CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Was bei Schrott aus seiner künstlerischen Bearbeitung der Wissens-'Tradition' geworden ist, ist nicht einfach zu sagen. Jedenfalls keine Naturreligion und keine Experimentaltheologie, sondern eine Dichtung, sehr groß dimensioniert, gewiss, aber doch stets nur "Stücke eines Epos: nicht in hehrem Anspruch, sondern als Poesie, die Welt enthält". Von Freuds Epostheorie her gesehen ist der befremdliche Titel "Erste Erde. Epos" gewissenhafte Leseanleitung: Achtung, Kunst! - Nicht beantwortet ist damit die Frage, warum Schrott die 'Tradition' von Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte literarisch bearbeitet hat.
Das neue Jahresthema des ZfL, FORMEN DES GANZEN, knüpft an das vorangegangene Jahresthema der DIVERSITÄT in den Bereichen der Natur, des Sozialen und der Kultur mit einer gewissen Zwangsläufigkeit an. Denn wer sich mit der Vielfalt beschäftigt, kann der Frage nach der Einheit der Vielfalt und damit nach dem Ganzen nicht ausweichen. So ist etwa das Schlagwort von der Biodiversität ein absolut inkludierender Begriff und damit Chiffre eines Ganzen. Allerdings wurden Ganzheitsvorstellungen im 20. Jahrhundert von Regimen in Anspruch genommen, die nicht zufällig 'totalitär' heißen. Auch deshalb stehen die heutigen Geisteswissenschaften dem Ganzen kritisch gegenüber. Jener Geist, der sie einmal als Wissenschaften binden und von den Naturwissenschaften unterscheiden sollte, gehört ja selbst zur Sippschaft unifizierender Begriffe, die ein Ganzes meinen oder behaupten.
Am 31. Januar fand am ZfL die Verleihung des Carlo-Barck-Preises an Kevin Liggieri statt. Liggieri erhielt den Preis für seine Dissertation "Zur Kultur- und Begriffsgeschichte der 'Anthropotechnik'. Eine Untersuchung programmatischer Diskurse zwischen 'Menschenzucht' und 'Menschenbehandlung'". Wir dokumentieren hier die beiden Reden von Eva Geulen und Ernst Müller anlässlich der Preisverleihung.
Sammelrezension zu Konrad Gross, Wolfgang Klooß u. Reingard M. Nischik (Hg.): Kanadische Literaturgeschichte. Unter Mitarbeit von Heinz Antor, Doris Eibl, Klaus-Dieter Ertler, Albert-Reiner Glaap, Paul Goetsch, Fritz Peter Kirsch, Martin Kuester, Rolf Lohse, Hartmut Lutz, Ursula Mathis-Moser, Markus M. Müller, Andrea Oberhuber, Caroline Rosenthal, Dorothee Scholl und Waldemar Zacharasiewicz. Stuttgart, Weimar (Metzler) 2005. 446 S.
Ingo Kolboom u. Roberto Mann: Akadien: ein französischer Traum in Amerika. Vier Jahrhunderte Geschichte und Literatur der Akadier. Mit Gastbeiträgen von Maurice Basque, Sandra Eulitz, Jacques Gauthier, Ingrid Neumann-Holzschuh und Thomas Scheufler sowie einer CD-ROM mit Materialien und Dokumenten und einer DVD mit dem Film 'Die Akadier - Odyssee eines Volkes' von Eva und Georg Bense. Heidelberg (Synchron) 2005. 1014 S.
Historische Adelsbibliotheken sind unschätzbare Geschichtsquellen. Überliefern die erhaltenen Adelsarchive überwiegend Dokumente, die sich einerseits auf Herrschaftsverhältnisse und Grundbesitz und andererseits auf "Familiensachen" beziehen, aus denen die verwandtschaftliche Verflechtung der adligen Häuser hervorgeht, so werfen die Adelsbibliotheken in ganz besonderer Weise Licht auf die Kultur-, Bildungs- und Sozialgeschichte des Adels seit dem ausgehenden Mittelalter.
2018/19 jähren sich zum hundertsten Mal die epochalen Ereignisse, die als 'Novemberrevolution' und 'Spartakusaufstand' in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen sind. Die Stadt Berlin, Hauptschauplatz der damaligen Vorgänge, begeht das Jubiläum mit einem "Themenwinter", offenbar bestrebt, deren historischem Gewicht gerecht zu werden. Die zum Jahrestag der doppelten Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht am 9. November eröffnete Ausstellung im Museum für Fotografie nimmt die Ereignisse zwischen November 1918 und Mai/Juni 1919 aus verschiedenen Richtungen in den Blick und befasst sich neben der Dokumentarfotografie mit dem Kino und der Unterhaltungskultur, mit Operette, Revue, Kabarett und Tanz.
Apokalypse
(2018)
"Die Apokalypse" ist fester Bestandteil unserer Vorstellungswelt, wo sie landläufig für Katastrophen- und Untergangsszenarien aller Art steht oder schlicht für das "Ende der Welt". Als Bildungsgut, als kulturelles Kapital, gilt dagegen die Kenntnis, dass das griechische ἀποκάλυψις eigentlich "Offenbarung" bedeute. Genaugenommen bezeichnet es das Auf- (ἀπο) bzw. Hochheben eines Schleiers (καλύπτρα). Die Substantivierung des zugehörigen Verbs καλύπτειν, "verhüllen" ist κάλυψις. Die präziseste Übersetzung wäre also "Entschleierung" oder, wenn der abgeleitete abstrakte Sinn betont werden soll, "Enthüllung" - das lateinische 'revelatio'. [...] Seine biblisch-monotheistische Karriere beginnt das Wort in der Septuaginta, der ersten jüdischen Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische, die auch für die Verfasser des Neuen Testaments der Standardtext wird.
Euphorisch nahm das deutsche Feuilleton im letzten Sommer ein schmales Bändchen auf: Theodor W. Adornos "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus". Ihm liegt ein von Adorno ursprünglich 1967 vor Wiener Studierenden gehaltener Vortrag zugrunde, in dem er auf den Einzug der NPD in einige deutsche Landesparlamente Ende der 1960er Jahre reagierte. Vorherrschend in den Besprechungen war der Verweis auf "erstaunliche Parallelen" zwischen dem Rechtsradikalismus der 1960er Jahre und den "gegenwärtigen Entwicklungen". [...] Magnus Klaue ist einer der wenigen Rezensenten, der in die Jubelrufe nicht einstimmt. In seiner Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisiert er nicht Adornos Vortrag selbst, sondern die aus seiner Sicht "um den Preis der Enthistorisierung" allzu munter betriebene Parallelisierung der damaligen mit aktuellen politischen Entwicklungen. Klaue plädiert für die Einordnung von Adornos Vortrag in seinen zeitgeschichtlichen Entstehungskontext, da sich die Situation Ende der 1960er Jahre von der heutigen deutlich unterscheide.
Frankreichs Seenotrettungsgesellschaft, die Société Nationale de Sauvetage en Mer (SNSM), geht auf einen Zusammenschluss zweier Einrichtungen zurück, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ursprünglich unterschiedlichen Zielsetzungen entstanden sind: Die Société Centrale de Sauvetage des Naufragés (SCSN) wurde 1865 unter der Schirmherrschaft von Kaiserin Eugénie speziell zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. Der 1873 im bretonischen Rennes gegründeten Société des Hospitaliers Sauveteurs Bretons (SHSB) hingegen ging es allgemein um die Rettung von Menschen, die unverschuldet in Not geraten waren. [...] Doch schon nach wenigen Jahren konzentrierte sich die SHSB entgegen ihrer ursprünglichen Zielsetzung fast ausschließlich auf die Rettung schiffbrüchiger Seeleute. In dieser Entwicklung zeigt sich eine Spannung, ein erklärungsbedürftiges Missverhältnis zwischen dem ursprünglichen, allgemeinen humanitären Anspruch und der praktischen Umsetzung konkreter Maßnahmen.
Empathie
(2018)
Die partielle Begriffsgeschichtsvergessenheit mit Blick auf Empathie scheint Effekt ihrer gelungenen Psychologisierung und Übernahme in naturwissenschaftlich orientierte Disziplinen zu sein. Eine Geschichte des Begriffs, die jene antike 'empatheia'-Tradition und die Empathie-Diskurse der letzten 110 Jahre nicht von vornherein separiert, wäre vielleicht eine Geschichte langsamer Affektkontrolle. Der Transfer ginge dann so: 'Empatheia' - mit Gefühl - Mitgefühl. Er beschriebe einen Wandel der Empathie in ein soziales, kommunikatives Geschäft und einen allmählichen 'emotional turn' innerhalb der Empathie-Begriffsgeschichte, der das Erfasstwerden von äußeren, gegebenenfalls dämonischen, Kräften dadurch bannen konnte, dass er aus dem radikalen Kontrollverlust, den die antike 'empatheia' hieß, zuerst ein - modern verinnerlichtes und eingehegtes - 'gefühlvoll' werden ließ. Im 20. Jahrhundert, angereichert mit ästhetischem Einfühlungswissen, gab Empathie, als Begriff und Gegenstand, nicht nur der Psychologie epistemologischen Halt. Sie wurde mit ihrer Vereinnahmung durch die 'psy sciences' zur vergötterten Gabe und menschlichen Natur. "[S]uper-empathizer" sind Idole der Gegenwart, und als pathologisch gilt das Empathie-Defizit. Heute ist Empathie, Gefühl zweiter Ordnung, Übergriff und "Erwartungserwartung", selbst ein Medium der Affektkontrolle.