CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Die Paradigmen des Schlachtgemäldes und der Schlachtbeschreibung dienen Sebald und Simon als Kontrastfolie für ihre Versuche, sich den historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts anzunähern. Auf unterschiedliche Weise demontieren beide Autoren den Anspruch dieser Paradigmen auf Transparenz und wenden sich damit auch gegen das Pathos einer bestimmten Tradition der Darstellung des Krieges. Aber zugleich reflektieren beide Autoren die sich zu einem einheitlichen und sinnhaften Ganzen zusammenfügenden Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gerade in dieser auf Totalität abzielenden Form. Sie ermöglicht ihnen die spielerische Suggestion von Unmittelbarkeit und Intensität bei gleichzeitigem Beharren auf der Unverfügbarkeit einer Erfahrung, die nicht vergessen, aber auch nicht erinnert werden kann.
Die Neuen Kriege seit dem Epochenbruch von 1989 sind Thema der Gegenwartsliteratur geworden, und sie sucht im Raum der Fiktion eine eigene Anschaulichkeit und spezifische Vorstellungen vom Charakter dieser neuen Konflikte zu erzeugen. Zugleich sind diese Neuen Kriege ein Gegenstand der disziplinär erfaßten Diskurse der Wssenschaften, die nach den kurzen Friedenserwartungen im Anschluß an 1989/90 eine Theorie der Kriege im Zeichen einer neuen Globalisierung verstärkt diskutieren. Wenn das gegenwärtige Denken des Krieges literarisch und außerliterarisch seine Kontur gewinnt, erscheint die Relationierung beider Felder geboten, wie in einem neueren literaturwissenschaftlichen Forschungszweig nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen bzw. von literarischen Texten und wissensehaftlichen Diskursen gefragt wird. Das Thema Neue Kriege läßt sich jedoch hier aus zwei Gründen nicht umstandslos einreihen. Der eine Grund ist theoretisch-methodischer Art. Nur die Dualität von disziplinär verfaßten historisch-politischen Diskursen und literarischem Text in den Blick zu nehmen ist zu wenig differenziert. Es ist nötig, sie um eine dritte Dimension zu erweitern: den Komplex der Medien, die als Wissensgeber vom Krieg, als eigene Kriegsmittel und als Gegenspieler der Literatur fungieren.
Die am 6. August 1953 gegründeten Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG) waren eine privilegierte wissenschaftliche und kulturelle Einrichtung der DDR. Dies entsprach der großen Wertschätzung des "kulturellen Erbes" in diesem Staat. Die Weimarer Klassik sollte "Gemeingut der ganzen Gesellschaft" werden. Das galt, bei allen konzeptionellen Wandlungen, für die Geschichte der DDR von ihrer Gründung im Goethe-Jahr 1949 bis zu ihrem Ende im Herbst 1990 und ist nur ein Beispiel für den Versuch, die Werke der Weltkultur den Bürgern im Geiste des Marxismus-Leninismus nahezubringen und für den Aufbau des Sozialismus produktiv zu machen.
Dichterische Entwürfe des Speisens, Schlemmens und Trinkens, des Kochens und Hungerns sind allerding keine neue Erfindung, vielmehr haben sie eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Zum facettenreichen Essensmotiv zählen - neben den Nahrungsmitteln selbst - zum Beispiel deren Zubereitung und Aufnahme. Die Organe des Kauens, Schluckens und Verdauens, der Hunger nach und die Verweigerung von Essen und die dem Speisen innewohnende sinnlich-erotische Komponente. Dies alles wird in zeitgenössischen Gedichten auf vielfältig Weise gestaltet. Was aber macht da Essensmotiv gerade heute so attraktiv, und in welchen Bedeutungszusammenhängen kommt es vor? Worin unterscheidet es sich vom Motiv des Essens in früheren Texten? Der vorliegende Aufsatz diskutiert drei wesentliche Kontexte des Motivs in der deutschen Gegenwartslyrik.
Viele der Erzählstücke Erwin Strittmatters sind weithin von der Erinnerung bestimmt, kamen aus dem Versuch, "die Vergangenheit mit einem geistigen Echolot abzutasten". [...] Im Arrangieren und Kombinieren werden die Erinnerungsbilder überschritten, experimentelle Konstruktionen hervorgebracht, die Beispiele sein können für Einblicke in verwickelte Wirklichkeiten, die womöglich mit schönem Glanz auftreten, die Hinweise werden auf ein unbestimmt Weites, auf offenbare oder verdeckte Möglichkeiten oder die den Entwurf eines Anderen geben.
Weimarer Beiträge 54/2008
(2008)
Die Weimarer Beiträge - seit ihrer Einstellung durch den Aufbauverlag 1991 vom Passagen Verlag herausgegeben - ist eine der renommiertesten Literatur- und Kulturzeitschriften der ehemaligen DDR. Durch ihren interdisziplinären Ansatz, der auch allgemeine kulturelle, ästhetische und politische Überlegungen einbezieht, trägt sie zu einer Einbindung der deutschsprachigen Kulturwissenschaften in die internationale Diskussion bei.
Weimarer Beiträge 56/2010
(2010)
Die Weimarer Beiträge - seit ihrer Einstellung durch den Aufbauverlag 1991 vom Passagen Verlag herausgegeben - ist eine der renommiertesten Literatur- und Kulturzeitschriften der ehemaligen DDR. Durch ihren interdisziplinären Ansatz, der auch allgemeine kulturelle, ästhetische und politische Überlegungen einbezieht, trägt sie zu einer Einbindung der deutschsprachigen Kulturwissenschaften in die internationale Diskussion bei.
Überall im Werke Stephan Hermlins findet man Fragmente von Erinnerungen - in Erzählungen, Gedichten, in Reden, Aufsätzen, Reportagen sowie in im eigentlichen Sinne autobiographischen Arbeiten. Diese Erinnerungen werfen die Frage auf: Was vermögen Erinnerungen bzw. Autobiographie als Gattung? Wann bewegt man sich als Autor einer autobiographischen Schrift innerhalb der Grenzen des in dieser Gattung Möglichen, und wann werden sie überschritten?
Kurz bevor das architektonische "achte Weltwunder" endgültig fallen sollte, bestand es also an abgelegenen Ecken noch immer aus überkommenen und baufälligen Provisorien, aus Elementen ganz unterschiedlicher Bauphasen. Und woraus hatte es anfangs bestanden? Mitte September sowie Mitte November 1961, also wenige Wochen nach dem Mauerbau, wanderten zwei Chronisten die gesamte, 46 km lange innerstädtische Grenze westlicherseits ab, und sie hinterließen ihre Beobachtungen. Fazit: Maroder Mauer-Murks aus Stacheldraht, bröckelnden Fabrik- bzw. Friedhofsmauern und grotesk vermauerten, kriegszerfressenen Hausfassaden. Handelte es sich also überhaupt um eine Mauer? Nur sehr bedingt. Anfangs war da gar kein Mauerbau. Die Einsatzbefehle für die Nacht vom 12. zum 13. August sprachen von pioniertechnischer Sicherung (obwohl Ulbricht schon von Beginn an eine Mauer favorisierte, hatte Chruschtschow maximal Stacheldraht erlaubt). Ulbricht für alle überraschendes fistelndes Diktum auf der Pressekonferenz vom 15. Juni 1961, daß niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten, hatte aus dieser Perspektive also durchaus einen Sinn.
Die kantische Juridifizierung des philosophischen Denkens ist hier im Zusammenhang mit einem Anti-Juridismus zu sehen, den Ian Hunters engagierte Darstellung der Rivalität zwischen einer "zivilen", juristisch geprägten, und einer "metaphysischen" Tradition der Aufklärungsphilosophie überdeutlich gemacht hat: Indem sie das positive Recht transzendiert, um es dem Urteil einer reinen Vernunft zu unterwerfen, stellt die Philosophie eine rechtliche Friedensordnung in Frage, die durch eine religiöse Neutralisierung und immanente Begründung des Gesetzes erreicht worden war. Nach Kant sollte es den letzten Grund seiner Geltung nicht im Willen des Souverän haben, sondern in transzendentalen Prinzipien, die sich den empirischen Kenntnissen der Juristen entziehen und allein den Philosophen zugänglich sind.
Der Tod der Tänzerin oder (De)Konstruktion der Differenz : Paul Morands 'musikalischer' Rassismus
(2009)
Die folgende Analyse versucht die ideologischen Implikationen von Morands Werk am Beispiel der beiden [...] Novellen ["Congo" und "La Mort du cygne"] zu explizieren; zu zeigen, wie diese Texte mit ihrer sehr ähnlichen Sujet-Struktur das "Andere" als Gefahr für eine imaginäre Gemeinschaft der "Unseren" konstruieren und der Vernichtung preisgeben.
Charlies Maschinensturm, so triumphal er streckenweise auch anmuten mag, währt nicht eben lange: Schon bald erklingt die Sirene des herannahenden Krankenwagen, der den geistig verwirrten Helden in die Irrenanstalt abtransportiert. Eine Abblende folgt, womit der erste, ohne Frage berühmteste(und wohl auch gelungenste) Abschnitt von "Modern Times" sein Ende findet. In formalästhetischer Hinsicht außerordentlich homogen, bildet dieser zugleich Kulminationspunkt und "summa" der mechanisierungsbasierten Körperkomik Chaplins und lädt - die sollte auf den vorangegangenen Seiten deutlich gewor-d nein - wie kaum eine andere Sequenz der Filmgeschichte zu einer komiktheoretischen Betrachtung im Sinne Bazin und Bergsons ein. Ja, man ist versucht zu behaupten, letzterer hätte, gesetzt den Fall, "Das Lachen" wäre nicht schon wenige Jahre nach der Geburtsstunde des Films, sondern erst nach der Uraufführung von Chaplins Komödie geschrieben worden, deren Fabrikszenen zur Veranschaulichung einer Argumentation und Thesen bemüht.
Dichtung in der Moderne kann - wie im folgenden emplarisch an Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" zu zeigen ist - auch als "Antwort" auf die Frage gelesen werden, womit das Subjekt anfängt. Oder um es als Frage bestehen zu lassen: Worin entspringt Subjektivität, die Zentralkategorie der Moderne?
Die Logik und die mit ihr verbündete und verbundene Grammatik beschreiben und bestimmen eine Welt, die sie für die wahre erklären, die aber eben in dieser Wahrheit bloßer Schein ist, eine "vollständige Fiction". Wirklich wahr hingegen ist die Welt, die von der und durch die Wahrheits-Produktion zum Schein
erklärt wird, die der Sinnlichkeit und damit der anfänglichen Erfahrung eines Nervensystems, das diese "vollständige Fiction" aus sich und für sich schafft, um mit sich ins rein und offen Unterschiede zu kommen. Fazit: Das wirklich Wahre hat keine Sprache, während die Wirklichkeit, die eine hat, nicht wahr ist. In dieses von Logik und Grammatik erzeugte und verschwiegene Bedürfnis nach ihrer ursprünglich anderen Sprache erfindet sich die Lyrik, eine Nachfrage befriedigend, deren Stunde mit ihrem Kommen vorübergeht. Sie verschmilzt bei Wolfgang Hilbig das Licht äußerster Begrifflichkeit mit der steinernen Schwere dichtester Materialität. An diesem Schmelzpunkt entstehen seine Gedichte [...].
Daß sich die Literaturwissenschaft mit Schriftstellerinterviews schwertut, kann nicht behauptet werden. Sie macht es sich vielmehr zu leicht mit ihnen, indem sie diese Textgattung weitgehend ignoriert. Zwar werden Interviewäußerungen gelegentlich herangezogen, um eigene Forschungsthesen zu bekräftigen, kaum einmal richtet sich der Blick aber auf die Spezifika dieser Textsorte. In dieser Hinsicht besteht zwischen dem expandierenden Angebot an Interview-Bänden und der konstant gering bleibenden wissenschaftlichen Nachfrage eine deutliche Diskrepanz.
Als Heinrich Heines "Romanzero" im Herbst 1851 ausgeliefert wird, reagiert die zeitgenössische Kritik zwiespältig. Wortgewaltig läßt man sich unter anderem im "Dresdner Journal" darüber aus, daß in Heines neuer Gedichtesammlung im Romanzenton ein diabolisches Gelächter ertöne, daß den heiligen Ernst der Poesie ersticke.
Insgesamt erweisen sich vier Texte als Kernbestand der hier relevanten intertextuellen Interferenzen, von denen Arnims "Isabella von Ägypten" und "Melück Maria Blainville" - von Arnim als Zwillingspaar eingeführt - als Prätexte fungieren,
deren ästhetisch vermittelte Befunde wiederum von dem nachfolgenden Eichendorffschen Erzählungspaar, dem "Schloß Dürande" und der "Entführung", ausgedeutet und weitergeführt werden. [...] Die vier Erzählungen verbinden dabei analytische, prognostische und utopische Aspekte: Zum einen erscheint das romantische Liebeskonzept - als utopisch-kompensatorische Form - als zeitloses, anthropologisches Faktum, das im Zuge der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse das Individuum binden kann: Auffällig ist, daß das moderne und noch relativ neue Liebeskonzept bereits mit einer großen Selbstverständlichkeit als (oftmals implizite) textliche Gegenposition zu den verschiedenen Entgleisungen gesetzt wird. Vor diesem Hintergrund kann sie im besonderen Mabe als richtig/falsch-Folie für die tatsächlichen historischen Varianten fungieren. Da diese romantische Liebe jedoch in einem neuen Maße Leidenschaft in ihr Konzept zu integrieren versucht, findet die Liebe zum anderen auch als historisches Phänomen Eingang: Ihre erotische Komponente lädt - entkoppelt vom ganzheitlichen Liebeskonzept - im besonderen Maße zu Überschreitungen ein. Wird ein Element abgespalten, generiert es letztlich nachhaltig die Auflösung der Verbindung.
Für folgende Überlegungen ist die psychoanalytische Deutungstradition maßgeblich, die von Freud selbst über die "Wilhelm Meister"-Studien von Sarasin, Eissler, Robert und Kittler bis hin zu derjenigen von Hörisch reicht, von
zahllosen Aufsätzen und Buchpassagen nicht zu reden. Gemeinsam ist diesen der endgültig vollzogene Abschied von idealisierenden, ein harmonisches Bildungsmodell für das bürgerliche Individuum am Text nur reflektierend bewahrheitenden Wilhelm-Meister-Deutungen. Zugleich teilen sie das Bemühen um ein psychologisch verfeinertes Verstehen des Textes. Ohne mich auf die Vielzahl subtiler Deutungsdifferenzen oder gar die internen Kontroversen der psychoanalytischen Schulbildungen näher als an gegebener Stelle in den Fußnoten einzulassen, konzentriert sich meine kritische Relektüre auf die an theoretischen Vorgaben Jacques Lacans ausgerichtete Interpretation von "Wilhelm Meister Lehrjahre".
Ich möchte mich im folgenden mit einem Autor beschäftigen, dessen Schreiben von vornherein niemand als spannend und unterhaltsam bezeichnen würde, der aber unter den Autoren einer Generation ganz unzweifelhaft als einer der bedeutendsten und reflektiertesten gilt: Durs Grünbein. Grünbein hat seine
Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken während des Jahres 2000 kontinuierlich aufgezeichnet und sie in dem Buch "Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen" veröffentlicht. Der Titel ist mehrdeutig, da er sich sowohl auf diese kulturell und historisch einschneidende erste Jahr des neuen Jahrhunderts und Jahrtausends bezieht als auch auf das erste Jahr einer Vaterschaft verweist. Und so finden sich in dem Tagebuch zum einen Aufzeichnungen, kleine Essays und verdichtende Beschreibungen zu Themen der Zeit (etwa zum Beginn des biopolitischen und -wissenschaftlichen Zeitalters), der zeitgenössischen Literatur, zur Poetik des Gedichts, zur Philosophie und zur eigenen Familiengeschichte während der DDR-Zeit und im vereinigten Deutschland. Zum anderen zeichnet
das Tagebuch die einzelnen Stationen seiner Vaterschaft vor und nach der Geburt seiner Tochter Vera nach. Seine ersten Begegnungen und Erlebnisse mit der im Sommer 2000 geborenen Tochter werden auch in Gedichten manifest, die den täglichen Tagebuchaufzeichnungen beigefügt sind.