CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Eveline Thalmann: Bertha von Suttner - eine Soziologin? - Bertha von Suttner: Soziologie und Politik - Der Jugendunterricht - Die Dummheit - Ein Wort an die antisemitischen Frauen - Die Frauen - Das Ideal eines Konservativen - Der Zeitgeist - Litteratur, Kunst und Wissenschaft - Eveline Thalmann: Personenverzeichnis - Beatrix Müller-Kampel: Bertha von Suttner : Internationale Bibliographie der Sekundärliteratur
'Zukunftswissen' und 'Begriffsgeschichte' ist der Schwerpunkte dieser Ausgabe des FIB. Vielleicht ist es ein Zeichen der Gegenwart, dass die sich wechselseitig bestimmende Trias Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft sowie die im Zentrum klassischer Begriffsgeschichte stehende Epochenproblematik heute keineswegs mehr so einfach gedacht werden kann.
Es gehört zu den besonderen Merkmalen fantastischer Literatur und Kunst, fiktive Welten hervorzubringen, deren Entwurfscharakter Modellhaftigkeit und spielerische Experimentierfreudigkeit ebenso implizieren kann wie Perspektiven des Utopischen. Die Beiträge des Sammelbands gehen auf Vorträge der Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung im September 2013 zurück, die unter dem Motto "Writing Worlds" stand. Sich Welten zu erschreiben, zu erzählen oder zu erträumen ist zweifellos ein zentraler Bestandteil und eine wichtige Motivation zur Kreativität, die sich insbesondere im Genre der fantastischen Literatur beobachten lässt. In der Gegenwart lässt sich die spatiale Ebene, die Welten und Räume konstruierende Dimension des Fantastischen, allerdings nicht weniger ausgeprägt in den neueren Medien des Rollenspiels und des Films entdecken. So eröffnen die Aufsätze des Themenhefts ein weites Spektrum, das von Modellierungen mittelalterlicher Sujets über expressionistische Städte-Visionen und Batmans Metamorphosen bis hin zu neueren U.S.-amerikanischen Fernsehserien um das Jahr 2000 reicht.
Die literarische Mehrsprachigkeit einzelner Autoren oder Kulturgemeinschaften – die in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Texte verfassen, ohne dass ein und derselbe Text mehrsprachig sein muss – ist ein altes Phänomen. Man denke nur an das historische Nebeneinander von volkssprachlicher und lateinischer Literatur oder an die Koexistenz von Schrift- und Umgangssprache, die bis heute verschiedene Kulturen und Nationen kennzeichnen. Ebenso alt ist die davon zu unterscheidende Mischsprachigkeit – das heisst Mehrsprachigkeit in ein und demselben Text –, wie sie etwa in der so genannten makkaronischen Dichtung vorkam, über Jahrtausende hinweg in verschiedensten literarischen Gattungen auftrat und seit dem späteren zwanzigsten Jahrhundert unter den Bedingungen der Globalisierung und der Multikulturalität rasant zunimmt.
Der vorliegende Themenband versammelt Beiträge, die polyglotteTexte – also solche, in denen mehrere Sprachen miteinander interagieren – genauer unter die Lupe nehmen, um zu erötern, wie die Sprachmischungen Textästhetik und -semantik prägen, wie sie funktionalisiert und sprach- oder kulturpolitisch motiviert sind.Vorgestellt wird ein breites Spektrum polyglotter Texte aus europäischen und (latein-) amerikanischen Kulturräumen, von der Antike bis in die Gegenwart.
Rund 355 Jahre nach seinem Tod findet der spanische Autor Baltasar Gracián in fachwissenschaftlichen wie in popularisierenden Kontexten wieder verstärkt Aufmerksamkeit. Der Band widmet sich "Graciáns Künsten" und nähert sich dabei von verschiedenen Seiten dessen Vorstellung einer umfassenden Lebenskunst. Zu dieser gehören etwa die Kunst, klug zu handeln – die arte de prudencia –, sowie die Kunst, die Welt mit Scharfsinn und Witz wahrzunehmen – die arte de ingenio. Die Beiträge des Bandes suchen den systematischen Ort von "Graciáns Künsten"; sie schildern deren immanente Komplexität und Ambivalenz in einzelnen Textanalysen, verfolgen deren intensives Wechselspiel in werkübergreifender Perspektive und zeichnen schließlich deren 'Übersetzungsgeschichte' nach, entlang unterschiedlicher Rezeptionslinien vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein.
Im Band "Graciáns Künste" sind Beiträge aus zwei interdisziplinären Workshops versammelt, die jeweils im Dezember 2012 an der LMU München und im April 2013 an der Universität Bielefeld auf Einladung der Herausgeberinnen stattgefunden haben.
Das Interesse an der Bibel wächst: Das Verhältnis von biblischem und literarischem Text wird zu einem immer komplexeren Forschungsfeld der Literatur- und Kulturwissenschaft. Anhand konkreter Beispiele werden etablierte Forschungsansätze zur Beziehung von Bibel und Literatur erweitert. Im Bezug auf die Problemfelder Intertextualität, Medialität, Diskurspolitik, Säkularisierung, Normativität, Historizität und Hermeneutik wird das Verhältnis von Bibel und Literatur beleuchtet und die Schwierigkeiten diskutiert, die dieser Bereich der interdisziplinären Forschung bereitet.
Als Unterzeichner der ‚Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities‘ unterstützt das ZfL den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet mit Online-Formaten, die den Goldenen Weg des Open Access beschreiten, bei dem neue Erkenntnisse als erstes online publiziert werden. Das zweimal pro Jahr erscheinende E-Journal "Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte (FIB)" versammelt in Themenausgaben aktuelle Forschungen zur Begriffsgeschichte.
Eine der wichtigen, gleichwohl bislang kaum untersuchten Traditionslinien der Begriffsgeschichtsschreibung führt in die Kulturphilosophie und -theorie des frühen 20. Jahrhunderts. Dieser Verbindung ist ein Schwerpunkt in der vorliegenden Ausgabe des 'Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte' (FIB) gewidmet - am zugleich einschlägigen wie unerwarteten Beispiel Erich Rothackers. Bekanntlich stellte Rothacker nach 1933 sich und seine 'geistesgeschichtliche' Geschichtsphilosophie in den Dienst von Goebbels Propagandaministerium, bevor er nach 1945 die institutionellen Voraussetzungen für die philosophische Begriffsgeschichtsforschung in der Bundesrepublik legte. Weniger bekannt sind hingegen seine Verbindungen zur 'ersten Kulturwissenschaft'. Sie stehen im Zusammenhang mit seinem Konzept eines kulturphilosophischen Wörterbuchs aus den späten 1920er Jahren. Rothacker wollte darin, im heutigen Verständnis durchaus interdisziplinär, Grundbegriffe der Philosophie mit einzelwissenschaftlichen Begriffen der Soziologie, Psychologie, Kunstwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Anthropologie sowie der Allgemeinkultur begriffshistorisch und systematisch in Verbindung bringen. Zur Realisierung des Wörterbuchs suchte er unter anderem die Zusammenarbeit mit der 'Kulturwissenschaftlichen Bibliothek' Aby Warburgs sowie mit Ernst Cassirer und dessen Schülern Joachim Ritter und Raymund Klibansky.
Um Verkehrungen zwischen Natur und Gesellschaft plastisch auf den Punkt zu bringen, paraphrasiert Karl Marx im Fetischkapitels des Kapitals einen Vers aus Shakespeares 'Viel Lärm um nichts' (3. Aufzug,3. Szene): "Ein gut aussehender Mann zu sein, ist eine Gabe der Umstände, aber lesen und schreiben zu können, kommt von Natur." Konnte Marx für das Publikum des 19. Jahrhunderts, auch indem er Shakespeares 'fortune' durch das zeitgenössisch eher sozial konnotierte 'Umstände' und 'Physiognomie' durch 'Aussehen' übersetzte, die Evidenz der Differenz von Natürlichem und Gesellschaftlichem noch sicher als rhetorische Schlusspointe für die Verkehrung der dinglich-natürlichen Gebrauchswerte und der gesellschaftlichen Tauschwerte einsetzen, so haben solche Unterscheidungen, vielleicht nicht zuletzt gerade auch aufgrund der von ihm selbst beschriebenen Vergesellschaftungsprozesse ihre unmittelbare Evidenz verloren. Denn wie manche Kognitionswissenschaftler und Linguisten heute die Sprachentwicklung am liebsten durch bildliche Darstellung aktivierter Hirnareale 'biologisch-hirnphysiologisch' fassen, so ist umgekehrt das natürliche physiognomisch Aussehen längst zu einem 'kulturell' konstruierbarem Artefakt geworden. Die vorliegende, aus einer Kooperation zwischen der von Clemens Knobloch geleiteten Siegener Forschergruppe 'Die Kulturkritik des Neoevolutionismus' und Mitarbeitern des 'Zentrums für Literatur- und Kulturforschung' (Berlin) entstandene Ausgabe des e-Journals wendet sich solchen semantischen Verschiebungen zu, wobei zudem der primäre Oppositionsbegriff zu Natur heute nicht Gesellschaft, sondern Kultur ist. Die interdisziplinären Begriffsgeschichten behandeln dabei Begriffe wie 'Kultur' und 'Natur', 'Evolution' und 'Geschichte'‚ 'Fortschritt' sowie 'survival of the fittest'.
Die Beiträge dieses Heftes sind unter dem Titel 'Pathologie und Moderne' versammelt. Dabei zeichnen die meisten Autoren des Heftes nicht nur historische Übertragungen des medizinischen Krankheitsbegriffs in verschiedene gesellschaftlich-kulturelle Felder nach, sondern verdeutlichen zugleich auch, dass solche Begriffsverwendungen zunehmend reflektierter und kritischer erfolgen.
Wir haben für diese Ausgabe einmal Spezialisten gebeten, in kurzen Expertisen die Rezeption Kosellecks und der Begriffsgeschichte wenigstens für einige ausgewählte Ländern zu untersuchen. Dabei haben wir exemplarisch sowohl Länder ausgewählt, in denen es, wie in Spanien, Frankreich oder Italien, bereits eine längere Rezeption gibt als auch solche, in denen die Rezeption 'in status nascendi' beobachtet werden kann, wie in Polen oder der Türkei.
Die Schlagworte "Balkanisierung" und "Zweites Beirut" stehen für auch untereinander austauschbare (Kriegs-)Schauplätze, die sich wie Jugoslawien und Libanon als Konglomerate von vielfältig definierten Zugehörigkeiten lesen lassen und die ihre Fortsetzung in mittlerweile intensiven und nicht selten künstlerischen Versuchen, die fragmentierten Kulturen zu konsolidieren, gefunden hat. Der vorliegende Band geht an Beispielen aus Literatur, Film, performativen Künsten und Musik gegenwärtigen (post-)jugoslawischen und libanesischen Zugehörigkeitsschreibungen und deren gleichzeitiger Infragestellung nach. Dabei richtet sich das Augenmerk ebenso auf neu und wieder entdeckte gemeinsame Bezugsgrößen wie das Osmanische Reich und den Kommunismus wie auch auf geteilte Möglichkeiten der Intervention, die über topographische, politische bis hin zu performativen Einsprüchen reichen.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden. Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich.
Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Prophetie und Prognostik : Verfügungen über Zukunft in Wissenschaften, Religionen und Künsten
(2013)
Jede Prognostik bezieht ihre diskursive Macht aus der Behauptung, in gewisser Weise über die Zukunft verfügen zu können, jede Prophetie versucht in ihren Appellen, die Zukunft zu verändern. In beiden Fällen verschränken sich Formen des Zukunftswissens mit Modi wirksamer Rede.
Dabei ist Prophetie nicht einfach eine unwissenschaftliche 'Vorstufe' der Prognostik. Noch die differenzierten Prognosen über Klima, Bevölkerung und Ökonomie, die aus den Zukunftsmodellierungen heutiger Szenariotechnik gewonnen werden, stehen in der Nähe zur Prophetie.
Prophetie und Prognostik untersucht diese Wissensformen, Symboliken und Aussageweisen in verschiedenen Religions- und Wissenschaftskulturen, in bildender Kunst und Literatur.
Nach 1989 ist Europa – wieder einmal – in Bewegung geraten und die Mitte des Kontinents hat sich "ostwärts" verlagert. Diese Verschiebung Europas, die Frage nach neuen und alten Grenzen und Zentren, ist Anlass, sich mit jener vergessenen Himmelsrichtung und ihren Gebieten zu befassen, die 'plötzlich' wieder auf der Landkarte und in den Köpfen aufgetaucht sind. Wird der Osten zum Standort gemacht, von dem aus Europa zu konturieren ist, so erschließt sich dieser Osten in seinen unterschiedlichen geographischen, historischen und imaginären Mehrdeutigkeiten. Europa wird dabei zu einem dezentralen Gebilde, für dessen kulturelle Semantiken gerade die Peripherien von entscheidender Bedeutung sind.
In den Beiträgen des Bandes werden diese "schmerzenden Nähte" (Jurij Andruchowitsch) aufgesucht: von Vilnius über den Balkan, den Kaukasus, die Schwarzmerregion bis nach Istanbul, Alexandria oder Beirut. Es eröffnen sich plurale Kulturen, deren Umgang mit Sprachen, Religionen, Bild- und Zeichensystemen in vielem quer zu westlich-europäischen Ordnungskonzepten liegen. Zugleich liegt die Brisanz dieser Kulturen darin, dass sie auf vielfältige Weise mit modernen kulturellen Homogenisierungsstrategien verbunden sind und immer wieder auf die auch diesen inhärenten, verdeckten oder getilgten Pluralitäten verweisen. Die Beiträge zeigen, wie die Vermessung dieser Orte zu allen Zeiten zu einem beträchtlichen Teil in Literatur und Kunst stattfindet. Hier werden territorial-kulturelle Zugehörigkeiten verhandelt, wird ein nuanciertes Spiel mit geopolitischen Verschiebungen, Verwerfungen und Umkodierungen von Topographien, mit ironischen oder melancholischen Wahrnehmungen "fremder" Räume und Gepflogenheiten betrieben.
Die historische Übersetzungsforschung ist eine Disziplin, die sich noch ziemlich in den Anfängen befindet. Es fehlen wichtige Dinge sowohl hinsichtlich der bibliographischen Aufarbeitung (wenngleich die Bibliographie von Hans Fromm aus den 1950er Jahren hier immer noch gute Dienste leistet), besonders aber hinsichtlich der Personen der Übersetzer, über die häufig gar nichts bekannt ist. Zu vielen sehr unbedeutenden und gar nicht gelesenen Schriftstellern der Zeit liegen mehr Informationen vor als zu Übersetzern, die eine ganze Fülle von Werken vor ein deutsches Massenpublikum gebracht haben. Dabei kann man aus der Untersuchung von historischen Übersetzungen eine Menge lernen. Nicht nur, was die praktische Übersetzungsarbeit angeht, sondern vor allem in Blick auf unsere eigene Kultur- und Literaturgeschichte. "Wir leben in einer Übersetzungskultur - und sind uns dessen kaum bewusst" - heißt der (apodiktische) erste Satz, mit dem im jüngsten Heft der Zeitschrift "Sprache im Technischen Zeitalter" ein Themenspektrum eröffnet wurde, das "Bausteine einer Übersetzungskultur" versammelt. Wenn es also darum geht, die "Kulturtechnik des Übersetzens […] zu beschreiben, die Fundamente einer Übersetzungskultur freizulegen", dann ist sogleich auch festzuhalten: "Eine Übersetzungskultur kommt nicht aus ohne die Beschreibung ihrer historischen Prägungen." Einem solchen Baustein zu einer Geschichte der Übersetzungen in die deutsche Sprache und der Auswirkungen auf die deutsche Literatur widmet sich der vorliegende Band, der aus einer kleinen Düsseldorfer Tagung im November 2007 hervorgegangen ist und nach einer einleitenden Erkundung zum Übersetzen im Vormärz dann einerseits Übersetzer, andererseits übersetzte Autoren als Fallbeispiele vorstellt.
Das Phänomen des Primitivismus in Kunst, Musik und Literatur der Moderne ist ein Arbeitsfeld, das für die Komparatistik besonders ergiebig zu sein verspricht, von ihr bislang aber nur in Ansätzen erforscht wurde. Im Primitivismus bündelt sich eine Vielzahl von Problemkomplexen, die eine vergleichende Vorgehensweise geradezu unabdingbar macht, sei dies auf dem Feld der interkulturellen Hermeneutik, der Wissensgeschichte oder der Intermedialitätsforschung. Die Arbeitshypothese des vorliegenden Bandes: Intermedialität stellt für den modernen Primitivismus ein konstitutives und bestimmendes Moment dar. Unter dieser Prämisse untersuchen die Beiträge, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein europäischer Diskurs des Primitivismus im Wechselspiel verschiedener künstlerischer und technischer Medien (Malerei, Plastik, Literatur, Musik, Theater, Film, Photographie) herausgebildet hat.
Welche Bedeutung haben psychogene Sehstörungen, rotierende Scheiben, blinde Kinder, spiritistische Erscheinungen, Wahrnehmungsexperimente und erblindete Fotografen für die Entwicklung der Disziplinen Physiologie und Ophthalmologie oder auch für ästhetische und literarische Diskurse? Wie haben sie unser Verständnis vom Sehen geprägt, das längst nicht mehr als rein physiologische Fähigkeit, sondern vielmehr als sozial, historisch und kulturell präfigurierte Aktivität gilt? Die Beiträge des interdisziplinären Bandes zeigen, dass sich das Wissen vom Sehen und vom Auge maßgeblich über die Grenzen des Sehens konstituiert. Ob in physiologischen, philosophischen oder psychoanalytischen Diskursen; ob in der Literatur, der bildenden Kunst oder im Film - stets sind es der Ausfall des Visuellen, die Trübung des Blicks oder die Einschränkung des Sichtfeldes, die Auskunft darüber geben sollen, wie das 'richtige' Sehen funktioniert.
Fragen zur Metaphorologie bildeten bereits mehrfach einen Schwerpunkt dieser Zeitschrift. In den Beiträgen und Rezensionen der vorliegenden Ausgabe geht es mit 'Epoche', 'Tradition', 'Geschichte' sowie 'Kristallisation'/'Verflüssigung' um Begriffsmetaphern, also um solche, in denen begriffliche und metaphorische Gehalte untrennbar verbunden sind, und die zugleich konstituierend für allgemeinere geschichts- und zeittheoretische Fragestellungen sind. Den Anstoß für das Thema lieferte die internationale Tagung "Metafóricas espacio-temporales para la historia", die vom 9. bis 11. September 2019 unter der Leitung von Faustino Oncina Coves und Javier Fernández Sebastián an der Universität Bilbao stattgefunden hat und zu der Barbara Picht, Ernst Müller und Falko Schmieder Beiträge beisteuerten, die hier in überarbeiteter Form abgedruckt sind.
Archive verändern sich heute. Überall entstehen neue Archive und die bestehenden wandeln vor allem durch die Möglichkeiten der Digitalisierung rasch ihre Form. Zugleich sehen sich die offiziellen Archive zunehmend einer Vielzahl von Sammlungen von Daten und Bildern gegenüber, von denen keineswegs ausgemacht ist, ob man sie noch als 'Archiv' bezeichnen kann. Durch die Virtualisierung scheinen die Dinge zu verschwinden oder an Kompaktheit zu verlieren; gleichzeitig entsteht immer mehr 'Archivgut' – alles wird archivierbar und unser Leben unterliegt zunehmend der Selbstarchivierung, die alle unsere Äußerungen und Erlebnisse in einem 'Profil' sammelt, das wir vielleicht niemals mehr löschen werden können. Insgesamt ist die fortschreitende Archivierung von allem und jedem vielleicht eines der auffälligsten Komplemente zur wachsenden Beschleunigung spätmoderner Gesellschaften – und es ist alles andere als klar, ob man sie als Zeichen einer Erosion 'des' Archivs oder eher als dessen Universalisierung verstehen kann.
Diese Ausgabe des "Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte" dient der Vorbereitung eines auf den deutschen Sprachraum bezogenen Lexikonprojekts zur politisch-sozialen und kulturellen Semantik im 20. Jahrhundert. In theoretisch-methodischer Hinsicht knüpft es an die vielen Debatten zur Neuausrichtung der Begriffsgeschichte an, zu denen vor allem Zeithistoriker*innen wichtige Beiträge geliefert haben.
Wie die Gesichter der Menschen, die in früheren Epochen gelebt haben, ausgesehen haben, wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, welche Gesichtszüge sie hatten. Uns ist unbekannt, mit welcher Miene sie ihre Zeitgenossen angeschaut haben, wie ihr Lächeln, ihre Trauer, ihre Angst oder ihr Zorn ausgesehen haben mögen. Und wir wissen nicht, ob wir das Antlitz der früher lebenden Menschen als schön und angenehm empfänden oder uns lieber abwenden würden. Wir kennen ihre Züge nur durch bildliche Darstellungen: von Skulpturen, aus deren ebenmäßigen Gesichtern uns die steinernen Augenhöhlen wie blind anschauen, von den Abdrücken der Grabmasken mit ihren toten Blicken, denen immer etwas Fremdes oder Geheimnisvolles anhaftet, oder aus der Malerei, aus deren Geschichte die Gattung des Porträts hervorgegangen ist. In ihm verdichtet sich die Idee vom getreuen Abbild einer Person mit individuellen Gesichtszügen, so dass es zum Modell und Ideal des Bildnisses geworden ist: das Porträt als ähnliches Abbild eines lebenden Urbildes, in dem dessen Gesicht als gleichsam natürlicher Ausdruck des Charakters eingefangen ist. Doch bildet das Porträt nicht nur das Ideal von Gesichtsdarstellungen, es ist auch deren Sonderfall. Sowohl die Gesichter, die uns aus der Zeit vor dem Zeitalter der Porträts überliefert sind, als auch die medialen Gesichter und die Dekonstruktionen in der Kunst der Moderne machen deutlich, dass uns Gesichter überwiegend in Gestalt von Artefakten vertraut sind. Das Bild vom Menschen basiert nicht unwesentlich auf der Geschichte von Bildnissen.
Susanne Knaller: Entwurf für eine praxeologische Literaturwissenschaft. Überlegungen zu einer Reformulierung des Text-Kontext-Problems - Martin Sexl: Interpretation als Erfahrung - Erfahrung als Interpretation - Linda Simonis: Ansichten des Weltalls. Poetische und ästhetische Aspekte frühneuzeitlicher Astronomie - Annette Simonis: Poetiken des kreativen Zitierens. Fingierte, verwandelte und verfälschte Zitate bei Walter Benjamin, Jorge Luis Borges und Marc-Uwe Kling - Johannes Ungelenk: Von der (Un)gleichzeitigkeit des (Un)Gleichzeitigen. Moderne Literatur und die Poiesis eines unbequemen Verhältnisses - Achim Geisenhanslüke: Das Angenehme. Für eine neue Ästhetik des Sinnlichen - Monika Schmitz-Emans: Uhrensammler. Über Zeit und Uhren in Romanen von Umberto Eco, Christophe Bataille und Christoph Ransmayr - Achim Hölter: "Die Tiefe der Jahre". Eine komparative Studie zu Heimito von Doderers "Strudlhofstiege" im Kontext narrativer Polychronie - Martina Kopf: Transkulturelle Poetiken. Die Karibik als Modell für eine neue Weltpoetik? - Alexandra Müller: Digitale Müllverwertung: Spam in und als Literatur - Christiane Solte-Gresser: Vom Bild über den Text zur Musik. Frans Masereels "Die Passion eines Menschen" und ihre Adaptionen - Isabelle Stauffer: Briefe, brennende Bücher, Fotografien und Reality-TV. Zwei Adaptionen von Goethes "Werther" - Caroline Haupt / Thomas Traupmann: Dynamische Konzeptionen der 'brevitas'. Filippo Tommaso Marinettis rhetorische Kraftformen - Corinna Dziudzia: Paradigmenwechsel und Umbrüche in der Tradierung literaturhistorischen Wissens - Bruno Arich-Gerz: 'Polski Fiat'. Über italienische und polnische Todgeweihte, ihre Erinnerungen an deutsche Konzentrationslager und das "nackte Leben": Primo Levi, Edmund Polak, Giorgio Agamben - Dominic Angeloch: Krise der Subjektivität - Restitution des Objekts. Zu Stéphane Mallarmés Poetik - Sebastian Lübcke: 'Lebensangst' und 'Lebenskunst'. Arbeit am 'einfachen' Selbst in Albert Camus' "Carnets" - Jeannette Oholi: Afrodeutsche Gegenwartslyrik jenseits von 'Dazwischen': Den Afropolitanismus für die Gedichtanalyse nutzen - Claudia Gräßner: Die Meerenge von Messina als panoramatischer Landschaftsraum in Reiseberichten deutschsprachiger Sizilienreisenden um 1800
Die Bibliographie verzeichnet die verschiedenen Ausgaben des von Berman ins Deutsche gebrachten Wittlin-Romans. Alle Angaben sind autoptisch geprüft. Die mehrmals fehlerhafte Schreibung des Übersetzernamens in den verlegerischen Peritexten legt die Vermutung nahe, dass sich die Recherchen der jeweiligen Verlage zum Verbleib des Übersetzers in Grenzen gehalten haben dürften.
Die Moderne hat ein neues Symbol kollektiver Identität hervorgebracht: den Kulturheros. Dichter, Künstler und Gelehrte traten teils neben sakrale oder politische Herrscher, teils lösten sie diese als nationale Autoritätsfigur ab. Anhand von Konstellationen, in denen Einzelne als Religionsstifter, Stadtgründer oder Nationaldichter Kultstatus erlangt haben, untersuchen die Autoren dieses Bandes Heroen wie Luther, Voltaire, Schiller, Wagner, Puškin oder Gagarin. Dabei interessieren sie sich nicht nur für die Genese des Kulturheros, sondern auch für dessen Nachleben. Ein besonderes Augenmerk gilt medialen Techniken und kulturellen Praktiken (wie Totenmasken, Bildnissen, Filmen oder Jubiläen), die die Figur des Kulturheros erst im Spannungsfeld von Kult, Kultur und Politik konstituieren.
Schon 1944 begannen einige Überlebende der Shoah, Wissen über die Vernichtung der europäischen Juden durch NS-Deutschland zusammenzutragen: Dokumente zu sichern, Zeugenaussagen zu sammeln, Bücher zu veröffentlichen. Nachman Blumental (geboren 1902 in Borszczów, gestorben am 8. November 1983 in Tel Aviv) ist einer dieser Überlebenden-Gelehrten. Sein Nachlass ist kürzlich in Vancouver von der Historikerin Katrin Stoll im Rahmen ihrer Arbeiten für das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die französische Agence Nationale de la Recherche (ANR) geförderte Forschungsprojekt PREMEC (PREMiers ÉCrits de la Shoah) gesichtet und gesichert worden. Die 32 Kartons, die Archivmaterial und Bücher enthalten, sollen im Februar 2019 dem Institute for Jewish Research (YIVO) übergeben werden.
Darlegung der strategische Entwicklung der FID der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg aus fachlicher und struktureller Sicht: in Hinblick auf ihre Rolle als Partner für die Wissenschaft, der Synergien an der UB JCS durch sechs FID und ihre Positionierung im FID-Netzwerk.
Die strategische Entwicklung der FID aus technischer Sicht wird in Hinblick auf Infrastruktur, Datenmanagement und Community-Arbeit vertieft.
FID Afrikastudien | africanstudieslibrary.org
FID Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | avldigital.de
FID Biodiversitätsforschung | biofid.de
FID Darstellende Kunst | performing-arts.eu
FID Jüdische Studien | jewishstudies.de
FID Linguistik | linguistik.de
In der dritten Ausgabe des Periodicals möchten wir nach den Schnittstellen zwischen dem Bereich der Medienkomparatistik und dem Feld des Kuratorischen fragen, wobei wir die Verschiebung des 'Kuratierens' als inszenierende Praxis zum 'Kuratorischen' als Grundbedingung "des Öffentlich-Werdens von Kunst" sowie der Diskursivierung von medienwissenschaftlichem Wissen (über Kunst) zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen nehmen.
Das Periodical "Medienkomparatistik" eröffnet ein neues Forum für vergleichende Medienwissenschaft. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Medien und verschiedener medialer Praktiken spielt nicht nur in der gegenwärtigen Alltagswelt eine zunehmend bedeutende Rolle. Vielmehr hat sich in den letzten Jahren, ausgehend von den literatur-, kunst-, und medienwissenschaftlichen Einzeldisziplinen ein fächerübergreifendes Diskussionsfeld herausgebildet, das sich gezielt Fragen des Medienvergleichs und der Interferenz von Medien widmet. Dieser interdisziplinäre Forschungsbereich erlebt derzeit in den Kulturwissenschaften eine erstaunliche Konjunktur. Neben der vergleichenden Methodologie als wichtige heuristische Grundlage besteht eine weitere Zielsetzung der Medienkomparatistik darin, allgemeine Kriterien zur systematischen Erfassung der einzelnen Medien zu entwickeln und ihre jeweiligen Operationsleistungen in sich wandelnden kulturellen Kontexten zu erkunden. Dabei soll ein weites Spektrum medialer Formen und Verfahren einbezogen werden, das von analogen und digitalen Bild- und Schriftmedien über dispositive Anordnungen bis hin zu diskursiven Wissensformationen reicht. Welche spezifischen Eigenschaften zeichnen einzelne Medien aus, was trennt und was verbindet sie? Welche produktiven Austauschbeziehungen ergeben sich aus medialen Konkurrenzen und Konvergenzen? Wie lassen sich historische Transformationen medialer Praktiken und Ästhetiken erfassen? Wie können mediale Verhältnisbestimmungen medientheoretisch neu konturiert werden? Das Periodical erscheint zunächst jährlich in einem Band von ca. 200 Seiten. Da es in einem interdisziplinären Forschungsbereich angesiedelt ist, richtet es sich an verschiedene kulturwissenschaftliche Fachgruppen, wie zum Beispiel Komparatistik, Medienwissenschaft, Kunstgeschichte sowie einzelne Philologien wie Anglistik, Germanistik, Romanistik etc.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Durch neue Kommunikationsformen im Internet und in anderen Medien, aber auch durch gewandelte gesellschaftliche Bedingungen haben sich die Untersuchungsgegenstände, Methoden und Ziele von Textlinguistik und Stilistik tiefgreifend verändert. Doch nicht nur die neuen Medien stellen beide Disziplinen vor methodische und empirische Herausforderungen, sondern bekanntlich sind auch die traditionellen Forschungs- und Anwendungsbereiche beider Disziplinen in ständigem Wandel. Insofern ergeben sich zahlreiche neue Forschungsfragen und -ansätze, denen sich beide Disziplinen annehmen können und müssen. Der vorliegende Band der "Aussiger Beiträge" soll ausgewählte Einblicke in diese Entwicklungen gewähren. Dabei wird auch berücksichtigt, dass Textlinguistik und Stilistik sich nicht nur mit gegenwartssprachlichen Fragestellungen befassen, sondern dass auch historische Themen selbstverständlich zum Untersuchungsbereich von Textlinguistik und Stilistik zählen. Die Beiträge offenbaren die besondere Praxisrelevanz, die beiden Disziplinen zukommt, und zwar insbesondere im didaktischen Bereich. Einen besonderen Schwerpunkt der Beiträge bilden vor allem bislang wenig erforschte Fragestellungen.
Der vorliegende Band möchte mit seinen Beiträgen unter anderem die benannten medien-, genre- und gattungsspezifischen Zusammenhänge von Ästhetiken des Tabuisierten und insbesondere des Tabubruchs beleuchten, so dass der Aufbau des Bandes einer Unterteilung in literarische, (audio)visuelle und theatrale Inszenierungen des Tabus und des Tabubruchs folgt. Nach einer ersten theoretischen Annäherung an den Begriff des Tabus, seine Geschichte und Bedeutungszusammenhänge sowie seine Valenz für die wissenschaftliche Auseinandersetzung werden daher zunächst literarische Inszenierungen verschiedener Tabus und Tabuverletzungen im Vordergrund stehen, während im darauffolgenden Teil Tabus und Tabubrüche in (audio)visuellen Formaten fokussiert werden. Schlussendlich stehen Darstellungen des Tabus und des Tabusbruchs auf der Theaterbühne im Blickpunkt. Der Band geht zurück auf eine im September 2014 stattgefundene und von Studierenden des Masterstudiengangs Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Paderborn initiierte Tagung zum Thema. Mit großem Engagement haben die Beteiligten eine Konferenz zu einem aktuellen und in den Kulturwissenschaften durchaus breit diskutierten Thema konzipiert und darüber hinaus couragiert die Ergebnisse erster eigener Forschungsprojekte zur Diskussion gestellt. Dieser Band präsentiert in diesem Sinne in der Hauptsache Beiträge von fortgeschrittenen Studierenden, die in diesem Rahmen erste Publikationserfahrung sammeln, darüber hinaus jedoch auch Aufsätze von jungen NachwuchswissenschaftlerInnen in der Qualifikationsphase.
Transkulturalität, Transnationalität, Transgender, Transspecies – Innerhalb des letzten Jahrzehnts erleben die politischen und wissenschaftlichen Debatten um Theorien, die sich dem Präfix 'trans'‹ (lat. 'jenseits, über, über – hin') verpflichtet sehen, eine bemerkenswerte Konjunktur. Grundlegend verbindet sich mit diesen Konzepten die Vorstellung eines übergreifenden und umfassenden Diskurses, der für durchlässige Konturen plädiert. Analytisch ermöglichen die Theorien des 'trans' die konzeptuelle Erfassung von Phänomenen, die sich in einem Prozess des Werdens befinden und aus entgegengesetzten Strukturen, Logiken, Dynamiken und Funktionsweisen bestehen. 'Trans' verweist folglich nicht auf geschlossene Identitätsvorstellungen, sondern enthält fluide Grenzverläufe. Die damit verbundenen subversiven Vorstellungen finden sowohl verstärkt Gehör in gesamtgesellschaftlichen Kontexten als auch innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen, die sich abseits einer Fortschreibung kanonischer Inhalte neu konzipieren. Doch trotz ihres vielversprechenden kritischen Potentials sehen sich Konzepte der kulturellen und territorialen Grenzüberschreitung zunehmend einer negativen Beurteilung ausgesetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass 'trans' gesellschaftliche Ausschlussmechanismen in Form eines immanenten Kulturrassismus begünstigt, politisch-ökonomische Machtinteressen neuer und alter Eliten repräsentiert, den ethno- und eurozentrischen Blick nicht abstreifen kann und eine neoliberale Wirtschaftspolitik fördert. Diese Sichtweise will der vorliegende Band zum Ausgangspunkt nehmen, um nach der Leistungsfähigkeit, aber auch nach den Grenzen der Überschreitung in Konzepten des 'trans' zu fragen. An welchen normativen Grenzen zerbrechen Trans_Konzepte und in welchen Bereichen spielen sie eine Rolle? Erfüllen sie ihre subversive Bestimmung oder verkommen sie zu einem elitären Projekt und einem Leitbild globalisierter Gesellschaften? Und wo dienen sie wiederum als Räume für neue Wege der Interaktion? Der Fokus bei der Auseinandersetzung mit Trans_Konzepten liegt dabei sowohl auf der konzeptuellen Verfassung von diesen selbst, als auch auf den Wechselbeziehungen mit konservativen Kultur- und Identitätsmodellen im öffentlichen Raum.
Die "Interjekte" geben Einblicke in die laufende Forschung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL, dokumentieren Vorträge und präsentieren Tagungs- und Workshopergebnisse. Sie erscheinen in loser Folge digital und im Open Access ('Goldener Weg') hier auf der Website des ZfL und sind auch über CompaRe, das Fachrepositorium für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft bei der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, zugänglich. Das ZfL unterstützt damit den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet. Seit 2018 werden die "Interjekte" von Mona Körte, Georg Toepfer und Daniel Weidner herausgegeben. Alle Beiträge durchlaufen einen internen Begutachtungsprozess und werden sorgfältig redigiert.
recherchierte authentizität
(2009)
Die zweite Nummer der Online-Zeitschrift präsentiert acht Beiträge zu der im Mai 2007 stattgefundenen Tagung "LiTheS. Literatursoziologie - Theatersoziologie" in Graz, dem Start-up Workshop zur Einrichtung des gleichnamigen Forschungs-, Dokumentations- und Lehrschwerpunkts am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz.
Was weiß Literatur?
(2008)
Die erste Nummer der Online-Zeitschrift präsentiert sechs Beiträge zu der im Mai 2007 stattgefundenen Tagung "LiTheS. Literatursoziologie - Theatersoziologie" in Graz, dem Start-up Workshop zur Einrichtung des gleichnamigen Forschungs-, Dokumentations- und Lehrschwerpunkts am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz.
"Was sind das für Zeiten wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!" Diese Frage stellt Bertolt Brecht in seinem berühmten Gedicht "An die Nachgeborenen" angesichts der Machtergreifung Hitlers. Die Passage erteilt der traditionellen Naturlyrik, die vor allem in der Folge der Romantik verklärend die Schönheit von Blumen und Wäldern besingt, eine deutliche Absage. Denn wichtiger sei es, seine Stimme für den Kampf gegen den herrschenden Nationalsozialismus zu erheben, statt für die apolitische Beschreibung von Natur. Wie geht man aber dann mit dem Befund um, dass die Folgen genau dieser nationalsozialistischen "Untaten" in der Exilliteratur besonders häufig gerade mit Wurzel- und Pflanzenmetaphern beschrieben werden? Wie lässt sich die Beobachtung Christy Wampoles erklären, dass das Interesse für die eigenen Wurzeln zunimmt, wenn diese bedroht sind?
Erfahrungen von Vertreibung und Exil nach 1933 werden in einer bemerkenswert großen Zahl von autobiografischen Texten bezeugt. Die oft traumatischen Erschütterungen, die mit Ausgrenzung, Vertreibung sowie existentiellen Verlusten einhergehen, aber auch die vielfältigen Herausforderungen durch die Konfrontation mit fremden Ländern, Sprachen und Kulturen sind offenkundig Auslöser für Schreibprojekte, die das Zerbrechen von Gewissheiten und Identitäten vorführen und reflektieren, aber auch darauf zielen, Brüche und Verletzungen zu überwinden und zu heilen. Elisabeth Bronfen hat in diesem Zusammenhang mit Bezug auf eine Formulierung Freuds davon gesprochen, dass Exilerzählungen als eine Art "Schutzdichtung" beschrieben werden könnten: Als sinnstiftende Narrative tragen sie dazu bei, den verlorenen Bezug zu vertrauten Welten zu kompensieren und Selbstvergewisserung und Neuerfindung des Selbst zu ermöglichen. Wenn sie dennoch auf Erlebtes bezogen sind, so nicht in einem Sinne einfacher Nacherzählung oder Repräsentation. Gilt prinzipiell für jede Autobiografie, dass das Schreiben des Lebens dieses nicht einfach mehr oder weniger genau wiedergibt, sondern in der sprachlichen Gestaltung immer auch konstruiert, so zeigt sich dies in autobiografischen Erzählungen über das Exil besonders zugespitzt: Ein Verstehen der Wirklichkeit erscheint nicht mehr möglich, wo die Zusammengehörigkeit von Ich und vertrauter Welt grundsätzlich in Frage gestellt ist und kulturelle Traditionen, auf die sich das Ich schreibend beziehen könnte, offenbar nachhaltig zertrümmert sind.
Habitus III
(2010)
Birgit Lang: Die Erotik in der Photographie : Zum Habitus von Sexualwissenschaftern - Gerald Mozetič: Habitus und Hermeneutik, Konnotation und Implikation : Einige analytische Vorschläge, entwickelt an einem literarischen und einem politischen Beispiel - Sabine A. Haring: Die Konstruktion eines "Neuen Menschen" im Sowjetkommunismus : Vom zaristischen zum stalinistischen Habitus in Design und Wirklichkeit - Norbert Bachleitner: Die Theaterzensur in der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert
Habitus II
(2010)
Loïc Wacquant: Habitus als Thema und Analysewerkzeug : Betrachtungen zum Werdegang eines Berufsboxers - Norbert Christian Wolf: Ein trojanisches Pferd des Militärs : General Stumm von Bordwehr als Exponent "struktureller Herrschaft" in Musils "Mann ohne Eigenschaften" - Evelyn Zechner: Vom wachsamen Michel, der dicken Berta und dem wehrhaften Kasper : Der nationale Habitus in Puppenspielen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs
Habitus I
(2010)
Joseph Jurt: Die Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu - Ruth Sonderegger: Wie emanzipatorisch ist Habitus-Forschung? : Zu Rancières Kritik an Bourdieus Theorie des Habitus - Maja Suderland: Wie kommt der Habitus in die Literatur? : Theoretische Fundierung - methodologische Überlegungen - empirische Beispiele - Stephen Mennell: The problem of American habitus - Helmut Kuzmics: Emotionen und Habitus von Offizieren im Spiegelbild schöner Literatur : Am Beispiel der habsburgischen Armee von 1848 bis 1918 - Dieter Reicher: Habitus und Stimmung. Können Soziologen von Schriftstellern lernen? : Eine devianzsoziologische Studie über Ludwig Thomas "Lausbubengeschichten"
Diese Ausgabe des "Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte" dokumentiert die Beiträge zu dem Workshop "Politische Ikonologie - Begriffsgeschichte - Epochenschwellen", den das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung am 24. und 25. November 2017 im Warburg-Haus Hamburg veranstaltet hat. Der Workshop befasste sich mit Übertragungen, Überschneidungen, Ablösungsprozessen zwischen Begriffsgeschichte und (politischer) Ikonologie. Dabei sollte der historische Index in deren Verhältnis in wenigstens doppelter Hinsicht bedacht werden: Einerseits ging es um die Frage, wie die von Aby Warburg und seinem Umfeld ausgehenden Bild- und Semantiktheorien mit den in der Begriffsgeschichtsforschung thematisierten Epochenschwellen umgehen, andererseits darum, wie und warum die Ikonologie im 20. Jahrhundert selbst zum favorisierten Instrument wird, um den kulturellen und politischen Bedeutungswandel zu fassen.
Der Zeuge verkörpert eine Schlüsselfigur unserer Kultur und Wissenspraxis, obwohl das mittels Zeugenschaft generierte Wissen immer einen umstrittenen Status hat. In diesem Band werden verschiedene Typen und Formen des testimonialen Wissens diskutiert, kulturhistorische und systematische Perspektiven zusammengeführt und in ihren Verflechtungen zwischen epistemischem Wert und ethischer, politischer, sozialer, künstlerischer und religiöser Bedeutung beleuchtet. Im Fokus stehen dabei vor allem die Praktiken und Handlungsszenarien der Bezeugung, da sich in ihren Konstellationen und Dynamiken die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses und die Optionen zur Etablierung eines Zeugenwissens entscheiden.
'Zeugenschaft' ist nach und nach zu einem wesentlichen kulturellen Muster geworden und der 'Zeuge' zu einer zentralen Figur, die eine gesamte Gesellschaft prägen. Die interdisziplinären und epochenübergreifenden Ansätze in Monographien oder in Sammelbänden lassen Zeugenschaft aber gleichzeitig als zutiefst kontrovers erscheinen, gerade weil sie aufgrund ihres interdisziplinären Charakters eigentlich nur umstritten sein kann. Schaut man sich die wissenschaftlichen Publikationen der letzten fünfzehn Jahre an, mag in der Tat die Variationsbreite der Begriffe 'Zeugnis' und 'Zeugenschaft' verunsichern. Einer derartigen Reichweite droht nämlich eine gewisse Unschärfe oder gar eine Art von Eklektizismus. In manchen jüngeren kulturwissenschaftlichen Studien scheint sogar lediglich eine indirekte, minimal konzipierte Zeugenschaftskonstellation in den untersuchten Objekten vorhanden zu sein, so dass die Begriffe des Zeugen und des Zeugnisses sich nahezu aufzulösen drohen. Die zentrale Rolle des Zeugen und der Status von Zeugenschaft in einem kulturellen und politischen Leben, in dem Wissen und Information stets als "ungewiss" (John Ellis) beschrieben werden, lassen die Klärung des Begriffs 'Zeugenschaft' und besonders die Frage nach ihrem 'Wert' als Instrument des Wissens und dessen Vermittlung umso dringender erscheinen.
Manfred Prisching: Die Verbotsgesellschaft : Zeitdiagnostische Befunde zur Zensur - Georg Kamphausen: Der Laie als Experte seiner selbst, oder : was heißt moralische Selbständigkeit? - Irmtraud Fischer: Vom kreativen Effekt der Zensur alttestamentlicher Gottesbilder : das alttestamentliche Bilderverbot in seinen historischen Kontexten und seinen Auswirkungen auf die metaphorische Rede von Gott - Michael Walter: Zensur und Political Correctness auf der Opernbühne - Matthias Mansky: Ludwig Anzengruber und die Zensur : Anmerkungen zur Bauernkomödie "Die Kreuzelschreiber" - Lars Rebehn: Vorzensur, Nachzensur, Selbstzensur : das Puppentheater, der Staat und die Moral - Elisabeth Böhm: Was sich einfach nicht sagen lässt : Sagbarkeit, Gattungskonzeption und kulturelle Identität anhand von Charlotte Salomons "Leben? oder Theater?" - Dieter Haselbach: Political Correctness : zur politischen Kultur in Nordamerika (1995)
Die Zielsetzung des Sammelbands lässt sich anhand eines Dialogs von Yoko Tawada verdeutlichen, die über die Metamorphosen eines Kranichs die Frage nach der Beschaffenheit des 'Ichs' und nach personaler Identität im Allgemeinen stellt. Die Bezüge auf Ovid sind deutlich erkennbar, werden aber nicht explizit markiert. Damit sind sie ein typisches Beispiel für jene Vielzahl von Texten, die 'Verwandlungsgeschichten' im Sinne Ovids erzählen, sich aber von den konkreten Mythen gelöst haben, und - bzw. oder - auf die Einzeltextreferenz verzichten. Tawadas Kranich-Erzählung lässt sich als paradigmatisch für eine Vielzahl von gegenwartsliterarischen Texten verstehen, die Mensch-Tier-Verhältnisse, Körperlichkeit oder den Wechsel der geschlechtlichen Zuschreibung als Verwandlungen erzählen. An diesen Befund bzw. diese Ausgangsthese knüpfen sich zwei weitere Perspektiven: Zunächst geht es darum, einige Hauptstränge der Rezeptions- und Transformationsgeschichte der Ovidschen Metamorphosen nachzuverfolgen, da diese in poeto- und poesiologischer Hinsicht, für viele spätere Beispiele, prägend gewesen sind. Bereits die Metamorphosen lassen sich in ihrer Gesamtheit als Teil einer solchen Geschichte verstehen; als eine Summa Mythologiae der Antike stellen sie - je nach Lesart einen Zwischen- oder das End-Produkt einer bereits jahrhundertewährenden Rezeptions- und Transformationsgeschichte dar. Ovid bediente sich bei Herodot und Hesiod, Homer und Euripides, den Pythagoreern und anderen, deren Erzählstoffe, Motive und Philosopheme er kompilierte, zum Teil harmonisierte und interpretierte. Die Metamorphosen sind ein Buch der Bücher und carmen perpetuum, das seine Fortschreibung projektiv zum Programm machte.
Alle Zukunft ist ungewiss, und trotzdem lässt sich etwas über sie wissen. Allerdings führt die Beschäftigung mit der Zukunft immer in Bereiche des Unsicheren, Unfesten und Unbekannten, in denen das Wissen-Können als solches zur Debatte steht. Diese erkenntnistheoretisch grundlegende Unsicherheit erscheint in der Doppeldeutigkeit des Wortes 'Zukunftswissen'. Sie lässt sich verdeutlichen, indem man das Kompositum in eine Genitivformel umwandelt: 'Wissen der Zukunft'. Als subjektiver Genitiv gelesen, verweist die Formel auf Wissen, das der Zukunft angehört, zukünftiges Wissen, also auf zu erwartende oder zu erhoffende Wissensfortschritte ebenso wie auf zu befürchtende Hindernisse oder bestehen bleibende Grenzen des Wissens. Zukunft ist hier epistemische Zeitlichkeit. Demgegenüber richtet sich die Lesart des objektiven Genitivs auf Wissen über Zukunft: auf begründete Vermutungen, gewagte Thesen oder haltlose Spekulationen über Zustände, die (noch) nicht da sind, aber kommen werden, sollten oder könnten, also auf Zukunft als epistemischen Gegenstand. In beiden Versionen, ob als Subjekt oder Objekt des Wissens, ist Zukunft nicht nur schwer bestimmbar, sondern a priori abwesend. Sie kann daher nur medial erzeugt werden: in Modellen und Simulationen, in Bildern und Visionen, und nicht zuletzt mit den Mitteln der Sprache. Zukunft kann überhaupt nur als imaginierte, gemachte, fiktive Zukunft gedacht werden. Dennoch kommt keine Gesellschaft, keine soziale Institution, kommen weder Religionen noch Naturwissenschaften, weder politische Kollektive noch individuelle Personen ohne Bezug auf die Zukunft aus. Sie verleiht Handlungen einen Horizont, der wie im mittelalterlichen Christentum eher geschlossen oder wie seit der Aufklärung emphatisch offen sein kann; sie verleiht Orientierung, ermöglicht Planung, organisiert Erwartungen, spendet Hoffnung oder erzeugt Ängste, Depression und Resignation; sie wirkt als regulative Fiktion auf die Gegenwart und erlaubt den Rückblick auf eine zukünftige Handlung im Tempus des Futur II. Obgleich also Zukunft nur unter dem Vorbehalt des Imaginären erscheinen kann, ist sie dennoch eine Bedingung der Formung sozialer Wirklichkeiten.
Die vorliegende Ausgabe der Aussiger Beiträge öffnet einen Raum für die kritische Auseinandersetzung mit Macht und Machtstrukturen in der Literaturwissenschaft und in ihrem Objektbereich. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird der Blick auf wirksame Machtentfaltung im literarischen Feld gerichtet und danach gefragt, wie bestimmende Kräfte des Marktes und der Identitätsstiftung Einfluss darauf nehmen, was zum Gegenstand der Disziplin wird. Untersucht werden Buchpreise und Marken, Instanzen der Literaturkritik und der kulturellen Selbstvergewisserung durch Maßstäbe und Normen sowie das subversive Potential der Literaturwissenschaft bzw. innerästhetischer Machtstrukturen eines literarischen Textes. Bei diesen Analysen zeigt sich, dass Macht Strategien ihrer Verfestigung, ihres Erhalts und ihres Zuwachses hervorbringt, die in ihrem Wandel immer auch produktives Misslingen in sich tragen.
Eines der größten Probleme, das sich im Umgang mit und in der Betrachtung von Katastrophen ergibt, ist die Tatsache, dass man auf sie im Grunde nur 'ex post' oder in mehr oder weniger genau berechenbaren Wahrscheinlichkeiten zugreifen kann. Trotz umfangreicher Untersuchungen zu den psychologischen, emotionalen und sozialen Auswirkungen von Katastrophen bleibt der akute Katastrophenfall unverfügbar. Fiktionale Darstellungen können hier Funktionen erfüllen, die weit über den ohne Frage unterhaltenden Charakter der Darstellung oder einen erzieherisch-informativen Effekt hinausgehen. Die Katastrophenfiktionen fallen dabei ebenso vielgestaltig aus wie die Textformen, die sie zum Gegenstand ihrer Darstellung machen: ob es nun literarische Texte oder Filme sind, ob Roman, Gedicht oder Hollywood- Blockbuster: gerade in fiktionalen Verhandlungen des Katastrophalen fällt auf, dass katastrophische Ereignisse nicht per se solche sind, sondern zunächst diskursiv als solche bezeichnet werden müssen. Ganz gleich, ob sich Fiktionen nun auf tatsächliche Katastrophen oder auf imaginierte Ereignisse beziehen, ermöglichen sie dennoch immer eine Reflexion der epistemologischen Bedingungen des verstehenden Zugriffs auf den Ausnahmezustand und die Konfrontation mit dem 'Realen'. Viele der hier versammelten Beiträge zeigen die Bandbreite der fiktionalen Inszenierungen von Katastrophen und untersuchen ihr Potential, die hier skizzierten Problemfelder zu reflektieren. Andere Beiträge beschäftigen sich gezielt mit solchen Texten, die nicht automatisch zu den fiktionalen Gattungen gezählt werden können, aber wiederum einen diskurskritischen Blick auf die Art und Weise lenken, wie das Katastrophale und das Reale gedacht und interpretiert werden – eine solche Reflexion kann in philosophischen sowie kultur- und medientheoretischen Texten, aber auch in essayistischen Berichten oder Textexperimenten zu tatsächlichen Katastrophen geschehen.
Die zwei folgenden Vortragsskripte sowie die Transkripte von Kommentar und Diskussion entstammen einem Workshop, auf dem die "Verfahren" der Epigenetik im Fokus der Diskussion standen. Darin wurden die Technologien der Epigenetik innerhalb der Forschung und an ihren Schnittstellen mit anderen Disziplinen und der Öffentlichkeit beobachtet. Leitend war die Frage, wie das Wissen um epigenetische Prozesse in Forschungslabor und Öffentlichkeit zwischen 'techne' und 'logos' greifbar wird, wie es dargestellt, modelliert, angewendet wird. Das schließt ausdrücklich sowohl die geschichtliche Herkunft dieser Verfahren ein, als auch die Art und Weise, wie Epigenetik als Wissenschaft und wie ihre Befunde kulturell verankert und zur Darstellung gebracht werden. Die hier aus diesem Diskussionszusammenhang ausgekoppelten Beiträge werfen einen Blick auf die Konstruktionen von Übertragungsphänomenen in Forschung und Öffentlichkeit. Der Beitrag von Jörg Thomas Richter unternimmt eine kurze Medienschau, die skizziert, welche Relevanz den Befunden dieser Forschung in der breiteren Publizistik beigemessen wird. Vanessa Lux eruiert die konzeptionellen Interferenzen, auf die die Forschung trifft, wenn sie transgenerationelle Übertragung als Vererbung modelliert. Ohad Parnes geht in seinem Kommentar sowohl auf historische als auch systematische Probleme des Vererbungsbegriffs ein, wie er aus der Genetik in die Epigenetik übertragen wird. Dem beigeordnet sind Auszüge aus der Abschlussdiskussion. Sie belegen ihrerseits das faszinierende Schillern, das die Epigenetik umgibt, aber sie suchen darüber hinaus die Spiegel und Splitter zu orten, von denen es möglicherweise ausgeht.
Gesichtsauflösungen
(2013)
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird aus einem wiedergeöffneten Stollen der Bergwerke von Falun in Schweden der nahezu unversehrte Leib eines verschütteten Mannes geborgen. Die verblüfften Bergleute blicken in ein frisches Gesicht, in "die noch unveränderten Gesichtszüge eines verunglückten Jünglings" – wie es in der Quelle, in Gotthilf Heinrich von Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften (1808) heißt. Gleichsam eingelegt in Kupfervitriolwasser hat das Gesicht in 300 Ellen Tiefe überdauert, doch kann dessen Konservierung der Berührung mit Luft und Licht und mithin dem Auge der Umstehenden nicht standhalten. Gesicht und Körper lösen sich auf, zerfallen zu Staub, doch erst, nachdem ein altes Mütterchen "an Krücken und mit grauem Haar" den Konservierten erkennt und an ihre Brust drücken kann: Nicht die Mutter, nein sie ist die Braut des Jünglings von vor fünfzig Jahren, und ihr eingefallenes, "verwelktes" Gesicht kontrastiert der Wirkung des seinen. Die Geschichte vom konservierten Bergmanngesicht ist eine der bekanntesten Kombinationen von Literatur und anorganischer Chemie. Johann Peter Hebel und E.T.A. Hoffmann haben diese Geschichte der Flüssigkeiten als eine Art Antidoton gegen die Auflösungserscheinungen des Gesichts erzählt, die zumindest bei Hebel von einer Verwirrung der Chemikalien und ihrer Wirkungen geprägt ist. Denn die schnelle Auflösung, freilich nach vollzogener Identifikation durch die alte Braut, widerspricht dem chemischen Prozess, durch die jedoch deutlich werden soll, dass der unversehrte Kopf in Vitriol, seine Erkennbarkeit und Präsenz nur um den Preis der Sichtbarkeit zu haben ist: Allein als ein den Blicken und Interaktionen mit den Menschen entzogener Kopf bleibt er sich gleich, ist er intakt, unvergänglich. Damit wird gleichsam auf dem Haupt des aus der Zeitlichkeit herausgefallenen Bergmanns ein Spiel um natürliche und erworbene Konservierungsmodalitäten durch das Vitriol des Berges einerseits und das Gedächtnis der ergrauten Braut andererseits ausgetragen. Als Garanten gegen die Auflösung buhlen sie um die Haltbarkeit und physische Integrität des Menschen, genauer um das Bild von ihm. Durch eine "Verwirrung der Chemikalien", die im Übertrag von der Quelle zur Prosaerzählung erfolgte, wird der Konservierungsstoff Kupfervitriol oft als Eisenvitriol oder folgenreicher und entgegen der Nomenklatur gar als Schwefelsäure überliefert. In dieser starken Säure allerdings hätten sich nicht nur Gesicht und Körper des Bergmanns in maximal zwei Stunden, sondern auch das ganze Bergwerk zersetzt. Im konservierten Bergmann als der Geschichte einer aufgeschobenen Auflösung konvergieren einige Themenfelder der folgenden Beiträge: Neben dem Entzug und der Bergung eines unversehrten Antlitzes, dem eine Art facelifting zuteil wurde, sind es die Umstände seiner Erinnerung und die Bedingungen zu seiner Wiedererkennung, seine Fragilität und sein Zerfall. Themen, in die an dieser Stelle ein wenig eingeführt werden soll.
Das folgende Transkript zweier Vorträge zum Thema der Ernährung mit anschließender Diskussion stammt aus einer Werkstattreihe am ZfL, die anlässlich dem sich konstituierenden Forschungszweig einer biomedizinischen Epigenetik programmatisch nach der Integration "kultureller Faktoren der Vererbung" in molekularbiologische Forschung fragt. Mit der Werkstattreihe sind zwei Anliegen verbunden: Erstens sollen die Veranstaltungen eine Plattform bilden, auf der die epistemischen, methodischen und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der aktuellen Inkorporierung kultureller Faktoren in die Biologie der Vererbung interdisziplinär diskutiert werden können. Wenngleich die heute messbaren, transgenerationalen Effekte solcher Einschreibungen bislang nur spekulativ sind: Offenbar sind biologische Vererbungsvorgänge angemessen nur zu erklären, wenn in deren Erforschung auch nicht-genetische, gleichwohl stabile und wiederholte Übertragungsprozesse entlang beispielsweise ethologischer, psychologischer, ökologischer und im weiteren Sinne soziokultureller Linien einbezogen werden. In dieser Hinsicht haben die Biowissenschaften tatsächlich - und programmatisch - damit begonnen, ein weit über die Biologie hinausweisendes, breites epistemisches Terrain mit den ihr eigenen methodischen Mitteln und Erklärungsmodellen zu erschließen. Daraus folgt zweitens, dass von kulturwissenschaftlicher Warte aus gerade auch die Methoden zu diskutieren sind, mittels derer epigenetische Forschung sich gegenwärtig kulturellen Phänomenbereichen nähert. Denn dieses biowissenschaftliche Neuland ist nicht unbesiedelt. Prozesse der Weitergabe von erbrelevanten Informationen zwischen Eltern und Kindern, der Interaktion zwischen auf unterschiedlichen Ebenen situierten Erbinformationen von Lebewesen und ihrer Umwelt, Prozesse der Tradierung von Lebensformen standen und stehen heute im Suchfeld unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen: von Armuts- über Bildungs-, Ernährungs- und Traumaforschung bis hin zu den Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Aus den resultierenden Überlagerungen dieser wissenschaftlichen Zugänge folgt eine Reihe von unterschiedlichen methodischen, und epistemologischen, aber auch ethischen und handlungspraktischen Herausforderungen. Nicht nur müssen sich die Biowissenschaften in ihrem Versuch, Vererbung um 'kulturelle Faktoren' zu bereichern, am zeitgenössischen Verständnis von Kultur und Gesellschaft messen. Auch die den Geistes- und Sozialwissenschaften eigenen Antworten auf Fragen von Überlieferung, Übertragung und Vererbung sind erneut zu besichtigen.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden. Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich.
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Neben den traditionellen Kernbereichen der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und der europäischen Literaturgeschichte gilt das besondere Interesse der komparatistischen Internet-Zeitschrift neueren kulturtheoretischen Ansätzen aus dem internationalen Raum. Darüber hinaus widmet sich Komparatistik Online vor allem den produktiven Wechselbeziehungen zwischen Literatur, bildender Kunst und Musik (Comparative Arts und Inter Arts) und den ästhetischen Grundlagen intermedialer Grenzüberschreitungen und Transferbewegungen.
Überdies sollen Beiträge zur außereuropäischen Literatur und Kultur, zur globalen Vernetzung und zur postkolonialen Situation Berücksichtigung finden.
Interkulturelle und imagologische Fragestellungen bilden einen weiteren zentralen Forschungsbereich. Geplant sind Schwerpunkthefte zu spezifischen aktuellen Themenbereichen. Daneben sollen stets auch einschlägige Forschungsbeiträge mit individueller Thematik publiziert werden.
Darüber hinaus gilt die besondere Aufmerksamkeit interessanten komparatistischen und interdisziplinären Neuerscheinungen, für die eine eigene Rubrik mit Buchbesprechungen vorgesehen ist.
Ein weiterer wichtiger Bereich umfasst aktuelle Informationen zu den neuen Studiengängen in der deutschsprachigen Komparatistik (Bachelor und Master) sowie verwandten Bereichen wie Europäische Literatur- und Kulturgeschichte. Es ist geplant, diesbezüglich solche Informationen im Internet bereitzustellen und laufend zu aktualisieren, die für Studierende und Lehrende des Fachs gleichermaßen von Interesse sein dürften.
Theaterkulturen - Kulturtheater präsentiert u.a. die Ergebnisse der im Rahmen des LiTheS-Workshops "Habitus" im Mai 2009 geführten und davon angestoßenen Diskussionen. Michael Walter: Der Fall Salicola oder Die Sängerin als symbolisches Kapital - Marion Linhardt: Das Weibliche als Natur, Rolle und Posse : Sozio-theatrale Tableaus zwischen Shakespeare und Nestroy - Zoltán Péter: Karl Kraus und die Avantgarde - eine mehrschichtige Beziehung - Manfred Prisching: Der spätmoderne Hermann Broch
Infrastrukturen sind die Basis jeder Form wissenschaftlicher Forschung. Was aber bedeutet der Einsatz von digitalen Infrastrukturen für die Ermöglichung und Fortentwicklung der digitalen Geisteswissenschaften konkret? Die Beiträge des Bandes sind anlässlich des Symposium "Forschungsinfrastrukturen in den digitalen Geisteswissenschaften. Wie verändern digitale Infrastrukturen die Praxis der Geisteswissenschaften?" im Jahr 2018 entstanden und nehmen sowohl digitale Infrastrukturen in den Geisteswissenschaften wie auch Infrastrukturen für die digitalen Geisteswissenschaften in den Blick.
Symbolische Herrschaft
(2015)
Joseph Jurt: Die symbolische Macht der Literatur in Frankreich : ein Sonderfall?. - Joseph Jurt: Die symbolische Macht der Intellektuellen (in Frankreich). - Michael Parzer: Das Ende der ästhetischen Intoleranz? : Musikgeschmack und symbolische Gewalt in der Gegenwartsgesellschaft. - Carsten Heinze: Pierre Bourdieu und der / im Film : Vorüberlegungen zu den Konzepten der »Symbolischen Herrschaft«, der Feld-, Habitus- und Symboltheorie als Deutungsperspektive für die Filmsoziologie und zu Legitimationskämpfen im filmwissenschaftlichen Feld. - Hilmar Schäfer: Symbolische Herrschaft und soziale Iterabilität : Die sprachliche Reproduktion sozialer Differenzen bei Pierre Bourdieu und Judith Butler
Der Comic in seiner heute bekannten Form beginnt thematisch mit einer Flucht: Superman, der in den 1930er Jahren in den USA von Jerry Siegel und Joe Shuster als erste Superheldenfigur der Comicgeschichte erschaffen wurde, muss seinen Heimatplaneten Krypton verlassen und wird mit einer Rakete auf die Erde geschickt. Superman lebt dort wie ein Mensch; er versteckt seine übermenschlichen Fähigkeiten und setzt diese nur im Geheimen und für den Kampf gegen das Böse ein. Flucht und Exil, Fremdheit und Assimilation, dies sind bis heute bestimmende thematischen Signaturen des Mediums. Untrennbar sind diese mit der Herkunft der das Medium prägenden Personen verknüpft. Denn Superhelden sind nicht nur ein amerikanisches Phänomen, sondern vor allem ein jüdisches, so der Comic-Historiker Arlen Schumer mit Verweis darauf, dass Jerry Siegel und Joe Shuster Kinder jüdischer EinwandererInnen aus Europa waren. Julian Voloj, der ebenfalls den jüdischen Wurzeln des Mediums nachgegangen ist, spricht sogar davon, dass "amerikanische Juden aus der Not heraus ein neues Genre erfanden".
Der vorliegende 'exilograph' will einige Schlaglichter auf das noch weitgehend unerforschte Feld "Exil und Übersetzung" werfen. Der Zusammenhang von Exilliteratur und Übersetzung ist grundsätzlich bedingt durch die Frage nach der (Schreib-)Sprache. Aus dem deutschen Sprachraum vertrieben und aus der 'deutschen' Nationalliteratur ausgeschlossen, halten einige Schriftstellerinnen und Schriftsteller an der deutschen Muttersprache fest, während andere die Sprache wechseln oder von nun an sogar in mehreren Sprachen schreiben. Diese Entscheidung kann programmatische Gründe haben, ist oft aber auch ganz pragmatisch dadurch bedingt, ob und wie gut die Sprache des Exillandes beherrscht wurde. In der Konfrontation mit der Fremdsprache im Sprachexil ist Übersetzung unumgänglich. Sie wird zu einer permanenten Herausforderung in der konkreten Exilsituation sowie für die Produktion literarischer Texte.
Jede Exilerfahrung ist grundsätzlich zunächst einmal individuell. Sie steht in einem spezifischen historischen, politischen und kulturellen Kontext. Handelt es sich dabei um größere Bewegungen, wie im Falle des Exils aus NS-Deutschland 1933 bis 1945, ist häufig ein Zusammenschluss von Exilierten in den jeweiligen Exilländern und -orten zu beobachten. Solche Exil-Communities bieten eine Plattform für Austausch und Unterstützung sowohl untereinander als auch mit Gruppen, die sich zur gleichen Zeit in anderen Ländern befinden.
Lange Zeit galt das Exil, das durch die gewaltvolle Politik der Nationalsozialisten bedingt wurde, mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 als beendet. Die implizite Begründung, die in der Exilliteraturforschung bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts dominierte, greift allerdings zu kurz: Mit dem Wegfall der Fluchtursachen werde das erzwungene Exil, das mit einer Rückkehr beendet werden könnte, zu einer freiwilligen Migration. Bei diesem Erklärungsmuster wurde die eigentliche Frage nach der Rückkehr der Exilanten lange vernachlässigt. Ist die Rückkehr in ein Land, das einen zuvor gewaltvoll vertrieben hat, überhaupt ohne weiteres möglich? Und vor allem: Lässt sich mittels einer geografischen Rückkehr das Exil beenden?
Während in Deutschland in den letzten Jahren vermehrt wissenschaftliche Arbeiten zu literarischen Produktionen von eingewanderten AutorInnen vorliegen, die ihre Herkunftsländer verlassen und sich in weiterer Folge im deutschsprachigen Raum angesiedelt haben, gibt es in Österreich bislang wenig systematische Beschäftigung mit diesem Thema. Erst in den letzten Jahren hat sowohl die deutschsprachige als auch die internationale Germanistik begonnen, vermehrt österreichische AutorInnen, die zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen leben und arbeiten, in den Blick zu nehmen und damit zugleich ein Forschungsfeld zu eröffnen, das sich sowohl Fragen der Verortung und Positionierung der AutorInnen als auch den damit verknüpften literarischen Effekten widmet. Als ein weiterer Beitrag zu diesem Forschungsfeld liegt der Fokus der vorliegenden Nummer der Aussiger Beiträge auf der Literatur von eingewanderten AutorInnen aus mittel- und osteuropäischen Ländern in Österreich, wie etwa Jiří Gruša, Ivan Ivanji, Viktorija Kocman, Julya Rabinowich, Alja Rachmanowa, Michael Stavarič oder Fred Wander. Zudem wurde das Korpus um AutorInnen erweitert, die - wie etwa Semier Insayif - zwar in Österreich geboren sind, jedoch bi- oder multikulturellen Hintergrund haben, der in ihren Texten, bewusst oder unbewusst, literarisch reflektiert wird. Die vorliegende Nummer, in der entlang literarischer Texte sowohl theoretische Fragestellungen behandelt als auch die AutorInnen selbst und ihre Texte vorgestellt werden, verdeutlicht, dass es keine kulturell und sprachlich homogene 'österreichische Literatur' gibt, sondern viel mehr 'österreichische Literaturen', die als ein dynamischer Prozess von Bewegungen und Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen im gemeinsamen Kulturraum Österreich zu verstehen sind.
Wie bereits die Beiträge in der letzten Ausgabe des FIB beschäftigen sich auch diese mit Begriffen auf der Grenze von Natur und Kultur, von Evolution und Geschichte: 'Environment', 'Ecosystem', 'Noosphäre' und 'Anthropozän' gehören zu einem sich überschneidenden Wortfeld, das im Deutschen der Ökologie- und Umweltproblematik zugeordnet ist. Diese Begriffe haben ihre gegenwärtige Brisanz nicht zuletzt durch die Klimaveränderung gewonnen, bei der die Frage, ob oder inwieweit der mit ihnen erfasste Sachverhalt der Natur oder der menschlichen Kultur/Gesellschaft zugehört, umstritten und damit höchst politisch ist.
Komparatistik online 2019: Berühren. Relationen des Taktilen in Literatur, Philosophie und Theater
(2019)
Körper und ihre Sinneswahrnehmung gehören zu den Voraussetzungen von Literatur und, Philosophie; die Bestimmung ihrer Funktion zählt zugleich zu einer der schwierigsten und umstrittensten Aufgaben dieser Künste und Disziplinen. Der Komplex um das Berühren, zu dem Haptik, Taktilität und Gefühl, Motorik, Sensorik und Affektivität gleichermaßen gehören, ist in der Körper- und Sinnesgeschichte notorisch von Vernachlässigung bedroht, hat in den Kultur- und Medienwissenschaften aber zuletzt neue Aufmerksamkeit erfahren. Philologische Ansätze befinden sich derzeit noch am Rand dieser Debatten, obwohl ihre Begriffe und Verfahren sogar als besonders 'berührungsaffin' gelten können. Genaue philologische Lektüren bieten die Möglichkeit, das je singuläre Verhältnis von Affektion und Sinnlichkeit und die Bedeutung des Tastsinns im Zusammenspiel mit anderen Sinnen zu erfassen. Philologische Verfahren können das metaphorische Potenzial des Berührens ebenso ausloten wie sein Verhältnis zum 'Realen'. Die Beiträge dieses Bandes zur europäischen Literatur, aber auch zur Philosophie von der Antike bis ins späte 20. Jahrhundert untersuchen das Berühren als relationale Figur, in der poetische Gestaltung und Materialität, Bildlichkeit und Buchstäblichkeit, Begreifen und Ergreifen, Anschauung und Affizierung in Beziehung treten. Im Zentrum stehen Fragen nach dem Verhältnis von Gemeinschaft und Individualität, von Literatur und Philosophie sowie nach der Funktion von Ansteckungs- und Distanzierungsverfahren in diesen Zusammenhängen. Dabei geraten gerade auch Wahrnehmungsräume in den Blick, die zumeist unter dem Primat des Visuellen verhandelt wurden. In Re- und Gegenlektüren schlagen die Beiträge eine Ausweitung der Sinnesbezüge vor.
Zeugen in der Kunst
(2016)
Der vorliegende Band nimmt künstlerische Auseinandersetzungen mit Zeugenschaft im Film, im Theater, in der Literatur, in der Bildenden Kunst und in der Performancekunst in den Blick und stellt dabei grundlegende Fragen: Was gilt als Zeugnis und wer ist ein Zeuge? Wie verhalten sich Zeugnis, Wahrheit und Fiktion zueinander? Wie wird Zeugenschaft, wie wird die epistemische und moralische Rolle von Zeugnissen in der Kunst reflektiert und kommentiert? Dabei werden gattungsspezifische Aspekten der jeweiligen Kunstformen herausgearbeitet, aber auch allgemeinere Fragen über das Verhältnis von Kunst und Zeugenschaft thematisiert. Gewinnen wir, indem wir uns mit künstlerischer Zeugenschaft auseinandersetzen, auch einen neuen Blick auf Begriff und Phänomen von Zeugenschaft? Oder ist ein solch allgemeiner Begriff von Zeugenschaft gar nicht anzustreben angesichts der kaum überschaubaren Fülle unterschiedlicher Phänomene des Zeugnisgebens? Fragen über Fragen, auf welche dieser Band Antworten sucht. Doch wir möchten an dieser Stelle auch einige Thesen darüber artikulieren, welche Facetten von Zeugenschaft ganz spezifisch durch Kunst in den Blick geraten – und wodurch sich insbesondere die künstlerische Auseinandersetzung mit Zeugenschaft vom Umgang mit Zeugen und Zeuginnen in anderen Kontexten unterscheidet.
"Im Comic gibt es keine Grenzen [...]"- dieses Postulat galt es anlässlich der durch diesen Band repräsentierten Tagung zu überprüfen. Im Call for Papers unter der Überschrift "Grenzen ziehen, Grenzen überschreiten" wurden solche medialen Eigenschaften, aber auch viele weitere Themenkomplexe angesprochen, die verschiedene Aspekte der Auseinandersetzung mit Grenzen oder von Formen der Grenzüberschreitung - sowohl inhaltlich als auch formal - aufnahmen.
Die vorliegende Ausgabe des FIB präsentiert in zwei Beiträgen die Geschichte von Begriffen, die in besonderer Weise der Idee des E-journals entsprechen. Denn ihre Bedeutung lässt sich nur Disziplinen überschreitend rekonstruieren. Die Literaturwissenschaftlerin Nicole Rettig untersucht den Begriff der Statik, Lea Watzinger den der Transparenz. Beide Arbeiten geben Einblick in begriffsgeschichtliche Thesen ihrer jüngst abgeschlossenen Qualifikationsschriften. [...] Clemens Knobloch zeigt in seinem Rezensionsessay zu dem von David Ranan herausgegebenen Glossar "Sprachgewalt. Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe", dass sich hinter dem Titel höchst anregende, gerade die widersprüchliche Pragmatik von politischen Gegenwartsbegriffen herausarbeitende Begriffsgeschichten auffinden lassen.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) : sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines Erfolgsmodells - Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit : zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik in Erfolgsstücken des Leopoldstädter Theaters um 1800 - Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle : zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der Lustigen Figur um 1800
In diversen Wissenschaftsdisziplinen ist derzeit eine Konjunktur der Begriffe Modell und Modellierung zu beobachten. Darunter sind auch solche Disziplinen, die Begriff wie Praxis des Modells bislang nicht zu ihrem methodischen Kernbereich zählten. Die Aktualität des Begriffs wie die Notwendigkeit einer Arbeit mit Modellen zeigt sich beispielsweise im Kontext sogenannter 'global challenges' wie klimatischer oder ökonomischer Krisen, die immer schon die Zuständigkeit einzelner Wissenschaften überschreiten und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verlangen. Eine zunehmende Resonanz modellhaften Denkens lässt sich indessen auch dort erkennen, wo kanonische Themen aus dem Geltungsbereich der Geistes- und Kulturwissenschaften zur Diskussion stehen. Es liegt daher die Vermutung nahe, der Modellbegriff erweise sein Potenzial nicht nur hinsichtlich der Analyse und Prognose komplexer dynamischer Systeme, sondern auch im Hinblick auf die interdisziplinäre Untersuchung tradierter Gegenstände wie literarischer Formen und Epochen, deren geschichtlicher Wandel beleuchtet werden soll. Die neue Anschlussfähigkeit für literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze ist u. a. der jüngeren Modelltheorie zu verdanken, welche das Modell bzw. den Modellierungsvorgang selbst im Modell erfasst und zugleich auf die 'aktiven Potenziale' sowie auf die Grenzen von Modellen hinsichtlich ihres epistemischen Status oder ihrer Materialität hingewiesen hat.
Krieg, Mythos und Literatur
(2014)
Tatjana Marković: Memorizing battle musically : The Siege of Szigetvár (1566) as an identity signifier. - Wolf Wucherpfennig: Die Angst der Welt : Raabes Odfeld und das deutsche Kriegstrauma. - Martin Löschnigg: "Ich habe kein Wort" : Betrachtungen zu einem Topos literarischer Texte über den Ersten Weltkrieg. - Sabine A. Haring: "Kameradschaft" in der Habsburger Armee : Eine emotionssoziologische Annäherung. - Walter Hölbling: Vorstellungen von Krieg und Frieden in der US-amerikanischen Romanliteratur
Die Reflexion über das Komische hat in den deutschsprachigen Kulturwissenschaften vor allem seit der Jahrtausendwende Konjunktur. Wohl angestoßen durch die seit 1988 erscheinende Zeitschrift 'Humor – International Journal of Humor Research' (Berlin, New York), das Teilprojekt 'Transformationen von Wissen und Gewissheit in den Lachkulturen der Frühen Neuzeit' des DFG-Sonderforschungsbereichs 447: 'Kulturen des Performativen' (2001–2010), die 'Kasseler Komik-Kolloquien' (seit 2000) und die damit zusammenhängende Schriftenreihe 'Kulturen des Komischen' (seit 2003),4 erschien eine kaum überschaubare Fülle von Studien und Beiträgen (auch mit mitunter kaum fassbaren Ansätzen). In dem Maße, wie sich diese Konjunktur nun abzuschwächen beginnt, bietet sich die Gelegenheit der Bilanz, Systematisierung und Revision – übrigens auch der mehr als zweitausendjährigen Geschichte der Ästhetik, Moral- und Geschmacksgeschichte des Komischen. Denn auch diese gleicht einem Babylon aus Begriffen und Systemen.
Alfred Brendel: Gibt es eigentlich lustige Musik? : Das umgekehrte Erhabene. - Robert Vellusig: "Unser aller Weg führt übern Bodensee" : Robert Gernhardts Nonsens-Poesie. - Lino Wirag: Pointenlose Bildkomik. - Gabriele Klug: Komische Enkomien : Die 'Geflügelgedichte' des Königs vom Odenwald. - Klaus Zeyringer: Zum Lachen : Kanonmechanismen und die Komik des Karl Valentin Ein Feuilleton mit abschließender These. - Halyna Leontiy: Komik, Kultur und Migration : Institutionelle und Alltagskomik in deutsch-türkischen und russlanddeutschen Kontexten. Eine Projektskizze
Die hier versammelten Beiträge gehen wesentlich auf die internationale Tagung 'Geschichts(er)findungen. Felicitas Hoppe als Erzählerin zwischen Tradition und Transmoderne' zurück, die im Rahmen des Writer-in-Residence-Programms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) mit der Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe vom 30. November bis 1. Dezember 2012 an der University of Oxford stattfand.
Das vorliegende Themenheft vereint Beiträge, die sich mit literarischen und philosophischen Texten sowie dramatischen und musikdramatischen Werken aus einem historischen Zeitraum beschäftigen, der in etwa von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis ins frühe 18. Jahrhundert reicht und der hier - gemäß einer mittlerweile gut etablierten Begriffskonvention - als 'Frühe Neuzeit' angesprochen werden soll. Den Aufsätzen des Hefts, die von Wissenschaftlern und Nachwuchsforschern der Ruhr-Universität Bochum verfasst wurden, geht es unterdessen weniger darum, erneut eine Diskussion über diesen Begriff und den damit verbundenen Periodisierungsvorschlag zu führen, um dessen Tragweite auszuloten. Vielmehr möchten die Beiträge in Form ausgewählter Fallstudien einzelne Genres und Textsorten in den Blick nehmen, um anhand je spezifischer Fragestellungen deren jeweilige Gestaltungsformen, deren literarische und ästhetische Darstellungsmittel und Wirkungsweisen zu studieren.
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie können intradiegetisch angefasst werden, sie riechen, haben ein spezifisches Gewicht und doch sind sie für die Leser in erster Linie: durch Zeichen repräsentierte Dinge. So einfach und so komplex lässt sich die doppelbödige Ausgangslage beschreiben, auf der die folgenden Überlegungen gründen. Denn auf diese Beobachtung kann Literaturwissenschaft in unterschiedlicher Weise reagieren: An einem Ende der Skala beschäftigt sie sich hauptsächlich mit der Zeichenhaftigkeit von repräsentierten Dingen, den Verweischarakteristiken, Funktionen und Bedeutungen, am anderen mit der Materialität, der Stofflichkeit und Widerständigkeit. Beide Pole haben ihre Verfechter, jeder der Ansätze seine Tradition und Konjunkturen. Bevor dieser Hintergrund, die Begrifflichkeit und der Forschungsstand erläutert werden, stehen in der Folge zwei literarische Beispiele im Zentrum, an denen gezeigt wird, welche Fragen sich mit literarischen Dingen stellen. Ludwig Tiecks 'Des Lebens Überfluß' (1838) und Ilija Trojanows 'Auf der Flucht' (2017) entstammen ganz unterschiedlichen Epochen und Kontexten, deshalb lässt sich an ihnen auch eine Bandbreite von Fragestellungen aufzeigen.
Mit der sogenannten Wende 1989/90 scheint alles, was mit "Soz-" beginnt, unter einem Generalverdacht zu stehen, selbst einschlägige philosophische Denkansätze und wissenschaftliche Disziplinen, die eben diese Wende mit vorbereitet hatten. In den Geisteswissenschaften wiederum ist die noch in den 1980-er Jahren so spürbare Aufbruchsstimmung hin zu neuen Methoden, wie eben soziologischen, und zu einem geschichtswissenschaftlichen Literaturverständnis unter dem Stichwort einer "Sozialgeschichte der Literatur" von rasch wechselnden Phasen der Ausrufung von "Turns" ("Linguistic Turn", "Cultural Turn") abgelöst worden. Die "Kulturwissenschaften" scheinen auf die wissenschaftliche Überprüfbarkeit ihrer Reflexion mitunter überhaupt verzichten zu wollen. Und dennoch werden vielerlei Forschungsaktivitäten, wenn auch oft unter anderem Namen und mit anderen Schwerpunkten, heuristisch wie methodisch von einer in weitestem Sinne soziologischen Perspektive geleitet. Wie die Modelle beispielsweise von Pierre Bourdieu und Norbert Elias belegen, ist der soziologische Blick auf Literatur, Theater, Kunst, Kultur nicht nur eine Perspektive, die es wert ist, im Sinne einer Neu- und Wiederbesinnung auf die möglichen methodischen Gemeinsamkeiten der historischen und philologischen Disziplinen diskutiert zu werden. Alles spricht dafür, dass darüber hinaus das Soziologische generell die notwendige Bedingung eines künstlerischen Verstehens beziehungsweise eines Verstehens von Kunst bildet, das hermeneutische Willkür, reißerische Spekulation und zirkuläre Jargons hinter sich lässt.