CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Beginnend mit der Rahmenerzählung aus E.T.A. Hoffmanns "Die Serapions-Brüder" (1821) verbindet Tan Wälchli das poetologische Konzept des 'Scheinlebens' oder 'scheinlebendigen Bildes' mit theologischen Diskursen im frühen 19. Jahrhundert. Darüber hinaus analysiert er Achim von Arnims Inszenierung der Golem-Figur in "Isabella von Ägypten" (1812) und in der "Zeitung für Einsiedler" (1808). Sowohl bei Hoffmann als auch bei Arnim zeichnet sich ein poetologisches Konzept eines 'Körpers ohne Seele' ab, das von beiden Autoren polemisch gemeint ist. Mangelhafte künstliche Wesen werden aufgerufen, so Wälchli, um klassizistische und frühromantische Konzepte des Dichters als Nach-Schöpfer Gottes anzufechten. Dies ist wiederum dem auf dem Feld der romantischen Literatur belesenen Freud nicht entgangen, für den die Figur des Golems in seinem Aufsatz über das Unheimliche von besonderem Interesse war.
Rezension zu Martin Sexl: Literatur und Erfahrung. Ästhetische Erfahrung als Reflexionsinstanz von Alltags- und Berufswissen. Eine empirische Studie, Innsbruck (STUDIA Universitätsverlag) 2003. 532 Seiten.
Was passiert, wenn ein Literaturwissenschaftler mit einer Gruppe von sechs Krankenpflegerinnen Sophokles' 'Antigone', Tolstois 'Der Tod des Iwan Iljitsch' und Shakespeares 'King Lear' liest? Er wird natürlich zu zeigen versuchen, wie Literatur zur Bildung beiträgt. Das ist einerseits recht einfach, weil er ja die Krankenschwestern selbst zu Wort kommen und sie eine Vorher/Nachher-Analyse ihrer Lektüreerfahrung und der darauf folgenden Gruppendiskussion machen lassen kann. Andererseits ist das alles andere als einfach, weil ein solch empirischer Ansatz zwar noch den Bildungsansatz teilt, aber sonst sämtliche Prämissen traditioneller und etablierter Literaturwissenschaft radikal in Frage stellen muß. Folgerichtig nimmt Martin Sexl eine Position zwischen 'bloßer' Empirie und 'reiner' Literarästhetik ein und macht sein Sozial-Experiment fruchtbar im Spannungsfeld zwischen Textanalysen (Kapitel 5) und Reflexion von Berufserfahrung seitens der Krankenschwestern vor und nach der Lektüre (Kapitel 4 und 6).
Wenn sich die Systemtheorie nicht als theoretisches Fundament der Komparatistik eignet, weil Komparatistik nicht theoriefähig ist, sondern schlicht eine pragmatische Option, bei der 'die Literatur überhaupt' im Vordergrund steht, dann stellt sich jetzt die Frage, inwiefern die Systemtheorie einer solchen "Allgemeinen Literaturwissenschaft" behilflich sein kann. Das kann sie in sehr vielfältiger Weise und entsprechende Arbeiten in ihrer unterschiedlichen Ausrichtung können hier natürlich nicht aufgezählt werden. Hier soll- nach einer übergeordneten Bemerkung - nur gezeigt werden, wie die Systemtheorie einen bereits dynamischen Zeichenbegriff in der Vorstellung einer gesamtgesellschaftlichen Dynamik zur Geltung bringen kann: Relevant wird Semiotik erst als Systemtheorie. Das sagt natürlich mehr über Systemtheorie als über Komparatistik aus, aber wie anders wäre komparatistisch zu arbeiten als unter Zuhilfenahme von "fremden" Theorien und Methoden - was im Übrigen für jede andere Philologie auch gilt.
Rezension zu Ingo Stöckmann: Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas. Tübingen (Niemeyer) 2001 (= Communicatio; Bd. 28). 402 Seiten.
Der Titel könnte mißverständlich sein: Es handelt sich nicht um eine 'soziobiologische' Erklärung, sondern um eine systemtheoretische Untersuchung der europäischen Poetik im 17. und 18. Jahrhundert.
Die folgende Bibliographie listet die wichtigsten Arbeiten zur Geschichte der Spionageromans und die wenigen vorliegenden Untersuchungen zum Spionagefilm auf. Auf die Dokumentation einzelner Rezensionen und Untersuchungen zu Einzelfilmen habe ich verzichtet, sofern sie nicht allgemeiner auf Strukturen des Spionagefilms eingehen.
Auch wenn die Zukunft dem Menschen nicht bekannt ist, gehört sie zu den Aspekten, die den Horizont für Bildung ausmachen. Kinder und Jugendliche sollen sich so bilden, dass sie zukunftsfähig werden. Selbst wenn sich nicht genau angeben lässt, was zu einer zukunftsfähigen Bildung gehört, besteht kein Zweifel darüber, dass Frieden, Umgang mit kultureller Diversität und Nachhaltigkeit zu 'den' Bedingungen zukunftsfähiger Bildung gehören. Alle drei Bereiche sind miteinander verschränkt. Wenn Fragen des Friedens bearbeitet werden, spielen Probleme der kulturellen Vielfalt und der Nachhaltigkeit eine Rolle. Eine Erziehung zur Nachhaltigkeit ist ohne Berücksichtigung kultureller Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit nicht möglich. Dass alle drei Aufgabenfelder von höchster Aktualität sind, ist offensichtlich. Es gilt eine 'Kultur des Friedens, der kulturellen Vielfalt' und 'der Nachhaltigkeit' zu entwickeln. Damit sind grundlegende gesellschaftliche Veränderungen impliziert, bei deren Realisierung dem Bereich der Erziehung und Bildung und insbesondere der Schule eine wichtige Aufgabe zukommt. Im Weiteren möchte ich drei zentrale Aufgabenfelder einer zukunftsfähigen Bildung skizzieren. Dabei werde ich zunächst bei meinen Ausführungen zur Friedenserziehung auf Diskussionen zurückgreifen, die in den 1970er Jahren begonnen wurden, aber bis heute nichts an Aktualität verloren haben.
Ebenso wie einzelne Menschen können auch ganze Nationen traumatischen Erfahrungen ausgesetzt sein. Sie werden, nicht anders als Siege, in die identitätschaffenden nationalen Gründungsmythen eingearbeitet. Das Trauma deutscher Erniedrigung, das nach dem Zweiten Weltkrieg vom Trauma deutscher Täterschaft abgelöst wurde, war bis nach dem Ersten Weltkrieg, der jenes erste Trauma aktualisierte, der Dreißigjährige Krieg. Das war der längste Krieg in Deutschland, oder genauer: eine Reihe von Kriegen europäischer Großmächte auf deutschem Boden, die eine Spur der Verwüstung und Entvölkerung von der Ostsee bis in den deutschen Südwesten zogen. Dass Christenmenschen aufs barbarischste gegeneinander kämpften, erschütterte den christlichen Glauben bis in die Grundfesten.
Mit den medientechnologischen Innovationen des frühen 20. Jahrhunderts rücken neben den Rezeptionsweisen dieser Medien auch die Konditionen der Medienproduktion in den Fokus der literarischen Spiegelungen. Mit den sich ausdifferenzierenden Mediennutzungsgewohnheiten durch Hörer, Leser und Seher werden eben diese zur relevanten Zielgruppe einer sich ebenfalls ausdifferenzierenden Medienindustrie, die nicht nur das Unterhaltungs- und Informationsbedürfnis des Publikums stillt, sondern insbesondere im journalistischen Diskurs über die Informationsauswahl und -steuerung erheblichen Einfluß auf eben das Publikum gewinnt. (Massen-)Medien, Macht und Manipulation treten so in Bezug auf die Produktion wie auf die Rezeption in eine diskursive Relation ein.
Im Zuge der Mediendiversifikation sind es nicht nur die neuen Medien (Rundfunk und Film), deren Aufstieg "die öffentliche Kommunikation in der Weimarer Republik tiefgreifend und nachhaltig" veränderten, sondern auch das alte Medium Zeitung nimmt in den literarischen Reflexen auf diese Prozesse eine zentrale Position ein. Unter dem Stichwort der Intermedialität sind für die Literatur der Weimarer Republik diverse personale wie thematische Beziehungslinien zwischen Zeitung und Roman zu konstatieren.
Stellvertretend für die zahlreichen personalen Überschneidungen zwischen Journalismus und Literatur sind Gabriele Tergit und Erich Kästner zu nennen.
Seit mehreren Jahren ist in der Literaturwissenschaft die Rezeption und Adaption evolutionsbiologischer Ansätze en vogue. Eine wichtige These dieser Richtung besagt, dass Produktion und Rezeption von Literatur und ästhetische Erfahrung auf biologisch begründeten anthropologischen Konstanten beruhen. In diesem Beitrag wird der evolutionsbiologische Ansatz in der germanistischen Literaturwissenschaft dargestellt und eine kritische Analyse einiger Adaptionen geliefert. Die Besonderheit der germanistischen 'evolutionsbiologischen' Theoriebildung wird in Zusammenhang mit der jüngeren Geschichte der Disziplin gestellt und es wird gefragt, wieweit der Zugriff auf naturwissenschaftliche Konzeptionen eine Reaktion auf die Diskussion um die gesellschaftliche Relevanz von Literaturwissenschaft ist.
Schnittstellen zwischen Chaostheorie, soziologischer Systemtheorie und empirischer Literaturtheorie
(2009)
Dieser Beitrag präsentiert einige Berührungs- und Abstoßungspunkte von Theorieansätzen, die von konstruktivistischen Prämissen geleiteten sind und der chaostheoretischen Literaturwissenschaft, wie sie sich in den vergangenen zwanzig Jahren in ihrer Praxis darstellt. Ich gehe in meinen Ausführungen davon aus, dass die Überschneidungen, insbesondere in Hinblick auf die Theorieimporte und -anklänge aus den Naturwissenschaften und der Soziologie, aus kulturanalytischer Perspektive von Bedeutung sind. An ihnen ist zu beobachten, in welchem Maß Objektbereich und Disziplin (Literatur und Literaturwissenschaft) zu Instrumenten kultureller Selbstbeobachtung und Selbstvergewisserung werden.
"Marie von Ebner-Eschenbach. Básnířka tří staletí / Dichterin dreier Jahrhunderte 1830 - 1916 - 2016". Internationale Tagung in Brno, 21.-23. April 2016
Über Fächer-, Sprach- und Landesgrenzen hinweg wurde bei der Konferenz Marie von Ebner-Eschenbach. Básnířka tři staletí/ Dichterin dreier Jahrhunderte (1830 - 1916 - 2016) in Brno (Brünn) vom 21. bis zum 23. April 2016 das Leben und Werk der in Mähren geborenen österreichischen Schriftstellerin beleuchtet. Vom sozialhistorischen Ansatz über die Werkanalyse bis hin zur Präsentation der Tagebücher war die Konferenz eine vielfältige Demonstration des regen Interesses an dem Forschungsgegenstand.
In dieser Arbeit wird der Interrelation zwischen kulturellen, kognitiven und kommunikativ-sprachlichen Phänomenen nachgegangen. Kulturelles prägt nicht nur das enzyklopädische Weltwissen, sondern beeinflusst auch die Sprache als System und den Sprachgebrauch. Kulturelles Wissen manifestiert sich in den Bedeutungen bestimmter Lexeme, in kulturgeprägten Weltwissensrepräsentationen, als Handlungsmusterwissen und Verhaltensstereotypkenntnis, sowie in Präferenzen für die Selektion, Anordnung und Kombination von sprachlichen Systemelementen lexikalischer wie morphosyntaktischer Art zu Textsortenexemplaren. Die der Übersetzungstätigkeit daraus erwachsenden Schwierigkeiten werden differenziert durchleuchtet.
Wenige Themen haben die Germanistik in jüngster Zeit so beschäftigt wie das Verhältnis von Bibel und Literatur. Für die Auseinandersetzung mit den Texten des deutschen Barock – so könnte man meinen – bietet diese Diskussion wenig Innovationspotential, ist auf deren religiöse Verankerung doch stets verwiesen worden: "Barockdichtung", so fasst es Erich Trunz zusammen, "gehört zu einer noch fraglos christlichen Welt: sie weiß sich zwischen Sündenfall und Jüngstem Gericht, denkt den Himmel über sich und die Hölle unter sich. Das gibt ihr große Themen." Aber die in den letzten Jahren zum Thema erschienenen Untersuchungen fragen weniger nach den 'großen Themen', sondern verschieben die Perspektive: Sie problematisieren die Konstituierung des literaturwissenschaftlichen Gegenstandbereichs entlang der Differenzlinie 'ästhetisch vs. religiös', fragen nach der literarischen Faktur biblischer Texte, aber auch danach, wie das Verhältnis von Bibel und Literatur theoretisch gefasst, mit welchem Modell dieser komplexe Austausch umschrieben werden kann.
Vor diesem Hintergrund nun soll ein – dieser verschobenen Perspektive verpflichteter – Blick auf die Sonn- und Feiertagssonette des Andreas Gryphius geworfen werden. Die vorgegebene Kürze des Beitrages fordert dabei eine Fokussierung: Untersucht wird zunächst, wie über literarische Autorschaft vor der Folie des biblischen Textes in einem der Gründungstexte der deutschsprachigen Perikopenlyrik und in zwei programmatischen Texten Gryphius' reflektiert wird. Anschließend soll der Versuch unternommen werden, in konkreter Auseinandersetzung mit dem Sonett vom Sontag des schlummernden Helffers einige Facetten des Bezuges der Gryphius’schen Gedichte auf den biblischen Text und dessen Auslegungstraditionen zu skizzieren.