CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Der Dualismus von Körperästhetik und Moral, der die abendländische Kultur seit der Antike bestimmt hatte, bricht in der schönen Literatur erst im 20. Jahrhundert - im Gefolge psychologisierter anthropologischer Konzeptionen - endgültig auseinander. Es entstehen neue, komplexe Relationen von Körper und Psyche, in denen unterschiedliche Normenkomplexe und Machtstrukturen wirksam sind - soziale, geschlechtsspezifische, sexuelle. Demgegenüber scheint sich in den literarischen Zeugnissen der Gegenwart ein neues Paradigma anzudeuten. Die jüngsten Variationen der Konfrontation von Schönheit und Häßlichkeit, die Verwechslungen, Vertauschungen, Verwandlungen und Umkehrungen beider Zustände entstehen erkennbar vor dem Hintergrund avancierter technologischer Möglichkeiten zur Herstellung von Körperschönheit, einer Schönheitsindustrie und Medizin, die das Bewußtsein von der technischen Produzierbarkeit von Schönheit, vom Sieg über Alterungsprozesse vermitteln. Die Gegenwartsliteratur spiegelt eine neue Objekthaftigkeit von Schönheit und Häßlichkeit, ihren Warencharakter. Schönheit kann, wie bei Bruckner, enteignet werden, sie kann gekauft und gestohlen werden wie bei Kureishi, mit ihrem häßlichen Gegenteil verwechselt wie bei Brasme und sie kann mit diesem - zur kontrastiven und kommerziellen Überhöhung ihrer Eigenart -vorübergehend vertauscht werden wie bei Nothomb. Der Objekt- und Warencharakter von körperlicher Schönheit und Häßlichkeit führt dazu, daß die Dichotomien zusammenrücken und austauschbar werden, weil sie kein metaphysisches, moralisches oder gedankliches Substrat mehr besitzen, sondern zunehmend vom marktwirtschaftlichen Prinzip bestimmt sind. Auf einem totalitären Markt der Schönheit kann plötzlich auch Häßlichkeit kommerziell und sexuell attraktiv werden, in einem faschistoiden Schönheitssystem ist sie die einzige Möglichkeit der individuellen Nicht-Anpassung.
The article offers a philosophical reading of Mazen Kerbaj's sound piece "Starry Night". Recorded in 2006 during the bombing of Beirut by the Israeli Air Force, the piece stages an acoustic encounter between the improvised sounds of the trumpet and live bomb explosions. Arguing for a formal examination of the ways in which Kerbaj stages the problem of the genesis of musical order in the exchange between trumpet and bombs, the article draws parallels with explorations of the problems of the State and of political contradiction in the Marxist tradition. Three common points are identified: the contingency of the appearance of order, its inseparability from an excess of violence, and its spatializing function. The last part delineates parallels between Kerbaj's subversive aesthetic strategies and Badiou's elaboration of the concept of the subject as the interruption of a repetitive logic of placement.
Große Geschichten der Ästhetik sind selten geworden. Ihr Anliegen, dem ästhetischen Denken durch die Jahrhunderte zu folgen, der Genese und inneren Logik ihrer Begriffe zu vertrauen und deren Dynamik, Vielschichtigkeit und oft Ambivalenz(en) zu rekonstruieren, ist spätestens seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert in philosophisch-ästhetischen und kulturwissenschaftlichen Diskursen nicht mehr en vogue. Die Gründe sind so verschieden wie unterschiedlich transparent, das Resultat ist eine weitgehende Abstinenz gegenüber umgreifenden historischen Darstellungen und ein weitgehender Verzicht auf disziplingeschichtliche Gesamtentwürfe, jedenfalls im traditionellen Sinne. Wladyslaw Tatarkiewiczs große Geschichte der Ästhetik in drei Bänden (von der Antike bis zur Neuzeit) aus den Jahren 1962-1966 (dt. 1979-1987) gehört schon in die Kategorie solcher Raritäten, der selten gewordenen Unternehmungen, den historischen Horizont europäischer Geistesgeschichte im Feld ästhetischer Vorstellungen, Ideen und Begriffe auszuschreiben. Die Geschichte der sechs Begriffe wirkt noch viel mehr wie ein geistiger Dinosaurier in der gegenwärtigen Diskurslandschaft.
In ihr ist viel bewahrt und vollendet von dem, was genuine Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert mit ihren Wurzeln, die im 19. Jahrhundert liegen, hervorgebracht hat. Die Stringenz ihres Begriffsvertrauens und das Ungebrochen-Enzyklopädische des historischen Wissens gehören zu dem, was Wladyslaw Tatarkiewicz vielleicht als einer der letzten, oder der letzte bedeutende, europäische Denker von Rang in Sachen Philosophie und Kunst noch einmal eindrucksvoll mit aller Reichweite und allen Grenzen - demonstriert hat.
Statik
(2022)
Bei der Statik handelt es sich um einen vielschichtigen Begriff, der zumeist ausgeblendet wird und dem sich Kunst-, aber auch Literatur- und Kulturwissenschaftler*innen bislang nur selten explizit widmeten. Im Folgenden wird es um die weitere Aufschlüsselung dieses Begriffs gehen, wobei die Kunst der Avantgarden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zentrum steht. Im abschließenden Teil wird der Blick dann auf weitere, für die Klärung des Begriffs relevante Bereiche gerichtet. Die Bemerkungen können nur ausschnitthaft darstellen, dass Moderne und Postmoderne stärker von der Statik geprägt sind, als man gemeinhin annimmt. Sie konterkariert die gängigen Erzählungen von Beschleunigung und hemmungsloser, ungezügelter Bewegung als einem Kennzeichen der Moderne. Dabei tritt sie nicht in Distanz zur Dynamik - vielmehr kann sie nur in Anbindung an diverse Prozesse gefasst werden.
Nach einer Eigenzeit des Ästhetischen zu fragen, heißt, sich auf das Problem einzulassen, was für eine Zeit und welche Zeiterfahrung in der Eigenzeit eines Kunstwerks eine besondere Geltung beanspruchen. Die Möglichkeit, dieser Frage nachzugehen, setzt voraus, dass die in der ästhetischen Form verankerten und im Kunstwerk auf Erfahrung drängenden Spannungen einer künstlerischen Eigenzeit auf jeweils begründbare Weise so verstanden werden können, dass sie sich von anderen Formen der Zeit und Zeiterfahrung in bedeutsamer Hinsicht unterscheiden. Ist diese begriffliche Voraussetzung grundsätzlich erfüllt, dann kann von der ästhetischen Eigenzeit als einer Praxis der Zeitgestaltung ausgegangen werden, die bestimmte Modelle und Konstellationen des Zeitlichen auf eine der Kunst eigenen Weise dem Bereich des prinzipiell Erfahrbaren und auf idiomatisch-bestimmte Weise Erkennbaren einschreibt.
Der Beitrag untersucht den Gebrauch des Tonbegriffs im ästhetischen und poetologischen Diskurs des mittleren und späten 18. Jahrhunderts. Ausgangspunkt dafür ist eine Verhältnisbestimmung der Termini Schreibart, Stil und Ton, aus der die gattungspoetologische Bedeutung des Tons hervorgeht. Entgegen dem seit der romantischen Ästhetik dominanten Verständnis verbindet die Dichtungstheorie des 18. Jahrhunderts (Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Joachim Eschenburg, Johann Jakob Engel, Johann Christoph Adelung) mit dem Begriff nicht nur die klangliche Dimension von Literatur, sondern auch eine affektive Grundierung von Gattungsformen und ein Konzept für die Beschreibung von gattungshybriden Texten.
Este artigo sobre as relações ambivalentes entre Musil e Freud procede em três etapas. Na primeira, analisamos as intuições psicanalíticas de Musil no seu primeiro romance, "O jovem Törless". Os 'insights' psicológicos do romancista acompanham e antecipam as descobertas clínicas do pai da Psicanálise. A segunda se debruça sobre os trabalhos seminais (Corino, Henninger, entre outros) que veem as reservas de Musil diante de Freud como resistências sintomáticas e evidenciam a determinação inconsciente de sua obra. A terceira expõe outras razões (estéticas e teóricas) para a reserva do artista. Estas não excluem, mas se adicionam às resistências sintomáticas. Musil dispõe de um referencial científico e matemático, filosófico e estético diferente da Psicanálise; ele se manifesta no projeto sui generis das novelas "Uniões" (a segunda obra de Musil após o "Törless").
Biopolitik und Biomacht in der Jugendliteratur. Thanatopolitik in Lois Lowrys "Hüter der Erinnerung"
(2023)
Was verstehen wir unter "Freigabe"? Das Freigeben, das Freigegebenwerden. Synonyme: Entlassung, Freilassung. [...] In Lois Lowrys 1993 erschienenem Roman "Hüter der Erinnerung" - im Original "The Giver" - ist die Tragweite dieses Terminus enorm: "Freigegeben zu werden ist für einen aktiven Bürger eine endgültige Sache, eine schreckliche Strafe, ein niederschmetternder Beweis menschlichen Versagens." Während es im Original "release" heißt, enthält die deutsche Übersetzung durch "frei" im Begriff im Kontext des Verfahrens eine Mehrdeutigkeit, die am Ende erörtert wird. Es soll im Folgenden sowohl mit dem Original als auch mit der Übersetzung textnah gearbeitet werden. [...] Es wird deutlich, dass mit dem Begriff des Freigebens eine ganz neue Denotation einhergeht, sodass "Freigeben" letztlich nichts anderes als ein Euphemismus ist, der die eigentliche Bedeutung, die Konsequenz des Vollzugs für die Sprecher*innen verschleiert. Ein ausgeprägtes Sprachregime und eine Vernichtungspolitik treten hier eng verflochten auf. Das Bezeichnen von Dingen, Handlungen und Ritualen ist dabei eine Voraussetzung für die Umsetzung des totalitären Regimes, wie im Folgenden unter anderem deutlich werden soll. Zusätzlich soll beispielhaft betrachtet werden, welche stilistischen Mittel für die Darstellung eines extremen biopolitischen Gesellschaftsmodells in einem Jugendroman für ein Lesepublikum ab dem jungen Alter von zwölf Jahren vorliegen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie in "Hüter der Erinnerung" ein totalitäres System etabliert und welche Wirkung auf die Leser*innenschaft erzeugt wird. Lässt sich vielleicht eine gewisse schonende Vermittlung gegenüber der jungen Zielgruppe bezüglich des ernsten, 'belastenden' Themas feststellen?
Le sujet de cet article est une théorie de l'acte créateur. Un commentaire sur la "Grande Improvisation" ['Wielka Improwizacja'], monologue dramatique tiré des "Aïeux" ['Dziady'] d'Adam Mickiewicz (1798-1855), fournira un exemple de l'expression de la force créatrice. Ces réflexions serviront à introduire la thèse suivante sur la nature herméneutique de l'acte de création poétique: au moment de la création poétique, la conscience se développe grâce au pouvoir formateur de l'imagination qui permet aux dimensions sémantique et musicale de l'oeuvre de se manifester conjointement. Pour mieux comprendre cette thèse, nous la situerons dans le contexte de la philosophie allemande et polonaise de la langue et de la poésie (Herder, Novalis, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel, Schelling, Libelt). Nous rappellerons quelques concepts clés: la 'Besonnenheit' (circonspection) de Herder, la 'Selbstdurchdringung des Geistes' (auto-pénétration de l'esprit) de Novalis et l''Energeia' de Humboldt. Tous indiquent que l'âme peut accéder à la conscience grâce à ses propres actes langagiers créateurs et à la construction de formes musicales.
Rezension zu Daniela Kloock (Hg.): Zukunft Kino. The End of the Reel World. Marburg (Schüren) 2008. 349 S.
Spätestens seit James Camerons Science Fiction-Film 'Avatar' (2009) ist die 'digitale Revolution' wieder in aller Munde. Dabei spielt nicht zuletzt der erneute, gegenüber älteren Versuchen dank digitaler Möglichkeiten technisch verbesserte Versuch einer Etablierung des 3D-Kinos eine wesentliche Rolle. Entsprechend scheint sich das Jahr 2009 als das Jahr zu erweisen, in dem die neue digitale 3D-Technik ihren (vorläufigen?) Siegeszug feiern konnte. Angesicht solcher Entwicklungen mag sich in der Tat die Frage stellen, ob man von einer Revolution des Kinos "unter dem Vorzeichen der Digitalisierung der Filmbilder" sprechen kann und muß. So lautet zumindest die Ausgangsfrage, die die Film- und Medienwissenschaftlerin Daniela Kloock in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband 'Zukunft Kino. The End of the Reel World' formuliert.
Der Sakramentalen Repräsentation und ihren Diskursen ist zu eigen, dass die (Un-)Möglichkeit von Repräsentation, ihre Paradoxe und ihr Scheitern genauso verhandelt werden wie ihre Überdeterminiertheit und Übersteigerung. In den sakramentalen Zeichenoperationen ist es der Begriff der Repräsentation selbst, der immer wieder auf dem Prüfstand steht. Gerade im Fall der Bilder wird eine anschauliche und materielle Wirklichkeit geschaffen, in der es zwar eine Referenzbeziehung zu etwas Abwesendem gibt, die aber von dem Moment ihrer Erschaffung selbst durch eine ganz eigene dingliche Existenz und substantielle Dynamik in Handlungszusammenhängen gekennzeichnet und somit nicht auf die Beziehung zu dem Signifikat bzw. Referenten des Bildes zu reduzieren ist. Dies gilt auch für die Eigenmaterialität und den Eigenwert der Farbe des Bildes, deren Substanz nicht von ungefähr gerade zu dargestellten liquiden Stoffen in ein besonderes Spannungsverhältnis treten kann.
Mitte als Mittelpunkt oder mittlerer Bereich: Topologische Bedeutung – Mitte als zentraler Moment oder Zeitraum: Chronologische Bedeutung – Mitte als Mittelwert: ›Metrische‹ (quantitative) Bedeutung – Mitte als Balance oder Mittelweg: Qualitative, insbesondere ethische Bedeutung bezogen auf Haltungen, Verhaltensweisen und Prozesse – Mitte als Zentrum eines symbolischen Feldes, als Machtzentrum, als Zentrum des Geschehens: Politisch-soziologische Bedeutung – Mitte als ›Medium‹: Mediologische Bedeutung – Mittelwesen, Mittelzustände, Mischungen: Qualitative Bedeutung bezogen auf Beschaffenheiten und Verfassungen – Metaphorologie der Mitte: Zur Ununterscheidbarkeit von konkreter und symbolischer ›Mitte‹ – Die Mitte und die Philosophie – Ästhetische Konzepte der Mitte
Rezension zu Harald Fricke: Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst. München (Beck) 2000. 274 Seiten.
"Was ist Kunst? Und: was ist große Kunst? Was für Arten von Kunst gibt es? Wie verändert sie sich im Verlauf der Geschichte? Wie hängt sie mit der natürlichen, wie mit der gesellschaftlichen Welt zusammen - und wie mit dem einzelnen in dieser Welt?" Bereits der erste Absatz in Harald Frickes Vorwort zu seinem Buch 'Gesetz und Freiheit', macht ebenso unmißverständlich klar, daß es um Grundlegendes geht, wie der Untertitel des Buches: 'Eine Philosophie der Kunst'. Fricke stellt sich den großen Fragen, die hier formuliert sind, und seine 'Philosophie der Kunst' weist einen im besten Wortsinn bedenkenswerten Weg zu ihrer Beantwortung auf - einen von individuellen Neigungen und Interessen bestimmten Weg, der aber gleichwohl oder eben darum überzeugt.
Rezension zu Peter V. Zima: The Philosophy of Modern Literary Theory. London; New Brunswick (Athlone Press) 1999. 163 Seiten.
Zu den nützlichsten, weil luzidesten Reiseführern durch die Theorielandschaften der ästhetischen Moderne gehört Peter V. Zimas 1991 erschienenes UTB-Taschenbuch 'Literarische Ästhetik: Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft'.
Rezension zu Jürgen Gunia: Die Sphäre des Ästhetischen bei Robert Musil. Untersuchungen zum Werk am Leitfaden der "Membran". Würzburg (Königshausen & Neumann) 2000 (= Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften; Bd. 331). 198 Seiten.
Inkommensurable Werke wie das Robert Musils rechtfertigen unkonventionelle Zugangswege. Jürgen Gunia unternimmt es, die "Sphäre des Ästhetischen" bei Musil zu vermessen, indem er sich an zentralen und rekurrenten Bildern, Topoi und Konfigurationen orientiert, deren thematische Funktion erörtert und so einem Netzwerk Musilscher Themen in einer Weise nachgeht, welche ihrem eigenen Gegenstand auch auf der Ebene der Textgestaltung entsprechen möchte.
Pünktlich zum Abschluss des 'Historischen Wörterbuchs der Philosophie' flackerte eine Kontroverse um die Beziehung zwischen seinem Begründer und ersten Herausgeber Joachim Ritter und dessen Münsteraner Lehrstuhlnachfolger Hans Blumenberg auf. Den Ausgangspunkt bildete die theoretisch-methodologische Frage der Verhältnisbestimmung von Begriff und Metapher bzw. Begriffsgeschichte und Metaphorologie, an die sich jedoch zumindest andeutungsweise auch biographisch und wissenschaftshistorisch ausgerichtete Erwägungen anschlossen.
The resistance of aesthetics consists in the mode of experience that art affords, which promotes individual consciousness and political awareness by exploding the dualisms with which we tend to simplify things: centralization and decentralization, totality and fragmentation, communism and neoliberal capitalism, dictatorship and democracy. Although the formal complexity and ambiguous compositions met in works by the likes of Picasso, Woolf, and Schönberg most obviously support this sort of experience, it can be drawn out of all art to various degrees. Indeed, what distinguishes these modernists from the artists who came before and after them is how they set aesthetic experience as the aim of artistic production. But no work of art can be reduced either to the whole or to the sum of its parts; either to systematicity or to formlessness. Strictly speaking, the opposing ideals of classical and critical aesthetics are not two distinct aesthetic positions, but the theoretical limits between which art unfolds. By analogy, totalitarian governance and social atomism are not oppositional political materializations, but the two extremes at which politics ends.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor allem mit der produktiven Wirkung und dem innovativen Potential von Störungen im Bereich der ästhetischen Wahrnehmung und Poetik. Unter dem genannten Konzept von Störung lässt sich zunächst eine Reihe von verschiedenen ästhetischen und poetischen Phänomenen subsumieren, die man als gezielte oder unbewusste Abweichung von der Erwartungshaltung des Rezipienten definieren kann. Jene poetischen und künstlerischen Erscheinungsformen von Störung reichen von der spielerischen Divergenz bis zur gezielten Unterbrechung und systematischen Irritation; sie umfassen auch markante Brüche mit literarischen Traditionen und etablierten Schreibkonventionen.
Das Aussterben durchdenken? : Begegnungen mit verlorenen Spezies im naturhistorischen Diorama
(2020)
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle das naturhistorische Diorama gegenwärtig spielen kann bei dem Versuch, das Aussterben der Spezies im Verlauf des aktuell zu diagnostizierenden sechsten großen Massensterbens der Arten zu zeigen und den damit verbundenen Verlust von Biodiversität vor Augen zu führen. Es geht darum zu erkunden, ob sich Dioramen auch gegenwärtig trotz aller kritischen Vorbehalte gegen illusionistische Inszenierungen als geeignete museale Präsentationsform begreifen lassen, insbesondere inwiefern es gelingt, in den Dioramen ausgestorbene oder bedrohte Spezies zu zeigen und deren jeweilige Bedeutung innerhalb der Mensch-Tier-Beziehung zu beleuchten. Wie wirkt das aus dem 19. Jahrhundert ererbte Habitat-Diorama, so wäre zu eruieren, heutzutage in Kombination mit anderen Dispositiven und Diskursen, wenn es in neuere Ausstellungskonzepte eingebettet ist. Dienten die betreffenden Exponate früher als Objekte der wissenschaftlichen Forschung vor allem einer klassifizierenden wissenschaftlichen Systematik, so übernimmt ihre Zurschaustellung schrittweise neue Aufgaben, insbesondere diejenige einer ökokritischen Erinnerungskultur. Das Diorama kann mitunter im Zeichen einer gestörten und verweigerten, einer dem Betrachter letztlich vorenthaltenen Ganzheit stehen, denn es stimuliert eine unterbrochene Interaktion des Rezipienten mit den vorgestellten taxidermischen Exponaten. Die im Diorama zur Schau gestellten Tiere bzw. Spezies haben sich weitgehend der Verfügbarkeit entzogen. Sie sind nicht mehr lebendiger Teil einer Mensch-Tier-Beziehung in einem ökologischen Akteur-Netzwerk oder einer anderen natürlichen Konstellation. Die ausgestellten Welten des Dioramas oszillieren aufgrund der beschriebenen Konstellation zwischen Wirklichkeit und Illusion, zwischen Präsenz und Abwesenheit.
Der vorliegende Beitrag möchte die frühneuzeitliche Transformation des astronomischen Wissens im Horizont ihrer 'Vorgeschichte' sowie ihres historischen Wirkungspotentials betrachten. Die astronomischen Arbeiten von Kopernikus, Kepler und Galilei sollen dabei in einer Perspektive der 'longue durée', d. h. vor dem Hintergrund jener wissensgeschichtlichen (insbesondere antiken) Bezugspunkte beleuchtet werden, die sich von einem Blickpunkt der Rückschau als mögliche Antizipationen der kopernikanischen Reform zu erkennen geben. Die antiken Vertreter einer heliozentrischen Kosmologie sind dabei freilich weniger als 'Vordenker' oder 'Vorläufer' anzusprechen, sondern vielmehr als "Indikatoren für die jeweilige Erweiterung des Horizonts möglicher Variationen" in Betracht zu nehmen. Darüber hinaus möchten die folgenden Untersuchungen ein Moment in den Blick rücken, das vor allem für einen literaturwissenschaftlichen und komparatistischen Zugang von näherem Interesse ist: die sprachlichen und medialen Formen, in der sich jene Umstellungen des kosmologischen Denkens artikulieren. Denn der gedankliche Gehalt, den die frühneuzeitlichen Astronomen in ihren Schriften vorbringen, ist nicht unabhängig von den sprachlichen und ästhetischen Formen, in denen er sich manifestiert. Dies gilt nicht zuletzt im Blick auf die Wirkung und Überzeugungskraft jener Schriften, für die rhetorische und ästhetische Verfahrensweisen der Evidenzerzeugung nicht weniger bedeutend sind als die darin zur Geltung gebrachten mathematischen und empirischen Beweismittel.