Gegenübertragung in der stationären, psychosomatischen Therapie

  • Die Gegenübertragung hat sich mittlerweile zu einem der wichtigsten Instrumente der stationären psychosomatischen Therapie entwickelt. Ihr kommt in der psychodynamischen Psychotherapie für das Verständnis der unbewussten Konflikte und für den damit zusammenhängenden Behandlungserfolg eine zentrale Funktion zu. Dies gilt für die Einzeltherapie, aber auch für die integrative stationäre psychodynamische Therapie und deren „Herzstück“ (Janssen 2004) - das multiprofessionelle Team. Die Ziele der Arbeit bestehen - abgesehen von der Beschreibung der Faktorenstruktur und Reliabilität des Gegenübertragungsfragebogens - darin, herauszufinden, ob sich a) die Gegenübertragung in unterschiedlichen Therapieverfahren unterscheidet, b) in welcher Weise die Gegenübertragung mit dem Beziehungserleben und der Beziehungsgestaltung des Patienten zusammenhängt, c) ob die Gegenübertragung mit der Belastung des Patienten zusammenhängt und d) ob sich die Gegenübertragung abhängig von der Diagnose unterscheidet. Methode: Dazu wurde mithilfe des Gegenübertragungsfragebogens (CTQ-D) die Gegenübertragung von 137 Patienten durch mehrere Therapeuten (Ärzte, Psychologen und Pflegekräfte) aus zwei psychosomatischen Kliniken zu Therapiebeginn und zum Therapieende erhoben. Insgesamt flossen 1131 Fragebögen in die Auswertung mit ein. Die Faktorenanalyse des CTQ-D ergab eine Lösung mit sieben statistisch und klinisch kohärenten Faktoren: 1) aggressiv-resignative GÜ, 2) positiv-zugeneigte GÜ, 3) überwältigt-verängstigte GÜ, 4) protektiv-elterliche GÜ, 5) desinteressierte GÜ, 6) verstrickte GÜ und 7) sexualisierte GÜ. Die Patienten füllten die Symptomcheckliste (SCL-90R), den Helping Alliance Questionaire (HAQ), das Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (IIP) und den Fragebogen zur Erhebung von Persönlichkeitsstörungen (ADP-IV) zu Beginn und zum Ende der Therapie aus. Ergebnisse: Es konnten einige spezifische und signifikante Zusammenhänge zwischen der Gegenübertragung der Therapeuten und den Selbstbeurteilungsinstrumenten der Patienten nachgewiesen werden: a) Konfliktorientierte Therapieverfahren (Gesprächstherapien) erzeugen bei den Therapeuten höhere aggressiv-resignative Gegenübertragung, erlebnisorientierte Therapieverfahren (Körpertherapie und Gestaltungstherapie) rufen höhere positiv-zugeneigte, protektiv-elterliche und verstrickte Gegenübertragung hervor. b) Die Beziehungszufriedenheit der Patienten ist umso größer, je geringer die aggressiv-resignative Gegenübertragung von den Therapeuten wahrgenommen wird und die Therapiezufriedenheit ist umso größer, je geringer die aggressiv-resignative, überwältigt-verängstigte und protektiv-elterliche Gegenübertragung ausgeprägt ist. Ein hoher IIP-Wert bei den Patienten hängt mit dem Erleben von überwältigt-verängstigter Gegenübertragung zusammen. c) Patienten mit hohem GSI rufen bei den Therapeuten hohe aggressiv-resignative, überwältigt-verängstigte, desinteressierte und geringe positiv-zugeneigte Gegenübertragung hervor. Verstrickte, positiv-zugeneigte und sexualisierte Gegenübertragung hängen mit einem guten Therapieverlauf zusammen, aggressiv-resignative und desinteressierte Gegenübertragung deuten auf eine schlechte Entwicklung im Verlauf hin. d) Die höchsten Werte der aggressiv-resignativen, überwältigtverängstigten und protektiv-elterlichen GÜ und die geringste positiv-zugeneigte GÜ wird bei der Gruppe der Persönlichkeitsstörungen wahrgenommen. Den höchsten Wert der positiv-zugeneigten und der verstrickten GÜ erreicht die Gruppe der Essstörungen. Somatoforme Störungen rufen in den Therapeuten ein hohes Maß an Desinteresse hervor. Die Gruppe der affektiven Störungen erzeugt bei den Therapeuten in allen Dimensionen geringe Gegenübertragungsgefühle. Folgerung: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Gegenübertragung ein aussagekräftiges Instrument zur Beurteilung der Beziehungsgestaltung, der Belastung und der Verlaufsbeurteilung der Patienten auf einer psychosomatischen Station darstellt. Sie betonen auch die Bedeutung der Auflösung negativer Gegenübertragungskonstellationen durch Supervisionen und Teambesprechungen im stationären Alltag. Dabei bedürfen schwierige Patienten, beispielsweise mit somatoformer Störung oder Persönlichkeitsstörung besonderer Aufmerksamkeit. Dem CTQ-D kann neben dem Einsatz als wissenschaftlichem Instrument im Rahmen der Ausbildung und im klinischen Alltag zur Vorhersage des Therapieverlaufs umfassende Bedeutung zukommen.
  • Countertransference has since developed to a very important tool in inpatient psychosomatic treatment. It has gained in importance for the understanding of unconscious conflicts and related treatment outcome in psychodynamic psychotherapy as well. That is both for single therapy and for integrative psychodynamic therapy with the “core” (Janssen 2004) of multiprofessional team. The aim of this study was apart from providing data on the reliability and factor structure of the countertransference questionnaire, to assess, a) if countertransference differs between diverse types of therapy, b) in which usual manner countertransference is connected to the experience and configuration of the patients relationships, c) if countertransference is associated to patients exposure and d) if countertransference depends on various diagnoses. Method: The Countertransference Questionnaire, German version (CTQ-D) is a translation from the CTQ, provided by Drew Westen et al., Emory University, Atlanta, USA. The Countertransference of a sample of 137 patients was measured by several therapists (physicians, psychologists and nursing staff) by the CTQ-D on admission and discharge. A total number of 1131 questionnaires were filled in. Factor analysis of CTQ-D yielded seven statistically and clinically coherent factors: 1) aggressive/resigning, 2) positive, 3) overwhelmed, 4) protective, 5) indifferent, 6) overinvolved, 7) sexualized. Patients completed Checklist-90 Revised (SCL 90R), Helping Alliance Questionnaire (HAQ), Inventory of Interpersonal Problems (IIP) and the Assessment of DSM-IV Personality Disorders (ADP-IV) on admission and discharge. Results: The study revealed several specific and significant correlations between the therapists’ countertransference reactions and the patients’ self-reporting tools: a) Conflict orientated treatment procedures (conversational therapy) induce higher levels of aggressive/resigning CT in therapists, experience orientated treatment procedures (body work and art therapy) induce higher positive, protective and overinvolved countertransference feelings. b) We found a negative correlation between higher patients’ marital satisfaction and negative countertransference reactions and another negative correlation between higher patients’ outcome satisfaction and therapists feeling negative, overwhelmed and protective. A higher IIP-rating in patients sticks together with therapists feeling overwhelmed. c) Patients with high GSI (Global severity index) induce distinctive feelings of being negative, overwhelmed, indifferent in therapists, and less feelings of being positive. Symptom change was positively correlated with overinvolved, positive and sexualized countertransference reactions and negatively correlated with negative and indifferent feelings. d) Maximum values of therapists feeling negative, overwhelmed and protective and minimum values of therapists feeling positive are counted in patients with personality disorders. Patients who suffer from eating disorders created highest levels of positive and overinvolved feelings in therapists. Patients with somatoform disorder induced distinctive feelings of indifference as well. Patients with affective disorder didn’t even induce high countertransference feelings at all. Conclusion: These findings make clear that countertransference is a significant tool to assess shaping of patients relationship, patients liability and proceeding in inpatient psychosomatic treatment. The findings point out the importance of resolving negative countertransference constellations by discussing them in supervisions and team-meetings. Patients with somatoform disorder and personality disorder should hence be reviewed constantly. The CTQ-D Questionnaire could either be used in research or in education and daily routine e.g. to predict symptom change in patients.
Metadaten
Author:Alexander Obbarius
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-276999
Referee:Ralph Grabhorn, Frank Nürnberger
Advisor:Ralph Grabhorn
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2012/12/14
Year of first Publication:2012
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2012/11/28
Release Date:2012/12/14
Tag:Gegenübertragung; Kommunikation; Psychoanalyse; Psychosomatik; Übertragung
Page Number:131
HeBIS-PPN:314355898
Institutes:Medizin
Dewey Decimal Classification:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoGemeinfreies Werk / Public Domain