CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Rezension zu Alf Mentzer: Die Blindheit der Texte. Studien zur literarischen Raumerfahrung. Heidelberg (Winter) 2001 (= Anglistische Forschungen; Bd. 293). 252 Seiten.
An der Kluft zwischen Sehenden und Blinden setzt Alf Mentzer in seiner ausgezeichneten, komparatistisch angelegten Studie über literarische Raumdarstellungen ein. Das Phänomen der Blindheit wird dabei nicht allein als Darstellungsgegenstand in den Blick genommen, sondern es geht Mentzer weit mehr darum, ob und wie mit dem Thema Blindheit immer schon "die Blindheit der sprachlichen Repräsentation thematisch wird". Denn, so Mentzers These, der Leser eines literarischen Textes verhält sich hinsichtlich der Räume, die im Text dargestellt werden, wie ein Blinder. Der Leser 'sieht' nicht, was der Erzähler 'sieht' und erzählt, und dennoch gelingt es literarischen Texten immer wieder, bei Lesern Raumerfahrungen zu evozieren. Wie aber vollzieht sich dieser Prozeß der textuellen Konstitution von Wahrnehmungsräumen bzw. wie wird überhaupt die Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit von literarischen Räumen erzeugt?
Im ersten Teil der vorliegenden Analyse werden zwei Themen in Jungs Schrift untersucht: die Amoralität und Unbewusstheit Gottes sowie dessen Menschwerdung. Dann soll erörtert werden, wie Jung zu seiner Interpretation kommt, und schließlich wird gezeigt, welche Bedeutung Jung der Hiobschrift für das 20. Jahrhundert und danach beimisst.
Labyrinthe
(2000)
Tagungsbericht zum Kolloquium im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Texte und Bilder"
Ruhr-Universität Bochum, 2.-3. Juli 1999
Seit der Antike dient das Labyrinth als Metapher für die Unübersichtlichkeit des Lebens und der Welt und versinnbildlicht die Struktur einer Ordnung, die in ihrer Komplexität unüberschaubar erscheint und in der man sich gleichwohl zurechtzufinden hat. In Kunst und Literatur ist der Topos immer wieder gestaltet worden, nicht selten in Werken, die ihrerseits labyrinthisch anmuten. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Texte und Bilder", einem interdisziplinären Forschungsprojekt des Instituts für Philosophie der Fernuniversität Hagen und des Lehrstuhls für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bochum, fand auf Initiative und unter der Leitung von Monika Schmitz-Emans (Bochum) und Kurt Röttgers (Hagen) ein Kolloquium zum Thema Labyrinthe statt. Es beteiligten sich Vertreter der Fachrichtungen Komparatistik, Germanistik, Medienwissenschaft und Philosophie.
Rezension zu Sabine Kleine: Zur Ästhetik des Häßlichen. Von Sade bis Pasolini. Stuttgart; Weimar (Metzler) 1998
Das Böse, Häßliche, Obszöne, Schreckliche als Signatur moderner Literatur inspirierte das Interesse der Forschung innerhalb der letzten Jahrzehnte in besonderem Maße, was sich am Erscheinen etlicher Monographien zum Thema gerade in jüngster Zeit ablesen läßt. Die Autorin der vorliegenden Studie möchte keine eigene Theorie des Häßlichen hinzufügen, sondern die "Literarhistorie der Moderne auf der abgewandten Seite der Kallistik" nachschreiben, um auf Adornos These, die Literatur der Moderne sei Ort eines Inkommensurablen im Sinne einer negativen Utopie, "die Probe" zu machen.
Der Beitrag präsentiert die theoretischen Vorschläge, die das Bonner Graduiertenkolleg "Gegenwart/Literatur. Geschichte, Theorie und Praxeologie eines Verhältnisses" erprobt und weiterentwickelt. Im Zentrum stehen neben der grundsätzlichen Theoretisierung und Historisierung des Verhältnisses von 'Gegenwart' und 'Literatur' die Konsequenzen des 'practice turn' für die Gegenwart/Literatur-Forschung, die theoretischen Grundlagen ihrer Wissenschaftsgeschichtsschreibung und insbesondere die Bedeutung von Referenz und Referenzierung.
Auf der Grundlage einer Textauswahl von 110 Werken der einschlägigen Literatur wird versucht, das okkulte Schrifttum des 18. Jahrhunderts zu ordnen und die einzelnen Genres, die sich herausstellen lassen, durch exemplarisch zu verstehende Texte zu charakterisieren. Eine Ausnahme bilden die alchemistischen und theosophischen Veröffentlichungen, die lediglich erwähnt werden.
Die ältere Bezeichnung "okkult", das "Okkulte", wird beibehalten und den Begriffen "Esoterik" und "esoterisch" vorgezogen. "Okkultismus", zu sehr an die entsprechenden Bestrebungen des 19. Jahrhunderts gebunden, wird nur in diesem spezifischen Sinne gebraucht. "Esoterik bzw. esoterisch" haben sich zwar als Begriffe in der neueren Aufklärungsforschung eingebürgert - man vergleiche dazu die Veröffentlichungen der letzten Jahre -, doch erscheinen mir diese neuen Bezeichnungen noch schwammiger als die alten. Sie lassen gegenwärtig die heterogensten Elemente im Begriffsfeld zu. Ein Ausweg wird gesucht, indem man - wie in einem Ausstellungskatalog - die Begriffe ganz eng auf geheime Gesellschaften einschränkt, so wie auch in den genannten Beiträgen der Germanistik das Schwergewicht auf Logen und geheimen Verbünden liegt. Das Dilemma beschreibt Antoine Faivre und sucht festen Boden zu gewinnen, indem er "Esoterik" als "Denkform" mit vier, bzw. sechs "Komponenten" beschreibt und auf inhaltliche Abgrenzungen verzichtet. Diese Komponenten sind auch auf den Begriff "okkult" anwendbar. Sie sind Definitionen wie der folgenden: "Okkultismus ist das Sammelwort für die Fülle der geheimnisvollen Kräfte und Beziehungen, die im Bereich der Seele, im Haushalt der Natur und zwischen diesen beiden wirken" insofern überlegen, als sie das Wesen des "Geheimnisvollen" und "Dunklen" mit begrifflich faßbaren Sachverhalten beschreiben.
Rezension zu Gabriel Mages: Die Übertragung bei Jacques Lacan, Turia und Kant, 2017; Bruce Fink: Lacan on Love. An Exploration of Lacan's Seminar VIII, Transference, polity press, 2016; Achim Geisenhanslüke: Die Sprache der Liebe. Figurationen der Übertragung von Platon zu Lacan, Wilhelm Fink, 2016.
Die koreanische Autorin Bae Sua, die sowohl als Übersetzerin aus dem Deutschen wie als Erzählerin immer wieder die Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und Literatur sucht, ließe sich mit Uljana Wolf, Yoko Tawada oder Tomer Gardi einer Literatur der Multilingualität zuordnen, die sich der deutschen Sprache in bewusster Befremdung nähert, in ihren Schreibverfahren mit Mehrsprachigkeit experimentiert, die Möglichkeiten einer "polyglot hybridity and pan-cultural allusiveness" auslotet. Zurecht stellt die Germanistin Ahn Mi-Hyun fest, dass sich Bae immer wieder mit der verfremdenden Wirkung beschäftigt, die unbekannte und ungewohnte Fremdsprachen auf die Wahrnehmung des vermeintlich Vertrauten haben, dass sie das Koreanische durch ungewöhnliche Wendungen und grammatische Formen bereichere, die zum Teil wie formale Übernahmen aus dem Deutschen erscheinen, und dass das Aufsuchen des Fremden, das Leben in fremden Räumen, das Lernen fremder Sprachen ein mit großer Konsequenz verfolgtes Thema ihres Schreiben ist, ja, in einem ihrer Texte schlägt Bae sogar vor, sich in der eigenen Sprache wie in einer fremden zu bewegen, als würde man sie nur schlecht verstehen. Immer wieder wird in ihrem Werk auch auf deutsche Literatur Bezug genommen, werden Textpassagen, mitunter auch ganze Gedichte in koreanischer Übersetzung zitiert, treten mit Kafka oder auch mit Jakob Hein deutsche Autoren, bzw. deren Bücher in Nebenrollen auf. Aber anders als die genannten Autor*innen ist die polyglotte Autorin Bae Suah, die sich durchaus einer "planetaren" - also ihrer globalen Vernetztheit bewussten "Poetik" - im Sinne Pizers zuordnen lässt, in ihren Texten nicht mehrsprachig. Ein merkwürdiges Paradox: eine Autorin, die über das Leben zwischen den Sprachen schreibt, sich in mehreren Sprachen bewegt, darüber reflektiert, aber sich dann doch nicht der Strömung "literarischer Mehrsprachigkeit" zuordnen lässt, die in den letzten Jahren vermehrt ins Feld der Aufmerksamkeit der interkulturellen Germanistik gerät. Es sei denn, es gäbe so etwas wie eine einsprachige Mehrsprachigkeit.