Fruchtbarer Boden: Afghanistans Potential einer weiteren Radikalisierung

  • Afghanistans ehemalige Mudschahedin haben es geschafft: Kritik an „heiligen Kriegern“, wie sie sich nun nennen, ist gleichzeitig Kritik am Islam, und das ist brandgefährlich in ihrem Land. Manch ein Kriegsverbrecher nutzt das Islam- Argument, um sich über das staatliche Gesetz zu stellen und damit unangreifbar zu machen. Säkulare Gruppierungen, die in der urbanen Bevölkerung weiter bestehen, würden es heute nicht mehr wagen, sich öffentlich so zu bezeichnen. In Regierung, Justiz und Gesellschaft ist der Druck, sich zum Islam zu bekennen, groß. Eine zuweilen absurd anmutende Konkurrenz darüber, wer am ‚islamischten‘ ist, führt zu immensem Druck auf Medien und Zivilgesellschaft, insbesondere auf Frauenrechtsgruppen, sich innerhalb des Islams zu positionieren und sich abzugrenzen von ‚unislamischen‘ Werten. Seit einigen Jahren dreht sich beispielsweise eine erhitzte gesellschaftliche Debatte um ein Gewaltschutzgesetz für Frauen, begleitet von einer medialen und religiösen Kampagne gegen Frauenschutzhäuser: im Kern wird beiden vorgeworfen, antiislamisch zu sein. Frauenrechtsgruppen sehen sich gezwungen, juristisch und religiös zu begründen, dass das Gesetz keine Anteile aufweist, die dem Islam widersprechen. Der hohe Rat der Ulema, 2002 von der Regierung eingesetzt und bezahlt, stellt die größte und einflussreichste religiöse Struktur in Afghanistan dar: er besteht aus 3000 Ulema und Mullas1 (davon ¾ Sunniten und ¼ Schiiten); viele sind gleichzeitig auch Richter, politische Berater, Lehrer oder Imame. Die meisten von ihnen gehören einer der Mudschahedin-Gruppierungen an. Auf nationaler Ebene berät der Rat die Regierung in religiösen Fragen, unterstützt zumeist ihre Entscheidungen und gewährt ihr so eine religiöse Legitimation; auf lokaler Ebene positionieren sich die Ulema und Mullas allerdings oft regierungskritisch und anti-westlich. In der gesellschaftlichen Debatte über Frauenrechte äußerten sie sich 2012 extrem konservativ, indem sie erklärten, Frauen seien weniger wert als Männer, sollten nicht ohne mahram (männlichen Verwandten) verreisen und bei Arbeit, Bildung und Freizeit den Kontakt zu Männern vermeiden. Ihre monatlichen Erklärungen auf nationaler Ebene sowie ihre Ansprachen in lokalen Moscheen haben großen Einfluss auf die gesellschaftliche Verhandlung von Normen. 2 Auch Saudi-Arabien versucht wachsenden Einfluss auf die religiöse Ausbildung in Afghanistan auszuüben, so z.B. durch den Bau und Betrieb eines religiösen Schulungszentrums in Kabul.3 Pakistanische religiöse Gelehrte sehen den Kampf der afghanischen Taliban gegen die westliche Intervention als berechtigt an, und erklären USA und NATO als allein verantwortlich für jegliche zivilen Opfer.

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Verfasserangaben:Bele Grau
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-419747
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):FGI Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam: Dossier Salafismus und Jihadismus
Verlag:Goethe-Universität, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“
Verlagsort:Frankfurt am Main
Dokumentart:Bericht
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):17.11.2016
Jahr der Erstveröffentlichung:2015
Veröffentlichende Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Datum der Freischaltung:17.11.2016
Seitenzahl:6
HeBIS-PPN:395914868
Institute:Exzellenzcluster / Exzellenzcluster Die Herausbildung normativer Ordnungen
DDC-Klassifikation:2 Religion / 29 Andere Religionen / 290 Andere Religionen
3 Sozialwissenschaften / 30 Sozialwissenschaften, Soziologie / 300 Sozialwissenschaften
Sammlungen:Universitätspublikationen
Lizenz (Deutsch):License LogoDeutsches Urheberrecht