CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Marc Matters Beitrag ist der medienarchäologische Versuch, am Beispiel des Audioverlags Balsam Flex und seines Gründers E. E. Vonna-Michell von der Literaturwissenschaft häufig vernachlässigte Audioformate - experimentelle Tonkunst, Sound Poetry, Klang-Installationen - in ihrer künstlerischen und kunsthistorischen Bedeutung zu würdigen.
Lara Tarbuk widmet sich dem Gedichtband "dachbodenfund" von Nicolas Mahler, dessen Texte aus Spielzeugauktionskatalogen montiert werden. Ihre Lektüren ausgewählter Gedichte zeigen, wie, vermittelt über die montierten Texte, die Materialität des Bandes und seiner Texte selbst zum Gegenstand der Reflexion wird.
Hartmut Abendschein zeigt in seinem Beitrag, wie bibliothekarische Praktiken und Konventionen zum kreativen Ausgangspunkt von verlegerischen und schriftstellerischen Entscheidungen werden können. Die Publikationen seines Verlags edition taberna kritika formieren sich in verschiedenen Reihen, die z. B. durch ihre Metadatensätze aufeinander bezogen sind, sodass das Verlagsprogramm selbst als konzeptionelles Kunstwerk zu verstehen ist.
Am Beispiel von Hannah Höchs "Hampelfrau" problematisiert Susanna Brogi Katalogisierungs- und Klassifikationspraktiken in musealen und archivischen Kontexten und weist auf die diskursiven Zusammenhänge und weitreichenden Folgen der Benennung und Beschriftung von Artefakten für den weiteren Umgang mit ihnen hin.
Laura Basten sichtet den schriftstellerischen und künstlerischen Nachlass von Maria Benemann, einer Protagonistin im Umfeld von Expressionismus und Bauhaus, die heute allenfalls als Fußnote in den Biographien prominenter Männer gewürdigt wird. Aus der Perspektive der Editionswissenschaft reflektiert Basten die Möglichkeiten und Probleme, den Nachlass Benemanns wieder einer größeren Leserschaft zuzuführen. Neben Besonderheiten, die den Nachlass selbst betreffen, diskutiert sie dabei auch kanonpolitische Fragen und erörtert, wie eine Edition beschaffen sein müsste, die ein Werk aus bis dato nicht publizierten oder schwerlich zugänglichen Texten zuallererst herstellt.
Andreas Bülhoff und Annette Gilbert geben einen Einblick in die von ihnen im Rahmen des DFG-Projekts "Artefakte der Avantgarden 1885–2015" begründete "Library of Artistic Print on Demand". Dabei zeigen sie anhand ausgewählter Artefakte, wie PoD-Publikationen als programmatisch schlecht gemachte Bücher die Restriktionen des Literaturbetriebs und der PoD-Plattformen gleichermaßen unterlaufen. Zugleich ist der Status dieser Artefakte äußerst prekär: Der Eingang dieser Publikationen in die Bestände der Bibliotheken kann darum auch als ein kulturpolitisches Anliegen begriffen werden.
Mette Biil Sørensen demonstriert an mehreren "Foto-Texten" W. G. Sebalds die weitreichenden Folgen verlegerischer Entscheidungen zur Platzierung und Rahmung von Photographien und Schriftelementen in der 'materiellen Übersetzung' von Text und Buch-Objekten.
Die Übersetzung literarischer Werke wird meist in erster Linie mit der sprachlichen Übersetzung eines Textes aus einer Ausgangssprache in eine Zielsprache konnotiert, was Roman Jakobson mit dem in der Übersetzungswissenschaft einschlägigen Begriff 'interlingual translation' oder auch 'translation proper' bezeichnet hat. Diese Konnotation macht sich sowohl bei der allgemeinen Leser*innenschaft als auch zuweilen in der praktischen Handhabung einer literarischen Übersetzung im Verlagswesen geltend. Im Anschluss an die jüngsten Entwicklungen der Literaturforschung zur Materialität von gedruckten Büchern stellt sich jedoch die Frage, woraus eigentlich der Gegenstand einer literarischen Übersetzung besteht. Wird alleine der sprachliche Gehalt eines Textes einem Übersetzungsprozess unterzogen oder soll vielmehr das gesamte Buchobjekt in die Zielsprache und Kultur übertragen werden? Diese Frage stellt sich insbesondere bei solchen literarischen Werken, die aus mehreren bedeutungstragenden Elementen bestehen, so wie es bei literarischen "Foto-Texten" der Fall ist. In diesem Beitrag wird untersucht, welchen Einfluss die Übertragung vor allem visuell-materieller Bedeutungsträger auf die Deutungsangebote literarischer "Foto-Texte" ausübt, anhand von Beispielen aus W. G. Sebalds (1944–2001) zwei Werken "Die Ringe des Saturn" (1995) und "Austerlitz" (2001) in deutschen, englischen, dänischen und schwedischen Ausgaben.
Tobias Vogt erhellt am frühen Beispiel der hintergründigen Bildsprache der Michelin-Werbung um 1900 die untrennbare Verflechtung von Kunst, Ökonomie und Publikationsstrategien in der französischen Avantgarde und rekonstruiert zugleich die Material- und Kulturgeschichte des Kautschuks zwischen Reifenproduktion und Collage.
Christin Krüger betrachtet den Zusammenhang zwischen Gliederpuppe bzw. Marionette und der Konstitution eines (literarischen) Textes. So ist die Gliederpuppe in Heinrich von Kleists Essay "Über das Marionettentheater" nicht nur Gegenstand der Erzählung, sondern ein Phänomen des Textes selbst, indem die gegliederte Rede zum Akteur eines "Artikulationsspektakels" wird. Dies verbindet Kleists Schrift mit den über Jean Starobinski vermittelten Anagramm-Studien Ferdinand de Saussures, in denen die Gliederpuppe als zentrale Reflexionsfigur wieder auftaucht, und mit der eingehenden Beschäftigung Hans Bellmers mit Puppen, die nicht zuletzt in der Illustration von Kleists "Marionettentheater" kulminiert.
Magnus Wieland untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung von Hüten, die sich als motivischer und biographischer roter Faden durch die Kunst der Avantgarde ziehen. Vielsagend ist die etymologische Anspielung auf die 'Vor-Hüte' der Avantgarde, da sich anhand kopfloser oder fortfliegender Hüte die antibürgerliche Ästhetik der Avantgarde 'in nuce' skizzieren lässt.
Die vielgestaltige Kunst der europäischen Avantgarden hat besondere Dinge, Objekte oder Artefakte hervorgebracht, die hier ins Zentrum einer interdisziplinär erarbeiteten Sammlung historischer Fallstudien gerückt werden. Die Beiträge untersuchen aus Sicht der digitalen Gegenwart sprechende Gegenstände wie Hüte, Puppen, Bücher in print on demand, Fototexte, Audiokassetten und diverse Archivalien, zudem einzigartige kulturhistorische und künstlerische Produktionen, etwa das 'Michelin-Männchen', Hannah Höchs 'Hampelfrau' und Schreibautomaten. Eine neu akzentuierte Literaturgeschichte der Objekte zeichnet sich hier ab, zugleich eine andere Geschichte der Avantgarden von ihren Rändern her.
Die vielgestaltige Kunst der europäischen Avantgarden hat besondere Dinge, Objekte oder Artefakte hervorgebracht, die hier ins Zentrum einer interdisziplinär erarbeiteten Sammlung historischer Fallstudien gerückt werden. Die Beiträge untersuchen aus Sicht der digitalen Gegenwart sprechende Gegenstände wie Hüte, Puppen, Bücher in print on demand, Fototexte, Audiokassetten und diverse Archivalien, zudem einzigartige kulturhistorische und künstlerische Produktionen, etwa das 'Michelin-Männchen', Hannah Höchs 'Hampelfrau' und Schreibautomaten. Eine neu akzentuierte Literaturgeschichte der Objekte zeichnet sich hier ab, zugleich eine andere Geschichte der Avantgarden von ihren Rändern her.
Als Carlo Ginzburg die These formulierte, dass die Geisteswissenschaften wie die Kriminalliteratur im sog. "Indizienparadigma" gründeten, hatte er mit Sherlock Holmes einen Detektiv vor Augen, der persönlich den Tatort besichtigte. Dort erhob er Spuren, kombinierte sie und kam in oftmals ingeniösen, aber auch höchst spekulativen Schlussfolgerungen zur Lösung seines Falls. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Forschung und Fahndung muss dieses materiell und empirisch grundierte "Indizienparadigma" jedoch einer Revision unterzogen werden. Denn seit der Privatdetektiv von "Kommissar Computer" Konkurrenz bekommen hat, haben sich die Investigationspraktiken grundlegend gewandelt: So können computergestützte Fahndungs- und Aufklärungsmethoden eine Besichtigung des Tatorts ersetzen, während algorithmische Wahrscheinlichkeitsrechnung vergangene wie zukünftige Fälle erhellt. Der vorliegende Sammelband mit Beiträgen aus der Literatur-, Medien- und Designwissenschaft untersucht, inwiefern solche "virtuellen Investigationen" in Literatur und Kunst der Gegenwart eine Revision des Indizienparadigmas einschließen - und inwiefern Begriffe der Virtualität bereits die Investigativarbeit im 19. Jahrhundert prägten.
Das Fach "Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft (AVL)" beschäftigt sich mit dem Vergleich von Literatur aus verschiedenen Kulturen, Epochen und Gattungen. Der Begriff "Komparatistik" wird weitgehend synonym verwendet, legt aber einen noch stärkeren Schwerpunkt auf den Vergleich als allgemeine epistemologische Praxis, vor dem der Fokus auf Literatur in den Hintergrund geraten kann. Die Geschichte des Fachs in Deutschland reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, in dem es - in etwa zeitgleich mit den "Nationalphilologien" (hier also Germanistik) - vor allem im Sinne einer vergleichenden Literaturgeschichte entstand. Während in den Anfängen Einflussforschung und Gattungsgeschichte im Vordergrund standen, hat das Fach im 20. Jahrhundert mehrere Ausweitungen erfahren. So zählen beispielsweise auch die allgemeine Literatur- und Kulturtheorie, die Ästhetik und der Vergleich von Literatur mit anderen Medien zu den Forschungsgebieten der AVL. Schon früh wurde der grenzüberschreitende Anspruch der AVL über den von J.W. Goethe lancierten Begriff "Weltliteratur" bestimmt. Entsprechend gehört auch die Frage, wie der Begriff historisch verstanden wurde und wie er im Zeitalter beschleunigter Globalisierung zu denken ist, zu den prominentesten Debatten im Rahmen der AVL. In der ursprünglichen Konzeption von Goethe war "Weltliteratur" als Dialog zwischen den Nationalliteraturen gedacht, wobei sowohl Rezeption (des kulturell Fremden) als auch Widerspiegelung (des Eigenen in der Rezeption durch Andere) im Vordergrund standen. Heute wird die eurozentrische Orientierung des Begriffs problematisiert, aber die Frage bleibt virulent, ob und wie Literatur aus verschiedenen Kulturen und Sprachen auf eine universelle Ebene gehoben werden kann, ohne ihre spezifischen Kontexte zu verlieren.
Die theoretische Vorstellung von Berührung als einer Verbindung durch Trennung, wird, wie Karin Harrasser herausstellt, im Rahmen der politischen Nähe- und Distanzreglementierung der Corona-Pandemie zu einer alltäglichen Erfahrung, die dazu veranlasse, noch einmal neu über das Verhältnis von Berührung und Grenze nachzudenken. Harrassers Beitrag beschäftigt sich mit einem Denken des Halbdurchlässigen in drei Episoden aus Ovids "Metamorphosen" (Arachne, Marsyas und Niobe). Ihre Analyse, in der auch Diego Velázquez' Gemälde "Die Fabel der Arachne" und Tizians "Die Häutung des Marsyas" eine zentrale Rolle spielen, plädiert für das Denken eines "taktvollen Berührbarmachens" und einer Annäherung jenseits von harten Grenzen.
Dass das ZfL ihn seit Kurzem als Senior Fellow führt, passt so gar nicht zu der ungestümen Neugierde und den kreativen Energien, die sich Detlev Schöttker nicht nur bewahrt hat, sondern die jüngst über der Beschäftigung mit einem neuen Gegenstand eine neue Qualität gewonnen haben. Instantan, vehement und bedingungslos hat er sich nach dem Umzug des ZfL nach Wilmersdorf in ein neues Forschungsprojekt weniger vertieft als gestürzt. Doch recht besehen ist es kein neuer Gegenstand, sondern es sind seine alten Bekannten, die ihm rund um den Fasanenplatz wiederbegegnen. Ein größeres Geschenk als diese Nachbarschaft hätte man ihm vielleicht nicht machen können: Die literarische und kulturelle Moderne entstand hier! Der Fasanenplatz ist ein 'Freilichtmuseum' der Moderne mit Hauptmann, Brecht, Benjamin und vielen anderen. Und Detlev Schöttker wäre nicht Detlev Schöttker, wenn er die Öffentlichkeit nicht sogleich über einige seiner Funde und Entdeckungen informiert hätte. In der FAZ sind bereits mehrere Artikel von ihm über die erstaunliche Bedeutung unseres Kiezes für die Moderne erschienen.
Mit Berührung als Phänomen der Grenze und Entgrenzung befasst sich Sandra Fluhrer, und zwar in Texten, die Erscheinungen der Pflanzenwelt in Verbindung mit dem taktilen Sinnesvermögen des Menschen bringen. Ihr Beitrag untersucht Berührung als "exzentrische Denkfigur" in Johann Wolfgang von Goethes Morphologie, Emanuele Coccias "Philosophie der Pflanzen" und in der politischen Anthropologie Helmuth Plessners. Der "Metaphysik der Mischung" in Coccias Pflanzenlehre, die Fluhrer als Aktualisierung der Goethe'schen Metamorphosen und als Gegenwehr zu einem aktuellen Identitäts- und Grenzdenken liest, stellt sie Plessners auch gesellschaftliches Interesse an einem "Berühren auf Distanz" und "exzentrischer Positionalität" zur Seite, das ebenso statische Identitätsvorstellung zurückweise.
Vera Kaulbarsch findet in zwei Gedichten Rilkes, in "Die Rosenschale" und "Das Rosen-Innere", Berührung nach Novalis' Vorbild, als eine Bewegung der Annäherung und Zuwendung, der Distanz eingeschrieben bleibt. Rilke nähert sich in Kaulbarschs Lesart der Berührung nicht von außen, etwa mit männlichem Blick; die Berührungen vollziehen sich als Berührungen des Rilke'schen Dings mit sich selbst, nicht nur der Blütenblätter, sondern auch als lautliche Selbstberührungen des Kunstdings Gedicht.
Sula Textor nimmt sich Rilkes Rodin-Buch vor und rekonstruiert darin eine "Sprache der Hände": Diese präge die Studie nicht nur als Charakterisierung der Kunst des von Rilke bewunderten französischen Bildhauers und Zeichners. Textor analysiert den Übergang der "Sprache der Hände" von der Beschreibung des Rodin'schen Werks, also von der Objektebene, auf Rilkes Schreiben selbst, das, präzise modelliert an Rodin, ein "plastisches" wird.