CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Der Workshop "Nationale Spezifika und internationale Aspekte in der Wissenschaftsentwicklung – unter besonderer Berücksichtigung der Narratologie" soll, so die Organisatoren in ihrer Einladung – "Gelegenheit bieten, Bedingungen und Möglichkeiten integrativer Ansätze zur Untersuchung von Wissenschaftsprozessen zu diskutieren und wichtige Faktoren der Wissenschaftsentwicklung zu benennen und kritisch zu beleuchten." Die Produktion, Distribution und Rezeption von Wissenssystemen vollziehe sich, schreiben die Organisatoren, "in unterschiedlichen nationalen und internationalen sozialen Räumen, die sowohl die Form als auch den kognitiven Gehalt von Theorien mitunter stark mitstrukturieren, ihre Durchsetzung begünstigen oder behindern. Das wird besonders deutlich, wenn man Transferprozesse von Theorien verfolgt." Den Begriff des Wissenstransfers, der hier in Anschlag gebracht wird, möchte ich in meinem Beitrag einer terminologischen Klärung zuführen. Dazu möchte ich zunächst einige terminologische Überlegungen über den Status der Teilbegriffe anstellen, aus denen der Begriff zusammengesetzt ist (I.), dann die Verwendung des Begriffs in verschiedenen disziplinären Kontexten beobachten (II.) und schließlich einen Vorschlag für eine differenzierte Verwendung des Begriffs als Analysekategorie der Wissenschaftsentwicklung machen (III).
Aus dem Leben das Werk und aus dem Werk das Leben zu verstehen, lautet die Devise. Das Leben lässt sich deshalb aus dem Werk verstehen, weil auch und gerade das Werk, wie Peter Szondi Schleiermacher referiert, „aktive, aktuelle Äußerung des Lebens“ ist. Gerade dort, wo es Werk wurde, war das Leben wirklich Leben im Sinne Schleiermachers „hervorbrechendem Lebensmoment“ […], also bezeichnend für den Autor als Individuum und nicht gleichgültig allgemein. Aus der Menge der Erlebnisse eines Lebens gelten also nur die als wichtig, die es wert sind, in die Welt der Dichtung einzugehen. So kann der Interpret bei seiner Arbeit gar nicht fehlgehen, da am Leben des Autors nur das von ‘bleibender Bedeutung’ ist, was vom Werk ‘abgespiegelt’ wird. Im Zirkel zwischen Leben und Werk, Wahrheit und Dichtung bleibt dann nichts mehr übrig, das zum wechselseitigen Verstehen nichts beitrüge – alles andere wird aus der hermeneutischen Lektüre ausgeschlossen. Ich möchte nun diesem hermeneutischen Zirkel bei der Arbeit zusehen, um seine ungeheure Produktivität und seine Grenzen zu erkunden. Dazu greife ich aus der deutsche Literaturgeschichte einen Fall heraus, der besonders geeignet ist, die selbstverständliche Annahme eines Zusammenhang von Leben und Werk bei der Produktion wie der Rezeption von Texten vorzuführen und zu irritieren[:] Der Fall George Forestier.
Die von Hegel übernommenen und in zahlreichen Romanen lancierten Stereotypen haben noch heute nichts von ihrem suggestiven Potential verloren, denn sie schaffen einfache Evidenzen in einer komplizierten Welt. Die Legende vom Durchschnittsbürgerkonsumenten, der nicht einmal weiß, wo Afghanistan liegt, ist symptomatisch für die Aktualität des Jahrhunderte alten Paradigmas der "Erfindung Amerikas".
Literatur ist mehr als eine Belegstelle für literatur- oder medientheoretische Thesen, anderseits erschließt sie sich nicht selbst, sondern antwortet auf Bezugsprobleme. Das Problem, das ich mit Blick auf "Schrift" an Heinrich Heine herantragen möchte, ist die Frage, ob die Literatur sich selbst als Medium beobachtet und ob mit der Figur des 'Jehuda ben Halevy' womöglich Autorschaft unter Bedingungen konkurrierender Medien reflektiert wird. Meine medienkomparatistische Lektüre zielt auf jene Medien der Literatur, die Heine im 'Romanzero' thematisiert und als Bedingung seines eigenen Schreibens reflektiert. Ausgehend von dieser vergleichenden Analyse der Medien des 'Romanzero' werde ich in einem zweiten Teil die hinzugezogenen Medientheorien daraufhin befragen, welche Fragen sie an die Literatur herantragen und welche Antworten sie auf Probleme literarischer Texte geben können.
Da das Singuläre im Aktionsbereich des Literarischen einen angestammten Ort der Verhandlung und der Ausgestaltung hat, stellt sich die Frage, inwiefern der Literatur selbst eine hiatische Funktion, das heißt die Funktion einer "Atemwende", eines Richtungswechsels, oder weniger luftig gedacht: die Funktion eines Aktes, einer Veränderung bewirkenden Kraft zukommt.
»Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muß es« – so folgerte Robert Musil zu Beginn des 20. Jahrhunderts – »auch einen Möglichkeitssinn geben.« Darunter versteht er die Fähigkeit, »alles, was ebenso gut [auch] sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen, als das, was nicht ist.« Mit dem Begriff des Möglichkeitssinns, der auf die Relativität und Alternativität des individuellen Denkens sowie auf die Utopie eines anderen, hypothetischen Lebens verweist, hat Robert Musil in seinem Jahrhundertroman Der Mann ohne Eigenschaften dem Kontingenzbewusstsein des modernen Menschen Ausdruck gegeben, welches am Ende des 20. Jahrhunderts zum Grundmodus der Existenz und der Verfasstheit des Individuums überhaupt werden sollte. Dem Begriff der Kontingenz liegt bei aller Unschärfe ein grundlegendes, auf Aristoteles zurückgehendes Verständnis zugrunde, welches Niklas Luhmann folgendermaßen definiert: Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist, noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.
Mit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine ist die Osteuropaforschung, die in der Öffentlichkeit jahrzehntelang eine eher marginale Rolle spielte, ins Rampenlicht gerückt. Osteuropawissenschaftler:innen analysieren das laufende Kriegsgeschehen, erläutern vorangegangene Entwicklungen, informieren über die russische Imperialgeschichte und das lange Ringen der Ukraine und anderer ehemaliger Sowjetrepubliken um Unabhängigkeit. Kurz: Sie vermitteln komplexes Wissen über Politik und Geschichte, Sprache und Kultur eines Raums, der von jahrhundertelangen Grenzverschiebungen, vielsprachigen und multireligiösen Bevölkerungen und generationsübergreifenden Gewalterfahrungen gekennzeichnet ist. Aufgrund der medialen Berichterstattung infolge des Kriegs ist die Ukraine zwar keine Terra incognita mehr. Doch es bedarf weiterhin der Wissensvermittlung in die breitere Öffentlichkeit, damit sie und andere ehemalige sow jetische Länder als eigenständige Akteure und Subjekte der eigenen und europäischen Geschichte und nicht immer nur in Bezug auf Russland wahrgenommen werden.
Felicitas Hoppe entwickelt in ihrer fiktionalen Autobiografie 'Hoppe' (2012) ein komplexes Spiel mit Erzähl- und Erzählerkonventionen, Gattungs- und Leseerwartungen sowie mit Fakt und Fiktion. Offensichtlich changiert der Status dieses Textes: Für Fiktionalität sprechen etwa die paratextuelle Gattungskennzeichnung als "Roman", die Umschreibung auf dem Klappentext als "Traumbiographie" sowie die Rezeption als "Metaautobiografik". Auf Faktualität wiederum deuten eine ganze Reihe von epitextuellen und habituellen Inszenierungspraktiken hin, die den Text, gerade weil er gar nicht erst versucht, bloße Fakten zu schildern, als eine 'wahrhaftige' Autobiografie der 'realen' Autorin Felicitas Hoppes markieren. Der Text ist damit – wie es in Definitionen der Debatte um 'Autofiktion' heißt – von einer "oszillierenden Ungewissheit" zwischen autobiografischem und romaneskem Pakt, zwischen Fakt und Fiktion geprägt.
Integrationskomik : "Odyssee" und "Wilhelm Tell" in C. F. Meyers Novelle "Der Schuss von der Kanzel"
(2016)
Für die Integrationskomik der Novelle ist das Zusammenspiel von Figuren- und Textebene ausschlaggebend. Die als fremd dargestellten, orientalisierten Figuren im Gefolge des Generals Wertmüller werden durch die Sprachkomik misslingender Kommunikation integriert (Hassan) oder aber zu imaginären Projektionen, die am realen Erscheinen der Figur vorbeigehen: Anstelle 'der Türkin' sind nur "orientalische Schemen" am Werk. Auch der General ist Gegenstand solcher Projektionen des Fremden, zugleich aber eine handlungsmächtige Mittlerfigur sowohl zwischen der sozialen Gemeinschaft von Mythikon und deren vorgestellten Fremden als auch zwischen der Figuren- und der Textebene der Integration. Über ihn läuft das Verfügbarwerden der Gründungserzählung in Mythikon; der antike Mythos, um den es dabei geht, wird speziell akzentuiert. Als Inbegriff der Reise, der Begegnung mit fremden Welten und der Heimkehr hat die 'Odyssee' einen Helden, der am Ende als Gast am eigenen Herd auftritt. So eine Gastfigur ist und bleibt auch Wertmüller, während Pfannenstiel heimisch wird. Am Ende nutzt die Erzählung die Attribute des Dunklen und Unheimlichen, mit denen die realistische Novellistik typischerweise fahrende Fremde markiert, um ihre integrative Schlüsselfigur dezidiert auszugrenzen.
Exil und Migration : minoritäres Schreiben auf Deutsch im 20. Jahrhundert - von Kafka bis Zaimoglu
(2012)
Die Begriffe 'Exil' und 'Migration' miteinander in Beziehung zu setzen erscheint zugleich zwingend und erklärungsbedürftig. Zwingend ist es aus systematischen Gründen, denn wer freiwillig oder gezwungenermaßen seine Heimat verlässt um ins Exil zu gehen, der wandert aus und wird zum Migranten. Für viele der nach 1933 vor den Nationalsozialisten Geflohenen begann mit der Flucht oder Vertreibung eine fundamental unsichere Zeit des Unterwegsseins, die in dem Maße wie sich der nationalsozialistische Herrschaftsbereich ausdehnte immer neue Ziele und Aufenthaltsorte bedeutete. Fast alle Migrantinnen und Migranten haben nach der Vertreibung, dem Verlust ihres bisherigen Daseins, extrem schwierige Arbeits- und Lebensbedingungen vorgefunden. Den Kunstschaffenden, vor allem den Schriftstellern, fehlte mit einem Schlag das muttersprachliche Umfeld und ein entsprechendes Publikum, was viele in ihrer intellektuellen und wirtschaftlichen Existenz bedrohte.
Das alles ist bekannt. Erklärungswürdig ist die Rede von 'Migration' gegenüber dem in der Forschungstradition häufigeren Begriff 'Emigration'. 'Migration' betont den Prozesscharakter des Auswanderns, was historisch plausibel ist und, darum soll es im Folgenden gehen, neue literaturgeschichtliche und literaturtheoretische Anschlussmöglichkeiten eröffnet. Die Beschäftigung mit den Texten, die unter den schwierigen Bedingungen des Exils entstanden sind, hat in der Nachfolge der Pionierarbeit von Walter A. Berendsohn innerhalb der Germanistik einen eigenständigen Forschungszweig hervorgebracht, dessen Institutionalisierung fortwährend von Methodendiskussionen begleitet worden ist.
Wir alle wissen, was ein Zeuge ist: Ein Zeuge ist ein Beobachter, der über das, was er gesehen oder gehört hat, möglichst wahrheitsgemäße Aussagen machen soll. Wird der Auftritt des Zeugen wiederum beobachtet, sind noch komplexere Beobachtungsverhältnisse im Spiel, es entsteht die Situation einer Beobachtung zweiter Ordnung, die in Gerichtsverhandlungen die Regel ist. Der Zeuge wird dort in den Zeugenstand gerufen, er wird befragt und macht seine Aussage vor den Augen des Gerichts und der anwesenden Öffentlichkeit.[...] Es waren die Ideale der Aufklärung, die dem geheimen Prozess ein Ende bereiteten. Aufklärung – das hieß in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch und gerade im Recht: Nichts soll mehr unbeobachtet im Verborgenen entschieden werden. Ich komme im Folgenden auf den damit verbundenen medialen Wandel im Strafverfahren zu sprechen und will die Zeit des Übergangs vom schriftlichen zum mündlichen Prozess näher beleuchten und in einer These schürzen, die sich mit der Rolle der Literatur in dieser Übergangszeit beschäftigt. Meine These lautet kurz gefasst: Der Übergang zum öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahren ist mit einer Dramatisierung des Rechts verbunden, die in der unmittelbaren Beobachtung des Zeugenauftritts ihre Schlüsselszene hat.
Als eines der Hauptprobleme der Rezeption deutscher Kultur in Frankreich kann die Dichotomie von Dekontextualisierung vs. Hyperkontextualisierung bezeichnet werden, wobei man das Bild von den zwei Seiten derselben Münze benutzen könnte. Die damit verbundenen Interpretationsansätze bewirken einerseits, dass bei der Auseinandersetzung mit deutscher Literatur, Philosophie und Kunst der historische, politische und soziale Kontext oft vernachlässigt oder gar ausgeblendet wird. Bereits Heinrich Heine warnte seine französischen Zeitgenossen in seinem Buch 'De l'Allemagne' (1833) vor dieser Gefahr beim Umgang mit der deutschen Romantik. Andererseits kann man ebenso häufig beobachten, wie in Frankreich geistig-künstlerische Werke aus Deutschland auf ihre geschichtlichen Entstehungsbedingungen oder politischen Implikationen bzw. Belastungen heruntergebrochen werden. Dieses Phänomen kann natürlich verstärkt in Zeiten ideologischer und kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern beobachtet werden, vor allem während der Periode 1870–1945. Aber auch heute noch - ein halbes Jahrhundert nach dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag - prägt die Epoche des Nationalsozialismus den Blick vieler Franzosen auf Deutschland und beeinflusst maßgeblich die Rezeption deutscher Literatur, Philosophie und Kunst.
Die hiermit aufgeworfene Frage ist die nach dem notwendigen bzw. angemessenen Grad von (politikgeschichtlicher) Kontextualisierung im französischen Verhältnis zur deutschen Kultur, wobei eine pauschale Beantwortung sich selbstredend als schwierig oder gar unmöglich erweist.
Im Rahmen meines Ansatzes möchte ich einen anderen Weg einschlagen und den autobiografischen Pakt (Lejeune) trotz besseren Wissens – das heißt trotz der Erkenntnis, dass es sich bei der literarischen Figur 'Felicitas Hoppe' offensichtlich um einen durch und durch konstruierten Charakter handelt – zunächst einfach akzeptieren. Deshalb soll (und muss) im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Instanzen 'Felicitas Hoppe', 'Hoppe' und 'fh', so wie sie im Text in Erscheinung treten, differenziert werden. Vielmehr sollen diese verschiedenen, einer einzigen 'biofiktionalen' Person beziehungsweise persona zuschreibbaren Stimmen zusammengelesen werden, wobei in diesem Beitrag stets von 'Hoppe' gesprochen wird. Anders gesagt möchte ich den "Roman" – so die paratextuelle Genrebezeichnung des Titelblatts – Hoppe als mehrstimmige und traumlogische Inszenierung der Autorin Felicitas Hoppe lesen, wobei ich genauer der Rolle nachgehen möchte, die 'Hoppes' (fiktive) Mehrsprachigkeit innerhalb dieser Selbstinszenierung spielt.
Die komplexe und diffizile Frage, der im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll, ist die nach Heines Eigenschaft als Selbstübersetzer, womit das Hauptaugenmerk auf die sprachlichen d. h. mehrsprachigen Grundlagen seiner Vermittlungstätigkeit gerichtet wird. Denn die Bezeichnung Heines als Selbstübersetzer kann im Gegensatz zur Assoziierung mit dem Begriff des Kulturtransfers durchaus überraschen. Mit Heines Sprachkompetenz im Französischen und dem auktorialen Status seiner französischen Schriften werden Forschungsfragen berührt, die in der Heine-Kritik von ihren Anfängen bis heute durchaus kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch nachzudenken über den für die Analyse von Heines Schreib- und Veröffentlichungspraxis relevanten Begriff von Übersetzung bzw. Selbstübersetzung. Kann man im Falle Heines wirklich von einem alleinigen deutschen Original sprechen und den französischen Fassungen seiner Schriften - wie oft geschehen - einen bloß sekundären Status zuweisen? In diesem Problemzusammenhang spielt neben den textgenetischen und sprachlich-translatorischen Aspekten auch die Perspektive der Selbstdarstellung bzw. Selbstvermarktung des Dichters eine bedeutende Rolle, insofern man bei Heine von einer regelrechten Inszenierung als zweisprachigem Autor reden kann. Die von mir im Folgenden vertretene These wird hierbei lauten, dass Heinrich Heines durchaus fragwürdiger Status als Selbstübersetzer über normative Übersetzungs- und Sprachkompetenzkriterien hinaus vor allem als doppelte - d. h. binationale und zweisprachige - 'auctoritas' aufzufassen ist. Anders gesagt: Über die komplexe Frage der Textgenese hinaus soll die von Heine bewusst eingenommene Rolle als direkter Akteur zweier nationaler Wissenssysteme betont werden. Unter diesem Blickwinkel wird nicht zuletzt ein bemerkenswerter Nexus zwischen den vermittelten Wissensinhalten und deren sprachlichem Transfer sichtbar. So soll gezeigt werden, dass Heines dezidiert antinationalistisches, kosmopolitisches und universalistisches Denken zwischen Deutschland und Frankreich seine formale Entsprechung in einer interlingualen Wissenszirkulation zwischen der deutschen und der französischen Sprache findet, in deren Medium die von ihm entwickelten und vermittelten Theorien und Thesen prozessual entwickelt und weitergeschrieben werden. Eine solche Sichtweise auf Heine als translingualen Schriftsteller wurde bisher nicht immer ausreichend von der Forschung berücksichtigt und gewürdigt. Wie allgemein im Zusammenhang mit bikulturellen und bilingualen Autoren sowie sprachlich hybriden Schreibverfahren wird man mit blinden Flecken der Forschung und nationalphilologischen Widerständen konfrontiert, die eine mehr oder weniger symbolische 'Vereinsprachigung' von Heines Werken befördern oder implizieren. Dieser Umstand betrifft nicht nur die deutsche Heine-Rezeption, sondern ist bedauerlicherweise auch in der interkulturell aufgestellten französischen Germanistik der jüngeren Zeit zu beobachten, wie ich in einem abschließenden Exkurs zeigen möchte.
"Die Untermieterin" ist Hanna Kralls erster und einziger Roman. International bekannt wurde die Autorin aber bereits 1977 durch die Veröffentlichung ihres Buches zum Aufstand im Warschauer Ghetto. Auf Deutsch erschien es in der Bundesrepublik unter dem Titel "Schneller als der liebe Gott" und parallel in der DDR unter dem Titel "Dem Herrgott zuvorkommen", bevor es infolge der Zensur ihrer Schriften in Polen auch in Ostdeutschland zensiert wurde. Im Zentrum steht Marek Edelmann. Die von ihm, dem einzigen überlebenden Kommandeur des Aufstandes im Warschauer Ghetto, entworfenen Kategorien, allen voran seine Unterscheidung zwischen "hell" und "dunkel", übertrug Krall auf ihren Roman "Die Untermieterin", wo die Unterscheidung gar den ethischen Kern des Werks bildet.
Eine Natur jenseits normativer anthropozentrischer Konzepte machen die Mitbegründer und Leiter des Art Laboratory Berlin (ALB), die Kunsttheoretikerin und Kuratorin Regine Rapp und der Künstler und Kurator Christian de Lutz, im Gespräch mit Kunstforum International geltend. Die intensive Auseinandersetzung des ZfL-Forschungsschwerpunkts "Lebenswissen" mit kritischer Ökologie, mit Natur/Kultur-Konzepten und der Verbindung von Biologie und Kulturwissenschaften gab den Anlass, das Gespräch mit dem Art Laboratory Berlin fortzusetzen.
Der Kitsch und sein Ernst
(2018)
Als der Schriftsteller Hermann Broch in den 1930ern den Kitsch als das "Böse im Wertsystem der Kunst" bezeichnete, als er formulierte, wer Kitsch hervorbringe, sei ein "ethisch Verworfener, ein Verbrecher, der das radikal Böse will", ja, er sei "ein Schwein", da war der Begriff bereits ein halbes Jahrhundert im deutschen Sprachraum im Umlauf und hatte gerade Hochkonjunktur. Die Tonlage des Österreichers in seinen berühmten Invektiven ist symptomatisch für die Debatten, die der Kitsch hervorgerufen hat - kaum ein Diskurs über einen ästhetischen Begriff hat diese bislang an Schärfe und Aggressivität überboten, und kaum ein Begriff hat sich als eine solch deutliche Grenzmarkierung zwischen anspruchsvoller Kunst und trivialer Massenkultur, zwischen dem guten und dem schlechten Geschmack etabliert.
"Form Follows Flower" bildet den Auftakt einer Reihe von Ausstellungen, mit denen das Kunstgewerbemuseum in Berlin aktuell sein 150-jähriges Jubiläum feiert und auf seine Anfänge zurückblickt. Im Zentrum der Schau steht das Reich der Flora, deren Formenvielfalt das erschöpfte Kunstgewerbe um 1900 zum Blühen bringen sollte. Der Ausstellungstitel als Paraphrase des wegweisenden Gestaltungsleitsatzes "form follows function" verweist auf die Pflanzenform im Dienste der Kunstform. Die Aufrufung der Blume in diesem Zusammenhang mutet allerdings ein wenig windschief an, denn mit deren kultur- und geistesgeschichtlichen Implikationen - wie wir sie etwa aus der Frühen Neuzeit mit der ikonografisch gepflegten Rose, Lilie oder Nelke, der Romantik mit ihrer symbolischen Überhöhung der blauen Blume oder der heutigen Gartenkultur mit ihren gezüchteten Zierpflanzen kennen - hat die Ausstellung wenig zu tun. Die Exponate verdeutlichen vielmehr, wie das Register der Pflanze zum Zweck der Kunsterneuerung gezogen wurde. Gewächse, die sich hierzu eigneten waren Mutterkraut und Silberdistel, Stinkende Nieswurz und Feuersalbei, Frauenflachs und Glockenblume, glattrandige und gezackte Blätter, Hagebutten und Akanthus und viele mehr: eine Feier der einfachen Form.