CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Wie Tolstois Erzählung "Kreutzersonate" bereits im Titel zu erkennen gibt, steht in ihr Musik, insbesondere Beethovens, als Motiv der Kunst im Fokus. Die Wechselwirkung der beiden Medien, Literatur und Musik, anhand der Erzählung zu analysieren, bietet sich dementsprechend an. Die intermedialen Bezüge verdeutlichen, wie sich die Dreiecksbeziehung zwischen den handelnden Figuren Posdnyschow, seiner Frau und Truchatschewskij entfaltet. Bei der Analyse ist zwischen verschiedenen Formen von intermedialen Bezügen zu unterschieden. Zum einen finden sich Textstellen, in denen nur der Begriff Musik oder bekannte musikalische Bezeichnungen, wie Klavier oder Geige, enthalten sind, zum anderen musikalische Fachtermini, wie Andante, Presto, Arpeggio oder crescendo. Diese Begriffe werden teilweise nur beiläufig erwähnt, spielen jedoch, wie aus der Analyse hervorgeht, häufig eine wichtige Rolle für die Interpretation. Den Leser*innen wird, je nach musiktheoretischem Vorwissen, ermöglicht, sich in die Lage des Protagonisten zu versetzen und zu identifizieren. Die große Bedeutung der Musik für Tolstoi und seine musiktheoretischen Überlegungen werden vor allem durch Einblicke in sein Traktat "Was ist Kunst?", in seine Tagebücher und diejenigen seiner Frau verdeutlicht. Auch wenn die Gedanken zu Musik und anderen Künsten nur auf die beiden letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts begrenzt werden, lassen diese den besonderen Stellenwert erahnen, den Musik in Tolstois literarischem Werk innehat.
Wie Tolstois Erzählung "Kreutzersonate" bereits im Titel zu erkennen gibt, steht in ihr Musik, insbesondere Beethovens, als Motiv der Kunst im Fokus. Die Wechselwirkung der beiden Medien, Literatur und Musik, anhand der Erzählung zu analysieren, bietet sich dementsprechend an. Die intermedialen Bezüge verdeutlichen, wie sich die Dreiecksbeziehung zwischen den handelnden Figuren Posdnyschow, seiner Frau und Truchatschewskij entfaltet. Bei der Analyse ist zwischen verschiedenen Formen von intermedialen Bezügen zu unterschieden. Zum einen finden sich Textstellen, in denen nur der Begriff Musik oder bekannte musikalische Bezeichnungen, wie Klavier oder Geige, enthalten sind, zum anderen musikalische Fachtermini, wie Andante, Presto, Arpeggio oder crescendo. Diese Begriffe werden teilweise nur beiläufig erwähnt, spielen jedoch, wie aus der Analyse hervorgeht, häufig eine wichtige Rolle für die Interpretation. Den Leser*innen wird, je nach musiktheoretischem Vorwissen, ermöglicht, sich in die Lage des Protagonisten zu versetzen und zu identifizieren. Die große Bedeutung der Musik für Tolstoi und seine musiktheoretischen Überlegungen werden vor allem durch Einblicke in sein Traktat "Was ist Kunst?", in seine Tagebücher und diejenigen seiner Frau verdeutlicht. Auch wenn die Gedanken zu Musik und anderen Künsten nur auf die beiden letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts begrenzt werden, lassen diese den besonderen Stellenwert erahnen, den Musik in Tolstois literarischem Werk innehat.
What if one thinks not in terms of shared meanings or contents, but rather in terms of iterable gestures available for reenactment in different times and places in order to conceive of a cross-cultural world of literature? This essay sets out to explore, within the discursive mode of the lyric, whether the notion of gesture could be more helpful than meaning-based translation to account for the transferability of literary texts and for envisioning a form of community based on the shareability of certain gestures. To do so, it will look at how the act-event of reading described by Derek Attridge is processed in two cases in which poems are transferred from an earlier authoritative tradition into a new one.
Als Forschungsfeld der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft ist die Karibik aufgrund ihrer Sprach- und Kulturvielfalt eigentlich prädestiniert, doch wird sie aus komparatistischer Perspektive eher stiefmütterlich behandelt. Je nach Sprachraum scheint sie dagegen entweder aus anglistisch-amerikanistischer oder romanistischer Perspektive eingenommen zu werden. Komparatistische innerarchipelische als auch transatlantische Studien, die auch nicht-romanischsprachige Literaturen berücksichtigen, sind im Vergleich zu einzelphilologischen Studien rar. [...] In Europa zu verortende Autor*innen verhandeln Transkulturationsprozesse nicht nur in fiktionalen, sondern - wie ihre karibischen Kolleg*innen - auch in poetologischen Texten, in denen sie sich mit transkulturellen Prozessen als kaum zu ignorierende Voraussetzung für ihr Schreiben beschäftigen, über diese transkulturelle Prozesse reflektieren und eine transkulturelle Schreibweise als Konsequenz diagnostizieren. Tatsächlich lässt sich eine Tendenz zu einer poetologischen Reflexion über transkulturelle Phänomene als auch transkulturelle Schreibweisen bei europäischen Autor*innen erkennen. Fraglich ist vor diesem Hintergrund also, ob Europa von karibischen Ideen zur Transkulturalität profitieren kann. Damit werden die europäisch-karibischen Beziehungen aus einer neuen Perspektive beleuchtet: Nicht der Einfluss europäischer Literatur auf die karibische steht im Sinne eines postkolonialen 'writing back' im Mittelpunkt, sondern die Karibik wird zum Modell für Reflexionen über europäische (literarische) Transkulturationsprozesse. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit karibische Poetiken - und gemeint sind damit vor allem poetologische Reflexionen in Form von Manifesten, aber auch Schreibweisen - nicht nur als Modell für eine transkulturelle Poetik in Europa fungieren können, sondern inwieweit transkulturelle Poetiken als neue weltweit aktuelle und über ein neues Weltbewusstsein reflektierende Poetik - als Weltpoetik - betrachtet werden können. Diese Fragen können im Folgenden noch nicht beantwortet werden, vielmehr skizziert der Beitrag einem Problemaufriss. In einem ersten Schritt möchte ich verdeutlichen, inwieweit sich in theoretischen Ansätzen zur Transkulturalität, vor allem den neueren Studien zur Postmigration die Tendenz beobachten lässt, Transkulturalität nicht mehr als Ausnahmezustand, sondern als Normalfall zu begreifen. Darauf folgt ein exemplarischer Blick auf drei Gegenwartsautor*innen, Salman Rushdie, Yoko Tawada und Ilija Trojanow, die in poetologischen Texten - 'transkulturellen Poetiken' - kulturellen Austausch nicht nur als Kulturphänomen beschreiben und sich damit als Kulturpoetolog*innen zeigen, sondern auch über die Konsequenzen dieser transkulturellen Prozesse für das eigene transkulturelle Schreiben reflektieren. Vergleichend werden diesen Reflexionen Überlegungen aus karibischen transkulturellen Poetiken gegenübergestellt und die Frage wird aufgeworfen, ob sie als Modell nicht nur für einen europäischen, sondern für einen weltweiten Kontext betrachtet werden können, sodass sich abschließend die Frage nach einer neuen Weltpoetik nach karibischem Vorbild stellt.
Treue Bilder, quantifizierte Prozesse : fotografische Exaktheit zwischen Hochschule und Industrie
(2021)
In Stephan Grafs Beitrag, der sich mit den Vorgängen im Photographischen Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich befasst, nimmt die Imagination eine bloß marginale Rolle ein. Wie Stephan Graf zeigt, gewinnt nach 1945 John Eggerts auf die 1920er Jahre zurückgehende Erforschung der physikalisch-chemischen Grundlagen der Fotografie an Bedeutung, d. h. das Streben nach Quantifizierbarkeit des fotografischen Prozesses. Der deutsche Physikochemiker verspricht sich schließlich Mitte der 1950er Jahre von der exakten Messung und Analyse abstrakter, in Graustufen gehaltener Bildresultate eine Systematisierung der experimentellen Variationen und letztlich eine gezielte Reproduzierbarkeit des Belichtungsverfahrens. In diesem Sinne werden die Voraussetzungen für die Entstehung und Sichtbarwerdung eines bloß latenten Bildes geklärt und grafisch veranschaulicht.
Anatol Heller vermittelt zwischen den Annäherungen von Phänomenologie und Kunst. Sein Aufsatz untersucht die Funktion der Selbstbetastung bei Hofmannsthal und Palágyi und greift hierbei auf Husserls Berührungsszene der Hände zurück. Heller geht es vor allem um die tastende Realitäts- und Selbstversicherung, etwa an der Grenze von Traum und Wirklichkeit. In seiner Lektüre stabilisiert das Tasten jedoch nicht die Hierarchie von 'echter' Realität und bloßem Traum oder Fiktion, sondern zeigt im Gegenteil, wie auch das 'Handfeste' auf Fiktionalität und Inszenierungsstrategien aufbauen muss.
In den im Folgenden vorgestellten Romanen werden Uhrensammlungen beschrieben, die nicht nur auf der Ebene der Handlung von Bedeutung sind, sondern auch als Reflexionsmodelle der Romanwelten, in denen sie ihren Ort haben. Von ihrer Konzeption und Darstellung her erschließt sich auch die Poetik dieser Romane, insbesondere mit Blick auf deren implizite Konzeptualisierung von Zeit, Geschichte und Erinnerung. Und auf jeweils spezifische Weise gleicht sich die Darstellungsweise der Romanerzähler gerade anlässlich der beschriebenen Uhrensammlungen dem eigenen Gegenstand an.
Ingeborg Bachmanns Text "Undine geht" wird mitunter als Verhandlung einer existentiellen "Sprach- und Wahrnehmungskrise" verstanden. Hier verabschiedet sich die mythisch-märchenhafte Protagonistin aus der Kommunikation mit ihrem menschlichen Gegenüber Hans. Die Sprache, so die Ausgangsthese der folgenden Überlegungen, ist jedoch noch auf einer weiteren Ebene von Relevanz: Undine geht wurde zuerst im Radio gesendet und steht somit in der Nähe des Hörspiels. Auch wenn Undine geht nicht als Hörspielfassung publiziert ist, wurde der Text 1961 doch zunächst als solche mit Bachmann als Sprecherin produziert und gesendet. Erst im Anschluss erfolgte die Publikation in einer Zeitung und in Prosaform. Um dieser Textgenese gerecht zu werden, bedarf es in der Analyse einer nicht rein literaturwissenschaftlichen Perspektive, sondern auch der Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen. Für Undine geht sind Stimmlichkeit und Sprachvollzug wesentlich. In der durch Mündlichkeit und Performanz geprägten Ersterscheinung ist die Sprache nicht nur literarisch, sondern auch als Klangkörper von Gewicht. In der Auseinandersetzung mit diesen formalen Momenten des Textes, die in einem transmedialen Verständnis als theatral gelten können, soll deutlich werden, wie Undines Rede durch und für eine mündliche Darbietung generiert wurde. Dabei besteht Bachmanns Text keineswegs nur aus Undines Ansprache an Hans, sondern aus einer mindestens dreistelligen Konstellation [...] In einem ersten Schritt soll Bachmanns Zugriff auf das Märchen im Vergleich mit früheren Bearbeitungen des Stoffes betrachtet werden. Insbesondere in der Gegenüberstellung mit der Bühnenfassung lassen sich Veränderungen und Zuspitzungen feststellen, die den Hörspiel-Charakter des Textes hervortreten lassen. In einem zweiten Schritt stehen die einander sehr ähnlichen Fassungen des Hörspielmanuskripts, der Radio-Aufnahme und des Buchabdrucks von Undine geht im Vordergrund. Hierbei werden die verschiedenen medialen Erscheinungsformen und die Bedeutung des originär Akustischen von Bachmanns Textversionen verhandelt.
Elisa Linseisen plädiert mit ihrem Beitrag für eine kuratorische Anteilnahme, die die heterogenen filmischen Existenzweisen (vom Distributionstext, zum nicht umgesetzten Drehbuch, zur Erinnerung an den abgebrochenen Dreh) bis in ihr Potenzial sichtbar macht. Als Untersuchungsgegenstand dient ihr der Dokumentarfilm Mariam Ghanis "What We Left Unfinished" (USA/Afghanistan/Qatar 2019), an dem sie exemplarisch zeigt, dass 'unfertige' Filme nicht als "ästhetisch formatierte Bruckstücke" untersucht werden sollten, sondern als "materialisierte Momentaufnahmen eines Produktionsprozesses, der nicht in der Fertigstellung eines als autonom wahrgenommenen Werks resultiert." (Linseisen) Durch diese Perspektivierung von Filmen als prinzipiell vorläufigem, intermedialen Material, das nicht notwendigerweise in einer Endversion fixiert werden muss, macht sie ein "Zuviel des Filmischen" aus, das "alternative medial-affektive Konstellationen des Kuratierens mit sich und dadurch Potenziale jenseits filmhistorischer Dominanzmuster hervorbringt" (Linseisen).
Cette contribution se consacre à la réception de Spitteler au sud des Alpes. Elle décrit notamment l'intérêt de Severino Filippon - germaniste et traducteur luganais - pour son oeuvre, ainsi que la perception du poète épique de Liestal dans les principaux journaux de la Suisse italienne. Il s'avère que Spitteler jouissait d'une certaine notoriété au Tessin, même s'il était loin d'être perçu de la même manière qu'un Francesco Chiesa. Cela n'était pas uniquement dû à une ignorance au sud des Alpes: dans ce contexte culturel, le massif du Saint-Gothard constituait en effet une fracture bien plus importante pour la Suisse que le "fossé" habituellement décrit.
What are called 'natural languages' are artificial, often politically instituted and regulated, phenomena; a more accurate picture of speech practices around the globe is of a multidimensional continuum. This essay asks what the implications of this understanding of language are for translation, and focuses on the variety of Afrikaans known as Kaaps, which has traditionally been treated as a dialect rather than a language in its own right. An analysis of a poem in Kaaps by Nathan Trantraal reveals the challenges such a use of language constitutes for translation. A revised understanding of translation is proposed, relying less on the notion of transfer of meaning from one language to another and more on an active engagement with the experience of the reader.
Paul Gilroy verweist in seinem "The Black Atlantic" auf Walter Benjamin, dessen Konzept der "Urgeschichte" der Moderne ihm insbesondere wegen aus der jüdischen Mystik übernommener Elemente für die Konstruktion einer Alternative zur Siegergeschichte geeignet erscheint. [...] Wie lässt sich ein notwendig diskretes mystisches Eingedenken gegen das unausweichlich dröhnende Triumphgeschrei der Sieger diskursiv umsetzen? So klar auch sein mag, dass die konstitutive Voraussetzung für die Konstruktion und das Schreiben der Geschichte der Unterdrückten nur darin liegen kann, den Namenlosen zuzuhören, bleibt gleichwohl die Frage nach der Möglichkeit der Darstellung einer Geschichte der Namenlosen. Lässt sich Geschichte überhaupt jenseits einer vermeintlich unentrinnbaren Dialektik von Siegern und Verlierern, mithin anders darstellen als in der Sprache und aus der Warte der Sieger? Um Missverständnissen vorzubeugen: Im Folgenden soll nicht Walter Benjamin zum Vordenker des Post-Kolonialismus stilisiert oder in aktuelle de-kolonialistische Debatten hineingezwängt werden. Stattdessen dient Gilroys intuitive Hinwendung zu Benjamin als Ausgangspunkt für die Suche nach einer Alternative zu der in Europa bis heute bestimmenden Geschichtsschreibung aus der Warte der Sieger.
Le discours "Notre point de vue Suisse" de 1914 rend Carl Spitteler populaire en Suisse romande. Les célébrations de son 70ème anniversaire y sont spécialement solennelles et chaleureuses. Par la suite, la majeure partie de son oeuvre est traduite en français. Encouragé par Romain Rolland, le plus illustre de ses admirateurs francophones, Charles Baudouin (1893-1963), psychanalyste français domicilié à Genève, se met à traduire les trois grandes épopées de Spitteler. Cet immense travail, enfin achevé dans les années 1950, n'arrive pas à réanimer l'intérêt pour le poète. Mais ces traductions nous ouvrent les yeux sur l'originalité du vers Spittlerien.
Verpackt in Feedbackschleifen : Einblicke in Digitale Lehrformate des digitalen Sommersemesters
(2021)
Mit der pandemiebedingten Notwendigkeit im Sommersemester ausschließlich digital zu unterrichten ging eine große Frage einher: "Wie komme ich in Kontakt mit unseren Studierenden?" und mehr noch "Wie halte ich diesen Kontakt?" Studierende sind untereinander im Idealfall durch Messenger-Gruppen verbunden, für uns Dozierende bleibt häufig nur ein Kanal: die traditionelle E-Mail. Viele Studierende fragen ihre universitätseigene E-Mail nicht ab oder leiten sie nicht auf eine private E-Mail-Adresse um, was für uns im Grunde bedeutete, dass nur unsere Homepage als sicherer aber eben auch einseitiger Informationskanal zur Verfügung stand. "Wegweiser" zu den neuen digitalen Räumen konnten hier zwar aufgestellt werden, was in diesen Räumen aber angeboten wurde, sollte m.E. interaktiv an die Bedarfe unserer Studierenden angepasst werden. Es brauchte also eigentlich sogar mehr Interaktion als in analogen Lehrveranstaltungen. Daher war für mich bei der Transformation der für das Sommersemester geplanten Lehrveranstaltungen die Integration von Interaktionsmöglichkeiten ein zentraler Aspekt, ein Prozess der selbst aber eben auch ein Trial and Error-Verfahren war, der ohne Feedback ins Leere gelaufen wäre. Nachfolgend möchte ich ein Seminar und drei Formate vorstellen, die Feedback und Interaktion auf unterschiedliche Weise integrieren.
Virtuelle statt realer Präsenz : Begriffe und Konzepte für die digitale Lehre in der Germanistik
(2021)
Angesichts der Neuheit und Vielfalt digitaler Lehr-Lernformate im Sommersemester 2020, dem sog. Corona-Semester, zielt der Beitrag auf einen Überblick über Begriffe, Konzepte und Formate von digitaler Lehre, der sowohl aktuelle Erfahrungen als auch frühere Entwicklungen des E-Learnings berücksichtigt und abschließend digitale Gestaltungsoptionen für virtuelle Präsenzphasen empfiehlt.
Vom Bild über den Text zur Musik : Frans Masereels "Die Passion eines Menschen" und ihre Adaptionen
(2021)
Im Mai 1938, kurz nachdem die Truppen Hitlers in Österreich einfallen, findet in Zürich eine denkwürdige Uraufführung mit mehr als achthundert Beteiligten statt, die nach nur zehn Präsentationen 20.000 Zuhörer und Zuschauer in ihren Bann zieht. Es handelt sich um das Chorwerk "Jemand. Eine weltliche Kantate"; eine Inszenierung, der Frans Masereels berühmte Holzschnitt-Serie "Die Passion eines Menschen" zugrunde liegt. Dieses Stück ist sehr deutlich seiner Zeit verhaftet. Insofern wertet die (nur spärlich vorhandene) Forschung es zwar als das "populärste Werk revolutionärer Dichtung" der Vorkriegszeit, aber eben auch als Opus mit "rein historischer Bedeutung", das man heute keinesfalls mehr aufführen könne und nur der Vollständigkeit halber noch in den entsprechenden Künstlermonographien erwähnen müsse. Ein solch eindeutiges Urteil lässt sich allerdings durchaus differenzieren. So relativiert es sich etwa, wenn man sich die grundsätzliche Frage stellt, welche Spielräume Künstler und Schriftsteller in einer Zeit extremer politischer Repression und offenkundiger staatlicher Gewalt haben. Welche Möglichkeiten bleiben ihnen für ihre Kunst, wenn sie sich herausgefordert sehen, mit ihrer Grafik, ihrem Text und ihrer Musik politisch Stellung zu beziehen? Die folgende Auseinandersetzung mit dem Chorwerk soll zeigen, dass seine besondere Wirkung gerade durch eine eigentümliche Verbindung aus zeitgebundenen Elementen, historischem Kontext und einer überzeitlichen Dimension entsteht.
Wie vielleicht schon die kippenden Bezüge, insbesondere des timeshifters "Now", in den ersten Versen von "Richard III" aufzuzeigen vermögen, adelt Tom Bishop (Shakespeare and the Theatre of Wonder) Shakespeare völlig zu Recht dafür, auf metatheatrale Weise die Zuschauer*innen auf das Spiel zwischen den Zeiten, auf die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem in der Performanz des Theaters aufmerksam zu machen. Shakespeares Tanz auf der Fiktionsgrenze, zwischen den Zeiten, beschränkt sich aber nicht auf Aufklärungsarbeit über die Funktionsweise des Mediums Theater. Sein Spiel mit dem schillernden "Now" ist radikaler, weil es auch die rahmende Gegenwart (der Rezeption) - die Gleichzeitigkeit - erfasst, auf der das theatertypische Spiel zwischen den Zeiten bequem aufruht. Diese These soll im Folgenden an Shakespeares Tempest knapp skizziert werden. [...] Der zweite Text, den ich einer ausführlicheren Lektüre im Hinblick auf ein unbequemes Verhältnis der Zeiten unterziehen möchte, ist so klassisch, dass die Beschäftigung mit ihm fast verzichtbar erscheint: Laurence Sternes "Tristram Shandy". Sternes Meisterwerk ist für die Frage nach der Poiesis der Un(-Gleichzeitigkeit) des Un(gleichzeitigen) aber nicht nur ein historischer Meilenstein, sondern erweist sich bei näherem Hinsehen auch als herausfordernd komplex. [...] Sternes "Tristram Shandy" stellt den Leser*innen den Zwie-gang ('di-gression') einer (Un)gleichzeitigkeit des (Un-)Gleichzeitigen vor Augen. Die sonderbare Erzählmaschine konfrontiert die Leser*innen mit ihrem bizarren, staunenerregenden und erheiternden Mechanismus - der sich zu erkennen gibt, thematisch aber nicht in die erzählte Welt rückgebunden ist. Die Maschine hat zudem außerhalb der Narration kein Korrelat, sie kann deshalb ein Kuriosum bleiben, das wenige Folgen zeitigt für die Art, wie wir 'unsere' nichtfiktive Welt ordnen und ihr Sinn geben. In just jenem Zug unterscheidet sich Sternes Roman von Marcel Prousts monumentaler "À la recherche du temps perdu", der die verbleibenden Seiten dieses Artikels gewidmet sein sollen.
Mit der Darstellbarkeit des Denkprozesses an sich beschäftigt sich der französische Lyriker und Philosoph Paul Valéry. Denn durch die Materialisierung dieser Prozesse, d. h. durch den Versuch der exakten Dokumentation, werden sie analysierbar und ihr Potential allererst begreifbar. Technische Genauigkeit wird hierbei zum methodischen Ideal. Gemäß dem Beitrag von Lucas Knierzinger sucht Valéry explizit nach einer präzisen, systematisierenden Notationsform, die mit dem variierenden Schreibfluss seiner "Cahiers" in Spannung tritt und den in der Handschrift sedimentierten Denkprozess in Erscheinung treten lässt. Mit Eggerts laboratorischen Versuchsanlagen vergleichbar, bezeichnet Valéry die Interaktion von Lesen und Sehen bei der anschließenden kritischen Betrachtung dieser faksimilierten Manuskriptseiten auch als analytische 'machine à lire'.
Wenn augenblicklich Kunst, so die These, vom ehemals hehren Podest im Idealfall origineller, zumindest aber per Gesetz unter der Vorstellung der Urheberschaft verankerter und daher sakrosankter individueller Eigenleistung zum jederzeit und von jedermann bearbeitbaren Allgemeingut wird, passiert etwas, was es so wohl noch nicht gab, und auf das wiederum Kunst selbst reagiert oder nämlich allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung zu reagieren hat. Kunst ist, wenn man so will, gleichsam demokratisiertes Allgemeingut, wird also nicht mehr als autark vorliegendes Artefakt erkannt, welches kompromisslos für sich steht und notwendigerweise, um Kunst zu sein, für sich stehen muss. Daran gekoppelt ist eine neue Selbstverständlichkeit, mit welcher gewisse, noch zu diskutierende Ansprüche an kulturelle Erzeugnisse gestellt, gar rigoros gefordert und diese Forderungen zudem von Seiten des vormals schweigenden Publikums selbst durchgesetzt werden. Beides, die Aktionen des vordem nur rezipierenden Publikums und jetzigen (Teil-)Akteurs einerseits, die Reaktion der Kunstschaffenden andererseits, wird an dieser Stelle nachvollzogen, analysiert und eingeordnet.