BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.06.00 Literaturtheorie
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Schnittstellen zwischen Chaostheorie, soziologischer Systemtheorie und empirischer Literaturtheorie
(2009)
Dieser Beitrag präsentiert einige Berührungs- und Abstoßungspunkte von Theorieansätzen, die von konstruktivistischen Prämissen geleiteten sind und der chaostheoretischen Literaturwissenschaft, wie sie sich in den vergangenen zwanzig Jahren in ihrer Praxis darstellt. Ich gehe in meinen Ausführungen davon aus, dass die Überschneidungen, insbesondere in Hinblick auf die Theorieimporte und -anklänge aus den Naturwissenschaften und der Soziologie, aus kulturanalytischer Perspektive von Bedeutung sind. An ihnen ist zu beobachten, in welchem Maß Objektbereich und Disziplin (Literatur und Literaturwissenschaft) zu Instrumenten kultureller Selbstbeobachtung und Selbstvergewisserung werden.
"Was wäre ein Zeichen, das nicht zitiert werden könnte?", fragt Jacques Derrida in seinem 1972 erschienen Aufsatz 'Signature evenement contexte', um kurz darauf festzustellen: "Jedes Zeichen, sprachlich oder nicht, gesprochen oder geschrieben (im geläufigen Sinn dieser Opposition), als kleine oder große Einheit, kann zitiert – in Anführungszeichen gesetzt – werden; von dort aus kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen und auf absolut nicht sättigbare Weise unendlich viele neue Kontexte zeugen." Zitieren wird hier als eine Bewegung des Herausnehmens aus einem Kontext und Einfügens in einen anderen Kontext beschrieben - und für diese doppelte Geste, die dem Akt des Zitierens zugrunde liegt, verwendet Derrida die Metapher der Pfropfung: "Auf dieser Möglichkeit möchte ich bestehen", heißt es in 'Signatur Ereignis Kontext': der "Möglichkeit des Herausnehmens und des zitathaften Aufpfropfens [greffe citationelle], die zur Struktur jedes gesprochenen oder geschriebenen Zeichens gehört". Damit wird die Pfropfung zu einer Figuration, zu einer Verkörperung dessen, was im Akt des Zitierens und durch den Akt des Zitierens geschieht, wobei den Anführungszeichen eine besondere Funktion zukommt: Sie signalisieren, dass das Zeichen oder die Zeichenkette, die zwischen Anführungszeichen gesetzt wurden, anders interpretiert werden soll als sie bisher interpretiert wurde. Anführungszeichen signalisieren also einen Wechsel des "Deutungsrahmens". Das gilt für einfache Anführungszeichen, die eine ironische Distanzierung signalisieren ebenso wie für die doppelten Anführungszeichen. Die doppelten Anführungszeichen zeigen nicht nur einen Wechsel des Deutungsrahmens an, sondern sie zeigen auch an, dass das, was zwischen die doppelten Anführungszeichen gesetzt wurde, nicht von dem stammt, der spricht oder schreibt. Sie zeigen ein 'von jemand anderem' an: sei es, um diesem anderen damit die Ehre der Urheberschaft zu geben und damit zugleich sein Copyright zu respektieren; sei es, um dem anderen die Verantwortung für das, was zwischen den Anführungszeichen steht, zuzuschreiben. Insofern zeigen doppelte Anführungszeichen zugleich die Distanz und die Differenz zwischen zitierendem Subjekt und zitiertem Subjekt an.
»Medium«, so lesen wir im Vorwort des ‚Kursbuchs Medienkultur’, »heißt Mitte und Mittler, Vermittlung und Vermittler und appelliert an die Frage, wie die Rolle, die Tätigkeit und das Material dieses Dazwischen genauer beschaffen sei«. Damit ist die Frage »Was istein Medium?« offensichtlich an die Frage »Wie ist ein Medium?« gekoppelt. Was macht ein Medium in diesem Dazwischen? Wenn man der Ansicht zustimmt, dass es Medien in einem »substantiell und historisch stabilen Sinn« nicht gibt, da »[w]eder materielle Träger noch Symbolsysteme oder Techniken der Distribution« hinreichen, um den Begriff des Mediums zu explizieren, dann tritt an die Stelle einer substantiellen Antwort auf die Was-ist-ein-Medium-Frage eine Das-macht-das-Medium-These: die These nämlich, dass Medien das, was sie vermitteln, verarbeiten oder speichern, »unter Bedingungen stellen, die sie selbst schaffen und sind«. Medien sind, mit anderen Worten, Rahmenbedingungen, die konstitutiv auf das, was sie vermitteln, einwirken. Diese eigentümliche Dynamik der medialen Rahmung fasst die Mediologie im Ausgang von Regis Debrayals System Dispositiv – Träger – Prozeß: ein System, das die Verfahren der Übertragung determiniert; in die gleiche Richtung zielt Sybille Krämer, wenn sie feststellt, dass Medien »im Akt der Übertragung dasjenige, was sie übertragen, zugleich mitbedingen und prägen«.
"His ignorance", so lesen wir im zweiten Kapitel von Conan Doyles 'A Study in Scarlet', das den Titel "Science of Deduction" trägt, "his ignorance was as remarkable as his knowledge". Sherlock Holmes, seines Zeichens Meisterdetektiv und Fürsprecher exakten Detailwissens, überrascht seinen Freund durch eklatantes Nicht-Wissen: von Gegenwartsliteratur, Philosophie und Politik; "he appeared to know next to nothing", schreibt Watson, und seine Überraschung erreicht ihren Höhepunkt, als er herausfindet, dass Holmes nichts über die Zusammensetzung unseres Sonnensystems weiß: "[H]e was ignorant of the Copernican Theory". Wie kann es sein, so fragt sich Watson, dass ein zivilisierter Mensch des neunzehnten Jahrhunderts nicht weiß, dass sich die Erde um die Sonne dreht? Wie kann sich ein Sherlock Holmes derartige Lücken im Feld des Allgemeinwissens leisten? Die Antwort, die Holmes seinem Freund gibt, setzt Nicht-Wissen und Wissen in ein strategisches Verhältnis, das unter dem Vorzeichen einer professionalisierten, dem Gesetz der Ökonomie gehorchenden episteme steht: Nur das nützliche Wissen – das Wissen, das für die spezielle Arbeitsaufgabe eines consulting detectives nötig ist – erhält überhaupt Zugang zu seinem Gedächtnis, wobei dieses, topologisch nicht allzu originell, als Dachboden eines oikos beschrieben wird, in dem – hier wird das Grundgesetz der Ökonomie, die Verknappung, auch in räumlicher Hinsicht in Anschlag gebracht – nur wenig Platz ist. […]Der 'brain-attic' ist mithin nicht nur dem ökonomischen Dispositiv knappen Raums, sondern auch einem pragmatischen Prinzip der epistemischen Auslese unterworfen, das quasi darwinistische Züge trägt: Nur das nützliche Wissen überlebt. Dieser Verdrängungskampf der Gegenstände des Wissens, eine Antizipation dessen, was Peirce und Popper später als 'evolutionary theory of knowledge' propagieren werden, offenbart den strategischen Aspekt des Nicht-Wissens: Angesichts begrenzter Raumkapazitäten wird das Leerräumen überfüllter Wissensspeicher zur Voraussetzung dafür, dass sich neues Wissen einrichten kann. Anders gewendet: Nur das Vergessen von Bereits-Gewusstem schafft Raum für zukünftiges Wissen – und unter dieser Prämisse wird das Nicht-Wissen zu einem ebenso bemerkenswerten Phänomen wie das Wissen.
Este ensaio investiga a importância da violência na entrevista de Hubert Fichte com Hans Eppendorfer, o Homem de Couro – no plano conteudístico e no plano estrutural. Tenta-se demonstrar como Fichte manipula (violentamente) o entrevistado. A violência que é tema da entrevistae examinada dentro do horizonte da teoria fichtiana do ritual.
Kritik, Literaturkritik (II.) : Die Geschichte des K.-Begriffs von der Renaissance bis zur Gegenwart
(1976)
Das Wort <K.> bezeichnet bildungssprachlich heute fast ausschließlich die Rezension literarischer Neuerscheinungen und die Besprechung künstlerischer Darbietungen als Formen der Publizistik, sowie die Gesamtheit der diese verfassenden Personen. Solchem Wortgebrauch zufolge unterscheidet sich K. von der (akademischen) Literaturwissenschaft neben der Aktualität dadurch, daß sie sich der Äußerung von Werturteilen und der Einflußnahme nicht enthalten muß. In dieser engen Verwendung ist <K.> das Ergebnis eines Bedeutungswandels, dem das französische <critique> und das englische <criticism> nicht in gleicher Weise unterlegen sind, so wenig sich in beiden Sprachen ein <Literaturwissenschaft> vergleichbarer Terminus hat durchsetzen können.
Entfremdung (alienação) e Fremdheit (estranheza) podem ser entendidos como demarcadores de paradigmas culturais. A primeira está para a modernidade, assim como a segunda está para a pós-modernidade. Uma está para identidade, e a outra para alteridade. Enquanto a existência do fenômeno da alienação tornou-se questionável na atualidade, o discurso sobre estranheza vem se consolidando no âmbito acadêmico europeu. Tal discurso é, em certa medida, marcado por uma crítica cultural que tenta fazer justiça ao "estranho" recalcado por séculos pela cultura europeia. Enquanto isso, uma fenomenologia da alienação começa também a se desenvolver, a fim de reformular o conceito. Os dois fenômenos relacionam-se na medida em que a alienação é entendida como um momento transitório da estranheza. Ambas as teorias têm se mostrado produtivas no campo da análise literária.
Es ist bekannt, daß sich der theoretische Dissens zwischen Michel Foucault und Jacques Derrida, wie er seit den sechziger Jahren, seit Foucaults Buch "Wahnsinn und Gesellschaft", in den Texten beider Autoren seinen Niederschlag gefunden hat, anhand von Fragen entzündet hat, die die Problematik der Lektüre einiger Passagen der "Meditationes de Prima Philosophia" von René Descartes betreffen. Diese durchaus von polemischer Schärfe getragene Auseinandersetzung, deren z.T. unversöhnbar scheinende Rhetorik angesichts einer strategischen Nähe, die man prima facie zwischen den theoretischen Projekten beider vermuten könnte, verwundern mag, findet ihren Ausgangspunkt in Foucaults frühem Projekt einer Rekonstruktion des für die klassische und moderne Epoche angeblich konstitutiven Ausschlusses des Wahnsinns aus der Vernunft. [...]
Im folgenden werde ich zunächst die Position Foucaults in Bezug auf den Zusammenhang des Ausschlusses der wahnsinnigen Sprache aus der Vernunft und der Entstehung einer spezifischen Literatur erläutern. Die Erläuterung der Beziehung von Wahnsinn, Sprache, Vernunft und Literatur macht es notwendig, weitere Texte Foucaults heranzuziehen, trotz eines gewissen Vorbehalts bezüglich der Zulässigkeit einer Art der Rekonstruktion der Thesen Foucaults, die über verschiedene Texte hinweg zeitlich divergierende Stadien seiner Theorie als eine einheitliche und kohärente Theorie behandelt. Der dritte Teil widmet sich einer Rekonstruktion der theoretischen Verschiebung, die Derrida an Foucaults Projekt vornimmt. Schließlich folgt im letzten Teil eine Rekonstruktion der gegenseitig erhobenen Einwände im Rahmen eines Vergleichs beider Positionen und ein Aufriß der Strategie und Methodik.
The author presents the concept of testimony in two different literary and theoretical backgrounds, namely the German and the Spanish-American. Testimonio and Zeugnis an not be mutually translated because the first is thought as a literary gender inside the literary tradition of mimesis/imitatio. Whereas the notion of Zeugnis was created in Germany on the grounds of Shoah literature, and was strongly impregnated by the psychoanalytical idea of trauma, and by the awareness of the simultaneous necessity and impossibility of the testimonial writing.
This paper analyses the idea of the avant-garde in Benjamin and its reception in German literary criticism after World War II. It examines the works of Hans Magnus Enzensberger and Peter Bürger, who focus on the concept of avantgarde. This perspective allows us to broaden our reflection on German literary history since the end of World War II, and this contributes to the discussion on Postmodernism. The elaboration of the concept of allegory gives this discussion a clearer direction. Benjamin's key-notion of profane illumination was not received in a theoretical-philological way – but it materialized as experience in the students' revolt at the end of the 60s and the beginning of the 70s.
Seit vielen Jahren problematisiert Bernhard Waldenfels in einer Reihe von Publikationen die Frage nach der Wahrnehmung des Fremden, die in der aktuellen Diskussion vor allem unter dem Stichwort "Alterität" immer mehr an Relevanz zu gewinnen scheint. Sein jüngster Beitrag unter dem Titel Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden empfiehlt sich vor allem als Komplementärlektüre, zur Einführung oder erläuternden Begleitung der früheren Schriften. Waldenfels gibt an, das Fremde nicht als Spezialthema - isoliert in einer "gedanklichen Quarantäne" (S.7) - behandeln zu wollen. Dies würde bedeuten, es von einem Standpunkt des Vertrauten und Bekannten aus zu diskutieren und somit von vorneherein zu verfehlen. Vielmehr sei das Fremde als etwas zu nehmen, das "nicht dingfest zu machen ist" (ebd.) und sich unserem Zugriff entzieht. So vermag es zu überraschen, zu beunruhigen und zu erschrecken, so dass die Erfahrung des Fremden letztlich in ein Fremdwerden der Erfahrung übergeht. Nur wenn diese Radikalität der Fremderfahrung akzeptiert wird, kann eine Phänomenologie realisiert werden, die sich den Anforderungen des Themas zu stellen weiß. Deren Grundmotive skizziert Waldenfels in sechs Kapiteln, die sich mit folgenden Schlüsselthemen beschäftigen: "Ordnung - Pathos - Antwort - Leib - Aufmerksamkeit - Interkulturalität" (S.9).
Eine der primären Aufgaben nicht nur der Komparatistik, sondern der Literaturwissenschaft im Allgemeinen sollte es sein, Literatur als ein globales Phänomen zu erfassen und zu beschreiben. Manifestiert sich der globale Charakter von Literatur auch am augenscheinlichsten im Rahmen einer Poetik der imitatio in motivischer, thematischer und gattungsgeschichtlicher Hinsicht, so besteht er dennoch auch dann, wenn bestimmte Techniken eine internationale Präsenz besitzen. Dies gilt beispielsweise für die Konkrete Poesie, deren Funktion als einer der Katalysatoren der Globalität von Literatur im Folgenden erläutert wird.
Konkrete Poesie ist per se ein internationales Phänomen, oder wie Eugen Gomringer es formuliert hat: „die konkrete poesie […] ist einer der konsequentesten versuche, poesie inter- und übernational zu begründen.“ Zunächst müssen wir – im Sinne wissenschaftlicher Eindeutigkeit – zwischen einem engeren und einem weiteren Begriff der Konkreten Poesie unterscheiden. Die Konkrete Poesie im engeren Sinne meint eine seit den 1970er Jahren historisch gewordene Dichtung. Ihre ‘Geburtsstunde’ lässt sich zu Recht als „transatlantic baptism“ , nämlich durch Eugen Gomringer und Décio Pignatari in der Hochschule für Gestaltung im Jahre 1955 in Ulm, bezeichnen. In den frühen 1950er Jahren sowohl in Deutschland als auch Brasilien entstanden, findet sie Aufnahme in fast allen europäischen Ländern, Nordamerika und Japan. Im Folgenden soll der Begriff der Konkreten Poesie jedoch nicht in diesem unnötig eingeschränkten historischen Sinn gebraucht werden, sondern in einem sehr viel umfassenderen Sinn: Er ist all jenen Gedichten vorbehalten, in denen eine Transpa-renz des Zeichengebrauchs nicht gegeben ist, sondern stattdessen die Materialität der jeweils eingesetzten Zeichen im Vordergrund steht, wie dies auf ähnliche Weise schon im Futurismus und Dadaismus betrieben wurde, bevor der Surrealismus diesen Experimenten ein jähes Ende bereitet hat. Gilt dies auch für die Bereiche der Lautdichtung, der Gedichtobjekte u. ä., so beschränken sich die folgenden Ausführungen auf den visuellen Bereich, und zwar auf visuelle Konkrete Poesie nach 1945, zumal in der Dichtung aus dieser Zeit eine starke Tendenz zu konkretistischen Verfahrensweisen herrscht.
Bakhtin and Dostoevsky shared the conviction that human life must be understood in terms of temporality. Both thinkers were obsessed with time’s relation to life as people experience it. For each, a rich sense of humanity demanded a chronotope of open time. In many respects, the views of Bakhtin and Dostoevsky coincide. Theologically speaking, one could fairly call them both heretics, as we shall see. Their differences reflect their different starting points. Bakhtin began with ethics, whereas Dostoevsky thought about life first and foremost in terms of psychology. For Bakhtin, any viable view of the world had first of all to give a rich meaning to moral responsibility. Dostoevsky could accept no view that was false to his sense of how the human mind thought and felt.
This article investigates the function and reality of language in Niklas Luhmann's systems theory. How can one interpret the systems-theoretical assumption that language is based on communication? Luhmann describes language as a dynamic media/form relationship, which is able to couple the social and psychological system. This structural coupling, which constructs consciousness and language as two autonomous systems, raises problems if one defines language from a cognitive point of view. This article discusses these problems and aims to develop assumptions and questions within the systems-theoretical approach.
In his book "Fiction and Diction", Gerard Genette bemoans a contradiction between the pretense and the practice of narratological research. Instead of studying all kind of narratives, for Genette, narratological research concentrates de facto on the techniques of fictional narrative. Correspondingly, Genette speaks of a "fictional narratology" in the pejorative sense of a discipline that sets arbitrary limits on its area of study. In his objection, the narratology that literary scholars practice considers fictional narrative to be at least the standard case of any narrative. In other words, what is merely a special case, within a wide field of narratives, is here elevated to narrative par excellence. According to Genette, narratology does not omit the domain of non-fictional narratives from its investigations with any justification, but rather annexes it without addressing its specific elements.
What are possible ways in which this perspective, which Genette criticizes as truncated, can be set right? Can the problem, as outlined, simply be solved by expanding the area of study in narratological research? Or are there not, perhaps, important differences between fictional and nonfictional narratives which seem to encourage narratological research, understood as a fundamental discipline of literary study, under the heading of "fictional narratology"?
In order to come to an answer here, we will first discuss the problem of differentiating between fictional and non-fictional narratives, as well as the possibility of a connection between narrative and fictionality theory. Second, we will expand our considerations to encompass pragmatic and historical aspects of narratives in order to delineate the scope of our proposal.
These […] stories are chosen from anthologies with texts called 'urban legends' (sometimes they are also referred to as 'contemporary legends', or 'urban myths'). Bearing this name in mind, we tend to read these texts as 'Iegendary' narratives that relate ficticious stories of events which never happened. But what if somebody told you these stories as factual accounts of events that really happened to the friend of a friend: wouldn't you believe them to be true – or at least consider seriously the possibility of their truthfulness? Before entering in a discussion of this question, I want to introduce in more detail the kind of narrative I am seeking to analyze.
Erzählen
(2011)
Was ist Erzählen? Erzählen ist eine sprachliche Handlung: Jemand erzählt jemandem eine Geschichte. An dieser Handlung lassen sich – in Analogie zu der linguistischen Grundeinteilung zwischen der Pragmatik, Semantik und Syntax der Sprache – drei Dimensionen unterscheiden.
(a) Erstens ist das Erzählen eine Sprachhandlung, die in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten stattfindet. Diese Kommunikation kann unterschiedlich gestaltet sein, beispielsweise als mündliches Erzählen mit kopräsenten Gesprächsteilnehmern oder zerdehnt als schriftlicher Kontakt zwischen räumlich und zeitlich voneinander entfernten Autoren und Lesern. Die Praxis des Erzählens kann unterschiedlichen Funktionen dienen: Man kann erzählend informieren, unterhalten oder belehren, moralisch unterweisen, geistlich stärken oder politisch indoktrinieren, Erzählgemeinschaften bilden, individuelle oder kollektive Identität en stiften usw. Pragmatische Aspekte des Erzählens stehen insbesondere bei der Untersuchung nicht-literarischer ›Wirklichkeitserzählung en‹ (Klein/Martínez 2010) im Vordergrund, also beim Erzählen in institutionellen, quasi-institutionellen und alltäglichen Situationen, etwa Gerichtserzählungen, Predigten, Krankheitsgeschichten beim Arzt oder Therapeuten, journalistischen Reportagen oder dem Klatsch unter Arbeitskollegen.
(b) Eine zweite Dimension der Erzählhandlung umfasst das, was mitgeteilt wird: den Erzählinhalt, nämlich bestimmte Figuren, Schauplätze und Ereignisse, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
(c) Drittens schließlich ist das ›Wie‹ des Erzählens von Interesse, die Gestaltungsweise der Erzählung. Dazu gehören rhetorische und stilistische Mittel, aber auch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählstimme, etwa der aus dem Text erschließbare ›Standort‹ des Erzähler s (der sich innerhalb innerhalb oder außerhalb seiner eigenen Geschichte befinden kann), das Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und dem Zeitpunkt der erzählten Handlung oder auch die Perspektive der Darstellung. Während die erste Dimension den pragmatischen Kontext des Erzählens umfasst, betreffen der Erzählinhalt (das ›Was‹) und die Erzählweise (das ›Wie‹) textinterne Aspekte.
Figur
(2011)
Wenn literarische Geschichten ('mythoi') gemäß der Bestimmung des Aristoteles "menschliche Handlungen" darstellen ('mimesis praxeōs'; Aristoteles 1982, 1449b), dann sind die Akteure dieser Handlungen zweifellos ein zentrales Element von Erzählungen, genauer gesagt: eine Grundkomponente der erzählten Welt (Diegese). Die Bewohner der fiktiven Welten fiktionaler Erzählungen nennt man 'Figuren' (engl. 'characters'), um den kategorialen Unterschied gegenüber 'Personen' (oder 'Menschen') hervorzuheben. Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte berichten von Personen. Aus diesem Unterschied folgen einige Besonderheiten, die Figuren. Fiktionaler literarischer Welten sowohl von der Darstellung realer Personen in faktualen Texten wie auch von der Wahrnehmung realer Personen in unserer Alltagswelt unterscheiden.
Figuren müssen nicht menschlich oder menschenähnlich sein. Viele literarische Akteure besitzen phantastische Qualitäten, die mit dem Begriff einer Person unvereinbar sind – man denke an die tierischen Handlungsträger in Fabeln. Selbst unbelebte Dinge wie Roboter in der Science Fiction oder die titelgebenden Protagonisten des Grimmschen Märchens "Strohhalm, Kohle und Bohne" können in der Fiktion zu Handlungsträgern und damit zu Figuren werden. Gibt es überhaupt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Textelement als eine Figur gelten kann? Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl. dass man ihr Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss.