CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Wissenschaft
(2018)
Das Wort 'Wissenschaft' markiert eine lexikalische Lücke - im Englischen. Es ist für diese Sprache ein 'intraduisible'. Mindestens zwei Wörter braucht das Englische, um das Gemeinte zu bezeichnen: 'science' für die Naturwissenschaften und - symptomatisch in Pluralform und Variabilität - 'arts' oder 'humanities' für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Einheit 'der Wissenschaft' lässt sich im Englischen und anderen Sprachen, die über das inklusive 'Wissenschaft' nicht verfügen, also nicht einfach ausdrücken.
Weltschmerz
(2018)
"Nur sein [Gottes] Auge sah alle die tausend Qualen der Menschen bei ihren Untergängen - Diesen Weltschmerz kann er, so zu sagen, nur aushalten durch den Anblick der Seligkeit, die nachher vergütet." Und so kommt er in die Welt, dieser eigentümliche Schmerz, der im Kontext seiner literarischen Geburt zunächst ein rein göttliches Befinden auszudrücken scheint, als 'Genitivus objectivus' vielleicht aber auch den Schmerz der Welt postuliert. Sein Schöpfer Jean Paul (1763−1825) hat den Begriff im Text nicht eigens markiert, ihn weder formal noch erklärend als Neuschöpfung konstituiert. Der Weltschmerz tritt eher beiläufig auf (das "so zu sagen" im Zitat bezieht sich auf das göttliche Aushalten desselben); er fügt sich in den Text, als wären Autor und Leser gleichermaßen vertraut mit ihm. Und tatsächlich wird der 'Weltschmerz' im Nachhinein als eine Art Begriffsvehikel für ein weitgehend älteres Befinden gedeutet - eine innere Zerrissenheit und Trauer über die Unzulänglichkeit der Welt -, das keiner zusätzlichen Erläuterung bedurfte und in der Spätromantik lediglich ein neues sprachliches Gewand erhielt.
Weltmusik
(2018)
Der Begriff der Weltmusik produziert Fremdheit. Die Erzählung seiner Geschichte beginnt üblicherweise mit der Verwendung durch den Musikwissenschaftler Georg Capellen, der 1905 für einen 'neuen exotischen Musikstil' plädiert: Waren 'exotische' Motive bislang nur als "Kuriosum" in der europäischen Musik vertreten, erhofft sich Capellen, "falls unsere Komponisten sich in die neuen Ausdrucksformen einzuleben und die fremdartige Nahrung in eignes Blut umzuwandeln vermögen", die Etablierung eines "exotisch-europäische[n] Mischstil[s] oder (um mich phantastisch auszudrücken) eine[r] 'Weltmusik'". Dabei spielt für Capellen keine Rolle, dass in dieser Reduktion auf die Harmoniestrukturen europäischer Kunstmusik gerade die Charakteristika zahlreicher außereuropäischer Musiken ausgestrichen bleiben müssen; zu schweigen von der Inkommensurabilität der europäischen Taktordnung mit anderen Formen der Rhythmik. Bereits 1902 verweist Friedrich Spiro indes auf eine verwickelte Geschichte des Begriffs.
Die Begriffsgeschichte ist vom Singular besessen. Pluralformen kommen nur unsystematisch und am Rande vor. Darin gleichen die mehrbändigen Lexika, Gumbrechts "Pyramiden des Geistes", den allgemeinen Wörterbüchern, in denen der Plural gemeinhin nur abgekürzt und kodiert zwischen Klammern vorkommt: "(-en, ‑en)". Der Obergrundbegriff ist für Koselleck bezeichnenderweise der "Kollektivsingular", ein Wort, das die Fähigkeit verloren hat, einen Plural zu bilden. Begriffe wie 'Geschichte' und 'Fortschritt' sind im Plural vorgekommen und haben damit verschiedene Prozesse und Zeitverläufe beschreiben können. Aber im Laufe des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts haben eine Verengung und eine Vereinheitlichung stattgefunden, die zur Verdrängung der Pluralbildungen führten. Plötzlich haben sie nicht mehr die Kraft, distributive Pluralformen in die Welt zu bringen, 'Geschichten' und 'Fortschritte', die eine mehrzeitige Welt voraussetzen. Nunmehr treten sie nur im Singular, mit kollektivem Subjekt auf. 'Fortschritt' heißt jetzt immer Fortschritt der Menschheit. Ein für alle Mal grenzt die Begriffsgeschichte Parallelwelten, Multiversen, die Realität der Quantenphysik aus der Semantik der Begriffe aus, im selben Moment, als sie zu "unseren Begriffen", so Koselleck, werden. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, sollte über ein Lexikon des Plurals, der Pluralbildungen nachgedacht werden, ein Lexikon "Geschichtliche Grundbegriffe 'pluralis'", oder "Geschichtliche Grundpluralbildungen".
Weltanschauung
(2018)
In einem leicht zugeschnittenen Sinn kann die Einsicht, dass "Welt je schon übersetzt" ist, als gedanklicher Kern der im 19. Jahrhundert sich durchsetzenden 'Weltanschauung' betrachtet werden. Dass die Welt dem Menschen niemals gar nicht und niemals vollständig gegeben ist, dass sie immer schon da und doch immer neu zu perspektivieren ist, hat in diesem Wort Ausdruck gefunden. Dadurch wird nun allerdings weniger verständlich als umso verwirrender, dass auch 'Weltanschauung' den 'Untranslatables' angehört. Als lexikalische Instanz eines modernen Pluralismus kann dieses Wort in seiner einzelsprachlichen Unbeugsamkeit nicht recht überzeugen.
Welt, je schon übersetzt
(2018)
Zum Exportschlager, also zum Fremdwort in anderen Sprachen, wurde das Wort 'Welt' vor allem dank seiner Bedeutung VIII (in der bis XII reichenden Zählung des Artikels im "Deutschen Wörterbuch"), die Johannes Erben im einleitenden Teil des Artikels als "metaphorische anwendungen mannigfacher art" charakterisiert und so erläutert: "überall, wo der sprecher auf ein abgeschlossenes ganzes, auf universale fülle, welcher art auch immer, zielt, springt das wort welt als bezeichnung ein: für 'einen in sich geschlossenen bezirk verschiedener art, der in seiner eigenständigkeit und eigengesetzlichkeit gleichsam ein all im kleinen darstellt'". Gerade "metaphorische anwendungen" legen damit einen semantischen Kern frei, der sich auf verschiedenste räumliche Referenzbereiche beziehen kann (also etwa keineswegs, wie dies die heute vermutlich häufigste Verwendung insinuiert, mit "V. erdkreis" zu identifizieren ist). Dass die Bedeutung VIII zugleich diejenige ist, dank welcher aus einem Alltagswort ein philosophischer Begriff wird, bezeugt der entsprechende Artikel im "Historischen Wörterbuch der Philosophie".
Vorahmung
(2018)
Unter dem Eintrag 'ahmen' vermerkt das Campe'sche "Wörterbuch der Deutschen Sprache" von 1807: Das Wort gebe es zwar nicht, doch es müsse einmal geläufig gewesen sein und so etwas wie "thun, verrichten, handeln" bedeutet haben - diesen Rückschluss lasse das noch lebendige 'nachahmen' zu und möglicherweise auch die 'Ameise'. Campe plädiert nicht nur dafür, das verlorene 'ahmen' wieder einzuführen, er möchte insbesondere zu der Neubildung 'vorahmen' anregen. Von gleicher Machart wie sein begriffliches Gegenstück, das Nachahmen, werde sich das Wort schnell einbürgern und hätte den unschätzbaren Vorteil, dass man in betreffenden Kontexten nicht länger auf Fremdworte wie 'Original' und 'originell' zurückgreifen müsse. Das Kompositum 'Vorahmung' erscheint seinerseits eher fremdartig, als Hans Blumenberg es genau 150 Jahre später in seinem Aufsatz zur "Nachahmung der Natur" aufnimmt. Auch im Jahr 1957 ist das Wort keineswegs gängig, dank seiner einfachen Form aber auch nicht unverständlich. Es ist vielmehr unselbstverständlich, d. h. im basalen Sinn fragwürdig.
Verblendungszusammenhang
(2018)
'Verblendungszusammenhang' ist kein Wort aus der Fremde. Aber das, was der Begriff ausdrücken möchte, seine Intention, muss dem souveränen, vernünftigen Subjekt gewissermaßen fremd bleiben. Jeder Bestandteil des Kompositums und die zugrundeliegenden Verben und Nomen - Verblendung, blenden, Blindheit, blind, Zusammenhang, zusammen, Hang, hängen - stammen aus dem Deutschen und haben für sich genommen eine alltägliche, nicht-fachsprachliche Bedeutung und Verwendung. Zusammengenommen jedoch und in der Bedeutung, die die Rede vom Verblendungszusammenhang bei Theodor W. Adorno erhält, könnte uns das Wort fremder nicht sein. Denn vielleicht kommt die Intransigenz der Kritischen Theorie, ihre Radikalität und all das, was auch heute noch an ihr provoziert und nicht selten zum Widerspruch oder gar zur affektiven Abwehr reizt, nirgends so sehr zum Ausdruck wie in diesem einen Wort: Verblendungszusammenhang.
Oυτοπία - Utopie
(2018)
Als der englische Lordkanzler Sir Thomas More im Jahr 1516 nach einem Titel für sein neuestes Werk suchte, war 'Utopia' nicht die erste Wahl. Altphilologen unter den Utopieforschern haben auf die bedenkliche Wortfügung 'Utopia' in der Bedeutung von 'Nicht-Ort' aufmerksam gemacht. Der bekannte klassische Philologe Bernhard Kytzler z. B. schrieb 1982: "'Utopia' ist eine wohl schlagende, aber sprachlich falsche Bildung." Aus dem griechischen τοπος ("Ort") und der verneinenden Vorsilbe ου zusammengesetzt, habe dies im Lateinischen ein Kunstwort ergeben, das nicht schlechthin grammatikalisch falsch, sondern vom Autor absichtsvoll in dieser Falschheit ausgestellt worden sei! Morus hätte wissen müssen, dass die griechische Sprache bei der Verneinung eines Substantivs die Vorsilbe a benutze, bekannt als ahistorisch, amusisch, anormal. "War sich Morus seines Fehlers gar nicht bewusst? Oder hatte er Gründe, die ihn bewogen, seine sprachlich schiefe Schöpfung beizubehalten?"
Ur
(2018)
Die Partikel 'Ur' gehört zu den unheimlichen 'intraduisibles' der deutschen Sprache. Die Wörter, denen sie vorsteht, erscheinen archaisch, allerdings auf eigentümlich standardisierte Weise. Sie geraten "ins barbarisch Wilde oder in industrielle Reklame" - so Theodor W. Adorno in einem kleinen Beitrag für die Süddeutsche Zeitung aus dem Jahr 1967. Dort bekundet er sein Erschrecken über das Wort 'Uromi' in einer Todesanzeige, das er nicht nur als "Grimasse" vermeintlicher Nähe, sondern sogar als "Maske von Unheil" kritisiert. Das Unheil liegt für ihn in einer schamlosen Familiarität, die sich der eigentlich gebotenen Trauer versagt. Gerade darin hat das unpassend platzierte Ur-Wort einen historischen Index, allerdings einen, der aus der Geschichte direkt in die Vorgeschichte weist: "Das Uromi ist ein prähistorisches Monstrum."
Troika
(2018)
Im (west-)europäischen politisch-administrativen Sprachgebrauch der Gegenwart finden sich kaum russische Wörter. Die Karriere des russischen 'Troika' ist so ein seltener Fall, der auch in Russland Aufmerksamkeit weckte. Ins öffentliche Bewusstsein gelangte der Begriff erst nach 2000, als die EU eine Dreiergruppe - die Troika - aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission einsetzte, um die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung während der Staatsschuldenkrise zu überwachen. Die begriffliche Assoziation zu den unter gleichem Namen bekannten außergerichtlichen Straftribunalen in der Sowjetunion der Stalinzeit war wohl zu offensichtlich, weshalb die EU auf Drängen Griechenlands die Bezeichnung 'Troika' später durch den neutralen Begriff 'Institution' ersetzte. Warum die EU einen politisch derart kompromittierten Begriff überhaupt in ihren Sprachgebrauch aufnahm, scheint nur schwer nachvollziehbar. Reduziert man allerdings die Begriffsgeschichte der 'Troika' allein auf die semantische Spur des Straftribunals, bleiben die Registerwechsel zwischen höchst unterschiedlichen kulturellen Bereichen im 20. Jahrhundert ausgeblendet.
Vielleicht denken derzeit die meisten zuerst an das Auto, wenn von 'Trabant' die Rede ist. Vielleicht sogar an dessen himmelblaue Ausführung, selbst wenn sie im Straßenbild inzwischen fremd geworden ist. Und wenn man 'fremd' mit 'unbekannt' übersetzt, dann trifft das den Trabanten nicht nur, weil der Begriff ein Fremdwort ist, sondern auch, weil unbekannt ist, aus welcher Fremde es stammt. Seine Herkunft ist nicht zweifelsfrei belegt. So hat man seinen Ursprung im Italienischen, im Deutschen oder im Türkisch-Persischen vermutet, von wo es über das Ungarische und Rumänische in die westeuropäischen Sprachen gelangt sein könnte. Im Grimm'schen Wörterbuch werden diese Annahmen jedoch samt und sonders als nicht stichhaltig verworfen. Umso wahrscheinlicher aber sei seine Herkunft aus dem Tschechischen, woher es zur Zeit der ersten Hussitenkriege entlehnt wurde, wobei dem dort schon im 15. Jahrhundert nachweisbaren 'dráb', dem 'fuszkrieger', im Deutschen die Endung '‑ant' hinzugefügt worden sei, ein Muster, wie es auch bei 'sarjant' oder 'brigant' verwendet worden war.
"Toughness has been rather out of fashion, as a masculine virtue", so William Gibson schon 2002. Die 'toughe Frau' scheint dagegen noch in aller Munde: zumindest im deutschsprachigen Raum gilt 'tough' als reflexartig einspringende Vokabel für die Kennzeichnung weiblicher Erfolgstypen: "kämpfende Amazone", "eiserne Lady" oder 'superwoman' bleiben als denkbare Synonyme ohne jede Chance. In hoffnungslos inflationärem Gebrauch schreiben die Titelzeilen der Lifestyle- und Frauenmagazine nahezu jeder in den Fokus gerückten Person das Epitheton zu, das zumindest in dieser Verwendung als unübersetzbar gelten muss, vielleicht aber auch gar keiner Übersetzung bedarf: handelt es sich doch - entgegen allem Anschein - um ein deutsches Wort, vermutlich so urdeutsch wie 'Handy'.
Synergie
(2018)
'Synergie', von griech. 'syn' ('mit', 'zusammen') und 'en-ergeia' ('Wirken'), beschreibt heute kooperative Effekte in der Natur, Wissenschaft und Gesellschaft, für die der aristotelische Satz "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" gilt. Doch 'Synergie' ist nicht nur ein Wort der Gegenwart. Mitte des 19. Jahrhunderts wird 'Synergie' (Adj. 'synergetisch') als Fremdwort in der deutschen Sprache mit der Bedeutung "Mitwirkung, Hilfe" angeführt. Bereits früher in die Bildungssprache eingegangen ist der 'Synergismus' (Adj. 'synergistisch'), die "Lehre von der freien Mitwirkung der Menschen zu ihrer Seeligkeit". Beide Einträge verweisen zunächst auf die Philosophie und christliche Theologie der Antike.
Der georgischen Sprache fehlt es nicht an mehr oder weniger alltäglich gebrauchten deutschen Fremdwörtern. Den meisten haftet ihr Umweg durch das Russische an, den sie während der kaiserlichen und späteren sowjetischen Herrschaft über Georgien gemacht haben. [...] Allerdings stößt man in dem prägenden sowjetgeorgischen Fremdwörterbuch, das zwischen 1964 und 1989 dreimal aufgelegt wurde, gerade beim Eintrag 'schtraikbrecheri' auf eine durchaus seltsame Bestimmung: "schtraikbrecher-i (dt. 'Streikbrecher') - in kapitalistischen Ländern: eine Person, die während des Streiks arbeitet und den Streik stört." Die stillschweigende Voraussetzung, Streikbrecher existierten nur "in kapitalistischen Ländern", weil es in den sozialistischen keine Streiks gebe, wirft in ihrer Verlogenheit erst recht die Frage nach der Vor- und Nachgeschichte dieses Begriffs auf.
Die programmatische Allgegenwart des 'Sozialen' nährt den Verdacht, wir hätten es hier mit einem leeren und nichtssagenden Plastikwort zu tun, das vielleicht gebildete Dignität und moralisches Engagement vortäuscht, aber semantisch durchaus nicht zu fassen ist, weil es eben nichts Bestimmtes zu bedeuten vermag. Clemens Knoblochs These ist hingegen, dass 'sozial' in den Jahren um 1900 zu einer semantischen Chiffre wird, in der sich die Erfahrung reflexiv verdichtet, dass die dringlichsten Probleme der industriekapitalistischen Entwicklung diejenigen sind, die durch diese Entwicklung selbst erst hervorgebracht werden. Platt gesagt: die unbeabsichtigten Nebenfolgen des allgemeinen Fortschritts: Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten, Landflucht, Proletarisierung, Stockungen im Warenabsatz, Armuts- und Elendsseuchen, Analphabetismus etc. müssen sowohl 'staatlich' als auch 'gemeinschaftlich' bearbeitet werden. Mittels 'sozial' erhalten all diese (im Schlagwort der "sozialen Frage" resümierten) Probleme so etwas wie eine Adresse. Und fortan wird 'sozial' programmatischer Bezugspunkt all dessen, was sich auf die unerfreulichen Folgen und Begleiterscheinungen der kapitalistischen 'Entwicklung' bezieht. Es wird kompensatorisch, es wird (linguistisch gesprochen) nicht nur zum Relationsadjektiv, sondern zu einem pauschalen Verweis darauf, dass die qua 'sozial' modifizierten Nominalphrasen (bzw. das, was sie nennen) einen Bezug auf das Problem der gesellschaftlichen Kohäsion haben. Diese Facette fehlt naturgemäß völlig im lateinischen 'socialis', das die ausdrucksseitige Quelle des heute in vielen Sprachen vertretenen Internationalismus 'sozial' ist.
Software
(2018)
Software regiert die Welt. Software hat die alte Unterscheidung von Geist und Materie - aufgemischt. Im engeren, in der und durch die Informatik terminologisch gewordenen Sinn meint der Begriff die Programme, die auf Universalrechenmaschinen (als der Hardware) zum Laufen gebracht werden können. Aber auch deren Bedienungsanleitungen wurden weiland dazu gezählt. Ebenso sind auch die gemäß den Befehlen der Programme verarbeiteten Daten und Adressen nicht Hard-, sondern Software. Die ganze heutige Bilderwelt im Web und auf den Milliarden Handys, alle gestreamte und downgeloadete Musik, nicht anders als dieser Text hier (bevor er in Druck gegangen sein wird): Alles ist Software. Und nichts ist Software. Weil ja auch jenseits der Schrift auf Papier, der Spur im Vinyl, des Granulats von Silbersalzen, kurzum: im sogenannten Digitalen nichts ohne die physikalisch-elektrischen Zustände der es prozessierenden Schaltkreise geht. Insofern gilt: Es gibt keine Software. Es gibt nur das Milliardengeschäft der Illusion, dass alles Software sei. Vielleicht könnte man sagen, dass 'Software' zu nichts anderem ge- und erfunden wurde, als um genau diese 'coincidentia oppositorum' von Alles und Nichts zu bezeichnen - oder hinter ihrer Bezeichnung zu verstecken. Beide Seiten machen jedenfalls erklärlich, dass es ein eigenes Wort für die Sache brauchte. Als Fremdwort außerhalb des englischen Sprachraums kann die einmal etablierte Vokabel, ebenso Unklarheiten mit sich führen, wie sie als 'terminus technicus' (im Englischen wie in anderen Sprachen) auch für das genaue Gegenteil, nämlich wissenschaftliche Präzision, einstehen kann.
Theodor W. Adornos berühmt-berüchtigte Verteidigung des Fremdworts als "Exogamie der Sprache" wirft neben anderen Fragen auch die auf, ob denn hier Fremdsprache gleich Fremdsprache sei. [...] Immerhin lenkt Adornos Vergleich die Aufmerksamkeit auf einen in der Begriffsgeschichte unterschätzten Aspekt: Bedeutungsveränderungen, die eine Terminologie durchläuft, sind nicht selten mit sich wandelnden emotionalen Konnotationen verbunden. Begriffsgeschichte ist auch eine Geschichte der 'languages of emotion'. Besonders deutlich wird das an Begriffen wie 'Roboter'.
Rettungsschirm
(2018)
Macht sich die Zweideutigkeit des "Rettungsschirms" im Deutschen vor allem in Gestalt seiner visuellen und metaphorischen Figurationen bemerkbar, fällt sie im Englischen schon auf wörtlicher Ebene auf. Denn das Englische kennt zwei unterschiedliche Worte für die benannte Sache, sodass der Schirm entweder als 'umbrella' ("Regenschirm") oder als 'parachute' ("Fallschirm") auftreten muss. So finden sich denn auch beide Varianten in der englischsprachigen Berichterstattung über die Eurokrise. Die entsprechenden Formulierungen 'rescue umbrella' oder 'rescue parachute' lassen sich dabei in der Regel als Übersetzungsversuche aus dem Deutschen erkennen. Darüber hinaus finden sich beide Varianten häufig in englischsprachigen Einlassungen deutscher Krisenkommentatoren, die für diese Einrichtung werben oder sie kritisieren wollen. Viele englischsprachige Fachpublikationen, in denen explizit von 'rescue umbrella/parachute' die Rede ist, stammen auch aus der Feder deutscher Autorinnen und Autoren. Dieser Befund lässt die Vermutung zu, dass es sich bei dem Rettungsschirm um eine genuin deutsche Wortschöpfung handeln könnte. Die Vermutung lässt sich durch eine Reihe sprachwissenschaftlicher Untersuchungen bestätigen, die sich mit der Metaphorik der Finanzkrise beschäftigt haben. Das Gesamtbild der unterschiedlich angelegten empirischen Studien lässt recht klar erkennen, dass der Rettungsschirm eine der dominierenden Metaphern im deutschen Krisendiskurs und offenbar auch ein spezifisch deutsches Sprachgebilde ist.
Resilienz
(2018)
Im 'Posthistoire', so kann man wohl feststellen, wird die Aufgabe der Abblendung sozialer Risiken von Begriffen übernommen, die dem weiten Feld ökologischer Debatten entnommen sind. In diesem Sinne hat Norbert Bolz unlängst die inflationäre Rede von 'Nachhaltigkeit' oder 'sustainability' analysiert. [...] Die Übertragung des Begriffs der Nachhaltigkeit aus dem Bereich der Forstwirtschaft in den Bereich gesellschaftspolitischer Debatten hat ihren Grund in der utopischen Aufladung ökologischer Ansätze in den Natur- und Ingenieurswissenschaften seit den sechziger Jahren. Das von Bolz benannte Problem ist also nicht allein eines der politischen Rhetorik, sondern darüber hinaus das einer zunehmend undeutlicher werdenden epistemischen Differenz von Natur und Gesellschaft. Dies schlägt sich in der Verwendung von Begriffen nieder, die gleichermaßen natürliche und soziale Prozesse zu beschreiben vermögen und sich dabei zugleich als wirkmächtige Metaphern für die Programmatiken eines soziotechnisch ausgerichteten Regierens anbieten. Exemplarisch lässt sich dies am Begriff der 'Resilienz' studieren.