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Schriftenschau
(2011)
Ambrosia artemisiifolia L. (Beifußblättrige Ambrosie) ist eine einjährige Art der Asteraceae aus den Präriegebieten Nordamerikas, die inzwischen in vielen Ländern der gemäßigten Zonen vorkommt. Entgegen bisheriger Prognosen ist A. artemisiifolia auch im nördlichen Mitteleuropa in der Lage, keimfähige Samen zu produzieren. Auf der Grundlage eigener Experimente wird die Etablierungswahrscheinlichkeit in Deutschland bewertet. Habitate und Vergesellschaftung von A. artemisiifolia in Deutschland werden erstmals untersucht und im mitteleuropäischen Kontext verglichen. Wegen der großen ökologischen und soziologischen Amplitude ist A. artemisiifolia nur als Stellarietea mediae Klassenkennart einzustufen. Wichtigste Quelle für die Einschleppung nach Deutschland ist Vogelfutter. Gegenwärtig gibt es in Deutschland neben zahlreichen unbeständigen Vorkommen eine räumlich eng umgrenzte Häufung in der Niederlausitz (Brandenburg) sowie einen weiteren Schwerpunkt im Raum Mannheim/Ludwigshafen. Wichtige Habitate sind Acker, Ackerbrachen, Straßenränder und Industriebrachen. Entgegen anders lautender Medienberichte gibt es keine Hinweise auf eine Verdrängung einheimischer Arten. Auch wenn A. artemisiifolia im Verlauf der Sukzession rasch verschwindet, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Bestandteil der Flora von Mitteleuropa bleiben, insbesondere bei Anstieg von Temperatur /oder Kohlendioxid-Konzentration. Wegen des hohen allergenen Potentials sollte eine Bekämpfung erfolgen; Maßnahmen zum Management der betroffenen Flächen werden empfohlen.
Atriplex semilunaris, eine westaustralische Art, wurde 2003 auf Fuerteventura und damit erstmals auf den Kanarischen Inseln gefunden. Sie bildet an stark gestörten Flächen in Straßennähe mitunter Dominanzbestände, die dem Mesembryanthemion crystallini nahe stehen. Atriplex semilunaris stellt bei der Keimung nur relativ geringe Temperaturansprüche; sie keimt innerhalb weniger Tage bei 10 °C bis 20 °C zu hohen Prozentsätzen, auch bei geringen Salzkonzentrationen, so dass ein neuerliches Auftreten auf Sonderstandorten in Mitteleuropa nicht unwahrscheinlich erscheint.
Wegen ihrer großen Zahl und ihres Artenreichtums sind Bahnhöfe sowie andere Betriebsflächen der Bahn als innerstädtische Makrohabitate für die Erhaltung der momentan vorhandenen Artenvielfalt kaum zu überschätzen. Innerhalb der letzten 15 Jahre wurden mindestens 1063 Gefäßpflanzensippen (davon mehr als 1000 Arten) auf innerstädtischem Eisenbahngelände allein in Deutschland nachgewiesen. Es werden daher die folgenden Hypothesen aufgestellt:
1. Bahnhöfe gehören zu den artenreichsten Habitaten in Mitteleuropa. Sie sind „Hotspots“ des Artenreichtums quasi vor unserer Haustür.
2. Die Bahnhöfe und Bahnhofsbrachen spiegeln nicht nur ihr Alter und die Nutzung wider, sondern auch die Flora der Umgebung. Sie sind ein Modell für die Abhängigkeit der Ruderalvegetation von Technik und Kulturgeschichte.
3. Insgesamt wurden 309 neophytische Sippen auf den Bahnanlagen gefunden. Bezüglich der Ausbreitung von Neophyten muss die Rolle der Eisenbahn differenziert betrachtet werden: Während zahlreiche kurzlebige und zumeist auch konkurrenzschwache Arten mit der Eisenbahn ausgebreitet werden, gelangen die neophytischen Gehölzarten ebenso wie die meisten langlebigen Stauden von unmittelbar angrenzenden Gärten bzw. mit Gartenabfällen auf das Bahngelände. Hauptquelle der Neophyten sind heute umliegende Gärten und Anpflanzungen, nicht etwa der eisenbahnbedingte Transport.
4. Wegen der Änderungen im Transportwesen (Containerverkehr, weniger offene Transporte von landwirtschaftlichen Produkten), vor allem aber durch den Rückgang des schienengebundenen Güterverkehrs werden Bahnhöfe diese Refugialfunktion sicher nicht mehr lange behalten.
Bücherschau
(2004)
Artemisia annua ist ein gutes Beispiel für eine invasive Art in Mitteleuropa, die sich nach einer längeren Lag-Phase plötzlich ausbreitet. Die Art stammt aus der temperaten Zone Asiens, wo sie ihre natürlichen Vorkommen an sandigen Fluß- und Seeufern sowie Wadis der Halbwüsten und Steppen besitzt. Synanthrope Vorkommen finden sich heute in Zentralrussland, Zentral- und Südeuropa sowie in Nordamerika. Wie auch bei anderen invasiven Arten ist auch hier die erfolgreiche Ausbreitung eng mit instabilen Habitaten verbunden. So nischt sich Artemisia annua in Ruderalgeseilschaften ± trockener Böden ein; ebenso werden sandige und kiesige Flußufer besiedelt. Eine Übersichtstabelle der bislang aus Mitteleuropa bekannten Aufnahmen wird präsentiert.
Leonurus marrubiastrum ist eine hapaxanthe Art, die in der Regel zweijährig ist, unter günstigen Umständen ihren Lebenszyklus aber auch in einem Jahr vollenden kann. Unter natürlichen Bedingungen erreicht die Art leicht eine Wuchshöhe zwischen 1,2 m und 1,7 m. Die einsamigen Nüßchen können unter Wasser keimen und sich anschließend am Ufer etablieren. Die Art erweist sich im Experiment als nitrophil. Leonurus marrubiastrum zeigte in Mitteleuropa im vergangenen Jahrhundert einen starken Rückgang, insbesondere an Ruderalstandorten. Seit ca. 20 Jahren ist jedoch entlang der Elbe eine deutliche Zunahme der Populationsgrößen zu konstatieren. Ihren Schwerpunkt hat die Art in Deutschland derzeit in flussnahen Artemisietea-Gesellschaften, darüber hinaus an der Elbe auch im Chenopodion rubriund im Sisym brion. Als relativ kurzlebige Art ist Leonurus marrubiastrum auf gestörte Flächen angewiesen: Vorkommen im Chenopodion rubri in Nähe der Uferspülsäume sowie in tiefer gelegenen Buhnenfeldern, im Bereich des Mittelwassers auf Buhnen und Uferwerken, vor allem aber an höher gelegenen Uferabbrüchen und sonstigen Störstellen im Senecionion fluviatilis, zugleich oft im Halbschatten von Bäumen. Im südöstlichen Mitteleuropa ist Leonurus marrubiastrum auch Bestandteil dörflicher Ruderalfluren des Arction. Insgesamt kann Leonurus marrubiastrum daher nur als Artemisietea-Kennart eingestuft werden.
Die Literatur der Vegetationsökologie in Mitteleuropa zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus: hoher Monographienanteil, hoher Streuungsgrad über zahlreiche Zeitschriften, großer Anteil von nicht-kommerziellen Periodika, lange Halbwertszeit, Veröffentlichung in der jeweiligen Nationalsprache. Da ihre Dokumentation und Erschließung trotz verschiedener Ansätze bislang nicht zufriedenstellend gelöst ist, wurde von der Universitätsbibliothek Braunschweig eine allegro-Datenbank mit Anbindung an das Internet entwickelt, die unter http://www.biblio.tu-bs.de/vegetation/ für jedermann kostenlos zugänglich ist. Autoren können ihre eigenen Veröffentlichungen eintragen, diese sind unmittelbar danach weltweit im WWW recherchierbar. Die Datenbank ist ein innovatives Beispiel für eine zeitgemäße kooperative Erfassung und Erschließung der Literatur einer kleineren Fachdisziplin.
Parietaria judaica ist eine nitrophile Art von hoher phänotypischer Plastizität. Unter günstigen Wachstumsbedingungen erreicht sie wesentlich größere Sproßlängen (ca. 110 cm) und Blattgrößen (max. ca. 6 cm) als in der mitteleuropäischen Bestimmungsliteratur angegeben. Zur Unterscheidung von der oft mit ihr verwechselten Parietaria officinalis eignen sich am besten das postflorale Wachstum der hermaphroditischen Blüten sowie das Samengewicht. Als sciophile Art mit vergleichsweise zarten Blättern zeigt Parietaria judaica keine besonderen Anpassungen an den Mauerstandort. Während sich in den Mauerritzen zumeist nur kleinwüchsige Streßformen finden, wurden Saumgesellschaften mit Parietaria judaica bislang kaum beachtet. Aufnahmen aus Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien, Tunesien sowie von verschiedenen Mittelmeerinseln belegen jedoch, daß es sich keinswegs um seltene Erscheinungen handelt. Je nach Standort und Region kann Parietaria judaica in beschatteten Ruderalfluren und nitrophilen Säumen (v.a. Stellarietea), an Flußufern, in bewässerten Baumkulturen sowie in Mauerspalten wachsen. Das Konzept einer Klasse Parietarietea judaicae ist daher nicht mehr aufrechtzuerhalten. Parietaria judaica ist dem derzeitigen Stande unserer Kenntnisse nach Differentialart in sciophilen Stellarietea- bzw. Artemisietea-Gesellschaften, ebenso differenziert sie innerhalb der Klasse Asplenietea siedlungsnahe Gesellschaften und Ausbildungen, die relativ gut mit Wasser und Nährstoffen versorgt sind.
Estland hat eine für die nördliche Lage artenreiche Ruderalflora, die nach bisherigen Kenntnissen jedoch auf ältere bzw. kompakte Siedlungs- und Industriezentren begrenzt ist. Die Mauerflora alter Bauwerke (Burgen, Stadtmauern, Kirchenruinen) ist mit über 80 Arten erstaunlich reich. Sie enthält nur sehr wenige Chasmophyten und spiegelt vor allem die Flora der Umgebung wider, während Ferntransport keine Rolle spielt. Die Mauerfugenvegetation wird mit pflanzensoziologischen Aufnahmen belegt. In den Städten werden die folgenden Ruderalgesellschaften mit Aufnahmen dokumentiert: Capsello-Descuraimetum sophiae, Urtico-Malvetum neglectae, Melilotus alba-Bestände, Carduus crispus-Bestände, Leonuro-Arctietum tomentosi, Artemisa vulgaris-Bestände. Die Sukzession der Artemisietea-Gesellschaften führt zum Sambuco-Salicion mit hauptsächlicher Beteiligung von Sambucus racemosa, in Tallinn auch von Acer negundo und Acer pseudoplatanus. In der Umgebung von alten Burgen häufen sich die Vorkommen archäophytischer Heilpflanzen. Die Vegetationsentwicklung auf dem Gelände alter Burgruinen führt zu Acer platanoides-Fraxinus excelsior-Ulmus glabra-Wäldern. Am Beispiel der Hauptstadt Tallinn werden die Eisenbahnanlagen untersucht, wobei mehr als 110 Arten von unmittelbaren Gleisgelände nachgewiesen wurden. Wichtigster Neophyt ist Bunias orientalis. Die Straßenrandvegetation außerhalb der Siedlungen ist artenreich und durch einen bunten Hochsommeraspekt geprägt. Neben Dauco-Melilotion-Arten finden sich auch viele Festuco-Brometea- und Trifolio-Geranietea-Arten in der Matrix. Der Hochsommeraspekt wird zumeist von Rumex thyrsiflorus dominiert. Auf der Insel Saaremaa finden sich auch gut ausgebildete Dauco-Mehlotion-Gesellschaften an den Straßenrändern.