CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Figur
(2011)
Wenn literarische Geschichten ('mythoi') gemäß der Bestimmung des Aristoteles "menschliche Handlungen" darstellen ('mimesis praxeōs'; Aristoteles 1982, 1449b), dann sind die Akteure dieser Handlungen zweifellos ein zentrales Element von Erzählungen, genauer gesagt: eine Grundkomponente der erzählten Welt (Diegese). Die Bewohner der fiktiven Welten fiktionaler Erzählungen nennt man 'Figuren' (engl. 'characters'), um den kategorialen Unterschied gegenüber 'Personen' (oder 'Menschen') hervorzuheben. Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte berichten von Personen. Aus diesem Unterschied folgen einige Besonderheiten, die Figuren. Fiktionaler literarischer Welten sowohl von der Darstellung realer Personen in faktualen Texten wie auch von der Wahrnehmung realer Personen in unserer Alltagswelt unterscheiden.
Figuren müssen nicht menschlich oder menschenähnlich sein. Viele literarische Akteure besitzen phantastische Qualitäten, die mit dem Begriff einer Person unvereinbar sind – man denke an die tierischen Handlungsträger in Fabeln. Selbst unbelebte Dinge wie Roboter in der Science Fiction oder die titelgebenden Protagonisten des Grimmschen Märchens "Strohhalm, Kohle und Bohne" können in der Fiktion zu Handlungsträgern und damit zu Figuren werden. Gibt es überhaupt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Textelement als eine Figur gelten kann? Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl. dass man ihr Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss.
Erzählen
(2011)
Was ist Erzählen? Erzählen ist eine sprachliche Handlung: Jemand erzählt jemandem eine Geschichte. An dieser Handlung lassen sich – in Analogie zu der linguistischen Grundeinteilung zwischen der Pragmatik, Semantik und Syntax der Sprache – drei Dimensionen unterscheiden.
(a) Erstens ist das Erzählen eine Sprachhandlung, die in einem bestimmten Kontext zwischen einem Erzähler und einem oder mehreren Rezipienten stattfindet. Diese Kommunikation kann unterschiedlich gestaltet sein, beispielsweise als mündliches Erzählen mit kopräsenten Gesprächsteilnehmern oder zerdehnt als schriftlicher Kontakt zwischen räumlich und zeitlich voneinander entfernten Autoren und Lesern. Die Praxis des Erzählens kann unterschiedlichen Funktionen dienen: Man kann erzählend informieren, unterhalten oder belehren, moralisch unterweisen, geistlich stärken oder politisch indoktrinieren, Erzählgemeinschaften bilden, individuelle oder kollektive Identität en stiften usw. Pragmatische Aspekte des Erzählens stehen insbesondere bei der Untersuchung nicht-literarischer ›Wirklichkeitserzählung en‹ (Klein/Martínez 2010) im Vordergrund, also beim Erzählen in institutionellen, quasi-institutionellen und alltäglichen Situationen, etwa Gerichtserzählungen, Predigten, Krankheitsgeschichten beim Arzt oder Therapeuten, journalistischen Reportagen oder dem Klatsch unter Arbeitskollegen.
(b) Eine zweite Dimension der Erzählhandlung umfasst das, was mitgeteilt wird: den Erzählinhalt, nämlich bestimmte Figuren, Schauplätze und Ereignisse, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
(c) Drittens schließlich ist das ›Wie‹ des Erzählens von Interesse, die Gestaltungsweise der Erzählung. Dazu gehören rhetorische und stilistische Mittel, aber auch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der Erzählstimme, etwa der aus dem Text erschließbare ›Standort‹ des Erzähler s (der sich innerhalb innerhalb oder außerhalb seiner eigenen Geschichte befinden kann), das Verhältnis zwischen dem Zeitpunkt des Erzählens und dem Zeitpunkt der erzählten Handlung oder auch die Perspektive der Darstellung. Während die erste Dimension den pragmatischen Kontext des Erzählens umfasst, betreffen der Erzählinhalt (das ›Was‹) und die Erzählweise (das ›Wie‹) textinterne Aspekte.
Erzählt wurde und wird überall. Erzählen ist eine Grundform unserer Wirklichkeitserfassung. Das Zentrum für Erzählforschung (ZEF) der Bergischen Universität ist deshalb interdisziplinär ausgerichtet. Drei Beispiele aus Kunstgeschichte, Journalismus und Rechtsprechung: Der Teppich von Bayeux (11. Jh.) benutzt bei seiner bildlichen Darstellung der Eroberung Englands durch den Normannen Wilhelm Abweichungen von der Chronologie, um die Sympathien der Betrachter zu lenken. Die pietätlose Hast des angelsächsischen Kontrahenten der Normannen, Harold, sich nach dem Tod seines Vorgängers krönen zu lassen, wird visuell durch die unmittelbare Konfrontation der Krönungsszene mit dem Bild des kranken Edward angezeigt. In solchen erzählerischen Kunstgriffen zeigt sich politische Wirkungsabsicht. Zweitens: Fußballspiele stellen den Live-Reporter vor große erzählerische Herausforderung. Er muss eine Geschichte erzählen, deren Ende er nicht kennt. Dafür verwendet er prospektiv Plotstrukturen, die dem disparaten Spielgeschehen Sinn verleihen, die aber auch gegebenenfalls ad hoc abweichendem Spielverlauf anzupassen sind. Drittens: Vor Gericht wird die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen u. a. nach erzählerischen Kriterien wie Detaillierungsgrad und Inkontinenz beurteilt. Wer besser erzählt, gewinnt.
Erzählen ist eine grundlegende Form unseres Zugriffs auf Wirklichkeit. In den verschiedensten Bereichen der alltäglichen Lebenswelt und nicht zuletzt auf den Gebieten wissenschaftlicher Erkenntnis orientieren und verständigen wir uns mit Hilfe von Erzählungen. Reportagen des investigativen Journalismus, Selbstdarstellungen von Politikern im Wahlkampf, Erlebnisberichte in Internetblogs, Anamnesen im medizinischen Patientengespräch, Plädoyers vor Gericht, Vermittlungen von Verhaltensnormen in populärer Ratgeberliteratur, Heilserzählungen im Gottesdienst, Fallgeschichten in juristischen Lehrbüchern, ökonomische Prognosen von Kursverläufen – all diese Kommunikationen erfolgen wesentlich in erzählender Form. Anders als in den erfundenen Geschichten der Literatur bezieht man sich in diesen Erzählungen direkt auf unsere konkrete Wirklichkeit und trifft Aussagen mit einem spezifischen Geltungsanspruch: 'So ist es (gewesen)'. Solche Erzählungen mit unmittelbarem Bezug auf die konkrete außersprachliche Realität nennen wir Wirklichkeitserzählungen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die referentielle Leistung sprachlicher Kommunikation im Zeichen strukturalistischer und poststrukturalistischer Theorien allzu oft zugunsten eines pauschalen 'Panfiktionalismus' unterschlagen. Zweifellos 'konstruieren' Wirklichkeitserzählungen in erheblichem Maße eine Realität; aber sie sind eben auch auf eine intersubjektiv gegebene Wirklichkeit bezogen. Wirklichkeitserzählungen sind sowohl konstruktiv als auch referentiell – darin liegt ihre besondere erkenntnistheoretische Bedeutung. Es gilt, den referentiellen Aspekt von Wirklichkeitserzählungen angemessen zu berücksichtigen, ohne deren konstruktive Elemente zu vernachlässigen.
Erzählen im Journalismus
(2009)
Gibt es bestimmte soziale Funktionen des Journalismus, aus denen man Merkmale journalistischer Wirklichkeitserzählungen ableiten kann? Niklas Luhmann hat vorgeschlagen, den Journalismus als Teil der Massenmedien zu verstehen, die ein eigenständiges soziales System innerhalb unserer funktional differenzierten Gesellschaft bildeten. Der spezifische Code, der das System der Massenmedien von seiner Umwelt abgrenze, sei die Unterscheidung zwischen Information und Nichtinformation. Die Massenmedien, so Luhmann, stünden unter einem dauernden Erneuerungsdruck wegen der "ständigen Deaktualisierung von Information" […] Im Einzelnen ordnet Luhmann den Massenmedien (nicht im Sinne einer "geschlossenen Typologie", sondern "rein induktiv") drei "Programmbereiche" zu: "Werbung", "Unterhaltung" und "Nachrichten und Berichte". Bernd Blöbaum beschreibt den für "Nachrichten und Berichte" zuständigen Journalismus nicht als Teil des sozialen Systems der Massenmedien, sondern als ein eigenständiges soziales System, dem, so wie den Massenmedien insgesamt bei Luhmann, als primäre Funktion die "aktuelle Selektion und Vermittlung von Informationen" zukomme. In beiden Fällen wird der Journalismus jedenfalls systemtheoretisch durch die Leitdifferenz zwischen Information und Nichtinformation bestimmt. Obwohl selbstverständlich nicht nur im Journalismus, sondern auch in der Werbung und in der Unterhaltung erzählt wird, geht es im vorliegenden Beitrag, der engeren Bestimmung Blöbaums folgend, um Formen und Funktionen des Erzählens im Journalismus, und zwar um das rein sprachliche Erzählen im Printjournalismus von Zeitungen und Zeitschriften.
Wann immer man einen Kunsthistoriker oder eine Bildwissenschaftlerin bei ihrer konkreten Arbeit im Bereich der Bilder und des Visuellen mit der Frage unterbricht, was denn der Iconic Turn eigentlich sei, bekommt man leicht folgende Antworten: Man wisse es nicht, vielleicht gebe es auch gar keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht stoße der Iconic Turn sogar eher Fragen an – Fragen angesichts einer immer mehr von Bildern und Bildtechnologien beherrschten Welt. Zum Beispiel die Ausgangsfrage: "Was ist ein Bild?" (Boehm 1994) Und doch scheint es – etwa unter Philosophen – manch einen zu geben, der sich hier eine Antwort zutraut: "Der iconic turn will […] in der alten Gigantomachie das Obere zuunterst stürzen und die Herrschaft des logos durch die der Bilder ersetzen" (Brandt 2008).
Gender ist rhetorisch verfaßt, und es sind die Figuren und die Tropen der Autobiographie, die diese" Verfaßtheit lesbar machen. Die Autorin analysiert die scheinbar gesicherte Differenz der Geschlechter wie auch die der Genres, indem sie die Figuren des Genres Autobiographie den Figuren, die die Illusion einer vordiskursiven Geschlechtsidentität konstruieren, gegenüberstellt und ihre Funktionsweisen korreliert. Über die Umbesetzung der traditionellen rhetorischen Terminologie wird eine Lektürepraxis erprobt, die die rhetorische Verfaßtheit der Kategorien Gender/Genre reflektiert und diese als Paradigmen subjektstabilisierender Diskursformen in Frage stellt. Ausgehend von Paul de Mans Reformulierung des klassischen Rhetorikbegriffs, Jacques Derridas Reflexionen zum Gesetz der Gattung und zum Verhältnis von Geschlecht und Sprache sowie Judith Butlers Konzeption einer performativen Geschlechtsidentität unternimmt die Autorin eine Umschrift des Gender/Genre-Begriffs, der nicht nur neue Sichtweisen auf Identitätskonstruktionen ermöglicht, sondern darüber hinaus die Grenzen des Faches Literaturwissenschaft selbst in Frage stellt und überschreitet.
At the time when the East appears as sunrise in Insayif's novel, when it appears as Arabic word, as text image in the German text, memories gain contour in the same way as words do. It is all about words and memories in the text, it is about (not) being able to speak, it is about losing language and memory, it is about writing, speaking and reciting within the realm of the in-between of languages and cultures. Emanating from the first-person narrator the text unfolds nuances and facets of life stories as textures of memories, as language- and sound tissues quasi. Referring to those poetic and rhetorical aspects of the text, I undertake a reading that is based on postcolonial and deconstructive approaches as well as on theories of memory. My reading tries to both react to the demands and specificities of Insayif's text in all of its various facets of betweenness as well as to fathom perspectives that might be significant for the 'Zeitenwende'.
Bruchstückhaft und enigmatisch gibt sich Kleists unermüdlich erforschtes Textstück "Über das Marionettentheater". Kleists Text ist gekennzeichnet durch wenig kohärente Passagen, durch verwirrende An- und Zusammenschlüsse, durch Risse innerhalb der Narration, durch dezentrierte, verwundete, fragmentierte, ersatzstückhafte, maschinenhafte Körper (der "Dornauszieher", die Marionetten, die Figuren aus Prothesen) oder durch Figuren, die die Grenzen des 'Menschlichen' aufbrechen, wie zum Beispiel der fechtende Bär. Die Komplexität des Textes wird unter anderem darüber beschrieben, dass er, wie z.B. William Ray herausstellt, zu viel bedeutet. Dieser Befund ergibt sich nicht zuletzt daraus. dass der Text eine große Zahl an wissenschaftlichen Feldern und Themen berührt, wie zum Beispiel "aesthetics, theology, the mechanics of marionettes, history, consciousness, affectation, the self, and the Fall". Was diese Felder dabei leitmotivisch durchzieht, ist der Bezug auf den Körper.
Uns geht es […] darum, über eckig und rund, einem Oppositionspaar, Formen, Formate, De-Figurationen und De-Konstruktionen von Geschlecht. aber auch von anderen Kategorien. die die Identität bestimmen, auszuloten. Mit welchem Oppositionspaar haben wir es hier zu tun? Oben […] im Netz. hieß es schon, dass wir das Eckige brauchen. um das Runde zu definieren, und umgekehrt. Oder aber auch, dass beide Kategorien gar nicht so leicht voneinander zu trennen sind, denn selbst der rundest geschliffene Kristall basiert auf der eckigen Struktur des Kristallgitters. Es scheint nicht so einfach zu sein. die Opposition eckig und rund aufrechtzuerhalten. Warum wird dann über dieses Paar versucht, die Kinder- und Jugendliteratur zu vermessen? Die Antwort liegt scheinbar auf der Hand – mit rund wird z.B. das Weiche. das Anschmiegsame. Kindliche oder eben das Weibliche. assoziiert. mit eckig das Härtere, Widerspenstigere, Kantigere, eben das Männliche zusammengedacht. Also 'rund' als das weibliche Prinzip? 'Eckig' als das männliche?