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1902 erschien Theodor Herzls utopischer Roman Altneuland im Verlag Hermann Seemann in Leipzig, schon im selben Jahr die hebräische und ein Jahr später die russische Übersetzung. Der Journalist, Autor und Begründer des politischen Zionismus hatte – inspiriert durch seine Palästinareise im Jahr 1898, auf der er u. a. mit dem deutschen Kaiser zusammentraf – seit 1899 an dem Text gearbeitet. Herzl schildert in dem Roman eine neue zionistische Gesellschaft in Palästina und führt hier das eher skizzenhafte Bild seiner 1896 erschienenen Broschüre Der Judenstaat weiter aus. Hier soll besonders auf diejenigen Aspekte des Romans eingegangen werden, die das jüdische Gemeinwesen in Palästina als ein 'kleines Europa' im Nahen Osten schildern. Zudem sollen die topographischen Begebenheiten im Roman und deren Bezüge zur israelischen Geographie, Gesellschaft und Kultur untersucht werden.
Der 'tellurische Charakter' des Partisanengenres : jugoslavische Topo-Graphie in Film und Literatur
(2011)
Künstlerische Verarbeitungen des jugoslavischen Partisanenkampfes, vom Vrhovni štab und damit der Führung der Kommunistischen Partei Jugoslaviens (KPJ) bereits 1943 zum künstlerischen Desiderat des neu zu formierenden Staates Jugoslavien erklärt, finden sich in der Literatur schon zu einer Zeit, in der der Zweite Weltkrieg nicht beendet war. Der letztlich nicht länger als drei bis vier Jahre geführte Partisanenkrieg setzt sich auf diese Weise ein frühes Denkmal, das den Ausgang des Krieges vorwegnimmt und eine wechselseitige Beförderung von historisch-politischem Ereignis und seiner künstlerischen Darstellung in Jugoslavien initiiert. In den Nachkriegsjahren erfährt das neue Genre eine explosionsartige Vervielfachung, zu der ab dem ersten jugoslavischen Film, dem Partisanenfilm Slavica (1947, Regie: Vjekoslav Afrić, Avala Film), neben der Literatur auch das Kino beiträgt. Das Partisanengenre spielt – von diesen beiden, nachfolgend stark interagierenden Medien popularisiert1 – in der jugoslavischen Selbstkonzeption und im Entwurf eines gemeinsamen 'süd-slavischen' (jug = Süden, Jugoslavija = Südslavien) Territoriums eine zentrale Rolle. Es ist gerade das raumgestaltende und ‑umgestaltende Potential des Partisanennarrativs, das ich mit Carl Schmitts Begriff aus seiner Charakterisierung des Partisanenkrieges als "tellurischen Charakter" bezeichnen möchte, das die außerordentliche Genre-Karriere ermöglicht hat. Dieses Tellurische, das am Partisanengenre im Folgenden herausgearbeitet wird, kehrt in Partisanenrevivals gegenwärtig vielgestaltig wieder und speist sein topographierendes Umgestaltungspotential in nach-jugoslavische wie auch globale Kontexte ein.
Im Folgenden werden zunächst punktuell symbolische und literarische Codierungen des Schwarzmeerraumes aus russischer bzw. sowjetischer Perspektive skizziert, um dann erneut auf Brodskys Entwurf einer mentalen Topographie in "Flucht aus Byzanz" zurückzukommen. Die (sowjet-)russischen Erfahrungen und Einschreibungen konnotieren den gesamten Essay. Brodskys antiöstliches Pathos erweist sich vor dem autobiographischen Hintergrund als eine antiimperiale Geste, als Abrechnung mit der Unfreiheit des Sowjetimperiums.
Als Hinführung zum Phänomen der Gesichtsauflösungen sollen schlagwortartig zwei hinlänglich bekannte Diskurse gegenübergestellt werden, die einander mehr als 200 Jahre trennen und konträre epistemische sowie ästhetische Programme repräsentieren. Dieser kurze Rekurs wird unternommen, weil beide Aussagewelten symptomatisch für zwei Haltungen zum Gesicht sind, aus denen Fragen zur Darstellbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit und schlussendlich zu Konzepten des Subjekts folgen. Auch wenn beide Diskurse die Male ihrer historischen Entstehungskontexte aufweisen, so sprechen sie in gleichem Maße von Gegebenheiten, die noch heute die mediale und ästhetische Wirklichkeit betreffen. Das Ziel dieses Vorgehens ist es, in der Zusammenfassung beider Haltungen eine Blindstelle aufscheinen zu lassen, die die Frage der Interpretation von Gesichtsrepräsentationen berührt. Die Gegenstände der Untersuchung entstammen der Performance- und Medienkunst.
Ich möchte kurz voranstellen, dass ich als Umweltwissenschaftlerin ausgebildet bin, in der Epidemiologie promoviert und mich daraufhin der Wissensgeschichte und -soziologie und insbesondere den Science & Technology Studies zugewandt habe. Mein Interesse an den alltäglichen Praktiken der Wissensbildung und technischen Formalisierungsprozessen in der Ernährungsepidemiologie ist zum einen inspiriert durch den practice turn und den material turn in der Wissenschaftsforschung, zum andern aber auch durch meine eigene Forschungserfahrung in der Epidemiologie. Im Hinblick auf Epigenetik und Ernährung als Medium der Übertragung frage ich nach so banalen Dingen wie: "Wie werden Äpfel in Experimenten formalisiert?", um einigen konkreten Arbeitsweisen der Postgenomik innerhalb des Feldes Nahrung - Ernährung - Stoffwechsel nachzugehen. Im Sinne der bereits erwähnten Unterscheidung zwischen intra- und intergenerationaler Bedeutung des Begriffs Epigenetik von Testa und Boniolo geht es in den folgenden Beispielen primär um intragenerationale Epigenetik. Allerdings gibt es auch in der Ernährungsepidemiologie durchaus Forschung zu inter- oder transgenerationalen Effekten, hier werden oft die Langzeitstudien genannt, in denen die Folgen des niederländischen Hungerwinters 1944, während der deutschen Besatzung, als die Wehrmacht die Versorgungswege der Bevölkerung blockierte, über mehrere Generationen untersucht wurden (vgl. auch den Beitrag von Guy Vergères).
Eine besondere Affinität zwischen dem Gesicht als Eindrucks- und Ausdrucksfläche für Emotionen und dem Film ist in filmtheorischen Schriften häufig festgestellt worden. Namentlich Béla Balázs hat sich in seiner 1924 erschienenen Abhandlung ‚Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films‘ ausgiebig mit der filmischen Gestaltung der natürlichen Physiognomie von Menschen und Dingen beschäftigt. Sein besonderes Interesse galt dabei den Affektpotentialen des menschlichen Gesichts. Wie bereits Hugo Münsterberg in seiner 1916 erschienenen Schrift ‚The Photoplay‘ bemerkt hat, rückt der Film vor allem durch die Technik der Großaufnahme Gesichter wie Dinge ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Zuschauern. Die Vergrößerung stellt sie nicht nur von ihrer räumlichen Umgebung frei, sondern hebt auch mimische Details hervor, die sonst meist übersehen werden. Deshalb spielt die Großaufnahme eine wichtige Rolle in der filmischen Montage.
Gesichter und Gesichte, im Sinne von Visionen des Gewesenen oder Möglichen, sind in epischen, dramatischen und den filmischen Arbeiten von Samuel Beckett eng miteinander verknüpft. Becketts Arbeiten im Sektor der bewegten Bilder, um die es mir hier geht, umfassen einen Zeitraum von gut 20 Jahren, beginnend mit dem 1963 konzipierten "Film" und endend mit "Was wo" im Jahr 1986, einem Fernsehspiel, das Beckett zusammen mit dem SDR in Stuttgart produzierte. Sehen, Gesehenwerden, Gesicht und Gesichtetwerden, das Auflösen und Auslöschen des Gesichts im dreifachen Wortsinn, nämlich der physischen Erscheinung, des geschauten Bewusstseinsinhalts und des Gesichtssinns sind zentrale Themen der Arbeit auch in diesem Feld.
In der Moderne wird das Menschengesicht, das lange Zeit Sinnbild für die Ebenbildlichkeit Gottes und somit für menschliche Ganzheitlichkeit war, radikalen Auflösungsprozessen unterzogen. Zugleich scheinen immer wieder Erlösungsutopien durch, die eine neue Suche nach dem verlorenen oder erst noch zu schauenden Gesicht initiieren. Dieser Doppelstrebigkeit wird im Folgenden unter dem Leitbegriff des Rätsels nachgegangen. Letzterer lässt sich hierbei auf seinen zweifachen altgriechischen Ursprung zurückführen, auf 'griphos' ('Fischernetz, Schlinge': Ratespiel) und 'ainigma' ('dunkle Andeutung': das Rätselhafte). Das Rätsel wird in der Theologie seit jeher - in der Philosophie vermehrt in der Moderne – mit dem Gesicht (in seiner Doppeldeutigkeit von gesehenem und sehendem Gesicht) assoziiert, dessen Les- und Lösbarkeit es einer hermeneutischen Bewährungsprobe unterzieht. An zwei philosophischen Werken soll in einem ersten Schritt dieses Junktim von Rätsel und Gesicht(e) im Diagramm der beiden Lösungsbewegungen von Auflösung und Erlösung nachgezeichnet werden: an Friedrich Nietzsches 'Also sprach Zarathustra' (1883–1885) und Franz Rosenzweigs 'Stern der Erlösung' (1921) sowie seinen "nachträgliche[n] Bemerkungen" hierzu in "Das neue Denken" (1925).
Gesichter in Lyrik und Prosa verweisen auf vielfältige Techniken ihrer verbalen Kreation - und ihrer Auflösung. Anders als die Bildkunst, die Gesichter simultan evident macht, konstituiert sich das Verbalporträt (in der Regel) linear-sukzessiv. Es ist medial zur Fragmentierung des Motivs und zur Anordnung der semiotischen Einheiten in einer eindimensionalen Abfolge gezwungen: das heißt, die Zerlegung des darzustellenden Gesichts ist zwingend notwendig, ein Moment der Auflösung ist ihm seit jeher eingeschrieben. Daher experimentiert es aber auch seit jeher mit den Verfahren der Zusammenfügung (Re-Komposition) der Einzelteile. Diesbezüglich verzeichnet das poetische Porträt schon in der Renaissance erste spielerische Höhepunkte, die frappierende Ähnlichkeiten aufweisen mit den ungewöhnlichen, heute sehr bekannten Porträts des manieristischen Malers Giuseppe Arcimboldo, dessen Gesichter sich aus Blumen, Früchten, Büchern u.a. zusammensetzen und Kippfiguren zwischen Menschenähnlichkeit und Realitätsferne bilden, indem sie ihren Komposit-Charakter ostentativ zur Schau stellen. Die punktuelle Feststellung vergleichbarer Darstellungsprinzipien wirft notwendig die Frage auf, ob und inwiefern sich Auflösungserscheinungen in verbalen und pikturalen Porträts trotz ihrer Mediendifferenz stilhistorisch parallelisieren lassen – so lautet die Rahmenfrage, die erneut aufzugreifen ist nach einer Betrachtung verschiedener in Auflösung befindlicher Verbalporträts. Die einzelnen Werkanalysen sind konzise, zugunsten eines möglichst breiten Spektrums fazialer De-Kompositionen.
Sozusagen als Motto meiner Ausführungen zur Gattung des Porträts bzw. zur Porträtkunst habe ich eine Arbeit von Robert Rauschenberg gewählt. 1961 plante die Pariser Galeristin Iris Clert eine Porträt-Ausstellung und lud Robert Rauschenberg, den amerikanischen Pop-Künstler, zu einem Beitrag ein. Dieser reagierte mit einem aus Stockholm geschickten Telegramm mit dem Inhalt: 'This is a portrait of Iris Clert if I say so – Robert Rauschenberg'. Als Motto zeige ich die Arbeit deshalb, weil das Porträt im Laufe der Moderne und insbesondere im 20. Jahrhundert zu einer umstrittenen, ja in gewisser Hinsicht unmöglichen Gattung wird, und Rauschenbergs Telegramm nun zeigen kann, dass dieses Umstrittene zwei unterschiedliche Dimensionen hat: zum einen ist es der Streit über das, was als legitimes Porträt eines Menschen angesehen werden kann; zum anderen ist es der Streit darüber, was legitimerweise als ein Kunstwerk angesehen werden kann.