CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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What is the effect of weathering in a confined space? What if this space is the bathroom of the famous Mexican painter Frida Kahlo? Writer Mario Bellatin and photographer Graciela Iturbide venture into this once intimate room and through a series of artistic interventions breathe new life into it. The logic of the archive is their guiding principle: in order to preserve what has been locked away and stored, it must be exposed and put to new uses.
Wenn verschiedene Sprachen, Literaturen und Kulturen in mehrsprachigen Räumen und Situationen und in intertextuellen Dialogen miteinander in Beziehung treten, entsteht ein kreatives Potential, das der karibische Schriftsteller Patrick Chamoiseau als 'actif relationnel' bezeichnet: " La communauté est désormais dans l'actif relationnel des langues, des cultures et des hommes ". Wie lässt sich diese Idee für die literarische Komparatistik fruchtbar machen, zu deren Aufgaben es gehört, die komplexen Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachen, Literaturen und Kulturen zu untersuchen? Mit welchen sprachlichen und poetischen Verfahren wird es in der literarischen Praxis mobilisiert, mit welchen Methoden kann man ihm auf analytischer und theoretischer Ebene gerecht werden? Im vorliegenden Band wird die Kreativität und Komplexität dieses Relationspotentials an einem breiten Spektrum von Sprachen und literarischen Werken aus aller Welt aufgezeigt.
Kluges Schreiben ist tief in der Zeitgeschichte verankert, in den großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts, die aber heute neu bilanziert werden müssten, sowohl objektiv wie subjektiv, wobei das Subjektive, das wissen wir als Leser Kluges, nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Erzählens betrifft. Denn die spezifische Irrealität der Gefühle erlaubt es Kluge, jene Romane umzuerzählen, Geschichte nicht einfach wiederzugeben, sondern sie zu variieren, Fakt und Fiktion, Reales und Irreales zu mischen. Allerdings, und das ist bemerkenswert, verbindet Kluge diesen Materialismus der Gefühle mit der Form der Chronik, die doch zunächst eine objektive Form zu sein scheint. Aber weiß man denn eigentlich wirklich, was eine Chronik ist? Kluge scheint hier verschiedenes zu meinen: das Moment der Gleichzeitigkeit, das Moment der Aufzählung, der Serie der Jahre, die variierende Reichweite (das Jahr der Gleichzeitigkeit, die eigene Lebenszeit, die 2000 Jahre). Welche poetologischen Implikationen haben diese Eigenschaften, welche darstellerischen Potentiale, welche Autor- oder Chronistenfiguren gehen mit ihnen einher? Wie erlaubt es diese Form, historisches und persönliches Leben zu vermitteln, also gewissermaßen 'kollektive Autobiographie' zu schreiben? Um diese Fragen zu erörtern, stelle ich Kluge einen Autor und eine Autorin zur Seite, die sich auf den ersten Blick deutlich von ihm wie auch voneinander unterscheiden: Rainald Goetz und Annie Ernaux.
In vielen literarischen Texten umkreist Goethe problematische Effekte von Bildern und Bildpraktiken. Bilder können dazu einladen, das bildlich Dargestellte für einen Teil der Wirklichkeit zu halten, sie können Gegenstand fragwürdiger Projektionen werden oder aber dazu beitragen, die Wirklichkeit selbst bildhaft erstarren zu lassen. Diese Gefahren im Umgang mit Bildern sind nicht zuletzt auf deren spezifische temporale Verfasstheit zurückzuführen, insbesondere wenn die physische Präsenz eines Bildes genutzt wird, um Vergangenes oder Abwesendes zu vergegenwärtigen. Der Beitrag entfaltet diese Problemlage an verschiedenen exemplarischen Texten Goethes. Am Beispiel des Aufsatzes "Ruysdael als Dichter" skizziert er eine alternative Form des Umgangs mit Bildern, die nicht allein auf deren Präsenzeffekt setzt, sondern eine dem Bild eigene Temporalität im Prozess des Sehens und Reflektierens zur Geltung bringt.
Von Alessandro Manzonis 'italienischem' Beitrag zur europäischen Romantik-Debatte, der "Lettre à M.r C*** sur l'unité de temps et de lieu dans la tragédie", gibt es keine italienische Ausgangsversion. Im strengen Sinn handelt es sich bei dem hier infrage stehenden Text also nicht um eine Selbstübersetzung, sondern um ein Schreiben in der Fremdsprache Französisch, für das sich sein Autor gegenstands- und situationsbezogen entscheidet. Gleichzeitig ist bekannt, dass Manzonis Schreiben von französischer Politik, französischer Wissenschaft und Kultur gar nicht zu trennen ist. [...] Manzoni erfindet mit den "Promessi Sposi" Sprache als Dichtung und Dichtung als Sprache, als sogenannte National- und Weltliteratur. Die "Lettre à M. Chauvet" markiert dabei, so möchte ich im Folgenden zeigen, eine Art sprachlichen Wendepunkt, an dem die Sprache zu einem metaphorischen Exil wird und als ebenso kontingent wie notwendig erscheint. Der durch die "Lettre à M. Chauvet" initiierte Wissenstransfer wird bedingt durch die spezifische sprachliche und politische Situation Italiens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nur vor diesem Hintergrund wird Manzonis biographische, kulturelle und sprachliche Zwischenposition verständlich. Denn erst im Abgleich der mehrsprachigen Situation (Dialekt, Französisch, hochitalienische Schriftsprache) mit dem Medium einer kodifizierten Schriftsprache (dem Französischen) wird jene Mehrsprachigkeit zu einem Mangel (I.). Die Kluft zwischen geschriebener und gesprochener Sprache wird in der französischen Fremdsprache zu einem epistemischen Zwischenraum, der - je nach Sprecher- und Adressatenperspektive - verschiedene Wissensbereiche betrifft. Editionsphilologisch wird der einzige von Manzoni auf Französisch publizierte Text zu einem Problem von Autorschaft: Co-Autorschaft scheint noch heute (oder gerade heute) philologisch einen Stein des Anstoßes darzustellen (II.). Auf der Ebene des poetologischen Gegenstands zeigt ein Vergleich der frühen Textfassung ('Primo Sbozzo') mit der Druckfassung, dass dieser Text sich im Verlauf der Abfassung mehr und mehr von seinem Ausgangstext (Manzonis Tragödie "Il Conte di Carmagnola" und deren Rezension durch Victor Chauvet) löst und zu einer zukünftigen Poetik der "Promessi Sposi" tendiert (III.). Die kulturelle Zwischenposition des Textes führt dazu, dass der Herausgeber Fauriel auf französischer Seite Manzonis Position als Kritik eines 'Outsiders' gezielt nutzen kann - davon zeugen die textuelle Rahmung wie auch die Missverständnisse, die im Briefwechsel geklärt werden; der Dichter Manzoni wiederum wird in der Perfektionierung des Französischen immer mehr auf das Problem einer sprachlichen Unverständlichkeit des Schriftitalienischen gestoßen (IV.). In der Zusammenfassung lässt sich die "Lettre à M. Chauvet" als offener Text beschreiben, an dem sich, je nach Produktions- und Rezeptionsperspektive, poetologische, subjekttheoretische, kultur- und sprachkritische Fragestellungen kreuzen (V.).
Halkların millî kültürünü, yaşadıkları coğrafya ve inanç sistemi biçimlendirir. Çoban kültürü ve edebiyatı da millî kültürlere göre şekillenerek devam eder. Çoban edebiyatının kökeni mitolojiye dayanır. İtalya'da Rönesans döneminde şiirlerle başlar. İspanya’da pastoral romanla gelişimini sürdürür. Aynı dönemde İngiliz ve Fransız edebiyatına girer. Alman Edebiyatında ise Barok döneminde çeviriler yoluyla kazandırılır. Alman literatüründe bu alanda daha çok Barok, Aufklärung ve Rokoko dönemlerinde eserler verilmiştir. Masal, efsane, atasözü, şiir, roman, madrigal, opera, çoban oyunları türündeki eserleri kapsar. Bu çalışmanın amacı öncelikle çoban edebiyatının kaynağı, Avrupa'ya gelişi ve Alman Edebiyatına etkisini araştırmaktır. Araştırmada literatür tarama metodu kullanılacaktır.
Autor*innenfiguren finden sich seit Anbeginn der Filmgeschichte im audiovisuellen Medium - und zwar sowohl als Rekurrenz auf tatsächlich existierende historische Autor*innen als auch auf fiktive Schriftsteller*innen, die für die jeweilige Narration mitsamt der von ihnen geschriebenen Werke kreiert sind. Es bleibt eine spannende Frage, warum das audiovisuelle Medium ein so großes und langlebiges Interesse an Prozessen des Imaginierens, Schreibens und Publizierens hat, das besondere Konjunkturphasen während Herausforderungslagen des Mediums durchlebt - wie beispielsweise die jüngste Welle rund um das Millennium, die mit der zunehmenden Digitalisierung des Films zusammenfiel. Dieser Zusammenhang zwischen sich verändernden medialen Begebenheiten und dem Interesse an Autor*innenfiguren lässt sich nun auch im seriellen Erzählformat des Mediums finden. Der jüngst zu beobachtende Wandel des seriellen audio-visuellen Erzählens vollzog sich insbesondere durch das Aufkommen von Streaming-Diensten und der damit von Sendezeiten der Fernsehsender losgelösten Verfügbarkeit aller bis dato veröffentlichten Episoden einer Serie. Während zuvor ein wöchentliches Warten auf einzelne Folgen und (abgesehen vom Sonderfall der Wiederholung) nur die Verfügbarkeit dieser jeweiligen Episode gewährleistet war, besteht nun die Möglichkeit über 'Binge Watching' große Abschnitte einer Serie auf einmal anzusehen. Hierüber ergibt sich die Möglichkeit komplexe und stringent fortlaufende Handlungsstränge im seriellen Format zu erzählen. [...] Im Kontext dieser Verschachtelung von Spannungsbögen werden auch an die Darstellung von Autorschaft im seriellen Erzählformat Anforderungen gestellt, die deutlich von denen des Spielfilmformats abweichen und sich als folgende Hypothesen formulieren lassen: 1. Aufgrund ihrer Länge und der Untergliederung in einzelne Episoden mit jeweils eigenen kleinen Höhepunkten kann nicht nur die Entstehungsgeschichte eines Werks im Fokus der Narration stehen. Autor*innen im seriellen Erzählformat müssen immer wieder neue Werke angehen, sich auf immer wieder neue Art mit diesen auseinandersetzen und sich durch deren Vollendung erneut beweisen. 2. Das schöpferische Potential und der Akt der Entstehung eines Werks werden im Rahmen der Spannungsbögen getaktet. [...] 3. Als Weiterführung der letzten Konjunkturwelle im Spielfilmformat ist ein deutlich intensivierter transmedialer Umgang zu verzeichnen. [...] Wie sich diese drei Annahmen in einzelnen Beispielen manifestieren, soll anhand drei unterschiedlicher Typen von Autorenfiguren in amerikanischen Serien aufgezeigt werden.
Anhand des wissenschaftsphilosophischen Sachbuches "Der Baum der Erkenntnis" ("El árbol del conocimiento"), das in den 1980er Jahren von den chilenischen Biologen und Neurowissenschaftlern Humberto Maturana und Francisco Varela in spanischer Sprache veröffentlich wurde und für den Soziologen Niklas Luhmann zu einem wichtigen Standbein seiner Theorie der Gesellschaft und der sozialen Systeme wurde, soll gezeigt werden, wie einerseits Selbstübersetzung von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit und andererseits Fremdübersetzung von der einen Sprache in die andere - in diesem Fall aus dem Spanischen ins Deutsche und Englische - Interferenzen und Reibungen innerhalb des Wissenstransfers produzieren. Zunächst soll ein Überblick über die unterschiedlichen Formen des Popularisierens als interdiskursive Selbstübersetzung gegeben werden. Im zweiten Teil wird dann die interlinguale Übersetzungsleistung diskutiert, die das spanische Original durch jeweils andere Sprach- und Forschungskontexte leicht verändert und dem fremdsprachigen Begriffsrepertoire einverleibt. Zuletzt soll in einem dritten Teil mit Rückgriff auf Luhmann das Prinzip der Autopoiesis als ein Prozess ausgewiesen werden, der bereits in "El árbol del conocimiento" nicht einfach als ein Wissenstransfer zu verstehen ist, sondern als ein Transfer der Bedingungen, wie Wissen im Übersetzen vom Übersetzen entsteht.
Auf der harten Schulbank der Sprache : Leo Spitzers Bemerkungen über das Erlernen des Türkischen
(2020)
Im Folgenden werde ich mich mit einem Aufsatz von Leo Spitzer befassen, der als sonderbarer Fall von Selbstübersetzung rezipiert wurde. Dieser Text, in dem er seine persönlichen Erfahrungen mit dem Erwerb des Türkischen reflektiert und anschließend aus semantisch vergleichender Perspektive die türkische Syntax untersucht, wurde beinahe zeitgleich in einer französischen und einer türkischen Fassung veröffentlicht. Im Jahre 1935 erschien die französische Fassung des Aufsatzes über das Türkischlernen im Bulletin de la Société de linguistique de Paris: "En apprenant le turc. (Considérations psychologiques sur cette langue)" (wörtlich: "Türkisch lernend. Psychologische Betrachtungen über diese Sprache"). Im gleichen Zeitraum, sogar etwas früher, erschien auch eine türkische Fassung des Beitrags unter dem Titel "Türkçeyi Öğrenirken" ("Türkisch lernend") - ohne Untertitel -, die in drei Teilen in der literarischen Zeitschrift Varlık (Das Sein) zwischen April 1934 und Januar 1935 veröffentlicht wurde. Interessanterweise scheint Spitzer den ersten Teil der türkischen Version selbst übersetzt oder direkt auf Türkisch verfasst zu haben. Die Übersetzung der beiden weiteren Teile wurde hingegen von seinem damaligen Assistenten Sabahattin Eyüboğlu (1908−1973) vorgenommen, der an der Übersetzungspolitik der Türkei in den dreißiger Jahren aktiv mitwirkte. Mit diesem Aufsatz bekommt die Frage nach sprach- bzw. wissenschaftspolitischem Wissenstransfer in Istanbul einen sonderbaren, ja karnevalistischen Gehalt: Ein Professor, der beauftragt wurde, die abendländische Philologie und Wissenskultur in die moderne Türkei einzuführen, zeigt sich selbst in der Haltung des Lernenden, der ein sprachwissenschaftliches Selbstexperiment wagt. Dadurch wird die Wahl der Sprache als Werkzeug der Wissensvermittlung infrage gestellt: Französisch und Türkisch, beides erlernte und dadurch vergleichbare Sprachen, die in diesem Aufsatz zugleich Gegenstand und Mittel der Stilforschung sind. Meine Überlegungen zu diesem Thema gliedern sich in drei aufeinander aufbauende Teile. Nach einer knappen Hinführung zu Leo Spitzers Sprachauffassung und seinem Verständnis von Sprachwissenschaft als Stilforschung werde ich die historische Situation seines Aufenthalts in Istanbul in den Jahren von 1933 bis 1936 umreißen. In einem zweiten Schritt werde ich den besagten Aufsatz genauer in Hinblick auf Fragen der Selbstübersetzung untersuchen und fragen, was Leo Spitzer motiviert hat, diese angebliche Selbstübersetzung vorzunehmen. Weder war er Turkologe noch hat er seine romanistischen Arbeiten selbst ins Türkische übersetzt: Die philologischen Forschungen, die er während des Exils in Istanbul unternommen hat, sind entweder auf Französisch oder auf Deutsch erschienen. Die Bedeutung der Entscheidung, speziell diesen Aufsatz über die türkische Sprache selbst zu 'übersetzen', möchte ich zuletzt angesichts der wissenschaftspolitischen Rivalität von Sprachen - in diesem Fall zwischen dem Französischen und dem Türkischen - beleuchten.
Yoko Tawada é um dos nomes mais importantes da Literatura Contemporânea. Seu projeto literário trata das questões acerca da identidade através do processo de estranhamento. Em "Das nackte Auge" tem-se uma jovem garota vietnamita, cujo nome nunca é revelado, que, por conta de um engano, desembarca na cidade de Paris. Ela não fala francês e se vê incapaz de compreender o meio estrangeiro que a cerca. No entanto, encontra no cinema, mais especificamente nas personagens de Catherine Deneuve, um local de refúgio e identificação. Cada capítulo trata de um filme cuja narrativa progressivamente se mistura e influencia a narrativa da personagem. Já no primeiro capítulo, "Repulsion", uma referência ao filme de Roman Polanski, pode-se perceber diversos elementos comuns à obra fílmica e de fundamental importância na construção de "Das nackte Auge". Tal construção intermidiática é apresentada com o objetivo de suscitar questões acerca do sujeito contemporâneo e seu olhar (desnudado) sobre o estranho, o estrangeiro.
Archäologie des Arbeiter- und Bastlerstaats : Marc Schweskas Roman "Zur letzten Instanz" (2011)
(2020)
Mit seinem Roman "Zur letzten Instanz" hat der Berliner Autor Marc Schweska 2011 einen lesenswerten und vor allem ungewöhnlichen Roman veröffentlicht. Das liegt nicht daran, dass dieser Roman über die Ostberliner Subkultur der 1980er Jahre letztlich auch ein Berlinroman ist, wie es sie bereits in Überfülle gibt, und auch nicht daran, dass "Zur letzten Instanz" sich immer wieder der Mittel des Schelmenromans bedient. Ungewöhnlich ist Schweskas Roman vor allem, weil er zuallererst ein Bastlerroman ist und sich sowohl inhaltlich als auch formal mit dem Basteln auseinandersetzt. [...] Als Schlüsselfigur im Prozess der Theoretisierung des Bastelns kann Claude Lévi-Strauss gelten. Nachdem der französische Anthropologe in seiner 1962 publizierten Monographie "Das wilde Denken" seine berühmten Ausführungen zur 'bricolage' veröffentlicht hatte, in denen er das Basteln als Ausdruck eines der künstlerischen Tätigkeit nahestehenden 'konkreten Denkens' und den Bastler als Gegenspieler des Ingenieurs bestimmte, avancierte das Basteln zu einem zentralen Konzept strukturalistischer und poststrukturalistischer Theorie und Theoriebildung und wurde im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend als eine maßgebliche Kulturtechnik und als ein zentrales Kulturmodell einer (wie auch immer verstandenen) Postmoderne aufgefasst. "Die Postmoderne", so erklärt etwa Thomas Reinhard, könne deshalb nicht nur als "Periode des Zitats", sondern vor allem auch als "Epoche des Bastlers" charakterisiert werden. In seinem Roman schließt Schweska nun an diesen Diskurs an und zeigt sich mit den strukturalistischen und poststrukturalistischen Theorien des Bastelns vertraut. Besonders ist "Zur letzten Instanz" aber vor allem, weil Schweska diese Theorien hier auf die DDR bezieht, der - wie allen unter den Bedingungen des Mangels wirtschaftenden Staaten des 'Ostblocks' - eine besondere Affinität zum Basteln nachgesagt wird. Dadurch wendet sich der Autor nicht nur einer bislang unzureichend beleuchteten Episode der Geschichte des Bastelns zu; vielmehr eröffnet er auch eine ungewohnte Perspektive auf die Geschichte der DDR, indem er diese am Beispiel des Bastelns zu erkunden versucht und sich dafür selbst der Mittel des Bastelns bedient.
In Fontanes "Effi Briest" wird die Aufmerksamkeit des Lesers weitaus weniger auf den Ehebruch Effis mit Major Crampas gelenkt - der in ein paar Spaziergängen und einer diskret erzählten Schlittenfahrt abgehandelt wird -, im Fokus steht vielmehr Effis angstgeprägte und gespenstisch anmutende Ehe mit dem Baron von Innstetten. [...] Nach einer Hochzeitsreise nach Italien beginnt die arrangierte Ehe in dem kleinen Ort Kessin, einer Seestadt in Hinterpommern. Die Kessiner Zeit wird für Effi zur 'Unglückszeit': Es mangelt ihr an gesellschaftlichem Umgang, sie ist wegen der häufigen Abwesenheiten ihres viel beschäftigten Mannes oft allein, vereinsamt folglich und wird von Ängsten geplagt. "Drehpunkt" der Geschichte ist - wie Fontane selbst vermerkt - ein im Haus spukender Chinese, für den es im Text nur eine einzige plausible - das heißt nicht-phantastische - Erklärung gibt, nämlich die, die vom Verführer nahegelegt wird: Innstetten selbst betätige sich als disziplinierender Erzieher seiner jungen, naturhaften Frau und habe zu diesem Zweck einen "Angstapparat aus Kalkül" geschaffen, der die junge und oft allein gelassene Ehefrau auch während seiner zahlreichen beruflich bedingten Abwesenheiten im Zaum halten soll. Die folgende Lektüre will sich diesem inhaltlichen und poetologischen "Drehpunkt" des Romans über einen verdeckten Intertext annähern. Den suggestiven Formeln eines "Erziehens durch Spuk" und eines grausamen "Angstapparat[s] aus Kalkül" wird im Folgenden detailliert nachgegangen. Im Gegensatz zu den meisten der bisherigen Interpretationen sollen diese Formeln jedoch nicht dazu dienen, den "Spuk" im Zentrum eines realistischen Gesellschaftsromans zu rationalisieren und in der durch Crampas suggerierten Erklärung eines "grausamen" Innstetten zu begründen. Der phantastische Chinesenspuk soll vielmehr im Anschluss an eine Lektüre Christian Begemanns in seiner Unerklärlichkeit aufrecht erhalten bleiben. Die Formel der gespenstischen Erziehungsehe wird im Folgenden dabei auf einen Intertext zurückgeführt, der in der Verführungsepisode - verdeckt - zur Sprache kommt. Der "Angstapparat aus Kalkül" - so die hier vertretene These - ist genau genommen doppelt vorhanden, es handelt sich um Angstapparate, die die gespenstische Ehe kennzeichnen, aber auch die Verführungsgeschichte.
Die Zeitspanne, während der Georg Trakl lebte und dichtete (also das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert), war, eingebettet in die Hochphase des europäischen Kolonialismus und des bürgerlichen Heroenkultes, geprägt durch eine Hochkonjunktur des Magischen, Mythischen, Okkulten, wie entsprechende mentalitätsgeschichtliche Studien eindrucksvoll belegen. [...] Gegenüber der 'poésie pur' der Symbolisten, welche jenes Aufleuchten der Worte in ein hermetisches Spiegelkabinett sperrten, zeichnet Trakls Dichtung eine besondere Eigentümlichkeit aus: Mit ihren magischen Zeichen webt sie ein imaginatives Panorama jener 'mythischen Lebenswelt', macht sie diese in ihren wesentlichen Strukturen sinnlich nachfühlbar. Damit gibt sie der Sprache Augenblicke einer gleichsam körperlichen Schwere und Tiefe zurück. [...] Die folgende Reise in die Zeichenlandschaft von Trakls Dichtung, die semiologisch wie ein "einzige[s] Gedicht" zu betrachten ist, sollte nicht zuletzt zeigen, dass das Thema 'immanente Magie' dichterischer Sprache es verdient, sowohl vor einem ausgrenzenden, hybriden Rationalismus als auch vor seiner Vereinnahmung durch okkultistische Esoterik bewahrt zu werden.
Vor allem in Deutschland ist die historische Perspektive spätestens seit Dilthey erste (akademische) Bürgerpflicht und Inbegriff von Geisteswissenschaftlichkeit überhaupt. Erfrischend und gründlicher provozierend ist deshalb der Blick in das Buch eines jungen Anglisten der Yale University, das auch in den USA, wo die Humanities von jeher nicht so eng an den Primat der Geschichte gekoppelt waren, für einige Aufregung gesorgt hat. Im Alleingang, abseits geläufiger Periodisierungen und Selbstbeschreibungen, hat Joseph North eine - eingestandenermaßen tendenziöse - Geschichte seines Fachs vorgelegt
Academies and the defence of European national languages (mit einer selbstkritischen Vorbemerkung)
(2020)
Um das Problem der einzelnen Nationalsprachen geht es Jürgen Trabant in seinem Beitrag. Er plädiert für die Bewahrung der Mehrsprachigkeit in den Wissenschaften und die Förderung der unterschiedlichen Nationalsprachen in der wissenschaftlichen Lehre und Forschung - hier vor allem an die Adresse der jeweiligen nationalen Akademien der Wissenschaften gerichtet. Trabant warnt vor den Verlusten, die man zwangsläufig in Kauf nimmt, wenn - zumal in den Kultur- und Geisteswissenschaften - nur noch eine wissenschaftliche lingua franca den Ton angibt und andere Sprachen aus dem Wissenschaftsdiskurs ausgegrenzt werden.
Bis Ende Oktober 2020 waren in Berlin zwei bemerkenswerte, aufeinander bezogene Ausstellungen zu sehen. Unter dem Titel "Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne. Das Original" zeigte das Haus der Kulturen der Welt Warburgs Bilderatlas, wie ihn die Kuratoren Roberto Ohrt und Axel Heil anhand der letzten dokumentierten Version vom Herbst 1929 unter Nutzung von Warburgs originalem Bildmaterial wieder hergestellt haben. Eindrucksvoll wurden die 63 großen Tafeln mit insgesamt 971 Abbildungen in dem abgedunkelten Ausstellungsraum präsentiert, in der Aufstellung an die charakteristische Ellipsenform des Lesesaals der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW) erinnernd. Wer sich nach dem Besuch dieser Ausstellung auf einen spätsommerlichen Gang durch den Tiergarten machte, konnte anschließend in der Gemäldegalerie 50 der insgesamt etwa 80 Werke, die Warburg in den Bilderatlas aufgenommen hatte und die sich im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin befinden, im Original sehen.
It has been mostly forgotten today that Varlam Shalamov had once identified himself as a passionate supporter of the so-called 'nauchno-khudozhestvennaia literatura'. This term is derived from the Russian term for fiction ('khudozhestvennaia literatura') and can be translated as "scientific-fictional literature" but also as "scientific-artistic literature." Hence all of the advocates of the term, including Shalamov, emphatically insisted not only on the "fictionality" ('khudozhestvennost' '), but also on the "skill" or "art" ('iskusstvo') - the "artistic" qualities - as a fundamental element of the new genre, without which its goals could not be achieved. [...] But what kind of genre was this sort of literature, now mostly forgotten, for which Shalamov had so much hope? To answer this question, Matthias Schwartz reconstrucs the conditions in the late 1920s and early 1930s that motivated Maxim Gorky and the then famous children's book author Samuil Marshak, on the eve of the First All-Union Congress of Soviet Writers, to launch this compound adjective, 'nauchno-khudozhestvennaia literatura', and to create a new type of literature located at the intersection of literary fiction and science journalism. In highlighting the main arguments around this literature, Schwartz elaborates how difficult and disputed its constitution was in the course of the gradual establishment of Socialist Realism as the singular aesthetic doctrine for literary production and why it did not succeed in establishing itself as a separate literary genre until the postwar period. In the last section Schwartz analyzes the characteristics of one of the most emblematic works written in this literary field before briefly returning to a more generalizing conclusion and taking a look at the modest afterlife of the genre since the Thaw period.
In a time when 'internationalization' and 'diversity' have become key areas universities are expected to excel in, it may seem an almost self-evident endeavor to install a memorial for a figure as influential and internationalist as Du Bois, whose connection to the Humboldt University outlasted two ideologically very different political systems. Planned to be positioned in the ground floor of the main building, the memorial, which will start production as soon as the last funding has been secured, reveals an image right at its center that "exist[s] in virtually every student's life and family album, and commonly serve[s] as vehicle[s] of recognition, remembrance and commemoration": the class photograph. What are the main considerations underlying the W. E. B. Du Bois Memorial's concept and design? How has it evolved so far? And what can such a memorial realistically achieve?
Rezension zu Matías Martínez, Michael Scheffel (2019): Einführung in die Erzähltheorie, München: C.H. Beck Verlag. 234 S. ISBN: 978-3-406-74291-0 ; Matías Martínez, Michael Scheffel (2020): Anlatım Teorisine Giriş, Çev: Arif Ünal, İstanbul: Runik Kitap.272 S. ISBN: 978-605-06194-6-1
Annette von Droste-Hülshoff hat neben ihren zu Lebzeiten erschienenen literarischen Hauptwerken keine explizit poetologischen Schriften hinterlassen. Dieser Befund überrascht bei einer Autorin, deren Gedichte und Prosatexte in hohem Maße selbstreflexiv sind. Eine mögliche Begründung dafür, dass diese konzeptionelle Energie nicht in eine individuelle Poetik mündete, kann sich auf kulturhistorische und biographische Argumente stützen. [...] Sich auf dem Literaturmarkt mit programmatischen Schriften oder literaturkritischen Zeitschriftenbeiträgen zu positionieren, wäre für Annette von Droste-Hülshoff undenkbar gewesen. Dem Verbot zum Trotz ließ sie sich allerdings nicht davon abhalten, alle verfügbaren Journale zu lesen und sich akribisch in Diskurs und Regularien zeitgemäßer Kritik einzuarbeiten. Daraus folgten verschiedene Strategien der Camouflage und des Versteckspiels, um die gewonnenen Fertigkeiten insgeheim und in gleichsam unverdächtigen Medien zu erproben: Poetologische Reflexionen liegen subkutan in Gedichten verborgen, die oberflächlich gelesen von der westfälischen Landschaft oder einer fragilen weiblichen Identität handeln, Spurenelemente verbotener Literaturkritik finden sich in den Briefen an Schücking und Elise Rüdiger. Wenn sich die Autorin nämlich, selten genug, in Briefen und Gedichten explizit über Poesie äußert, dann überrascht sie mit denkbar schlichten und dem eigenen Modernitätsanspruch kaum angemessenen Formulierungen. [...] Das sind Ungereimtheiten, die ich in diesem Beitrag zu erklären versuche. Sowohl die erste Beobachtung, dass Droste poetologische Äußerungen versteckt, als auch die zweite, dass die bestens und aktuell informierte Autorin mitunter zu solch anachronistisch anmutenden Formeln wie den oben zitierten greift, möchte ich vor dem Hintergrund ihrer kritischen Zeitgenossenschaft diskutieren. Meine Hypothese ist, dass das Spannungsfeld in Drostes Texten kontextuellen Spannungsfeldern korreliert und zu ihnen in ein Abbild- und Reflexionsverhältnis tritt. So, nämlich kontextbezogen und als Verhältnisbestimmung gesehen, erscheinen mir Drostes Verlautbarungen über das Dichten nicht weniger politisch als die ihrer vormärzlichen Kolleg*innen. Ein solches Vorgehen erfordert einen nochmaligen Blick in die Geschichte des 19. Jahrhunderts, und zwar unter besonderer Berücksichtigung jener ungeheuren, für das Jahrhundert charakteristischen Veränderungsdynamik, die Jürgen Osterhammel im Titel seiner Studie "Die Verwandlung der Welt" zum Ausdruck bringt. Einige der Fragen, die mich während der Suche nach Annette von Droste-Hülshoffs 'ungeschriebener Poetik' in ihren Texten und Briefen beschäftigen werden, richten sich auf die besonderen, von der Autorin selbst analysierten Modernisierungserfahrungen in Westfalen.
Inzwischen mag es fast in Vergessenheit geraten sein, wie Facebook seine Hauptspielwiese bis zum Herbst 2011 genannt und organisiert hatte: Im Zentrum der Anwendung befand sich eine hellgraue Wand oder Mauer, an die man Informationen in zahlreichen Formaten und Varianten heften konnte. Was zuvor als flächig organisiertes, statisches, mit einem begrenzten Raum ausgestattetes, ältere Einträge automatisch verdrängendes Format diente, wird nun im Herbst 2011 ersetzt durch eine Organisationsform, die man - nicht ohne zahlreiche Implikationen - 'Timeline' zu nennen beliebt. Im Gegensatz zur vorherigen bietet diese neue Struktur ein dynamisches, spaltenartiges, nach oben in die offene Zukunft organisiertes Format, mit einem lediglich nach unten begrenzten Ursprung, ein Arrangement also, das ältere Einträge für den Besucher allesamt unmittelbar sicht- und abrufbar vorhält. Warum, so könnte man fragen, nimmt Facebook diese Änderung vor? Worin bestehen die Gründe, dass eine weitestgehend statische Fläche ersetzt wird durch eine verschiebbare, dynamische Zeitleiste? [...] Es läge nahe zu vermuten, dass einem solchen Medienwechsel vor allem ästhetische oder modische Überlegungen vorausgingen. [...] Ich möchte nun im Folgenden gegen diese allzu leichtgewichtige Vermutung einer rein ästhetischen, aufmerksamkeitsheischenden oder gänzlich arbiträren Umstellung seitens der Firma argumentieren, um einige strukturelle Gründe dafür anzuführen, warum sich dieser Wechsel dennoch und vor allem für die Firma Facebook als ratsam und nicht nur werbetechnisch als profitabel erwiesen hat. Eine solche Begründung findet sich allerdings weder in der Keynote von Zuckerberg vom September 2011 erwähnt noch im Kleingedruckten der Facebook-Statuten. Um die wahren Beweggründe für einen solchen, als durchaus tiefgreifend zu charakterisierenden Eingriff zu ermessen, erweist sich eine medienhistorische und auch medientheoretische Perspektive als außerordentlich hilfreich. Dazu sei zunächst etwas weiter ausgeholt, und zwar meinerseits mit Hilfe einer Zeitleiste, und zwar einer Zeitleiste zur Geschichte der Zeitleiste, die zeigt, was eine Zeitleiste eigentlich leistet.
Soziologische Theorien weisen von Anfang an, seit Auguste Comte und Max Weber, eine Schlagseite in ihrer Theoriebildung auf und bleiben in ihrer Medienkonzeption beschränkt, wie wir heute wieder in Entwürfen einer Theorie der digitalen Gesellschaft beobachten können. Diese Schlagseite im soziologischen Medienbegriff resultiert nicht nur aus ihrem modernen Blick auf die Gesellschaft, sondern ebenso aus einer medialen Abstraktion; trotz ihrer Empirie sind soziologische Theorien häufig mit einer blinden Stelle in ihrem 'Medienbegriff' behaftet. Zu erinnern sei hier nur an Max Webers Begriff der Rationalität, der höchst abstrakt vom konkreten Lauf der Gesellschaft abgezogen wurde; einer angeblich entzauberten Welt der Moderne, die jedoch in ihrer 'oikonomia' in Wahrheit erst recht vollständig verzaubert auftreten sollte. So blieb und bleibt ihre Modernität, die sie gegenüber der spekulativen, transzendentalen und metaphysischen Philosophie angeblich auszeichnet, ein höchst abstraktes Produkt, das sie freilich in den modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften als etwas höchst Konkretes und Objektives präsentieren oder, aktueller und spezifischer formuliert, statistisch, probabilistisch, stochastisch und algorithmisch errechnen wollen. In diesem medialen Reduktionismus sind heute auch neue soziologische Modelle befangen, die nunmehr die digitale Gesellschaft in einem theoretischen Rahmen unterbringen wollen, dabei aber die letzte verbliebene gesellschaftliche Bodenhaftung verlieren und vollends in einen digital-informatischen Rationalismus abdriften, gegen den dann kein Widerstand mehr möglich ist.
Following Hannah Arendt's remarks on refugee camps as spaces of 'worldlessness', I examine how, in films on European asylum facilities, systemic violence 'makes itself known' in images of nature. Nature separates and isolates ("La Forteresse", "Forst"), it constitutes a sphere of domination and control ("View from Above"), and it functions directly as a murder weapon ("Purple Sea"). Nature, in these films, indicates the Outside within, haunted by the latent and ghostly presence of systemic violence.
Ann Cotten gilt dem Feuilleton als das aktuelle "Wunderkind der deutschen Literatur" und als die "klügste und schwierigste Dichterin in deutscher Sprache". [...] Ann Cotten nervt. [...] Doch was hat es mit dem Nerven auf sich? Ist das, was hier als Pose an- und vermeintlich vorgeführt wird, nicht etwas ganz anderes? Bereits diese ersten Hinweise zeigen, dass Cottens Spiel mit den Stillagen zwischen Virtuosität und Kalauer aufgeht: Es entlarvt die Kritik - sowohl in ihrem positiven als auch in ihrem negativen Urteil als Mansplaining, das mit Formeln wie 'Wunderkind', 'talentierte Autorin', Dekonstruktion etc. genau das einhegt, was mit dieser Literatur in Frage steht. Das Nerven, so manieriert es auch daherkommen mag, stellt eine intensiv reflektierte poetologische Dimension von Cottens Literaturauffassung und ihres Schreibens dar - ja man könnte von einer Poetik des Nervens sprechen. [...] Wenn Cotten, wie zu sehen sein wird, die Kategorie des Existenziellen wieder einführt, die vom (Post)Strukturalismus in Abhebung unter anderen von Sartre verabschiedet wurde, dann liebäugelt sie auch mit Autoren, die von ganz anderer Warte aus nerven. Zu ihnen zählt auch der in der Poetikvorlesung mehrfach genannte Peter Handke. Peter Handke nervt Ann Cotten, aber sie liest ihn auch und kann etwas mit ihm anfangen - inwiefern, wird zu sehen sein. Mit Handke steht ein weiteres ehemaliges 'Wunderkind' des Literaturbetriebs zur Debatte, bei dem jedoch seit ein paar Jahrzehnten eine Abwendung von den avantgardistisch-sprachkritischen Anfängen und eine Hinwendung zu einer mystischen Weltanschauung kritisch diagnostiziert wird. Die Empörung bei der Vergabe des Literaturnobelpreises an Handke im Herbst 2019 betraf vor allem seine proserbische Haltung sowie sein 'Frauenbild' und steigerte sich auch bis zum 'Durchdrehen'. Ist man bei Cotten über die dekonstruktivistische Pose genervt, so enerviert man sich bei Handke poetologisch gesehen darüber, dass er deren Einsichten zumindest in seinen jüngeren Werken trotzig negiere. [...] Seit der Tetralogie rund um die "Langsame Heimkehr" (1979) zeichnet sich bei Handke ein neuer Weltzugang und damit verbunden eine epische Erzählweise ab, denen Peter Hamm, knapp vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises an Handke Folgendes attestiert: "Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen". Man kann darin freilich auch einen gefährlichen Eskapismus sehen - ob man Handke als schwierig erachtet, oder ihm attestiert, Schwieriges zu leisten, ist auch eine Frage der Perspektive. Oder aber man kann die Vermutung formulieren, dass solche Zuschreibungen den Blick auf die Sache, wie auch bei Cotten, eher verstellen, und so drängen sich verschiedene Fragen auf: Wieso arbeitet sich Cotten an einem Autor mit solchem Ruf ab? Weshalb liest sie ihn? Was hat sein Nerven mit ihrem Nerven zu tun? Und was ist das eigentlich, 'nerven'? Zeit also für eine Rekonstruktion von Cottens Handke-Lektüre.
A emancipação do indivíduo (e, mais precisamente de um tipo específico de indivíduo, a saber, o "burguês") é o principal ponto de convergência entre duas obras da literatura europeia setecentista (seja insular, britânica, seja continental, alemã). São elas: "Robinson Crusoé" (1719), de Daniel Defoe, e "Os anos de aprendizado de Wilhelm Meister" (1795-1796), de Johann Wolfgang von Goethe. Em seu cerne, ambas enfocam a formação do indivíduo por meio do deslocamento geográfico, dizendo respeito não apenas a um processo de desenvolvimento pessoal, interno, mas também a uma dimensão sócio-cultural mais ampla, englobando os avanços da industrialização e as aspirações da sociedade de seu tempo. Juntos, o romance de formação ou "pedagógico" ('Bildungsroman'), bem como a viagem de formação ('Bildungsreisen') se entrecruzam em um ponto onde o sujeito burguês busca se afirmar em uma sociedade cada vez mais competitiva, desigual, em que o o indivíduo precisa descobrir a si mesmo (saindo de seu meio, ressalte-se), na busca do alcance de uma formação pessoal - seja para se coadunar com o que a nova sociedade industrial em ascensão espera dele ou para conseguir se opor aos valores dela. Tal tensão, no caso de Goethe, é evidenciada por meio da oposição do protagonista, Wilhelm (o burguês que busca seguir as próprias aptidões, independentemente do desejo de acúmulo de bens, apoiando-se em uma "ilha humanista" representada por uma sociedade secreta) ou o personagem Werner, o tipo burguês que busca de modo exclusivo o lucro em tudo o que faz. Em suma, tem-se um representante da chamada 'Bildungsbürgertum' (burguesia da cultura) e outro da 'Besitzbürgertum' (burguesia da propriedade), respectivamente. Este último, a propósito, tem suas raízes literárias na figua de Crusoé, cuja popularidade perdura até os dias de hoje. Desse modo, este trabalho busca apresentar de que modo as transformações sociais ocorridas no século XVIII impactaram na tradição literária, representada por meio de dois nomes exponenciais da narrativa de ficção envolvendo formação individual e deslocamento geográfico, contribuindo para uma discussão a respeito do individualismo econômico. Para tanto, buscou-se o aporte teórico de autores como Franco Moretti (2014), Benedict Anderson (2008), Walter Benjamin (2012), Georg Lukács (2009), Thomas Mann (2011) e Ian Watt (2010), que aponta a referida obra de Defoe como responsável por iniciar a tradição do romance como gênero.
Thomas Mann dachte arbeitsökonomisch. Seine Vorhaben verwirklichte er meist zügig und beharrlich, und gute Einfälle und Ideen verschenkte er selten. Was er ausarbeitete, publizierte er umgehend. Nur wenige seiner Texte hatten ein umwegiges oder marginalisierendes Schicksal. Seine drei frühen Novellen-Sammlungen entwickelten eine Typologie und Phänomenologie der Möglichkeiten scheiternden und gelingenden Lebens. Mann arbeitete sich dabei in einer aufsteigenden Linie von "Der kleine Herr Friedemann" über die "Tristan"-Sammlung von 1903 bis zum "Wunderkind"-Bändchen zu Glücksgestalten hinauf. Zwei frühe Texte, "Der Tod" und "Der Wille zum Glück", fanden zwar Eingang in "Der kleine Herr Friedemann", fehlen später jedoch in den Novellenbänden der Berliner und der Stockholmer Ausgabe. [...] Mann selektierte und organisierte seine Texte jedenfalls nicht nur nach formalen oder artistischen Gesichtspunkten, sondern auch material und teleologisch; er betrachtete seine Dichtung als pädagogischen Versuch der "Rettung und Rechtfertigung" des eigenen Lebens und wollte durch paradigmatische Gestaltungen erkunden, ob ein gelingendes, subjektiv beglückendes und sozial verantwortliches Leben in Deutschland möglich sei. Erklärt das die Marginalisierung der Novelle in Manns Selbsteditionen? Bis heute wird sie von der Forschung vernachlässigt. [...] Der Erzählstil der Novelle muss nicht von den späteren Mann-Texten her negativ gewertet werden und als motivischer Vorgriff wäre allererst auf die Frage nach dem "Glück" und die frühe Verknüpfung von Künstlertum und Überlebenskunst mit dem "Willen zum Glück" zu verweisen. Die Frage nach dem Glück gibt später auch einer anderen Novelle den Titel: "Ein Glück" erzählt von Liebesleid, weiblicher Solidarität und Mitleid. Dieses episodische Glück eines solidarischen Moments kontrastiert geradezu die starke Erzählung vom Lebensglück, von einem erfüllten und also gelingenden Leben, die die frühe Novelle 1896 bietet. Mit "Felix Krull" entwirft Mann später auch eine weitere Glücksgestalt, bevor er mit Castorp seine Kette von "Verfallsmenschen" um ein weiteres "Sorgenkind des Lebens" erweitert. Die frühe Verknüpfung von Künstlertum mit "Glück" sollte bereits dazu ermahnen, die Novelle "Der Wille zum Glück" nicht zu leicht zu nehmen.
Seit Jacob Burckhardts Thesen zum Individualismus in der Renaissance gilt das 'Selbst' als eine eingehend diskutierte Größe, die ungeachtet ihrer diversen Erscheinungsformen nicht nur als das bündige Kennzeichen einer Schwellenzeit, sondern geradezu als ihr alleiniges Produkt angesehen wurde: die Epoche zwischen Spätmittelalter und Aufklärung steht schlichtweg für den 'Ursprung' der modernen Individualität. [...] Dem wohl prominentesten oratorischen Initiator, der explizit für eine 'reformatio mundi' steht, widerfuhr seitens der historiographischen Nachwelt bezeichnenderweise beides, eine ergebene Verklärung als Führergestalt sowie die Apotheose im prometheischen Schema: Martin Luther gilt bis heute nicht nur als 'Rebell' oder 'Revolutionär', sondern vor allem auch als 'Schöpfer der deutschen Schriftsprache'. Spätestens hier gilt es zu differenzieren. Gerade die Person des Wittenberger Gelehrten, Predigers und Seelsorgers gibt Anlass zur sorgsamen Klärung eines frühneuzeitlichen Selbst-Bewusstseins. Das Selbst-Verständnis des Augustinermönchs gründet zunächst ausschließlich in theologischen Traditionen und ist daher vor allem mit Komposita wie 'Selbsterforschung', 'Selbstgespräch' ('soliloquium') und 'Selbsterkenntnis' ('cognitio sui') in Verbindung zu bringen. Diese Kategorien aber sind primär und unlösbar an die Sündhaftigkeit jedes einzelnen Menschen gekoppelt [...] Und dennoch - in diesem der Moderne eher fremd anmutenden Katalog der genannten Komposita begegnet tatsächlich auch die 'SelbstÜbersetzung': als Praxis und Phänomen wie in Form erhellender Paraphrasierungen. Voraussetzung für die Praxis scheint zunächst ein Geschehen auf der machtpolitischen Ebene zu sein. Mit dem Rückgang der von Papst und Kaiser getragenen Universalherrschaft im westlichen Europa, mit dem Schwinden eines nachantiken Herrschaftsanspruchs ('translatio imperii') im Sinne des mittelalterlichen römischen Reichsgedankens ist gleichermaßen auch der rasch fortschreitende Rückgang des Lateinischen als flächendeckende Gelehrten- und Verwaltungssprache eingeleitet. Indem nun die einzelnen regionalen Teilherrschaften nach politischer Autonomie streben, erhält auch die polyphone Sprachkultur Europas einen neuen Stellenwert: weitgehend noch pränationale, also eher territoriale Interessenkollektive verlegen sich auf die Regelung ihrer Angelegenheiten im eigenen Idiom. Dieses kann damit aus dem Schattendasein eines als 'laienhaft' und 'illiterat' verachteten Ungenügens heraustreten und sich als vollgültiges Pendant der antiken Vorgaben erweisen. [...] Ein zweites Novum tritt zeitgleich hinzu. Zwecks parteigebundener Regelung der lokalen und bald auch der bi- oder multilateralen Angelegenheiten erhalten die antiken Vorgaben der Redekunst eine neue und sehr zentrale Funktion: das vor Ort im Sinne bestimmter Interessen auftretende Einzel- oder Kollektivsubjekt (Territorialgewalt) artikuliert sich sprachlich-persuasiv, vertritt einen lokalen Standpunkt ('opinio' / 'point de vue') und versucht seine Zuhörer durch Überzeugung zu einem politisch wirksamen Handeln zu bewegen. Hierfür dient der Autortext, ebenso aber auch seine zweckgerichtete Übersetzung. In dieser konkretisiert sich ein Subjekt nicht nur als Mittler zwischen Parteien, Ständen und Interessen, sondern auch zwischen Sprachen und Kulturen.
Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die besondere Rolle und Funktion der Rezipienten beim transmedialen Erzählen zu erkunden und genauer zu definieren. Im Rahmen einer Historisierung des Phänomens des 'transmedia storytelling' lassen sich durch den epochenübergreifenden Vergleich zwischen unterschiedlichen historischen Spielarten transmedialer Narrative gemeinsame Spezifika dieser Erzählformen erkennen und wiederkehrende charakteristische Ausprägungen im Rezeptionsverhalten sichtbar machen. Es zeigt sich dabei, dass die Leser, Zuschauer bzw. Nutzer des transmedial Erzählten häufig als Beobachter höherer Ordnung in Erscheinung treten, deren Interesse nicht allein und oft nicht in erster Linie auf die inhaltliche Ebene, das Was der Geschichte, ausgerichtet ist. Vielmehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Rezipienten vermehrt auf das Wie, auf die Art und Weise der Vermittlung der Erzählung in den verschiedenen medialen Kontexten.
"The art of making beautiful prints in less than an hour : die Dunkelkammer in filmischer Reflexion
(2020)
Mit erstaunlicher Persistenz findet die Dunkelkammer über Jahrzehnte hinweg Eingang in den fiktionalen Film: als visueller wie narrativer Topos, als Handlungsort und als stabiles ikonisches Ensemble - und dies durchaus unter Absehung von der tatsächlichen historischen Relevanz der Dunkelkammer für die fotografischen Fertigungsprozesse im jeweiligen Handlungszeitraum der Filme. Mehr noch: Insofern selbst heute noch Filme mit klarem Gegenwartsbezug die Dunkelkammer thematisieren und reflektieren, findet sich auch hierin die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wieder. Selbst in Filmen, die ganz selbstverständlich dem Primat der Digitalfotografie und ihrer Materialisierung auf den verschiedensten Displays huldigen, bleiben die Dunkelkammer und die in ihr vollzogenen Prozesse präsent. Im Folgenden soll daher den prominentesten filmischen Narrativen und Motivgestaltungen dieses Zusammenhangs sowie der Frage nach Gründen für die offenkundige Faszination des Mediums Film gerade für diesen Teil der fotografischen Bildgenese nachgegangen werden. Es wird sich zeigen, dass ungeachtet der relativen Breite an einschlägigen Motivverwendungen doch rekurrierende narrative und ikonische Muster identifiziert werden können, die der Dunkelkammer als Handlungsort einen begrenzten Korpus von Funktionalisierungen und Handlungsketten zuweisen und sie dabei als je unterschiedlichen semantischen Raum konstruieren. Gemäß der medienkomparatistischen Grundannahme, dass die Fremdreflexion eines Mediums immer auch eine Selbstreflexion des eigenen Mediums mit sich bringt, wird ferner zu beobachten sein, welche Figurationen von Fremd- und Selbstbeobachtung der Film in seiner Handhabung des Dunkelkammermotivs vollzieht.
As a postmodern detective novel, "City of Glass" circles around its genre, deconstructing topical notions such as the 'case' and citing the commonplace language of hardboiled detectives as well as Poe's archetypical Dupin. Furthermore, the novel also refers to completely different texts and genres: Milton's Christian epic "Paradise Lost", for example, is allotted an important position in the 6th chapter with its speculations about a regaining of the Adamic language. The allusions to the puritan poet Milton exemplifies how Auster synthesizes a postmodern inquiry into genre and language with references to "premodern moral questions", highlighting interesting analogies between post- and premodern practices of reading and writing. An even more astonishing example are the subtle references to Defoe's "Robinson Crusoe", the best-selling puritan "spiritual autobiography" about the survival of a castaway on a remote Caribbean island, which have not yet been accorded scholarly attention. Although they don't seem to be of much significance at first sight, they, too, build on the relationship between puritan and postmodern reading and writing. In this paper, Joachim Harst unfolds the many parallels between Auster's and Defoe's first novels and shows how Auster reads "Robinson Crusoe" as an exemplary figure for existential solitude and artistic creativity. Auster's postmodern view on Defoe's novel also helps to highlight fissures in Robinson's seemingly complete "selfcomposure" via autobiography, while the colonial aspects of Defoe's novel resonate with Auster's postcolonial critique of America's puritan origins. Harst concludes with a glance at Auster's references to "Robinson Crusoe" in his other early works, especially his autofictional text "Invention of Solitude", in which he depicts the artist as "shipwreck[ed] in the heart of the city" and uses "Robinson Crusoe" to construct a biographical mythology aiming at creative authorship.
Elsa Triolet (1896-1970), geb. Ella Kagan, Ehefrau von Louis Aragon und Schwester von Lili Brik, war eine französische Schriftstellerin russischen Ursprungs. Ihr Werk "Roses à crédit" ("Rosen auf Kredit"), der erstes Band der Trilogie "L'âge de nylon" ("Das Nylon-Zeitalter"), schreibt sich in mehrere Gattungsformen ein. Der Verlag Gallimard bezeichnet das Werk im Untertitel der ersten Auflage von 1959 als Roman. Das für die 1994 erschienene Übersetzung ins Russische verantwortliche Verlagshaus Khorda bezeichnet ihn genauer als einen "Roman für Frauen". Mit Hilfe der von Ute Heidmann etablierten Methode des "differenzierenden Vergleichs" analysiert der vorliegende Beitrag die generischen und stilistischen Merkmale der russischen Märchen im Band "Roses à crédit". Dazu bediene ich mich seiner Übersetzung ins Russische ("Розы в кредит"), der Märchen Afanassjews, und A. Puschkins "Märchen vom Fischer und Fischlein" ("Сказка о рыбаке и рыбке"). Die vergleichende Analyse zeigt deutlich, sich das literarische Schreiben einer mehrsprachigen Autorin sich keineswegs auf eine einzige Sprache reduzieren lässt. In Elsa Triolets "Roses à crédit" lassen sich eindeutige Spuren der russischen Sprache in Form von stilistischen Merkmalen finden, die sich der Einschreibung in die Gattung der russischen Märchen verdanken.
Ausgehend von drei Beispielen aus den 1840er Jahren - Luise Mühlbachs Erzählung "Das fluchbeladene Haar" (1845), Annette von Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" (1842) und August Lewalds Erzählung "Das Gespenst um Mittag" (1840) - möchte mein Beitrag den vitalen Zusammenhang herausarbeiten, den fantastische Texte im Vormärz zu poetologischen und zeitkritischen Fragen der Epoche unterhielten. Alle drei Werke erschienen in Magazinen und Sammelbänden, die sich in erster Linie an ein Lesepublikum aus dem mittleren und höheren Bürgertum richteten, das sich seinerseits über handelnde Figuren und Erzählinstanzen in den Texten repräsentiert fühlen konnte. Ihm oblag es - so die These - den ästhetischen Reiz von Schauerromantik und Horror zu genießen, oder die Texte außerdem als Angebote einer kritischen Auseinandersetzung mit Diskurs- und Machtverhältnissen ihrer Zeit zu begreifen. Während es zwischen den drei Werken auf der Plotebene keine Berührungspunkte gibt, überschneiden sie sich strukturell, insofern sie die pragmatisch-realistische Schilderung sozialer Verhältnisse mit archaischen Narrationen von rachedurstigen Untoten, schicksalhafter Vergeltung und Bestrafung aus dem Jenseits kombinieren. Dies als bloße Stilzutat im Sinne eines 'phantastischen Tons' abzutun, den die Texte bedienen, oder einen "Dualismus von Irrationalität und Realismus" an der Grenze zum Komischen zu vermuten, greift eindeutig zu kurz. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, dass über die ästhetischen Mittel der Fantastik vielmehr eine Perspektive auf die Zeitumstände angeboten wird, die nicht anders als kritisch genannt werden kann. Gespenster, Revenants und Rachegeister werden als Ausgeburten ganz realweltlicher Missstände der Restaurationsepoche bestimmt, innerhalb derer sie für Gerechtigkeit oder zumindest für die Sichtbarmachung von Unrecht sorgen. Um es pointiert zu sagen: Der Verdacht liegt nah, dass es bei Lewald, Droste-Hülshoff und Mühlbach aufgrund von ungerechter Güterverteilung, Klassengegensätzen und sozialer Ungleichheit in der modernen Gesellschaft spukt. Ob diese Deutung trägt und was dies über den diskursiven Ort der Fantastik im Vormärz aussagt, soll im Folgenden unter Bezug auf die Texte sowie zeitgenössische Debatten um das Gespensterhafte in Kunst und Gesellschaft überprüft werden.
Die von dem karibischen Schriftsteller Patrick Chamoiseau geprägte Wendung "l'actif relationnel des langues, des cultures et des hommes" bezeichnet die kreative Dynamik, die entsteht, wenn verschiedene Sprachen und Kulturen miteinander in Beziehung treten. Die folgende Studie zeigt, wie Chamoiseau in seinem literarischen und theoretischen Werk dieses 'Relationspotential' der in den französischen Antillen koexistierenden Sprachen auf mehreren Ebenen "mobilisiert". In seiner Trilogie "Une enfance créole" erfindet er eine höchst suggestive poetische Sprache, die den kolonialen Antagonismus der kreolischen und der französischen Sprache auflöst, indem er die klangliche, lexikalische und semantische Verwandtschaft beider Sprachen aktiviert. Indem er eine Gattung französischer Tradition, die Kindheitsbeschreibung ('récit d’enfance') mit einer fundamentalen kreolischen Gattungspraxis, dem 'conte créole', kombiniert, gelingt es ihm auch, das 'actif relationnel' beider Kulturen zu mobilisieren. Sein Werk begründet mit seinem 'récit d'enfance créole' eine Gattungspraxis, die beide Sprachen und Kulturen auf kreative Weise in ihrer "Diversalität" ('diversalité') vereint. Damit realisiert Chamoiseau auf künstlerischer und auf metapoetischer Ebene sein mit anderen kreolischen Schriftstellern (Glissant, Bernabé, Confiant) formuliertes Postulat, der "oft verflachenden Universalität" die "Dynamik einer Einheit im Diversen" entgegenzusetzen.
In seinem Buch "Einfache Formen" (1930) entwickelt André Jolles in Auseinandersetzung mit Goethes Naturkunde die Vorstellung einer besonderen Zeitlichkeit der von ihm so genannten "Einfachen Formen", die er als "Jedesmaligkeit" bezeichnet. Jolles greift damit den morphologischen Gedanken einer Vielgestaltigkeit von Form vor dem Hintergrund der sprachwissenschaftlichen Debatten seines politisierten akademischen Umfelds in Leipzig auf, das den Saussure'schen Systemgedanken der Sprache unter Rückbezug auf Wilhelm von Humboldt holistisch umdeuten wollte. Der Aufsatz verortet Jolles' Überlegungen in der formorientierten Literatur- und Kulturtheorie der Zeit. Anhand seiner Zeitbegriffe und seines Formkonzepts wird gezeigt, wie er die zeitgenössischen Ideen der Ganzheit und der Verzeitlichung von Form im Ausgang morphologischer Fragen auf eigenwillige Weise interpretierte.
Am 9. Jänner 2020 fand im Rahmen des Programmbereichs "Figurationen des Übergangs" im interuniversitären Schwerpunkt "Wissenschaft & Kunst" eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Insektensterben" statt. Eine Expertin und vier Experten beleuchteten unter der Moderation und Konzeption von Romana Sammern (Salzburg) das Problemfeld der schwindenden Menge und Vielfalt der Insekten aus verschiedenen Blickwinkeln.
Adornos Verhältnis zu Kunst und Ökonomie ist ebenso bekannt wie kompliziert. Die spätkapitalistische Gesellschaft und ihre Subjekt- und Lebensformen leiden nach Adorno unter einer problematischen Vorherrschaft der Ökonomie, die Adorno und Horkheimer "totale Kapitalmacht" nennen. Die "ökonomische Durchorganisation" der Gesellschaft zeigt sich danach auch in der Kultur, wo sie unter dem Stichwort 'Kulturindustrie' firmiert. [...] Im scharfen Kontrast zur Kulturindustrie sollen in autonomen Kunstwerken hingegen keine ökonomischen Werte von Belang sein. Ihre Negativität gründet vielmehr in der autonomen "Geltungssphäre" der Kunst "sui generis", der kritischen Abkehr von der "empirische[n] Realität" samt ihrer kapitalistischen Werteordnung und der Überschreitung "vorgefundene[r] ästhetische[r] Normativität", wie Albrecht Wellmer zusammenfasst. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, dass auch die Losgelöstheit von Marktprinzipien eine spezifische Ökonomie voraussetzt, eine poietische Ökonomie des Kunstwerks, das seine Darstellungselemente derart anordnen muss, dass es sich der eingängigen Konsumierung und Verwertung verweigert. Es ist diese Ökonomie der Kunst - so die These -, die zum einen das 'Befremden' angesichts der kapitalistischen Lebensformen zu Bewusstsein bringt und zum anderen darüber hinausverweisen soll. Ziel des Aufsatzes ist es daher, das Verhältnis sowohl der kulturindustriellen Produkte als auch der autonomen Kunst zu den ökonomischen Bedingungen zu beschreiben, unter denen nach Adorno ja beide entstehen, um vor diesem Hintergrund ihre je eigene poietische Ökonomie genauer in den Blick zu nehmen.
Leben und Werke der Brüder Wilhelm (1767−1835) und Alexander (1769−1859) von Humboldt vollzogen sich in vielfältigen Kultur- und Wissenstransfers. Beide waren, in jeweils unterschiedlichem Ausmaß, Forschungsreisende, wissenschaftliche Publizisten, Wissenschaftspolitiker, Staats- und Hofbedienstete. In der Vielfalt dieser Funktionen waren sie darauf angewiesen, zwischen fachlicher, politischer und öffentlicher Kommunkation vermitteln zu können, sich also selbst zu übersetzen - in einem zunächst einmal weiten Verständnis von Übersetzung, das neben sprachlichen Übertragungen auch die "Notwendigkeit kultureller Übersetzungsprozesse" meint und auf ein "Immer-schon-Übersetztsein" von Kulturen in ihrer Vielheit und Mannigfaltigkeit verweist. Solche kulturellen Transfers erweisen sich aber bei den Humboldts auf spezifische Weise als sprachgebunden. Daher lässt sich der im weiteren Sinne übersetzende Charakter ihres wissenschaftlichen und politischen Wirkens auf die interlingualen Selbstübersetzungen hin engführen, die untrennbar mit der mehrsprachigen Genese ihres jeweiligen Gesamtwerks verbunden sind. [...] Als besonderer Fall von kosmopolitischer Mehrsprachigkeit ist für beide Humboldts die deutsch-französische Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte betont worden. Für beide besaß die französische Sprache einen zentralen Stellenwert: als von klein auf gesprochene Zweitsprache und als wissenschaftliche lingua franca der Zeit um 1800. Sie war immer dort mit im Spiel, wo sich Wilhelm und Alexander von Humboldt als Selbstübersetzer betätigten. Dabei ging die Übersetzungsrichtung sowohl aus dem Deutschen ins Französische als auch umgekehrt; übersetzt wurden sowohl komplette eigene Texte als auch Abschnitte aus teils publizierten, teils unpublizierten Arbeiten, die in der jeweils anderen Sprache zum Ausgangsmaterial für neue Schriften werden konnten. Auf diese Weise entstanden zweisprachige Textkorpora verschiedenen Zuschnitts, wie im Folgenden an chronologisch angeordneten Beispielen dargelegt werden soll, und zwar sowohl hinsichtlich der jeweiligen wissenschaftlichen Kontexte als auch im mikrologischen Blick auf die Texte selbst. Zwei der Beispiele stammen von Wilhelm von Humboldt: ein deutsch-französisches Konglomerat zur Ästhetik (II.) und ein französisch-deutsches über altamerikanische Sprachen (IV.); die beiden anderen von Alexander von Humboldt: die parallel auf Französisch und Deutsch veröffentlichte Abhandlung zur Geographie der Pflanzen (III.) und die französische Übersetzung der zuerst auf Deutsch publizierten Einleitung zum mehrbändigen Spätwerk, dem Kosmos (V.). Abschließend soll nochmals die pragmatische und theoretische Reichweite der Humboldt'schen Selbstübersetzungen benannt werden (VI.).
Zwar verfasste und veröffentlichte Schlegel das Gros seiner Schriften auf Deutsch, mehrere wichtige Publikationen erschienen aber auf Französisch und Latein. Schlegels berühmte Übersetzungsleistungen und seine mehrsprachige Publikationspraxis legen die Vermutung nahe, er habe sich als Selbstübersetzer betätigt, um etwa seine deutschsprachigen Schriften für ein internationales Publikum zugänglich zu machen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Entweder wurden seine Schriften von Dritten übersetzt, mit oder ohne Mitwirkung des Autors, oder er selbst hat die jeweilige Schrift direkt in der Fremdsprache verfasst. Diese Sprachwahl ist meines Erachtens ein wesentlicher Grundzug von Schlegels Publikationsstrategie. Schlegel übersetzte seine Schriften weder selbst noch gab er sie als Selbstübersetzungen an. Und trotzdem lässt sich bei Schlegel das Phänomen der Selbstübersetzung feststellen. Denn er übernahm frühere Gedanken, Ausdrücke und Botschaften in neue, in einer anderen Sprache verfasste Schriften und passte sie dem Zielpublikum an. So tauchen äquivalente Textpassagen, seien es einzelne Sätze, seien es ganze Absätze, in Texten auf, die in unterschiedlichen Sprachen verfasst wurden. Diese Selbstübersetzungen spiegeln auf einer interlingualen Ebene die enge intertextuelle Vernetzung seines scheinbar disparaten Werks wider und sind eng mit analogen intralingualen Verfahren wie Kommentieren, Paraphrasieren, Zusammenfassen oder Zitieren verbunden, die Schlegels Schreib- und Arbeitsweise prägen. Seine Texte zeichnen sich durch eine starke Selbstreferenz aus, die über die häufig vorkommenden und selten ausgewiesenen Selbstzitate sowie die Übernahme und Weiterentwicklung bereits an anderer Stelle ausformulierter Gedanken hinausgeht. Zunächst soll Schlegels selbstreferentielle Schreibweise anhand eines kurzen zweisprachigen Textvergleichs veranschaulicht werden (I.). Anschließend wird im Hauptteil dieses Beitrags (II.) Schlegels Selbstübersetzung anhand der "Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d'Euripide" und der Wiener Vorlesungen "Über dramatische Kunst und Literatur" beleuchtet. In einem abschließenden Abschnitt (III.) soll die mehrsprachige Publikationspraxis hinterfragt und die Bedeutung der Sprachwahl für Schlegels Denken erläutert werden.
Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist es, einige Aspekte des Versuchs, den in Deutschland neu geprägten Begriff der "Ästhetik" nach Frankreich zu importieren, in der Zeit um 1850 zu beleuchten, einer Periode, in der die Ästhetik sich als philosophische Wissenschaft in Frankreich allmählich etabliert. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts stieß der Begriff "esthétique", der als direkte Übersetzung des deutschen Wortes "Ästhetik" geprägt wurde, auf zähen Widerstand. Schon ein schneller Blick auf die Wortgeschichte zeugt von dieser Resistenz. Zwar tauchte der Terminus "esthétique" bereits 1753 auf, aber dieser erste Beleg, der im Werk des französischsprachigen Mitglieds der Berliner Akademie der Wissenschaften Louis de Beausobre erschien, blieb lange Zeit isoliert und ohne Widerhall. In der "Encyclopédie" von Diderot und d'Alembert ist bezeichnenderweise unter "esthétique" kein Eintrag zu finden. Erst in zwei Nachbildungen der "Encyclopédie" - in die "Encyclopédie d'Yverdon" von Fortunato Bartolomeo de Felice und ins "Supplément à l'Encyclopédie" von Charles-Joseph Panckoucke - wurde ein solcher Artikel eingeführt. Dieser Importversuch blieb aber bis Anfang des 19. Jahrhunderts so gut wie folgenlos. 1835 wurde das Lemma zum ersten Mal in der sechsten Ausgabe des "Dictionnaire de l'Académie Française" aufgenommen. Den ersten wichtigen Beleg für einen regelrechten Einbürgerungsversuch liefert aber erst der zweite Band des "Dictionnaire des sciences philosophiques" von 1845. Dort ist ein Eintrag zur "esthétique" zu finden, der von Charles Bénard gezeichnet ist. Damit wurde dem Wort "esthétique" in der Sprache der französischen Philosophie sozusagen sein erster Taufschein erstellt. Wer genau war der Autor dieses langen Artikels und was hat ihn veranlasst, einen solchen Eintrag zu schreiben? Wie konnte die Ästhetik als besonderes Teilgebiet der Philosophie um 1850 neue Befürworter finden? Auf welche Hindernisse stießen ihre Fürsprecher? Auf diese Fragen sollen im Folgenden einige Antworten skizziert werden.
Der vorliegende Aufsatz geht davon aus, dass es die vermeintlich unspektakuläre, zugewandte 'Volksnähe' des Heiligen sowie seine Fähigkeiten als Prediger sind, die Michael Köhlmeier an Antonius von Padua faszinieren. Jedenfalls zeugen sowohl Köhlmeiers literarische Texte als auch seine Auftritte als Mythen- und Sagenerzähler von einem besonderen Interesse an Formen des kollektiven Erzählens sowie an der Beziehung zwischen Publikum und Redner. Vor diesem Hintergrund verfolgt der Beitrag zum einen die These, dass Köhlmeiers Erzählung sich als literarische Untersuchung zur Tradition der Antonius-Legenden lesen lässt, deren inhärenten Spannungen sie nachgeht und deren Produktionsmechanismen sie offenzulegen versucht. Es gehört zu den gattungskonstitutiven produktiven Problemen der Legende, dass sie ihren Gegenstand sowohl voraussetzen als auch performativ durch das eigene Erzählen herstellen muss: Die Heiligkeit der Person, von der die Rede ist, bildet zugleich Anlass und Ziel des Erzählens. In diesem zirkulären Projekt muss die Legende zum einen das Verhältnis zwischen individueller Handlungsmacht und göttlicher Vorsehung austarieren - der oder die Heilige muss als Person exzeptionell sein oder es erst werden, wobei ihm oder ihr diese Exzeptionalität als transzendente Auszeichnung zugeschrieben wird. Zum anderen verhandelt die Legende das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv - der oder die Heilige muss sich zwar vom Kollektiv absetzen und abgrenzen, ist aber dennoch angewiesen auf die Anerkennung und Beglaubigung durch eine Gemeinschaft. Während die mittelalterliche Antonius-Biographik dieses triadische Gefüge ausbalancieren, heterogene Überlieferungen harmonisieren und widerständige Elemente tilgen muss, um die Lebensgeschichte des Heiligen zur wirkungsvollen Legende zu modellieren, unternimmt es Köhlmeiers Novelle, die plurale Vielstimmigkeit und immanente Widersprüchlichkeit der Überlieferung wieder zu entfalten. Dieses quasi-archäologische, quellenkritische Verfahren erfolgt allerdings nicht um seiner selbst willen, sondern dient, so unsere zweite These, der Etablierung einer eigenen, alternativen Version der Antonius-Legende. Über die produktive Umschreibung der Prätexte und die imaginative Füllung ihrer Lücken findet Köhlmeiers Novelle auf die alte Frage, wie sich Heiligkeit konstituiert, eine neue, durchaus überraschende Antwort: Die Macht zur Heiligung kommt hier nicht der göttlich inspirierten Rede zu, sondern dem Kollektiv.
Am Fall Husserl soll aufgezeigt werden, wie das wiederholte Von-vorn-Beginnen unweigerlich in eine bestimmte Form des Philosophierens mündet. Dies zu verfolgen erfordert aber weniger eine philosophische als eine poietologische Perspektive. Die konstante Beschäftigung mit dem Anfang führt zu besonderen Schreibformen und entwirft ganze Lebensentwürfe. Dem entspricht ein Lektüremodus, der besonderen Wert auf diejenigen "höchst artistische[n] Volten und Manöver" legt, die im Umgang mit Anfangs- und Ursprungsszenarien zu beobachten sind, und der die daraus erwachsenden praxeologischen Bestimmungen und poetologischen Entwürfe als notwendiger Bestandteil dieser Bemühungen versteht. Es geht also weder darum, die philosophischen Aporien rund um den richtigen Anfang zu lösen, noch darum, ein Theoriemodell des Anfangens zu entwerfen, das in der Literaturwissenschaft aufzunehmen und anzuwenden wäre. Im Fokus stehen soll vielmehr das Zusammenspiel von Epistemologie und Po(i)etologie, das sich über das Anfangsproblem präsentiert und für das sich die "unendliche Aufgabe" von Husserls Phänomenologie, aufgrund der Ernsthaftigkeit ihres Rückfragens und der daraus resultierenden Denk- und Schreibpraxis, besonders eignet. Um die textuellen Konsequenzen der Anfangsaufgabe herausarbeiten zu können, soll in einem zweiten, sich von Husserl lösenden Schritt auf einen Autor zurückgegangen werden, der in der literaturwissenschaftlichen Forschung bereits vielfach als ein ständig neu beginnender und nie zum Schluss kommender beschrieben wurde: Franz Kafka. [...] Im Folgenden sollen also diese beiden Sachverhalte untersucht werden: Zum einen: Welche poetologischen Perspektiven auf das Anfangsproblem schlagen sich in Husserls vielfältigen Fragestellungen und Reflexionsfiguren nieder (III)? Zum anderen: Inwiefern kann Kafkas Form des ständigen Neubeginnens als konsequente Fortführung der Husserl'schen Problemstellung verstanden werden (IV)?
In diesem Beitrag wird das von Patrick Chamoiseau entwickelte Konzept vom "Relationspotential der Sprachen, Literaturen und Kulturen" auf Grimms Märchen angewandt. In erster Linie geht es darum, zu zeigen, wie im Laufe der Ausgaben der Sammlung "Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm" rein deutsche Erzählungen sowie mythologische Reminiszenzen entstanden sind. In zweiter Linie wird die Künstlichkeit dieses Diskurses hervorgehoben. Dazu werden die Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm - vor allem das KHM 60 "Die zwei Brüder" - mit den mythologischen Quellen verglichen, aus denen sie vermeintlich stammen sollten.
Im 15. Abschnitt seiner Aesthetik kommt Theodor Mundt auf den Humor als 'burleske Philosophie' zu sprechen. Als erster deutscher Ästhetiker hatte der von dem berühmt-berüchtigten Verbotsbeschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835 gegenüber dem sogenannten Jungen Deutschland hart getroffene Autor 1837 in seiner Abhandlung Die Kunst der deutschen Prosa systematisch die "zeitgemäße Stellung" der deutschen Prosa und damit deren Vorrangstellung gegenüber der Poesie begründet. [...] Richtete Mundt in dieser Abhandlung den Fokus noch auf die "Emancipation der Prosa", ist es in der Aesthetik nun "das Prinzip der Unmittelbarkeit" als "Philosophie der That". Mundt selbst spricht im Vorwort selbstbewusst von dem "von mir neu aufgestellte[n] Prinzip der Aesthetik". [...]
Marie-Aude Murail a pu se vivre au début de sa carrière "comme écrivaine pour non-lecteurs, vouée à faire des livres qui ne devaient jamais dépasser 200 pages" (cité dans Prince, 2015 : 152). "Le Hollandais sans peine", petit ouvrage illustré paru en 1989, relève de la littérature de jeunesse, que d'aucuns continuent à opposer à la 'vraie' littérature. Dans la présente contribution, je propose d'analyser le tour de force que Murail réussit ici encore avec humour, en coulant dans un récit pour enfants certains éléments essentiels de la critique du langage. Ainsi, en inventant de toute pièce une langue, le jeune protagoniste Jean-Charles tourne une situation de contrainte, l'injonction parentale de jouer avec le voisin de camping afin d'apprendre l'allemand, en un espace de créativité linguistique et communicationnelle qui, de plus, rapproche jeunes et adultes. L'ouvrage illustre en ce sens la définition de Murail de la littérature de jeunesse comme dialogue entre les générations.
"Berührungsfurcht" : soziale Imaginationen der Unterklassigen in der Kanon-Literatur der Moderne
(2020)
Die gutbürgerliche Literatur verwahrt sich mit allem, was ihr eigen ist - Sprache, Aisthesis, Kreativität, Imagination, Wissen und Bildung - gegen den Übergriff des Anderen und Fremden in Gestalt des sozial Niederen und Subalternen im eigenen Erfahrungsbereich, durchsetzt mit Empathie und Aggression. Aus der Sicht der noblen Literatur fällt der Blick auf die schäbigen Volkssänger, von denen sich Gustav Aschenbach, Thomas Manns Identifikationsfigur im "Tod in Venedig", auf der Hotelempore des Lido bedrängt fühlt, auf die elenden "Schalen von Menschen" in den Straßen und Krankenanstalten von Paris in Rilkes "Malte Laurids Brigge", auf die im Gerede sprachlosen Scheusale von Haushälterin und Hausbesorger in Canettis "Blendung", auf die im 'Jargon' agierende chassidische Schauspieler-Bagage, die Kafka so vehement gegen den Prager Kulturzionismus verteidigt. Die kulturelle Hybris gegenüber den Subalternen und Deklassierten folgt der Spur eines elitären Gestus, auch im politischen Handeln: Verachtung, Abscheu, Angst und Erschrecken angesichts der 'Deplorables', des bedauernswerten Elends der sozial Deklassierten und minder Kultivierten. [...] Das entsprechende Bildrepertoire an einsinnigen Klischees begegnet, ästhetisch nuanciert, in der literarischen Zeitgenossenschaft um 1900 bei Autoren unterschiedlichster Weltanschauung und Schreibweise. Und seitdem, was im Folgenden aufzuzeigen ist, in fast jedem uns vertrauten Text moderner, als bürgerlich verbürgter deutscher Literatur, der sich dem sozial Anderen außerhalb des eigenen Lebens- und Erfahrungsbereichs zuwendet, mehr oder weniger emphatisch oder verdrossen. Bei diesem kleinen Streifzug durch einige Kanon-Texte der Moderne kann es nicht um ihre sozialpsychologische und sozialhistorische Erklärbarkeit gehen. Vielmehr interessieren, als kleiner Nachtrag zur Lektüre der uns wohl bekannten Werke, gewisse Wege und Abwege der sozialen Imagination: der moralisch und ästhetisch oft verquere Umgang mit einem Fremden, das nicht nur in anderen Ländern und Kulturen zu suchen, sondern daheim, hier und jetzt, zu entdecken ist. In der Ferne so nah, voller "Berührungsfurcht", wenn nicht panischem Erschrecken vor dem Anderen.
Die komplexe und diffizile Frage, der im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll, ist die nach Heines Eigenschaft als Selbstübersetzer, womit das Hauptaugenmerk auf die sprachlichen d. h. mehrsprachigen Grundlagen seiner Vermittlungstätigkeit gerichtet wird. Denn die Bezeichnung Heines als Selbstübersetzer kann im Gegensatz zur Assoziierung mit dem Begriff des Kulturtransfers durchaus überraschen. Mit Heines Sprachkompetenz im Französischen und dem auktorialen Status seiner französischen Schriften werden Forschungsfragen berührt, die in der Heine-Kritik von ihren Anfängen bis heute durchaus kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch nachzudenken über den für die Analyse von Heines Schreib- und Veröffentlichungspraxis relevanten Begriff von Übersetzung bzw. Selbstübersetzung. Kann man im Falle Heines wirklich von einem alleinigen deutschen Original sprechen und den französischen Fassungen seiner Schriften - wie oft geschehen - einen bloß sekundären Status zuweisen? In diesem Problemzusammenhang spielt neben den textgenetischen und sprachlich-translatorischen Aspekten auch die Perspektive der Selbstdarstellung bzw. Selbstvermarktung des Dichters eine bedeutende Rolle, insofern man bei Heine von einer regelrechten Inszenierung als zweisprachigem Autor reden kann. Die von mir im Folgenden vertretene These wird hierbei lauten, dass Heinrich Heines durchaus fragwürdiger Status als Selbstübersetzer über normative Übersetzungs- und Sprachkompetenzkriterien hinaus vor allem als doppelte - d. h. binationale und zweisprachige - 'auctoritas' aufzufassen ist. Anders gesagt: Über die komplexe Frage der Textgenese hinaus soll die von Heine bewusst eingenommene Rolle als direkter Akteur zweier nationaler Wissenssysteme betont werden. Unter diesem Blickwinkel wird nicht zuletzt ein bemerkenswerter Nexus zwischen den vermittelten Wissensinhalten und deren sprachlichem Transfer sichtbar. So soll gezeigt werden, dass Heines dezidiert antinationalistisches, kosmopolitisches und universalistisches Denken zwischen Deutschland und Frankreich seine formale Entsprechung in einer interlingualen Wissenszirkulation zwischen der deutschen und der französischen Sprache findet, in deren Medium die von ihm entwickelten und vermittelten Theorien und Thesen prozessual entwickelt und weitergeschrieben werden. Eine solche Sichtweise auf Heine als translingualen Schriftsteller wurde bisher nicht immer ausreichend von der Forschung berücksichtigt und gewürdigt. Wie allgemein im Zusammenhang mit bikulturellen und bilingualen Autoren sowie sprachlich hybriden Schreibverfahren wird man mit blinden Flecken der Forschung und nationalphilologischen Widerständen konfrontiert, die eine mehr oder weniger symbolische 'Vereinsprachigung' von Heines Werken befördern oder implizieren. Dieser Umstand betrifft nicht nur die deutsche Heine-Rezeption, sondern ist bedauerlicherweise auch in der interkulturell aufgestellten französischen Germanistik der jüngeren Zeit zu beobachten, wie ich in einem abschließenden Exkurs zeigen möchte.
In den letzten Jahren geriet das Themenfeld 'Literatur und Religion' wieder vermehrt in den Fokus der Forschung. Obgleich im Zuge dessen die Relevanz konfessioneller Identitäten für die im 18. Jahrhundert vorgenommene Umgestaltung des Verhältnisses von Sinn und Sinnlichem zum Thema wurde, lässt sich doch ein Forschungsdesiderat konstatieren: Die katholische Konfession ist erstaunlich selten Gegenstand der dem 18. Jahrhundert gewidmeten ästhetikgeschichtlichen Untersuchungen, obwohl die Forschung ihre Bedeutung für die Formulierung der frühromantischen Kunstreligion allgemein anerkannt hat. [...] Erst in jüngster Zeit hat Jonathan Blake Fine in einem Aufsatz auf dieses Forschungsdesiderat hingewiesen. [...] Fine verbindet Lavaters Werk explizit mit der frühromantischen Ästhetik, allerdings wird in seinem Aufsatz die konkrete ästhetische Erscheinungsweise des Katholischen, die ja Ausgangspunkt für die romantische Kunstreligion sein soll, nicht analysiert. Mein Beitrag nimmt Fines überzeugenden Hinweis auf und will einen Beitrag dazu leisten, die Umrisse der protestantisch-spätaufklärerischen Wahrnehmung katholischer Praktiken - und damit die Konstruktion einer 'katholischen Ästhetik' aus protestantischer Perspektive - exakter zu fassen. Dazu setze ich einerseits bei Lavaters "Wenn nur Christus verkündigt wird! oder Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche" an, andererseits bei den polemischen Reaktionen, die dieses provozierte. Das 1781 erstmals gedruckte Gedicht schildert, wie der Titel ankündigt, eine katholische Messe und die diese begleitenden Empfindungen des lyrischen Subjekts. Im Zusammenhang mit der Nicolai-Lavater-Polemik wurde das Gedicht den (Berliner) Spätaufklärern zum Beleg für die 'kryptokatholischen' Tendenzen Lavaters. In meinem Aufsatz geht es mir nicht um die ausführlich aufgearbeitete 'Jesuitenriecherei' Nicolais, sondern um das katholisch-ästhetische Programm, welches Lavater in seiner lyrischen Messeschilderung darstellt und das den protestantischen Spätaufklärern zum Ärgernis wurde. [...] Lavaters Gedicht und die drei derb-polemisch kommentierten Nachdrucke gewähren einen Einblick in die protestantisch-spätaufklärerische Konstruktion eines katholischen Verständnisses von Sinn und Sinnlichkeit. Mit anderen Worten: Die zweifache reformatorische Perspektivierung - einerseits die poetisierte Darstellung der katholischen Messe durch den Zürcher Theologen Lavater, andererseits die Rezeption seiner Gedicht gewordenen Schilderung durch die Spätaufklärer - macht es möglich, die Besonderheit einer als katholisch markierten (und damit eben dezidiert nicht-aufklärerischen, nichtprotestantischen) Ästhetik wahrzunehmen und zu analysieren. Davon ausgehend kann die von Fine konstatierte Faszination, die frühromantisch-kunstreligiöse Entwürfe für den Katholizismus empfanden, genauer an als katholisch markierten Praktiken und Sinnlichkeitsvorstellungen festgemacht werden. Dazu will ich im Folgenden in drei Schritten vorgehen. Den ersten Schritt stellt die Analyse von Lavaters Gedicht "Wenn nur Christus verkündigt wird" dar, insbesondere in Hinblick auf die dort thematisierten Besonderheiten katholischer Sinnlichkeit und ihrer Wirkung auf das lyrische Subjekt. Der zeitgenössischen Kritik dieser Besonderheiten widme ich mich im zweiten Schritt: Anhand von Nicolais 1787 publiziertem Gedichtkommentar und der anonym erschienenen Ausgabe aus demselben Jahr will ich analysieren, was an Lavaters Schilderung dem protestantischen Blick zum Ärgernis gereichte und wie sich eine spätaufklärerische Ästhetik implizit gegen ein als katholisch konstruiertes Sinnlichkeitsverständnis konturierte. Abschließend und zusammenfassend werde ich skizzieren, wie sich das durch die protestantische Polemik sichtbar gewordene katholische Sinnlichkeitsverständnis zu den Ästhetik-Entwürfen des 18. Jahrhunderts verhält.
Genel Edebiyat Biliminin bir dalı olan "Karşılaştırmalı Edebiyat", farklı dillerde yazılmış edebi eserlerin, benzerlik ve farklılıklar yönünden karşılaştırılmasıdır. Karşılaştırmaya dayalı analizlerdeki amaç, iki ya da daha fazla eserin, biçim, üslup, motif ve ya tema gibi edebi unsurlar açısından ortak ve ya farklı öğelerini belirlemektir. Edebi metinlerde kullanılan dilsel öğeleri inceleme alanı olan "Biçembilim", okuyucunun metinleri anlamasını sağlayan en önemli araçlardan biridir. Karşılaştırmalı Edebiyat bilimi kapsamında çevirinin önemi yadsınamaz ve bir metin ile çevirisi, mukayeseli çalışma alanlarından biridir. Bu araştırmanın özünü, kaynak metin ve erek metin arasındaki benzerlik ve farklılıkları örneklendirmek adına karşılaştırmalı edebi çeviri örneği oluşturmaktadır. Bu bağlamda, bu çalışmada, William Shakespeare'in "Sonnet 66" şiirinin Türk edebiyatçı Can Yücel tarafından "66. Sone" olarak çevirisinin, Katharina Reiss'in "içerik odaklı" çeviri modeline dayanarak nasıl yorumlandığı incelenmiştir.
"...indem die Tage rollen..." : Zeit, Recht und 'Klassik' in Goethes "Die Natürliche Tochter"
(2020)
Der Beitrag geht von der These aus, dass Goethes Arbeit an der 'klassischen' Dramenform sich einer tieferen Einsicht in die zeitliche wie rechtliche Problematik der 'tragédie classique' verdankt als allgemein angenommen. Dabei dürfte es maßgeblich die Französische Revolution gewesen sein, die eine neue Attraktivität der 'alten' Form bewirkte. Das zeigt sich vor allem an "Die Natürliche Tochter", einem Stück, in dessen Entstehungszeit nicht zufällig Goethes Übersetzungen zweier Dramen Voltaires fallen. Figurationen politischer Gründung und Legitimation bildeten das Zentrum des 'klassischen' Dramas bereits bei Corneille und stellten es zuverlässig auf eine um 1800 für konservative Autoren aktuelle Zerreißprobe. Die forciert gelassene Präsentation legitimer Herrschaft unter der Berufung auf Zeitkontinuität und lang währende 'Gewohnheiten' stand in der 'tragédie classique' nämlich in massiver Spannung zur normativen Forderung der 'Einheit' der Zeit, die das Drama auf eine disziplinierte Zeitökonomie und idealerweise sogar auf die Synchronisierung von dargestellter Zeit und Zeit der Darstellung verpflichtete. Dort, wo Corneille solche Spannungen entweder zu kaschieren oder politisch zu nutzen versuchte, reißt Goethe in "Die Natürliche Tochter" zwischen Figurenrede und Dramaturgie eine unüberwindbare Kluft und lässt ursprüngliche Funktionen der 'klassischen' Zeitökonomie konsequent leerlaufen. Sein Drama betreibt demnach keine restaurative Formpolitik, sondern führt die historische Uneinholbarkeit der 'klassischen' Form angesichts zeitgenössischer politischer Entwicklungen vor.