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Unmittelbar auf das fast friedensselig gestimmte Sterbegedicht der "Kleinen Passion" folgt ein seltsam derbkomisches, balladesk trotziges Klagelied einer Kröte, welche partout nicht sterben kann, ein offenkundiger Kontrapunkt oder satirischer Πάρωδος zum elegischen Passionsspiel über den Mückentod. Die beiden Gedichte stehen in Gottfried Kellers 'Gesammelten Gedichten' von 1888 in der zweitletzten Abteilung unter "Vermischte Gedichte" einander zugeordnet. Wie der Titel andeutet, findet sich hier ein recht buntes Allerlei von Texten unterschiedlichster Art und verschiedenster Entstehungszeit - die "Krötensage" wurde zwanzig Jahre vor "Kleine Passion" erstmals publiziert, nämlich 1852. Gleichwohl ist die gruppierende Hand Kellers unübersehbar, und dieser Ordnungswille wurde in der Keller-Forschung etwa von Emil Ermatinger oder Jonas Fränkel denn auch früh festgehalten. Konkret zu den beiden Gedichten sagt letzterer indessen lediglich: "Das Schicksal der Kreatur wird in zwei gegensätzlichen Gedichten abgewandelt." Der Bezüge sind freilich weit vielfältigere: Neben den jahreszeitlichen Kontrastparallelen - die "Kleine Passion" spielt im herbstlichen September, die "Krötensage" im Maienfrühling - und dem bedeutungsgeladenen Verhältnis von Leben, Körper und Hülle, dem "Futterale" - in der "Krötensage" der Stein, in der "Kleinen Passion" das dichterliche Buch - ist den beiden auch dasselbe Thema eingeschrieben: Letztlich geht es um die altehrwürdige 'ars moriendi' in ihrer dialektischen Verflochtenheit mit der 'ars vivendi'. Auch der satirische Grundklang erweist sich bei genauerem Hinschauen als gemeinsam.
Bill Violas mediale Neubearbeitungen der Passion Christi mögen hier als ein produktiver Umweg fungieren, der die Abkehr von einer Ikonographie der Passion ermöglicht und eine neue Sicht auf die Passion als Denkstil eröffnet. Denn durch einen solchen leidenschaftlichen Denkstil, gemäß der Bedeutung von 'Passion' als intensiver Hingabe an eine Person oder ein Objekt, zeichnet sich Sigrid Weigels wissenschaftliche Praxis aus, so etwa durch die Leidenschaft für dialektische Analyseverfahren von Bild und Schrift, verstanden als kritische Praxis. Solch ein Erkenntnisinteresse versucht unermüdlich, eine Neubestimmung kritischer Wissenschaft vorzunehmen, die sich sowohl im historischen Prozess bewährt als auch in gegenwärtigen Belangen verankert bleibt. Es folgt eine kritische Lektüre von Bildern, die jeweils in dichten Beschreibungen eingeführt werden. Drei Beispiele aus der Gegenwartskunst veranschaulichen die Konstituierung von Identitäten mit Blick auf die Diskurse von Geschlecht, Rasse und sexueller Orientierung und damit die Konstruktion einer Identität im Spannungsfeld von Subjektivität und Fremdbestimmung. Die Bilder verdeutlichen dabei die resultierenden Konflikte zwischen eigenem Erleben und vorherrschenden Strukturen.
Die telefonische Revolution des Bildes : Effekte einer Kommunikationsobsession des 21. Jahrhunderts
(2010)
Um was für ein Objekt handelt es sich eigentlich beim gegenwärtigen Mobiltelefon? Im Folgenden sollen kurz drei Elemente skizziert werden, die für die historische Entwicklung und das gegenwärtige Design des Mobiltelefons von zentraler Bedeutung sind: Das Mobiltelefon ist (1) ein höchst hybrides Medium, das eine ganze Reihe von Medientechniken verbindet und dabei auch diese eigentümliche Verbindung von Telefon und digitalem Bild herstellt; es ist (2) eine mobile Operationseinheit, die sich von einem physischen oder architektonischen Ort löst und dessen Mobilisierung (3) die Minimierung der Interfaces forciert. All dies erzeugt die neuen Bedingungen für eine Revolution des digitalen Bildes im Zeichen des Telefons.
Kinoleidenschaft, geteilt
(2010)
Im Kino geht es um Sehnsüchte und Leidenschaften - das ist ein Allgemeinplatz. Weitaus seltener bemerkt worden ist, dass es einem echten Vertrauensbeweis gleichkommt, gemeinsam ins Kino zu gehen. Der Kinogänger offenbart dabei die eigenen Passionen - allein schon durch den Vorschlag, diesen oder jenen Film anzuschauen. Und er lässt die anderen an recht persönlichen Erschütterungen teilhaben: dem Erschrecken, Seufzen, Kichern oder auch Schluchzen. Gemildert wird diese Offenherzigkeit jedoch dadurch, dass auch die Begleiter im Halbdunkel aus dem Seitenwinkel wahrnehmbar sind. Nicht selten gleichen sich auf diese Weise die Reaktionen miteinander ab. Ein ostentatives Aufstöhnen wird durch ein beherrschtes Nicht-Reagieren beantwortet, ein lautes Lachen durch erleichtertes Mitlachen. Die Kino-Gemeinschaft ist durch ein System kommunizierender Blickwechsel miteinander verbunden.
Drei Figuren
(2010)