CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Herausforderung der Geschichtswissenschaft durch die sog. Postmoderne. Um ein besseres Verständnis über die Begrifflichkeit und die konkreten Herausforderungen zu gewinnen, konzentrieren sich die Ausführungen auf jene theoretisch konsistente Theoriebildung, wie sie von Jean-François Lyotard in seinen zwei maßgeblichen Werken "Das postmoderne Wissen" und "Der Widerstreit" formuliert wurde. Die Postmoderne ist für Lyotard durch eine Skepsis gegenüber den großen Erzählungen gekennzeichnet, welche jegliche Form des Wissens legitimieren. Im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen steht die Geschichtswissenschaft in einem besonderen Verhältnis zu diesen Erzählungen, was zugleich die Chancen wie auch die Schwierigkeiten anzeigt. Die entscheidende Herausforderung der Geschichtswissenschaft betrifft dabei jedoch weniger die narrative Darstellung historischen Wissens, als vielmehr den Status der Geschichte als Wissenschaft.
Der Mythos des Sklavenführers Toussaint Louverture aus der ehemals reichsten französischen Kolonie Saint-Domingue, der durch sein Wirken während der Haitianischen Revolution (1791-1804) den Weg zur Unabhängigkeit Haitis ebnete, erfuhr in der Zeit der französischen Romantik eine Transformation. Wurde er von aus Frankreich stammenden Zeit- und Augenzeugen noch überwiegend als grausamer und ungebildeter Afrikaner dargestellt, der die Franzosen um ihre schönste Kolonie gebracht hatte, wird Toussaint Louverture von Honoré de Balzac, François-René de Chateaubriand und Germaine de Staël als Widerpart Napoleons in Szene gesetzt. Diese neue Funktionalisierung des haitianischen Revolutionsführers wird im Beitrag herausgearbeitet und es wird mithilfe des historischen Kontexts der Frage nachgegangen, welche Gründe die Schriftsteller zu einer solchen Transformation Toussaints motivierten.
Als der spanische Bürgerkrieg 1939 nach drei langen Jahren endet, sieht sich der siegreiche Francisco Franco einem nicht unerheblichen Problem gegenüber: Es gilt, die zersplitterte und traumatisierte Nation auf Basis einer gemeinsamen Grundlage neuerlich zu vereinen. Zugleich benötigt der durch einen Putsch zustande gekommene 'neue Staat' auch nach Ende des als Kreuzzug betitelten Bürgerkriegs dringend eine Legitimationsgrundlage. Dies versucht man u. a. durch Geschichtstransformationen zu erreichen, die das Franco-Regime als legitimen Nachfolger frühneuzeitlicher Monarchien inszenieren. Daneben soll der Gesellschaft besonders in den 50er Jahren der langsam (wieder) entstehende Konsumkapitalismus schmackhaft gemacht werden: Der Spanier ist aufgefordert, die dargebotenen Güter zu genießen und sich so als dem Franquismus gleichsam 'genüsslich unterworfenes' Subjekt zu konstituieren. In den beiden hier beleuchteten Filmen dieser Epoche werden, wie zu zeigen wird, sowohl die franquistischen Geschichtstransformationen in ihrem fiktiven Charakter entlarvt als auch das staatliche Mandat des 'Genießens' unterhöhlt, indem jenes Genießen als ebenso substanzarm ausgewiesen wird wie die mit ihm einhergehende Politik.
Ziel des Artikels ist es, die Produktivität der Transformationstheorie, die am Berliner SFB 644 "Transformationen der Antike" zur Analyse kulturellen Wandels entwickelt wurde, zu belegen. Zu diesem Zweck werden Phänomene des kulturellen Wandels in den Wissenskulturen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit untersucht. Aus der Sicht der Berliner Transformationstheorie ist ein hervorstechendes Charakteristikum kulturellen Wandels seine allelopoietische Struktur: Jede kulturelle Transformation setzt sich aus bidirektionalen, interagierenden, reziproken Phänomenen des Wandels in einer Aufnahmekultur und einer oder mehreren Referenzkulturen zusammen. Der Artikel behandelt deshalb soziale, epistemische und lehrende Praktiken und bezieht sich dabei zuvorderst auf 'convivia' und Akademien, Autopsie als besondere wissenschaftliche Methode und Disputationen und Deklamationen als akademische, universitäre Praktiken im 16. Jahrhundert. In all diesen Bereichen werden die Transformationen in einem andauernden Kampf um kulturelle und soziale Geltung verwirklicht, die durch die 'agency' einer Vielzahl vielfältiger Akteure und Agenten (wie Medien, Gattungen usw.) beeinflusst werden.
Der Beitrag von Ernst Müller wendet sich 'Kristallisation' und 'Verflüssigung' zu, zwei Metaphern zu, die ungeachtet ihrer Gegenläufigkeit in den soziologischen Theorien von Arnold Gehlen und Zygmunt Bauman zum Einsatz gelangt sind, um die These eines Endes der Geschichte zu entfalten. Eine problemgeschichtliche Betrachtung der Vorgeschichte beider Metaphern führt mit Marx auf einen Referenzpunkt, der zugleich geeignet ist, Inkonsistenzen und ideologische Dimensionen der späteren Theorien und der sie grundierenden Metaphern zu beleuchten. Auch die Diskussion um 'Kristallisation' und 'Verflüssigung' ist mit der Frage verbunden, ob es sich um Metaphern oder um Begriffe handelt.
Die Historikerin Barbara Picht beobachtet in ihrem Beitrag, dass sich in vielen Epochenbegriffen ein metaphorischer Kern mit normativen Werturteilen verbindet. Die Bezeichnungen von Epochen und wie sie zueinander stehen, ist Ergebnis kulturhistorischer Deutungskämpfe, die nicht nur neue (zukunftsbezogene) Epochenentwürfe generieren, sondern zugleich auch immer das Verständnis vergangener Epochen und ihre Chronologie verändern. Ein solcher Begriff von Epoche im Sinne eines Zeitraumes oder Zeitabschnitts bildet sich allerdings erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts heraus, also in der Zeit, die als 'Sattelzeit' selbst ein Beispiel für eine - fast auch schon zum Begriff geronnene - Neubildung metaphorischen Ursprung ist.
Editorial
(2021)
Fragen zur Metaphorologie bildeten bereits mehrfach einen Schwerpunkt dieser Zeitschrift. In den Beiträgen und Rezensionen der vorliegenden Ausgabe geht es mit 'Epoche', 'Tradition', 'Geschichte' sowie 'Kristallisation'/'Verflüssigung' um Begriffsmetaphern, also um solche, in denen begriffliche und metaphorische Gehalte untrennbar verbunden sind, und die zugleich konstituierend für allgemeinere geschichts- und zeittheoretische Fragestellungen sind. Den Anstoß für das Thema lieferte die internationale Tagung "Metafóricas espacio-temporales para la historia", die vom 9. bis 11. September 2019 unter der Leitung von Faustino Oncina Coves und Javier Fernández Sebastián an der Universität Bilbao stattgefunden hat und zu der Barbara Picht, Ernst Müller und Falko Schmieder Beiträge beisteuerten, die hier in überarbeiteter Form abgedruckt sind.
Falko Schmieders Beitrag zur Geschichte der Geschichtsmetaphorik versteht sich als Auseinandersetzung mit Koselleck. Obwohl in den "Geschichtlichen Grundbegriffen" die Metaphorik nicht programmatisch berücksichtigt wurde, spielt sie eine wichtige Rolle. Koselleck hat allgemein die Metaphernpflichtigkeit von auf Zeit bezogenen Darstellungen herausgestellt und speziell an die verzeitlichten Kollektivsingulare die These der Bildbedürftigkeit und Bildanziehungskraft geschichtlicher Grundbegriffe geknüpft. Schmieder geht den metaphorischen Dimensionen bei Koselleck auf der Ebene seiner Untersuchungsgegenstände und der Interpretationssprache nach und diskutiert damit verbundene Widersprüche, zum Beispiel zwischen der von Koselleck der Geschichtsphilosophie zugeschriebenen Entdeckung der Machbarkeit von Geschichte und den sowohl zeitgenössisch wie auch bei Koselleck selbst auftauchenden Sprachbildern für ihre Verselbständigung und Unverfügbarkeit. Anhand von Metaphern für Geschichte aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (wie dem 'Crashkurs' oder dem 'Realexperiment') werden die historischen Grenzen der "Geschichtlichen Grundbegriffe" ausgelotet.
Mit der Verzeitlichung und Dynamisierung der Geschichte der Moderne geht die Proliferation von Epochenkonstruktionen einher, in denen das Verhältnis der Gegenwart zu Vergangenheit und Zukunft jeweils neu verhandelt wird. Unter dieser Perspektive rückt der Literatur- und Kulturwissenschaftler Daniel Weidner (Universität Halle) den Begriff der Tradition ins Blickfeld. Ausgehend von einem Resümee von Arbeiten zu dessen Erforschung, die zeigen, wie höchst fragil und vieldeutig der Begriff der Tradition in der Moderne ist, plädiert Weidner für eine metaphorische Perspektive, die er am Beispiel einiger Autoren exemplarisch entwickelt. Dabei geht es um die unbegriffliche und figurale Funktion von 'Tradition', also darum, die Bedeutungs- und Diskursverschiebungen sichtbar zu machen, die sich im Wechsel der Parallel- und Leitbegriffe (statt Tradition zum Beispiel auch Geschichte, Gedächtnis, Kultur) und Hintergrundmetaphoriken (Kette, Strom, Ordnung, Wellenschlag) manifestieren. 'Tradition' erscheint als Kollektivsingular in Spannung zu den verschiedenen Traditionen (inklusive ihrer jeweiligen Praktiken der Überlieferung) sowie als Gegenbegriff zur Moderne, die sich zwar normativ als Überwindung der Traditionen begreift, dabei zugleich aber permanent Anstoß zur Bewahrung oder Neuerfindung von Traditionen gibt.
Fragen zur Metaphorologie bildeten bereits mehrfach einen Schwerpunkt dieser Zeitschrift. In den Beiträgen und Rezensionen der vorliegenden Ausgabe geht es mit 'Epoche', 'Tradition', 'Geschichte' sowie 'Kristallisation'/'Verflüssigung' um Begriffsmetaphern, also um solche, in denen begriffliche und metaphorische Gehalte untrennbar verbunden sind, und die zugleich konstituierend für allgemeinere geschichts- und zeittheoretische Fragestellungen sind. Den Anstoß für das Thema lieferte die internationale Tagung "Metafóricas espacio-temporales para la historia", die vom 9. bis 11. September 2019 unter der Leitung von Faustino Oncina Coves und Javier Fernández Sebastián an der Universität Bilbao stattgefunden hat und zu der Barbara Picht, Ernst Müller und Falko Schmieder Beiträge beisteuerten, die hier in überarbeiteter Form abgedruckt sind.
The final letters of Ovid's collection "Heroides" tell the remarkable story of a written oath. Acontius has fallen in love with the beautiful Cydippe. Since she is already promised to another man, Acontius uses a deceitful stratagem: he sends her an apple on which he has inscribed "cunning words", namely, an oath of engagement. As Cydippe reads the inscription aloud mechanically, she finds herself involuntarily bound to marry Acontius, and finally gives in to his insistent wooing. If read against the backdrop of a media theory of law, Ovid's story raises a couple of important questions concerning the relationship between orality and literacy at the beginning of Western legal history. While the oath undoubtedly is a fundamental element of early law, it is usually understood as part of an "archaic" oral law that is "rationalized" only afterwards by being transferred to writing. Ovid, however, presents the idea of an originally written oath and thus invites the reader to reconsider the relation between speech and writing: To what extent may writing exert a binding force that is distinct from the representation of speech?
Einleitung [Leseprobe]
(2021)
Können literarische Texte Verbindlichkeit stiften? Diese Frage untersucht Joachim Harst anhand von Ehe- und Ehebruchsgeschichten, indem er leidenschaftliche Liebe auf ihre Bedeutung für soziale Bindung hin untersucht. Liebe ist unabdingbares Element gesellschaftlicher Verbindlichkeit, kann diese durch die ihre Exzessivität aber auch bedrohen. Während literarische Ehebruchsgeschichten häufig die Sprengkraft dieser Dialektik bewusst in den Vordergrund stellen, streben Religion und Recht an, sie einzuschränken und zu regulieren. Doch produziert nicht bereits das Reden über Liebe Affekte, sodass jeder Versuch der Einschränkung im Grunde unfreiwillig seiner Subversion zuarbeitet? Auch von Seiten der Literatur wird diese Gegenseitigkeit immer wieder betont: Romane wie Gottfrieds "Tristan" oder Goethes "Werther" wiederholen unermüdlich, dass Liebe durch Lesen entsteht - und fordern umgekehrt ein liebendes Lesen ein. Sie wollen "Philo-Logie" hervorrufen - literarisch geweckte "Liebe zum Logos". Der Frage, in welchem Verhältnis diese Liebe wiederum zur Literaturwissenschaft stehen kann, wird hier auf den Grund gegangen.
Seuchenjahr
(2021)
"Theorie" spricht gerne im Präsens. Allein, es handelt sich um ein unechtes Präsens, das über der Zeit zu stehen beansprucht. Die Ausnahmesituation der Pandemie lädt dazu ein, dieses Präsens zu überdenken und die unvermeidlichen Bindungen der Theorie an gegenwärtiges Geschehen sichtbar zu machen. Durch die klaustrophobische Situation des Lockdown ist eine unheimliche Korrelation von Theorie und Phobie kenntlich geworden. Beide suchen nachträgliche Bestätigung durch die Wirklichkeit. Durch diese Parallele wird auch der Lockdown, in dem das kulturtheoretische Denken ohnehin feststeckte, für sich selbst sichtbar wie in einem Spiegel. Unter dem Stichwort einer "Geschehensethik" erstellen Henning Trüpers Betrachtungen eine Inventur der Probleme und Lektionen, denen sich insbesondere die Theorie der Moral und verwandter Gebiete in der Schule der Pandemie ausgesetzt sehen.
Während alle vom Klima sprechen, scheint mit dem Anbruch des Anthropozäns die Zeit der Natur passé. Doch ohne den Begriff der Natur wäre ein Großteil der modernen Philosophie nicht zu denken. Hanna Hamel vermittelt in ihrer Studie zwischen historischen Positionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ökologischen Theorien der Gegenwart. Ihre Lektüre ausgewählter Texte von Kant, Herder und Goethe entwickelt Grundzüge eines historisch-theoretischen Selbstverständnisses, das über die bloße Abgrenzung von "modernen" Naturkonzepten hinausführt. In der Konfrontation mit aktuellen Reflexionen von Bruno Latour, Timothy Morton und David Lynch wird ein Anliegen erkennbar, das alle Positionen verbindet. Mit Goethe lässt es sich als Darstellung und Theoretisierung "übergänglicher" Natur bezeichnen. Die historischen Texte werden zu einer kritischen Ressource für die Gegenwart.
Der vorliegende Beitrag versucht, am Leitfaden der Scham einen Zugang zu Agambens Theorie der Subjektivität zu gewinnen, um die theoretischen und historischen Voraussetzungen seiner Ethik einer Prüfung zu unterziehen, die zugleich an die Kritik Thomäs anschließen kann. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bietet Agambens Untersuchung zum 'homo sacer'. In einem zweiten Schritt geht es um die Theorie der Scham, die "Was von Auschwitz bleibt" vorlegt. Die kritische Diskussion von Agambens Ethik leitet die Auseinandersetzung mit dem Gewährsmann ein, den "Was von Auschwitz bleibt präsentiert", mit Primo Levi. Sie wird weitergeführt und zugespitzt durch die Überbietung, die Levis' Frage "Ist das ein Mensch?" in Imre Kertész' "Roman eines Schicksallosen" gefunden hat. Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung der Scham bei Primo Levi und Imre Kertécs kehrt der letzte Teil zu Agambens Ethik zurück, um deren Grundlagen im Rückgriff auf Aristoteles einer Revision zu unterziehen.