CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Ann Cotten gilt dem Feuilleton als das aktuelle "Wunderkind der deutschen Literatur" und als die "klügste und schwierigste Dichterin in deutscher Sprache". [...] Ann Cotten nervt. [...] Doch was hat es mit dem Nerven auf sich? Ist das, was hier als Pose an- und vermeintlich vorgeführt wird, nicht etwas ganz anderes? Bereits diese ersten Hinweise zeigen, dass Cottens Spiel mit den Stillagen zwischen Virtuosität und Kalauer aufgeht: Es entlarvt die Kritik - sowohl in ihrem positiven als auch in ihrem negativen Urteil als Mansplaining, das mit Formeln wie 'Wunderkind', 'talentierte Autorin', Dekonstruktion etc. genau das einhegt, was mit dieser Literatur in Frage steht. Das Nerven, so manieriert es auch daherkommen mag, stellt eine intensiv reflektierte poetologische Dimension von Cottens Literaturauffassung und ihres Schreibens dar - ja man könnte von einer Poetik des Nervens sprechen. [...] Wenn Cotten, wie zu sehen sein wird, die Kategorie des Existenziellen wieder einführt, die vom (Post)Strukturalismus in Abhebung unter anderen von Sartre verabschiedet wurde, dann liebäugelt sie auch mit Autoren, die von ganz anderer Warte aus nerven. Zu ihnen zählt auch der in der Poetikvorlesung mehrfach genannte Peter Handke. Peter Handke nervt Ann Cotten, aber sie liest ihn auch und kann etwas mit ihm anfangen - inwiefern, wird zu sehen sein. Mit Handke steht ein weiteres ehemaliges 'Wunderkind' des Literaturbetriebs zur Debatte, bei dem jedoch seit ein paar Jahrzehnten eine Abwendung von den avantgardistisch-sprachkritischen Anfängen und eine Hinwendung zu einer mystischen Weltanschauung kritisch diagnostiziert wird. Die Empörung bei der Vergabe des Literaturnobelpreises an Handke im Herbst 2019 betraf vor allem seine proserbische Haltung sowie sein 'Frauenbild' und steigerte sich auch bis zum 'Durchdrehen'. Ist man bei Cotten über die dekonstruktivistische Pose genervt, so enerviert man sich bei Handke poetologisch gesehen darüber, dass er deren Einsichten zumindest in seinen jüngeren Werken trotzig negiere. [...] Seit der Tetralogie rund um die "Langsame Heimkehr" (1979) zeichnet sich bei Handke ein neuer Weltzugang und damit verbunden eine epische Erzählweise ab, denen Peter Hamm, knapp vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises an Handke Folgendes attestiert: "Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen". Man kann darin freilich auch einen gefährlichen Eskapismus sehen - ob man Handke als schwierig erachtet, oder ihm attestiert, Schwieriges zu leisten, ist auch eine Frage der Perspektive. Oder aber man kann die Vermutung formulieren, dass solche Zuschreibungen den Blick auf die Sache, wie auch bei Cotten, eher verstellen, und so drängen sich verschiedene Fragen auf: Wieso arbeitet sich Cotten an einem Autor mit solchem Ruf ab? Weshalb liest sie ihn? Was hat sein Nerven mit ihrem Nerven zu tun? Und was ist das eigentlich, 'nerven'? Zeit also für eine Rekonstruktion von Cottens Handke-Lektüre.
A emancipação do indivíduo (e, mais precisamente de um tipo específico de indivíduo, a saber, o "burguês") é o principal ponto de convergência entre duas obras da literatura europeia setecentista (seja insular, britânica, seja continental, alemã). São elas: "Robinson Crusoé" (1719), de Daniel Defoe, e "Os anos de aprendizado de Wilhelm Meister" (1795-1796), de Johann Wolfgang von Goethe. Em seu cerne, ambas enfocam a formação do indivíduo por meio do deslocamento geográfico, dizendo respeito não apenas a um processo de desenvolvimento pessoal, interno, mas também a uma dimensão sócio-cultural mais ampla, englobando os avanços da industrialização e as aspirações da sociedade de seu tempo. Juntos, o romance de formação ou "pedagógico" ('Bildungsroman'), bem como a viagem de formação ('Bildungsreisen') se entrecruzam em um ponto onde o sujeito burguês busca se afirmar em uma sociedade cada vez mais competitiva, desigual, em que o o indivíduo precisa descobrir a si mesmo (saindo de seu meio, ressalte-se), na busca do alcance de uma formação pessoal - seja para se coadunar com o que a nova sociedade industrial em ascensão espera dele ou para conseguir se opor aos valores dela. Tal tensão, no caso de Goethe, é evidenciada por meio da oposição do protagonista, Wilhelm (o burguês que busca seguir as próprias aptidões, independentemente do desejo de acúmulo de bens, apoiando-se em uma "ilha humanista" representada por uma sociedade secreta) ou o personagem Werner, o tipo burguês que busca de modo exclusivo o lucro em tudo o que faz. Em suma, tem-se um representante da chamada 'Bildungsbürgertum' (burguesia da cultura) e outro da 'Besitzbürgertum' (burguesia da propriedade), respectivamente. Este último, a propósito, tem suas raízes literárias na figua de Crusoé, cuja popularidade perdura até os dias de hoje. Desse modo, este trabalho busca apresentar de que modo as transformações sociais ocorridas no século XVIII impactaram na tradição literária, representada por meio de dois nomes exponenciais da narrativa de ficção envolvendo formação individual e deslocamento geográfico, contribuindo para uma discussão a respeito do individualismo econômico. Para tanto, buscou-se o aporte teórico de autores como Franco Moretti (2014), Benedict Anderson (2008), Walter Benjamin (2012), Georg Lukács (2009), Thomas Mann (2011) e Ian Watt (2010), que aponta a referida obra de Defoe como responsável por iniciar a tradição do romance como gênero.
Thomas Mann dachte arbeitsökonomisch. Seine Vorhaben verwirklichte er meist zügig und beharrlich, und gute Einfälle und Ideen verschenkte er selten. Was er ausarbeitete, publizierte er umgehend. Nur wenige seiner Texte hatten ein umwegiges oder marginalisierendes Schicksal. Seine drei frühen Novellen-Sammlungen entwickelten eine Typologie und Phänomenologie der Möglichkeiten scheiternden und gelingenden Lebens. Mann arbeitete sich dabei in einer aufsteigenden Linie von "Der kleine Herr Friedemann" über die "Tristan"-Sammlung von 1903 bis zum "Wunderkind"-Bändchen zu Glücksgestalten hinauf. Zwei frühe Texte, "Der Tod" und "Der Wille zum Glück", fanden zwar Eingang in "Der kleine Herr Friedemann", fehlen später jedoch in den Novellenbänden der Berliner und der Stockholmer Ausgabe. [...] Mann selektierte und organisierte seine Texte jedenfalls nicht nur nach formalen oder artistischen Gesichtspunkten, sondern auch material und teleologisch; er betrachtete seine Dichtung als pädagogischen Versuch der "Rettung und Rechtfertigung" des eigenen Lebens und wollte durch paradigmatische Gestaltungen erkunden, ob ein gelingendes, subjektiv beglückendes und sozial verantwortliches Leben in Deutschland möglich sei. Erklärt das die Marginalisierung der Novelle in Manns Selbsteditionen? Bis heute wird sie von der Forschung vernachlässigt. [...] Der Erzählstil der Novelle muss nicht von den späteren Mann-Texten her negativ gewertet werden und als motivischer Vorgriff wäre allererst auf die Frage nach dem "Glück" und die frühe Verknüpfung von Künstlertum und Überlebenskunst mit dem "Willen zum Glück" zu verweisen. Die Frage nach dem Glück gibt später auch einer anderen Novelle den Titel: "Ein Glück" erzählt von Liebesleid, weiblicher Solidarität und Mitleid. Dieses episodische Glück eines solidarischen Moments kontrastiert geradezu die starke Erzählung vom Lebensglück, von einem erfüllten und also gelingenden Leben, die die frühe Novelle 1896 bietet. Mit "Felix Krull" entwirft Mann später auch eine weitere Glücksgestalt, bevor er mit Castorp seine Kette von "Verfallsmenschen" um ein weiteres "Sorgenkind des Lebens" erweitert. Die frühe Verknüpfung von Künstlertum mit "Glück" sollte bereits dazu ermahnen, die Novelle "Der Wille zum Glück" nicht zu leicht zu nehmen.
Seit Jacob Burckhardts Thesen zum Individualismus in der Renaissance gilt das 'Selbst' als eine eingehend diskutierte Größe, die ungeachtet ihrer diversen Erscheinungsformen nicht nur als das bündige Kennzeichen einer Schwellenzeit, sondern geradezu als ihr alleiniges Produkt angesehen wurde: die Epoche zwischen Spätmittelalter und Aufklärung steht schlichtweg für den 'Ursprung' der modernen Individualität. [...] Dem wohl prominentesten oratorischen Initiator, der explizit für eine 'reformatio mundi' steht, widerfuhr seitens der historiographischen Nachwelt bezeichnenderweise beides, eine ergebene Verklärung als Führergestalt sowie die Apotheose im prometheischen Schema: Martin Luther gilt bis heute nicht nur als 'Rebell' oder 'Revolutionär', sondern vor allem auch als 'Schöpfer der deutschen Schriftsprache'. Spätestens hier gilt es zu differenzieren. Gerade die Person des Wittenberger Gelehrten, Predigers und Seelsorgers gibt Anlass zur sorgsamen Klärung eines frühneuzeitlichen Selbst-Bewusstseins. Das Selbst-Verständnis des Augustinermönchs gründet zunächst ausschließlich in theologischen Traditionen und ist daher vor allem mit Komposita wie 'Selbsterforschung', 'Selbstgespräch' ('soliloquium') und 'Selbsterkenntnis' ('cognitio sui') in Verbindung zu bringen. Diese Kategorien aber sind primär und unlösbar an die Sündhaftigkeit jedes einzelnen Menschen gekoppelt [...] Und dennoch - in diesem der Moderne eher fremd anmutenden Katalog der genannten Komposita begegnet tatsächlich auch die 'SelbstÜbersetzung': als Praxis und Phänomen wie in Form erhellender Paraphrasierungen. Voraussetzung für die Praxis scheint zunächst ein Geschehen auf der machtpolitischen Ebene zu sein. Mit dem Rückgang der von Papst und Kaiser getragenen Universalherrschaft im westlichen Europa, mit dem Schwinden eines nachantiken Herrschaftsanspruchs ('translatio imperii') im Sinne des mittelalterlichen römischen Reichsgedankens ist gleichermaßen auch der rasch fortschreitende Rückgang des Lateinischen als flächendeckende Gelehrten- und Verwaltungssprache eingeleitet. Indem nun die einzelnen regionalen Teilherrschaften nach politischer Autonomie streben, erhält auch die polyphone Sprachkultur Europas einen neuen Stellenwert: weitgehend noch pränationale, also eher territoriale Interessenkollektive verlegen sich auf die Regelung ihrer Angelegenheiten im eigenen Idiom. Dieses kann damit aus dem Schattendasein eines als 'laienhaft' und 'illiterat' verachteten Ungenügens heraustreten und sich als vollgültiges Pendant der antiken Vorgaben erweisen. [...] Ein zweites Novum tritt zeitgleich hinzu. Zwecks parteigebundener Regelung der lokalen und bald auch der bi- oder multilateralen Angelegenheiten erhalten die antiken Vorgaben der Redekunst eine neue und sehr zentrale Funktion: das vor Ort im Sinne bestimmter Interessen auftretende Einzel- oder Kollektivsubjekt (Territorialgewalt) artikuliert sich sprachlich-persuasiv, vertritt einen lokalen Standpunkt ('opinio' / 'point de vue') und versucht seine Zuhörer durch Überzeugung zu einem politisch wirksamen Handeln zu bewegen. Hierfür dient der Autortext, ebenso aber auch seine zweckgerichtete Übersetzung. In dieser konkretisiert sich ein Subjekt nicht nur als Mittler zwischen Parteien, Ständen und Interessen, sondern auch zwischen Sprachen und Kulturen.
Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die besondere Rolle und Funktion der Rezipienten beim transmedialen Erzählen zu erkunden und genauer zu definieren. Im Rahmen einer Historisierung des Phänomens des 'transmedia storytelling' lassen sich durch den epochenübergreifenden Vergleich zwischen unterschiedlichen historischen Spielarten transmedialer Narrative gemeinsame Spezifika dieser Erzählformen erkennen und wiederkehrende charakteristische Ausprägungen im Rezeptionsverhalten sichtbar machen. Es zeigt sich dabei, dass die Leser, Zuschauer bzw. Nutzer des transmedial Erzählten häufig als Beobachter höherer Ordnung in Erscheinung treten, deren Interesse nicht allein und oft nicht in erster Linie auf die inhaltliche Ebene, das Was der Geschichte, ausgerichtet ist. Vielmehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Rezipienten vermehrt auf das Wie, auf die Art und Weise der Vermittlung der Erzählung in den verschiedenen medialen Kontexten.
"The art of making beautiful prints in less than an hour : die Dunkelkammer in filmischer Reflexion
(2020)
Mit erstaunlicher Persistenz findet die Dunkelkammer über Jahrzehnte hinweg Eingang in den fiktionalen Film: als visueller wie narrativer Topos, als Handlungsort und als stabiles ikonisches Ensemble - und dies durchaus unter Absehung von der tatsächlichen historischen Relevanz der Dunkelkammer für die fotografischen Fertigungsprozesse im jeweiligen Handlungszeitraum der Filme. Mehr noch: Insofern selbst heute noch Filme mit klarem Gegenwartsbezug die Dunkelkammer thematisieren und reflektieren, findet sich auch hierin die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wieder. Selbst in Filmen, die ganz selbstverständlich dem Primat der Digitalfotografie und ihrer Materialisierung auf den verschiedensten Displays huldigen, bleiben die Dunkelkammer und die in ihr vollzogenen Prozesse präsent. Im Folgenden soll daher den prominentesten filmischen Narrativen und Motivgestaltungen dieses Zusammenhangs sowie der Frage nach Gründen für die offenkundige Faszination des Mediums Film gerade für diesen Teil der fotografischen Bildgenese nachgegangen werden. Es wird sich zeigen, dass ungeachtet der relativen Breite an einschlägigen Motivverwendungen doch rekurrierende narrative und ikonische Muster identifiziert werden können, die der Dunkelkammer als Handlungsort einen begrenzten Korpus von Funktionalisierungen und Handlungsketten zuweisen und sie dabei als je unterschiedlichen semantischen Raum konstruieren. Gemäß der medienkomparatistischen Grundannahme, dass die Fremdreflexion eines Mediums immer auch eine Selbstreflexion des eigenen Mediums mit sich bringt, wird ferner zu beobachten sein, welche Figurationen von Fremd- und Selbstbeobachtung der Film in seiner Handhabung des Dunkelkammermotivs vollzieht.
As a postmodern detective novel, "City of Glass" circles around its genre, deconstructing topical notions such as the 'case' and citing the commonplace language of hardboiled detectives as well as Poe's archetypical Dupin. Furthermore, the novel also refers to completely different texts and genres: Milton's Christian epic "Paradise Lost", for example, is allotted an important position in the 6th chapter with its speculations about a regaining of the Adamic language. The allusions to the puritan poet Milton exemplifies how Auster synthesizes a postmodern inquiry into genre and language with references to "premodern moral questions", highlighting interesting analogies between post- and premodern practices of reading and writing. An even more astonishing example are the subtle references to Defoe's "Robinson Crusoe", the best-selling puritan "spiritual autobiography" about the survival of a castaway on a remote Caribbean island, which have not yet been accorded scholarly attention. Although they don't seem to be of much significance at first sight, they, too, build on the relationship between puritan and postmodern reading and writing. In this paper, Joachim Harst unfolds the many parallels between Auster's and Defoe's first novels and shows how Auster reads "Robinson Crusoe" as an exemplary figure for existential solitude and artistic creativity. Auster's postmodern view on Defoe's novel also helps to highlight fissures in Robinson's seemingly complete "selfcomposure" via autobiography, while the colonial aspects of Defoe's novel resonate with Auster's postcolonial critique of America's puritan origins. Harst concludes with a glance at Auster's references to "Robinson Crusoe" in his other early works, especially his autofictional text "Invention of Solitude", in which he depicts the artist as "shipwreck[ed] in the heart of the city" and uses "Robinson Crusoe" to construct a biographical mythology aiming at creative authorship.
Elsa Triolet (1896-1970), geb. Ella Kagan, Ehefrau von Louis Aragon und Schwester von Lili Brik, war eine französische Schriftstellerin russischen Ursprungs. Ihr Werk "Roses à crédit" ("Rosen auf Kredit"), der erstes Band der Trilogie "L'âge de nylon" ("Das Nylon-Zeitalter"), schreibt sich in mehrere Gattungsformen ein. Der Verlag Gallimard bezeichnet das Werk im Untertitel der ersten Auflage von 1959 als Roman. Das für die 1994 erschienene Übersetzung ins Russische verantwortliche Verlagshaus Khorda bezeichnet ihn genauer als einen "Roman für Frauen". Mit Hilfe der von Ute Heidmann etablierten Methode des "differenzierenden Vergleichs" analysiert der vorliegende Beitrag die generischen und stilistischen Merkmale der russischen Märchen im Band "Roses à crédit". Dazu bediene ich mich seiner Übersetzung ins Russische ("Розы в кредит"), der Märchen Afanassjews, und A. Puschkins "Märchen vom Fischer und Fischlein" ("Сказка о рыбаке и рыбке"). Die vergleichende Analyse zeigt deutlich, sich das literarische Schreiben einer mehrsprachigen Autorin sich keineswegs auf eine einzige Sprache reduzieren lässt. In Elsa Triolets "Roses à crédit" lassen sich eindeutige Spuren der russischen Sprache in Form von stilistischen Merkmalen finden, die sich der Einschreibung in die Gattung der russischen Märchen verdanken.
Ausgehend von drei Beispielen aus den 1840er Jahren - Luise Mühlbachs Erzählung "Das fluchbeladene Haar" (1845), Annette von Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" (1842) und August Lewalds Erzählung "Das Gespenst um Mittag" (1840) - möchte mein Beitrag den vitalen Zusammenhang herausarbeiten, den fantastische Texte im Vormärz zu poetologischen und zeitkritischen Fragen der Epoche unterhielten. Alle drei Werke erschienen in Magazinen und Sammelbänden, die sich in erster Linie an ein Lesepublikum aus dem mittleren und höheren Bürgertum richteten, das sich seinerseits über handelnde Figuren und Erzählinstanzen in den Texten repräsentiert fühlen konnte. Ihm oblag es - so die These - den ästhetischen Reiz von Schauerromantik und Horror zu genießen, oder die Texte außerdem als Angebote einer kritischen Auseinandersetzung mit Diskurs- und Machtverhältnissen ihrer Zeit zu begreifen. Während es zwischen den drei Werken auf der Plotebene keine Berührungspunkte gibt, überschneiden sie sich strukturell, insofern sie die pragmatisch-realistische Schilderung sozialer Verhältnisse mit archaischen Narrationen von rachedurstigen Untoten, schicksalhafter Vergeltung und Bestrafung aus dem Jenseits kombinieren. Dies als bloße Stilzutat im Sinne eines 'phantastischen Tons' abzutun, den die Texte bedienen, oder einen "Dualismus von Irrationalität und Realismus" an der Grenze zum Komischen zu vermuten, greift eindeutig zu kurz. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, dass über die ästhetischen Mittel der Fantastik vielmehr eine Perspektive auf die Zeitumstände angeboten wird, die nicht anders als kritisch genannt werden kann. Gespenster, Revenants und Rachegeister werden als Ausgeburten ganz realweltlicher Missstände der Restaurationsepoche bestimmt, innerhalb derer sie für Gerechtigkeit oder zumindest für die Sichtbarmachung von Unrecht sorgen. Um es pointiert zu sagen: Der Verdacht liegt nah, dass es bei Lewald, Droste-Hülshoff und Mühlbach aufgrund von ungerechter Güterverteilung, Klassengegensätzen und sozialer Ungleichheit in der modernen Gesellschaft spukt. Ob diese Deutung trägt und was dies über den diskursiven Ort der Fantastik im Vormärz aussagt, soll im Folgenden unter Bezug auf die Texte sowie zeitgenössische Debatten um das Gespensterhafte in Kunst und Gesellschaft überprüft werden.
Die von dem karibischen Schriftsteller Patrick Chamoiseau geprägte Wendung "l'actif relationnel des langues, des cultures et des hommes" bezeichnet die kreative Dynamik, die entsteht, wenn verschiedene Sprachen und Kulturen miteinander in Beziehung treten. Die folgende Studie zeigt, wie Chamoiseau in seinem literarischen und theoretischen Werk dieses 'Relationspotential' der in den französischen Antillen koexistierenden Sprachen auf mehreren Ebenen "mobilisiert". In seiner Trilogie "Une enfance créole" erfindet er eine höchst suggestive poetische Sprache, die den kolonialen Antagonismus der kreolischen und der französischen Sprache auflöst, indem er die klangliche, lexikalische und semantische Verwandtschaft beider Sprachen aktiviert. Indem er eine Gattung französischer Tradition, die Kindheitsbeschreibung ('récit d’enfance') mit einer fundamentalen kreolischen Gattungspraxis, dem 'conte créole', kombiniert, gelingt es ihm auch, das 'actif relationnel' beider Kulturen zu mobilisieren. Sein Werk begründet mit seinem 'récit d'enfance créole' eine Gattungspraxis, die beide Sprachen und Kulturen auf kreative Weise in ihrer "Diversalität" ('diversalité') vereint. Damit realisiert Chamoiseau auf künstlerischer und auf metapoetischer Ebene sein mit anderen kreolischen Schriftstellern (Glissant, Bernabé, Confiant) formuliertes Postulat, der "oft verflachenden Universalität" die "Dynamik einer Einheit im Diversen" entgegenzusetzen.