse, Konzepte und Konstruktionen zu schlagen und neue Wege für feministische Interventionen in die Auseinandersetzungen um "Artificial Life" aufzuzeigen.
Wenn sich 53 Spezialisten über einen längeren Zeitraum mit der äußerst wichtigen Problematik des Naturschutzes in der Agrarlandschaft beschäftigen, dann bedarf es eines hohen redaktionellen Engagements, um die Ergebnisse als Gesamtbild publizieren zu können. Aus welchen Gründen auch immer, diese erforderliche redaktionelle Bearbeitung kam deutlich zu kurz. Nur so sind voneinander abweichende Begrifflichkeiten, divergierende Flächengrößen, unterschiedliche räumliche Darstellungen, fehlende Erläuterungen, undefinierte Begriffe, fehlerhafte Benennungen und andere Mängel zu erklären.
Rezension zu Mieke Bal: Kulturanalyse, hg. von Thomas Fechner-SmarsIy u. Sonja Neef, übers. von Joachim Schulte, Frankfurt/Main (Suhrkamp) 2002. 370 Seiten.
Die Literaturtheoretikerin Bal kennt keine disziplinären Berührungsängste und sucht unter dem übergreifenden Forschungsfeld der Kulturanalyse literaturwissenschaftliche und kunstgeschichtliche Themen und Problembereiche miteinander zu verbinden. In dem von Thomas Fechner-Smarsly und Sonja Neef herausgegeben Band 'Kulturanalyse' enthalten zehn Essays der niederländischen Professorin, die in Amsterdam und in Cornell lehrt, grundlegende theoretische Überlegungen und ein facettenreiches Spektrum von Einzelanalysen und überwinden das Dilemma oftmals unvermittelbarer Forschungsansätze. Vor dem Hintergrund dekonstruktivistischer und ideologiekritischer Positionen spannt sich der Bogen der Essays von einer Narratologie des Sammelns sowie der Rhetorik und Semiotik des Ausstellens über eine photographische Lektüre Prousts bis zu Fragen nach dem Zusammenhang von Performativität und Subjektivität, um schließlich bei der Problematisierung des Begriffs der Intention zu enden.
Gillian R. Evans, Professorin für mittelalterliche Geschichte, Philosophie- und Geistesgeschichte an der Universität Cambridge, hat ihre Liebe zum Recht entdeckt. In schönster Tradition der Cambridge Intellectual History zeichnet sie ein Panorama, wie die geistigen Sphären von Recht und Theologie einander durchformten und die Welt des mittelalterlichen Menschen harmonisch überwölbten. Folgerichtig lässt sie ihre durchgängig packend zu lesende Darstellung mit der resignierten Frage ausklingen, ob nicht die Reformation neben der Kirchenspaltung ein viel weiter gehendes Dilemma auslöste: Konnten sich im Mittelalter nach Evans (175) Theologen und Juristen noch gewiss sein, auf das gleiche Ziel hinzuarbeiten, nämlich die Seelen der Menschen zu retten, wurde durch die reformatorische Betonung der Gnade gerade auch für Sünder und Gesetzesbrecher ganz grundsätzlich in Frage gestellt, ob Gesetzesgehorsam noch der einzige Weg zum Heil sein konnte. ...
Rezension zu Achim Geisenhanslüke: Einführung in die Literaturtheorie. Von der Hermeneutik zur Medienwissenschaft, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2003 (= Einführungen Germanistik). 160 Seiten.
Einführungen haben Konjunktur, heute mehr denn je. Aus der Perspektive von Studierenden sind die verschiedenen Forschungsansätze der Literaturtheorie längst zu einem undurchdringlichen Dickicht geworden. Der Duisburger Germanist Achim Geisenhanslüke hat sich in seiner 'Einführung in die Literaturtheorie. Von der Hermeneutik zur Medienwissenschaft' nun aufgemacht, einen Weg durch dieses Dickicht zu schlagen und die wichtigsten Literaturtheorien der Gegenwart im Kontext ihrer historischen Vorläufer darzustellen. Um es gleich vorweg zu sagen: dem Verf. gelingt dies außerordentlich gut.
Rezension zu Axel Dunker: 'Die anwesende Abwesenheit'. Literatur im Schatten von Auschwitz, München (Wilhelm Fink) 2003. 333 Seiten.
Vom Mainzer Germanisten Axel Dunker, seit langem ein ausgewiesener Spezialist in Sachen Literatur zum "Dritten Reich", liegt nunmehr seine 2001 in Mainz eingereichte Habilitationsschrift ''Die anwesende Abwesenheit'. Literatur im Schatten von Auschwitz' gedruckt vor. Darin beschäftigt er sich mit der Frage: Wie lässt sich der Holocaust künstlerisch verarbeiten und darstellen?
Gli storici del diritto dell’età medievale – quei pochi, almeno, o pochissimi che ancora si interessano ai secoli che segnarono il passaggio dalla tarda antichità al primo medioevo – non possono che salutare con grande piacere il volume del L. riconoscendovi immediatamente un nuovo e prezioso strumento di lavoro. L’importanza della Gallia tardoantica e poi di quella merovingia nella storia della tradizione giuridica romanistica era certo già nota da tempo. Merito del L. non è però solo quello di riproporre all’interesse della storiografia un tema – quello della storia delle fonti normative e giurisprudenziali di quell’epoca così particolare – che negli ultimi decenni, nonostante alcune lodevoli eccezioni, sembrava avviato a un progressivo abbandono. Nella sua rassegna d’insieme, egli non si limita infatti a riferire lo stato delle ricerche aggiornando e integrando l’opera tuttora fondamentale del Conrat.1 Si sforza invece di intervenire costantemente, prendendo posizione in pratica su ogni questione e proponendo, di volta in volta, integrazioni, precisazioni e, soprattutto, originali considerazioni, frutto di lunghi studi personali. Un libro coraggioso e sovente originale, dunque, che – è facile prevedere – nelle librerie degli studiosi del diritto nell’età altomedievale troverà posto, appunto, accanto alla Geschichte del Conrat. ...
Die Europäische Sumpfschildkröte ist die seltenste und zugleich am stärksten gefährdete Reptilienart des Landes Brandenburg und hier vom Aussterben bedroht. Hier in den bis heute noch relativ weiträumig naturnah erhaltenen, gewässerreichen und zugleich dünn besiedelten Landschaften Nordbrandenburgs und Südmecklenburgs existieren noch einige wenige, dem geschlossenen Areal in Süd- und Südosteuropa weit vorgelagerte Reliktpopulationen. Diese standen im Mittelpunkt des vom Land Brandenburg durchgeführten Artenschutzprojektes "Europäische Sumpfschildkröte", innerhalb desselben die an der Humboldt-Universität Berlin eingereichte Dissertationsschrift des Verfassers eingebunden ist.
Rezension zu Volker Pantenburg u. Nils Plath (Hg.): Anführen - Vorführen - Aufführen. Texte zum Zitieren, Bielefeld (Aisthesis) 2002. 291 Seiten.
Die Beiträge des Sammelbandes 'Anführen - Vorführen - Aufführen. Texte zum Zitieren', herausgegeben von Volker Pantenburg und Nils Plath, gehen diesem feinen Netz kultureller Praktiken nach, die an das Zitieren angeschlossen sind. Im Mittelpunkt der Beiträge steht weniger der Begriff der Intertextualität, es werden stattdessen Arten und Weisen des Zitierens an-, vor- und aufgeführt. Die Beiträge setzen sich dementsprechend mit den Verfahren und Bedingungen des Zitierens auseinander, sie gehen den Technologien, dem Wiederholungs-/Gedächtnis-Charakter des Zitats nach und führen das Zitieren performativ vor. Sie zeigen aber auch, in welchen Momenten das Zitat den Text stört, in den es eingefügt ist.
Denkt der Rechtshistoriker an etwas, das lange währte, fällt ihm neben anderem irgendwann das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein. Auch die Gerichte dieses Reiches brachten es auf eine ansehnliche Lebensdauer, und die Prozesse, die vor dem Reichskammergericht ausgefochten wurden, zählten häufig ebenfalls zu dem, was lange währte. Langjährige seitenfüllende Erörterungen sind in abertausenden dickleibigen Akten überliefert. Wer sollte das damals alles lesen und bearbeiten? Was waren das für Männer, die sich im 18. Jahrhundert, dem "tintenklecksenden Säkulum" (Friedrich Schiller), in Wetzlar durch solch monumentale Schriftsätze fraßen und im Namen von Kaiser und Reich Recht sprachen? Das umfangreichste Werk, das seit dem Ende des Alten Reiches über das Reichskammergericht geschrieben wurde, gibt darauf Antwort. ...
Der Autor des Buches ist ein langjährig erfahrener Fledermausforscher, aus dessen Feder zahlreiche Publikationen zur Fledermausfauna Deutschlands, insbesondere des Westharzes, und zur Detektierung von Fledermäusen in Europa erschienen sind. Schon sehr frühzeitig erkannte er die Vorzüge und Schwierigkeiten der Lautanalyse als differenzialdiagnostisches Merkmal und verfolgte und dokumentierte systematisch die Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Wie kein anderer Ort ist Auschwitz zu einem Synonym für die nationalsozialistische Terrorpolitik geworden. Mit Majdanek teilt die Stadt das Schicksal, sowohl ein Konzentrations- als auch ein Vernichtungslager beherbergt zu haben. Mindestens 1,1, möglicherweise sogar anderthalb Millionen Menschen wurden in Auschwitz ermordet, vor allem europäische Juden, aber auch nichtjüdische Polen, Sinti und Roma. Mit Monowitz und seinen Nebenlagern befand sich hier zudem "das erste von einem Privatunternehmen initiierte und finanzierte Konzentrationslager" (S. 43). Jenseits dieses dreiteiligen Lagerkomplexes sollte in Auschwitz eine deutsche Musterstadt entstehen. Auf den Reißbrettern nationalsozialistischer Visionäre avancierte die Stadt "zum Ideal ökonomischer Erschließung und rassischer Auslese, zum Zukunftsmodell der deutschen Herrschaft im eroberten Land" (S. 51). Kurzum: an keinem anderen Ort manifestierte sich die symbiotische Verbindung zwischen Lebensraum und Vernichtung deutlicher als in dieser im deutsch-polnischen Grenzgebiet gelegenen Stadt. Dies rechtfertigt es, Auschwitz eine Überblicksdarstellung in einer Reihe (C. H. Beck Wissen) zu widmen, deren historische Veröffentlichungen in der Regel größere Epochen behandeln, zumal über Auschwitz noch immer keine Monografie erschienen ist. ...
Nach den Veröffentlichungen über das Auengrünland des Biosphärenreservates "Flusslandschaft Mittlere Elbe" erscheint mit der vorliegenden Dissertation nunmehr eine Übersicht über die Trockenrasen. Die Arbeit berücksichtigt das gesamte Biosphärenreservat und greift teilweise über dessen Grenzen hinaus. Nach einer allgemeinen Gebietseinführung und der Beschreibung der Untersuchungs- und Auswertungsmethoden folgt ein Kapitel zur Verbreitung von Trockenrasen-Arten. Zunächst werden die Verbreitung und die ökologischen Bedingungen der Sippen des Festuca ovina-Aggregates dargestellt. Dem folgt die Erörterung der Verbreitung weiterer ausgewählter Arten, insbesondere auch von Flechten. Danach wird eine Charakterisierung der pflanzengeographischen Stellung des Mittelelbe-Gebietes vorgenommen.
Der Zustand des Auengrünlandes an der Mittelelbe hat sich in den zurückliegenden Jahren dramatisch verschlechtert. Ursachen dafür sind späte Nutzungen und Verbrachungen, die einerseits vom Naturschutz als Nutzungsanforderungen vorgegeben werden, andererseits aber durch landwirtschaftliche Wirtschaftsweisen, die das artenreiche Auengrünland nicht nachhaltig sichern, bzw. Nutzungsaufgabe bedingt sind. Eine großflächige Nutzung des Grünlandes ist gegenwärtig nur auf der Grundlage der Milchproduktion möglich. Diese wiederum erfordert eine qualitativ hochwertige Futterbasis, die von naturschutzfachlich wertvollem Auengrünland nur unter bestimmten Bedingungen bereit gestellt werden kann. Wie lassen sich naturschutzfachliche und landwirtschaftliche Anforderungen an die Grünlandnutzung einander annähern?
Hans-Ulrich Wehlers Gesellschaftsgeschichte ist eine Art historiographisches Markenzeichen. Herrschaft, Wirtschaft und Kultur bilden als prinzipiell gleichberechtigte "Achsen" die Betrachtungsebenen bereits im ersten Band der Gesellschaftsgeschichte von 1987.1 Schon damals gestand er im methodischen Programm zu, dass es auch den Primat einer "Achse" geben könne – im vierten Band2 ist nun von der Balance der Achsen tatsächlich immer weniger zu spüren: Mehr und mehr räumt der Autor der Politik den Primat ein, die Bedeutung der Achse "Herrschaft" wächst kontinuierlich. Dies kann man Wehler als Abweichung von seinem methodischen Gesamtprogramm vorhalten oder anerkennen, dass er zu Recht für die analytische Erfassung insbesondere der Endphase Weimars und der Zeit des Nationalsozialismus nicht dogmatisch an seinem ursprünglichen Konzept festgehalten hat. ...
Wer war der Mörder, warum hat er es getan? Das Motiv spielt die zentrale Rolle im Kriminalroman. Nur wer weiß, warum die Tat begangen wurde, kann den Kreis der möglichen Täter verkleinern. Menschliche Tragödien, kaltblütige Vergeltung, Habgier, Geltungssucht, sexuelle Neigungen und religiöser Fanatismus, aber auch enttäuschte Liebe und eigenmächtige Suche nach Gerechtigkeit bilden die Kulisse des Kriminalromans. Auch wer als Leser die Tat nicht billigt, findet mitunter Erklärungen und gleicht diese unbewusst mit der Beantwortung der Frage ab, wie er selbst sich verhalten hätte. Oder die Auflösung bestätigt alle schon immer gehegten Überzeugungen, und die Entrüstung über so viel Schlechtigkeit hinterlässt das Gefühl der eigenen Integrität. Vielleicht kann man den ein oder anderen Krimi deshalb so schnell lesen, weil er nur der Bestätigung einer Erwartungshaltung dient und diese Erwartung in aller Regel auch erfüllt. Gegen dieses Klischee schreibt der engagierte Mikrohistoriker bei der Darstellung seiner Fälle an und verfällt ihm doch mitunter wieder selbst. ...
Rezension zu Ulrich Ernst: Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang. Beiträge zur Theorie und Geschichte der visuellen Lyrik, Berlin (Erich Schmidt) 2002 (= Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften; Bd. 4). 324 Seiten.
Eine Sammlung von neun in den 80er und 90er Jahren entstandenen und zunächst verstreut publizierten Abhandlungen macht Ernsts Forschungsergebnisse neuerlich und besser zugänglich, teilweise in revidierter Form; zugleich illustriert der Band exemplarisch die Breite des Forschungsfeldes der Geschichte der visuellen Dichtung.
Rezension zu Horst Jürgen Gerigk: Lesen und Interpretieren, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2002 (= UTB für Wissenschaft; Bd. 2323). 192 Seiten.
Wenn ein professioneller Leser bei seiner Lektüre eines literarischen Werks innehält, um sich zu fragen, was denn da eigentlich beim Lesen überhaupt geschehe, welche Sensibilisierungen es erzeuge, welche Einsichten es bewirke, so mag dies ein Anlaß sein, sich den grundsätzlichsten aller Fragen zuzuwenden, mit denen es der Literaturtheoretiker zu tun hat: Was charakterisiert literarische Texte als solche? Welche Einstellung und welche Kompetenz verlangen sie ihrem Leser ab? Gibt es spezifische Modi literarischer Darstellung? Gerigks Buch ist, wie einleitend betont wird, von einer solchen Lese-Pause stimuliert worden. In der Form von zwölf thematisch miteinander vernetzten, dabei relativ selbständigen Teilen - Grundlage des Buches waren Gerigks Heidelberger Vorlesungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft - werden im Ausgang von vielfaltigen Beispielen aus der europäischen und amerikanischen Literatur grundsätzliche Thesen und Modelle zum Wesen des Literarischen selbst entwickelt.
Rezension zu Klaus-Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart (Reclam) 2002 (= Reclams Universal-Bibliothek; Bd. 18238). 428 Seiten.
Klaus Peter Dencker, der als Anthologist und Kommentator schon im Bereich der visuellen Dichtung und der Unsinnspoesie Pionierarbeit geleistet hat (Klaus-Peter Dencker (Hg.): Text-Bilder. Visuelle Poesie international. Von der Antike bis zur Gegenwart, Köln 1972; ders. (Hg.): Deutsche Unsinnspoesie, Stuttgart 1978), legt mit einer neuen Anthologie zu 'Poetische[n] Sprachspiele[n]' (Stuttgart 2002) eine Sammlung vor, welche nicht nur denjenigen anspricht, dem ludistische Poesien eine besondere Lust am Text bereiten. Auch dem literaturhistorisch und literarästhetisch interessierten Leser haben die 325 Seiten mit Sammelstücken sowie die begleitenden Informationen vieles zu bieten.
Rezension zu Peter-Andre Alt: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit, München (c. H. Beck) 2002. 464 Seiten.
Mit Peter-Andre Alts Monographie über die Beziehungen zwischen Literatur und Traum in der Neuzeit geht es um die Entwirrung jenes "dichten Geflecht[s] kultureller Deutungsentwürfe", welches sich gerade in der Neuzeit in dauernder Veränderung begriffen ist (9).
Rezension zu Ulrike Landfester (Hg.): Schrift und Bild und Körper, Bielefeld (Aisthesis) 2002 (=Schrift und Bild in Bewegung; Bd. 4). 210 Seiten.
Das Kernthema des Bandes, der inhaltlich recht heterogene Beiträge versammelt, exponiert Ulrike Landfester mit ihrer Abhandlung 'Tertium datur. 'Schrift und Bild und Körper' als kulturtheoretische Denkfigur' (9-42). Es gehe, so Landfester, um ein Aufbrechen dichotomischer Ordnungskonzepte; darum wird die Dichotomie von Bild und Schrift durch die Einbeziehung des Körpers zur dreistelligen Relation erweitert.
Rezension zu Edgar Pankow: Brieflichkeit. Revolutionen eines Sprachbildes; Jacques-Louis David, Friedrich Hölderlin, Jean Paul, Edgar Allan Poe, München (Wilhelm Fink) 2002. 222 Seiten.
Pankows Untersuchungen gelten dem Brief als einem "Sprachbild" der Moderne, über welches sich - so die einleitenden Ausführungen - die sich wandelnde Artikulation "kultureller Selbstverhältnisse" vollzieht.
Rezension zu Pascal Nicklas: Die Beständigkeit des Wandels. Metamorphosen in Literatur und Wissenschaft, Hildesheim, Zürich, New York (Georg Olms) 2002 (= ECHO: Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog; Bd. 2). 495 Seiten.
Kaum ein Motiv dürfte in solchem Maß komplexe und vielgesichtige Verbindungen zwischen der Antike und der Moderne bis hin zur Gegenwartskultur gestiftet haben und immer noch stiften wie das der Metamorphose. Die literarische Gestaltung von Verwandlungsgeschichten hat eine ebenso lange Geschichte wie die abendländische Literatur selbst.
Rezension zu Patricia Oster: Der Schleier im Text. Funktionsgeschichte eines Bildes für die neuzeitliche Erfahrung des Imaginären, München (Wilhelm Fink) 2002. 362 Seiten.
Mit dem Bild des Schleiers verbindet sich eine Fülle von Konnotationen, insbesondere deshalb, weil er, wie Patricia Oster einleitend statuiert, "im elementaren Sinn eine Anschauungsform" darstellt (9).
Rezension zu Angelika Corbineau-Hoffmann u. Pascal Nicklas (Hg.): Körper/Sprache. Ausdrucksformen der Leiblichkeit in Kunst und Wissenschaft, Hildesheim, Zürich, New York (Georg Olms) 2002 (= ECHO: Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog; Bd. 1). 325 Seiten.
Der vorliegende Band widmet sich einem hochbrisanten Thema, welches aktuell, intensiv und gleichsam großflächig den akademischen Diskurs ebenso beschäftigt wie zahlreiche andere Bereiche gesellschaftlicher Praxis: Die Stichworte "Körper " und "Körperlichkeit" verweisen auf ein weitläufiges Gelände im Schnittfeld der Territorien von Natur, Geschichte und Kunst; sie verweisen vor allem aber auch auf eine Fülle kultureller Praktiken, deren gemeinsamer Grundnenner das Interesse am menschlichen Körper ist: an seiner Gestaltbarkeit, Planbarkeit, Beeinflußbarkeit, ja Machbarkeit, an seiner Bedingtheit und Hinfälligkeit, an seinem Ausdruckspotential und seiner Semantisierbarkeit, an seinen ästhetischen Valenzen und Potentialen etc.
Rezension zu Carlo Brune: Roland Barthes. Literatursemiologie und literarisches Schreiben, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2003 (= Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften / Reihe Literaturwissenschaft; Bd. 450). 304 Seiten.
Roland Barthes gehört zu den originellsten und folgenreichsten Literaturtheoretikern der jüngeren Vergangenheit und - mit Blick auf die anhaltend produktive Rezeption seiner Schriften - der Gegenwart. Gleichwohl sind - wie Carlo Brune zu Recht anmerkt - im deutschen Sprachraum Versuche einer panoramatischen Würdigung seines Gesamtwerks bisher nur gelegentlich unternommen worden (etwa durch Ottmar Ette, 1999), und Brunes vorliegende, von Detlef Kremer betreute Dissertationsschrift, leistet einen Beitrag zur Kompensation dieses Defizits.
[Rezension zu:] Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity
(2004)
Rezension zu: Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity. New York, Washington, D.C./Baltimore, Bern, Frankfurt am Main, Berlin, Brüssel, Wien, Oxford: Peter Lang, 2002 (North American Studies in Nineteenth-Century German Literature, hrsg. v. Jeffrey L. Sammons, Bd. 29).
Vogelspinnen erfreuen sich unter Terrarianern und Züchtern, aber auch unter biologisch Interessierten zunehmender Beliebtheit. Ihre Langlebigkeit und ihr ungewöhnliches Beute-, Sexual-, Brutpflege- und Feindabwehrverhalten ließ sie zu allseits bewunderten Terrarientieren werden. Dem wird durch Händler und Importeure weiter Auftrieb gegeben. Da einige Arten im Washingtoner Artenschutzabkommen benannt und somit besonders geschützt sind, werden die potenziellen kuscheligen Mitbewohner auch für den Arten- bzw. Naturschutz interessant.
Rote Listen Sachsen-Anhalt
(2004)
Seit der Veröffentlichung der ersten Roten Listen gefährdeter Tier- und Pflanzenarten Sachsen- Anhalts sind mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen. Deshalb werden im Heft 39/2004 der Reihe "Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt" die bisherigen Einzelveröffentlichungen zusammengefasst und der aktuelle Wissenstand hinsichtlich der Gefährdung der einbezogenen Arten und Gesellschaften wiedergegeben.
In der letzten Zeit hat die Internationalisierung in allen Fachgebieten zugenommen, das hat zur Folge, dass viele wissenschaftliche Publikationen in englischer Sprache erscheinen. Englisch ist heutzutage die Wissenschaftssprache. Auch die Naturschützer wurden spätestens mit dem Erscheinen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) der Europäischen Union (1992) mit englischsprachigen Fachbeiträgen konfrontiert. So sind beispielsweise die Definitionen der FFH-Lebensraumtypen im "Interpretation Manual of European Union Habitats" (2003) in der Amtssprache der EU auf englisch erschienen.
Rezension zu Volker Zenk: Innere Forschungsreisen. Literarischer Exotismus in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Oldenburg (Igel Verlag Wissenschaft) 2003 (= Literatur- und Medienwissenschaft; Bd. 89). 424 Seiten.
Mit seiner Dissertation legt der Autor eine Synthese der in den letzten Jahren zunehmend in Einzeluntersuchungen zerstreuten Forschung zur exotistischen Literatur der Jahrhundertwende vor.
In 1875, the Liebig Extract of Meat Company began to distribute a series of pictures printed on small (11 x 7 cm), colorful, collectible cardboard cards along with its main product, Fleischextrakt. While not the first to adopt this advertising technique, Liebig quickly became the best-known purveyor of Sammelbilder. ...
Der Autor tritt an, eine momentan ausgesprochen populäre These institutionenökonomisch "zu testen" (Vorwort, VII): Politische Zersplitterung ermöglicht institutionelle Konkurrenz, solche Konkurrenz aber belebt auch hier das Geschäft, weil sie den fiskalischen und regulatorischen Zugriff der Politik auf die ökonomischen Akteure begrenzt oder gar unmöglich macht. Deshalb ist institutionelle Harmonie von Übel, denn sie beschränkt die Möglichkeiten der Investoren, zwischen den verschiedenartigen institutionellen Bedingungen unterschiedlicher Standorte zu wählen. ...
Es gibt in der Wissenschaft viele Bücher, die dem Leser ein gerüttelt Maß Geduld abverlangen. Dazu gehört ohne Zweifel Holensteins Untersuchung über "Gute Policey". Aber man wird mit vielerlei Einsichten belohnt, wenn man sich auf dieses gut 850-seitige Totalbild ländlicher Verwaltungspraxis "vor Ort" einlässt. Dabei ist der Untersuchungsraum des Autors keineswegs weitläufig, denn die Markgrafschaft Baden machte ja nur einen Bruchteil des späteren Großherzogtums aus, und sie zerfiel zudem in einen katholischen (Baden-Baden) und einen protestantischen, von Karlsruhe aus regierten (BadenDurlach) Landesteil, von dem wiederum in erster Linie die im badischen "Oberland" gelegenen Gebietsteile behandelt werden. Sie zu orten, setzt schon recht solide Kenntnisse in badischer Heimatkunde voraus. In den heutigen Landkreisen Emmendingen und Lörrach stößt man auf jene überschaubaren territorialen Einheiten, die den Schauplatz der akribischen Detailuntersuchung Holensteins abgeben: die drei "oberen Herrschaften" Rötteln, Sausenberg und Badenweiler – ein Landstrich, für den sich bis heute die Bezeichnung "Markgräflerland" erhalten hat – und die Herrschaft Hachberg mit Gebietsflecken um Emmendingen und im Kaiserstuhl. In diesem kleinen Raum dreier territorialstaatlicher "Oberämter" gräbt Holenstein dann allerdings in einer Weise in die Tiefe, dass ein ungemein plastisches Bild der Interaktion zwischen normsetzender Instanz und Normadressaten entsteht – eine Interaktion, die der Autor als Grundbedingung der Implementierung von Policeynormen herausstellt. Sie findet statt innerhalb zweier Relationen: Zum einen zwischen den zentralen, die Policeygesetzgebung bestimmenden Instanzen in Karlsruhe – Markgraf und Geheimer Rat sowie die nachgeordneten Zentralbehörden, der Hofrat, die Rentkammer und der Kirchenrat – und den Oberamtleuten in Lörrach, Müllheim und Emmendingen als den staatlichen Repräsentanten vor Ort, denen es oblag, für die Verbreitung und Bekanntmachung der Policeynormen und deren Durchsetzung zu sorgen. Zum anderen zwischen den Oberamtleuten und ihren Stäben auf der einen und den Gemeinden auf der anderen Seite. Eine Schlüsselstellung kam dabei den "Ortsvorgesetzten" zu. Das waren in der Markgrafschaft die so genannten "Dorfvögte" und deren Stellvertreter, die "Stabhalter". Sie nahmen eine einflussreiche Doppelstellung ein, denn sie waren einerseits die lokalen Angelpunkte der staatlichen Implementationsbemühungen, andererseits Repräsentanten der Gemeinde, deren Interessen sie auch gegenüber der Territorialherrschaft wahrzunehmen hatten. Zweiter personeller Stützpunkt territorialstaatlicher Normdurchsetzung an der Basis waren die Pfarrer, die gleichfalls als staatliches Wahrnehmungs-, Aufsichts- und Kontrollorgan im Dorf fungierten.