CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Von Edgar Allan Poe über Charles Baudelaire bis zu Walter Benjamin und Franz Hessel gilt der Typus des Flaneurs als ein ebenso faszinierender wie unverzichtbarer Bestandteil der modernen Großstadterfahrung, anhand dessen sich eine für den Epochenwandel im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert charakteristische Haltung bzw. Verhaltensform beispielhaft nachvollziehen lässt. Aus dem unvollendeten ‚Passagenwerk‘ Walter Benjamins ist der flanierende Großstadtbewohner nicht wegzudenken, der bevorzugt die Auslagen der Schaufenster besichtigt und - gelegentlich in Begleitung von angeleinten Schildkröten - durch die Passagen spaziert. Er ist offensichtlich beides zugleich: ein symptomatisches Phänomen der Kultur moderner Metropolen und ein Gegengewicht zu jener Beschleunigungserfahrung im Fahrwasser von Modernisierungsprozessen, insofern er die selten gewordenen Eigenschaften der Langsamkeit und Beschaulichkeit kultiviert. Während die erwähnten Beispiele vertraute Erscheinungsformen im Panorama der Literaturgeschichtsschreibung bilden und in Darstellungen zur literarischen Moderne in Europa entsprechend häufig genannt und zitiert werden, lassen sich neben den bekannten Autoren und Texten zu Figur und Habitus der flanierenden Müßiggänger durchaus noch Quellen entdecken, die bislang eher wenig Berücksichtigung gefunden haben. Margaret A. Rose hat mit ihrem neuen Buch Flaneurs & Idlers eine bemerkenswerte Edition von zwei bislang schwer zugänglichen Texten aus dem Umkreis der Kulturgeschichte des Flaneurs vorgelegt. Gemeint sind Louis Huart, "Physiologie du flâneur" und Albert Smith, "The Idler upon Town" (1848).
Der Dandy gehört zum wohlvertrauten Figurenrepertoire des europäischen Fin de Siècle und Symbolismus; er verkörpert neben dem Flaneur und dem Spieler einen jener berühmt-berüchtigten Typen des literarischen und kulturellen Lebens im 19. Jahrhundert, die von Dichtern und Kultursoziologen - von Charles Baudelaire bis Walter Benjamin - immer wieder fasziniert beobachtet und mit zeitdiagnostischem Blick detailfreudig beschrieben wurden. Der Attraktivität des Themas entsprechend, mangelt es nicht an wissenschaftlichen Studien zu diesem Gebiet, etwa die richtungweisende literaturwissenschaftliche Arbeit von Hiltrud Gnüg ("Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur" Stuttgart: Metzler 1988) oder die jüngst erschienene, breit gefächerte kulturgeschichtliche Untersuchung des Berliner Kultur- und Literatursoziologen Günter Erbe ("Dandys - Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens" Köln: Böhlau 2002), die einen umfassenden Überblick über den Dandy als kulturelles Phänomen in Europa bietet. Warum also, so könnte man sich fragen, noch eine weitere Studie über jene oft geschilderte und vielfach analysierte literarische und kulturelle Erscheinungsform? Zunächst ist man versucht anzunehmen, das Thema sei weitgehend erschöpft und daher eher unergiebig. Gleichwohl ist die von Fernand Hörner vorgelegte Studie weit mehr als dandyhafter Luxus, denn es gelingt dem Verfasser, die proteische Gestalt des Dandys durch ein subtiles methodologisches Netzwerk, im Rückgriff auf Michel Foucaults Archäologie und den New Historicism, zu erfassen und aus der gewählten systematischen Perspektive subtil zu beleuchten.
Eine Untersuchung räumlicher Arrangements der Geschlechter klingt als Vorhaben für einen Sammelband so umfangreich wie vielversprechend. Und wirklich besteht ein besonderer Reiz dieses Bandes in seiner thematischen und methodischen Vielfalt. Neben der Herausgeberin Marianne Rodenstein beschäftigen sich acht weitere Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen mit Räumen und deren geschlechtlicher Zuordnung: Forscherinnen aus der Politologie, der Kulturanthropologie und der Soziologie, aus der Geografie und der Stadtplanung […] Bereits in der Einleitung wird dabei die prinzipielle Veränderbarkeit von Raumverteilungen und deren Konnotationen betont. Jene sind nichts statisch Festgeschriebenes, sondern werden erst durch (persönliches oder kollektiv-gesellschaftliches) Handeln konstituiert und können somit in ihren Zuschreibungen auch modifiziert und verändert werden. Das erklärte Ziel des Sammelbandes besteht nun darin, Einblicke in die Geschlechterkulturen von Gesellschaftssystemen - fremden und eigenen - zu bieten und "für die räumliche Dimension unseres Handelns" und die darin zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Strukturen zu sensibilisieren
"Worüber ich schreiben will, hätte Erika Mann nicht gefallen, und ihrer Mutter Katia Mann auch nicht. Ich will über das Jüdische in der Familie des deutschen Dichters Thomas Mann schreiben." So beginnt Viola Roggenkamp ihre Biografie "Erika Mann - Eine jüdische Tochter". Im Verlauf des Buches wird tatsächlich immer deutlicher, dass es ihr nicht so sehr um die älteste Tochter des "Zauberers" geht, sondern um die Geschichte eines anderen "Familienmitglieds", eines verleumdeten, ignorierten: dem Jüdischen. Damit rückt Roggenkamp einen Aspekt in das Zentrum ihres Vorhabens, der in der umfangreiche Forschungsliteratur zur Familie von Thomas und Katia Mann sowie zu ihren Kindern kaum je erwähnt wird. Eben das aber macht ihn für neue Fragestellungen so interessant wie ergiebig: "Warum aber wurde in der Familie Mann das Jüdische verleugnet - im Gegensatz zur Homosexualität, worüber man am Teetisch offen plauderte?"
Aus dem umfangreichen Werk des französischen Philosophen und Sozialhistorikers Michel Foucault (1926-1984) ist ein weiteres Buch auf Deutsch erschienen. Der Band „Die Macht der Psychiatrie" geht auf eine Reihe von Vorlesungen zurück, die Foucault im Wintersemester '73/'74 am Collège de France gehalten hat. Die in Frankreich bereits im Jahr 2003 veröffentlichten 12 Vorlesungen sind der Geschichte der Psychiatrie gewidmet und konzentrieren sich vor allem auf ihre Frühphase. Wesentlich gestützt auf französische Quellen zeigt Foucault, wie sich die Psychiatrie als medizinisch-wissenschaftliche Disziplin im 19. Jahrhundert etabliert. Damit schließt Foucault an sein erfolgreiches Werk „Wahnsinn und Gesellschaft" („Histoire de la folie", 1961) an, das die wechselvolle Geschichte des Wahnsinns und der Unvernunft in ihrem konstitutiven Verhältnis zu Vernunft erzählt. Das, was Vernunft heißt, erscheint nur noch als historisches Produkt seiner Auseinandersetzung mit dem Wahnsinn. Der Wahnsinn, argumentiert Foucault, stelle eine Möglichkeit des Menschseins dar - eine Möglichkeit, die von der Vernunft zum Schweigen gebracht wurde, indem man die Irren isoliert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen hatte. Dort, wo die archäologischen Untersuchungen aus „Wahnsinn und Gesellschaft" enden, nimmt Foucault den Faden wieder auf. Er weist selbst in der ersten Sitzung der Vorlesungsreihe „Die Macht der Psychiatrie" auf den Zusammenhang und die Kontinuitäten mit seinen früheren Forschungen hin, um anschließend fortzufahren mit der Geschichte des Wahnsinns.
Seit vielen Jahren problematisiert Bernhard Waldenfels in einer Reihe von Publikationen die Frage nach der Wahrnehmung des Fremden, die in der aktuellen Diskussion vor allem unter dem Stichwort "Alterität" immer mehr an Relevanz zu gewinnen scheint. Sein jüngster Beitrag unter dem Titel Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden empfiehlt sich vor allem als Komplementärlektüre, zur Einführung oder erläuternden Begleitung der früheren Schriften. Waldenfels gibt an, das Fremde nicht als Spezialthema - isoliert in einer "gedanklichen Quarantäne" (S.7) - behandeln zu wollen. Dies würde bedeuten, es von einem Standpunkt des Vertrauten und Bekannten aus zu diskutieren und somit von vorneherein zu verfehlen. Vielmehr sei das Fremde als etwas zu nehmen, das "nicht dingfest zu machen ist" (ebd.) und sich unserem Zugriff entzieht. So vermag es zu überraschen, zu beunruhigen und zu erschrecken, so dass die Erfahrung des Fremden letztlich in ein Fremdwerden der Erfahrung übergeht. Nur wenn diese Radikalität der Fremderfahrung akzeptiert wird, kann eine Phänomenologie realisiert werden, die sich den Anforderungen des Themas zu stellen weiß. Deren Grundmotive skizziert Waldenfels in sechs Kapiteln, die sich mit folgenden Schlüsselthemen beschäftigen: "Ordnung - Pathos - Antwort - Leib - Aufmerksamkeit - Interkulturalität" (S.9).
Der peruanische Autor Ciro Alegría beschreibt in seinem Roman "El mundo es ancho y ajeno" [Die Welt ist groß und fremd] von 1941 wie ein Indio auf einen Berg in den Anden steigt. Rosendo, Alegrías Protagonist, steigt auf diesen Berg, um Heilkräuter zu suchen, aber zu seiner Bergbesteigung wird er auch aus einem anderen Grund motiviert:
"En realidad, subió también porque le gustaba probar la gozosa fuerza de sus músculos en la lucha con las escarpadas cumbres y luego, al dominarlas, llenarse los ojos de horizontes. Amaba los amplios espacios y la magnífica grandeza de los Andes."
Rosendos Motivation scheint auf den ersten Blick die eines Alpinisten zu sein: Nämlich erstens der Drang nach Bewegung ("probar la gozosa fuerza de sus músculos"), zweitens ein Eroberungswille ("al dominarlas") und drittens den Blick von oben, als Panorama, zu genießen ("llenarse los ojos de horizontes"). In der deutschen Übersetzung heißt es:
"Aber er ging in Wahrheit auch hinauf, weil er an den jähen Abhängen die Kraft seiner Muskeln fühlen wollte, und weil er nichts so sehr liebte, wie von bezwungenen Berghöhen aus die Augen an fernen Horizonten zu weiden. Er liebte die riesigen Bäume, die erhabene Höhe der Anden […]." "Magnífica grandeza" lässt sich zwar mit "erhabene Höhe" übersetzen, doch gibt es für den Begriff "erhaben" im Spanischen treffendere Begriffe wie zum Beispiel elevado oder sublime. Magnífica meint dagegen vielmehr "prächtig". Können die Anden aus Rosendos Perspektive, aus der Perspektive eines Indios, als erhaben beschrieben werden? Will Alegría seinen Protagonisten die Anden tatsächlich so wahrnehmen lassen wie ein Europäer die Alpen im 18. Jahrhundert? Es scheint, als ob die Schweizer Übersetzer in Alegrías Text ein Stück europäische Tradition und Kultur "hineininterpretieren", nämlich das Gefühl des Erhabenen beim Anblick eines Bergmassivs wie es in der europäischen Tradition vor allem seit Kant eine bedeutende Rolle spielt. Ist der Blick der Schweizer Übersetzer in diesem Fall also eurozentrisch, da sie ein europäisches Gedankengut auf ein außereuropäisches Phänomen, das Hochland der Anden aus Sicht eines Indios, projizieren bzw. es dort wiederzufinden glauben und die Andersartigkeit der Fremdkultur mit der Übersetzung – vielleicht unbewusst – überspielen? Die Übersetzung erweist sich in diesem Fall also als problematisch.
Im Blick auf seine künstlerische Motivation befragt, warum er eigentlich eine Oper über den frühneuzeitlichen Gelehrten Galileo Galilei komponiert habe, bekennt sich Philip Glass zu einem lebensbegleitenden Interesse und einer anhaltenden Faszination durch Galileis Persönlichkeit, die ihn schon seit frühester Kindheit angezogen und zu eigenen Experimenten angeregt habe. Offensichtlich lässt sich Glass’ Bewunderung für Galilei auf vielfältige Ursachen zurückführen, nicht zuletzt auf kindliche Neugier und Experimentierfreudigkeit. In der Tat spielen in Glass’ Opernkomposition die wissenschaftlich-philosophische Vorstellungskraft und die Kreativität, die den Beruf des Naturwissenschaftlers mit dem des Künstlers verbinden, eine zentrale Rolle. Glass erkundet in seiner Opernkomposition unter anderem, wie die naturwissenschaftliche Neugier, die aufmerksame Beobachtungstätigkeit und konstruktive Hypothesenbildung des Forschers mit dem künstlerischen und ästhetischen Imaginären zusammenhängen und sich wechselseitige Impulse vermitteln können. Diesen Zusammenhang anhand der Figur Galileis beispielhaft auszuloten bildet, wie wir noch sehen werden, das Hauptinteresse des Komponisten. Interessanterweise führt Glass’ Galilei-Oper das ruhelose Erkenntnisinteresse des Forschergeists in einer geschickten entwicklungspsychologischen Durchleuchtung, die der Oper als ‚Stück im Stück’ in Form einer Rückblende eingeschrieben ist, auf eine prägende sowie formative ästhetische Erfahrung im Kindesalter zurück. Wir möchten in unserem Beitrag im Folgenden der Frage nachgehen, was den amerikanischen Komponisten Philip Glass, Ikone der so genannten ‚minimal music’, dazu bewogen haben mag, eine Oper über Galilei zu verfassen und welche dramatischen, musikalischen und ästhetischen Zielsetzungen er dabei im Einzelnen anstrebt bzw. realisiert. Inwiefern, so wäre darüber hinaus zu überlegen, bieten die Musik und die Oper der Gegenwart ein geeignetes Medium für ein zeitgenössisch angemessenes Galilei-Porträt?
Es ist wiederholt die These vorgebracht worden, die Grundmuster der europäischen Metaphysik entsprängen den grammatischen Grundmustern der zur Darstellung dieser Metaphysik verwendeten Sprache, allgemeiner des indoeuropäischen Sprachtyps. Was ist z. B. das Sein anderes als eine abstrakte Fiktion, ermöglicht durch die Nominalisierung des Hilfsverbs? Weder findet sich in jeder Sprache ein solches Hilfsverb noch muß überall, wo es vorhanden ist, auch Nominalisierung möglich sein. Ist somit die Rede vom Sein, Ontologie, nicht – unbeschadet der Gründe, um derentwillen diese Rede geübt wird – eine bloße Irreführung durch die Mittel unserer Sprache? Und ferner: Ist nicht die im Wort "Ontologie" erwähnte Logik von eben demselben Sprachbau abhängig (wenn schon nicht von der menschlichen Psyche)? Wir analysieren doch das Urteil in Subjekt, Prädikat und Kopula, S ist P; und auch hier taucht in verräterischer Weise das Hilfsverb auf. Philosophie? Philosophie der Logik? "Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache." Mit diesen berühmten Worten leitete L. Wittgenstein eine Entwicklung ein ("Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück.") die E. Tugendhat 1976 schließlich so zusammenfaßte: "Ich kenne keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie die sprachanalytische Philosophie von der empirischen Sprachwissenschaft zu unterscheiden ist." Hat das nicht zur Konsequenz, daß am Ende die logisch-philosophischen Probleme – einschließlich aller die Philosophie der Logik betreffenden –, die doch apriori sich aus der Bewußtseinshelle des Menschen herzustellen scheinen, in einer empirischen Disziplin, der Linguistik, aposteriori also, ihre genugtuende Beantwortung finden? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Zunächst ist hier kurz zu umreißen, wie sich dem unbefangenen Betrachter die Beziehung von Logik und Linguistik gegenwärtig darstellt.
Körner vertritt mit selten gewordener Entschiedenheit den Primat des Ästhetischen, man kann auch sagen: er vertritt die Autonomie der Kunst. Aber dieser Ausdruck ist missverständlich. Er bedeutet nicht, dass Künstler tun und lassen können, was sie wollen, oder dass im Bereich der Kunst ›alles möglich ist‹. Wäre im Bereich der Kunst alles möglich, dann sollte es auch möglich gewesen sein, die mehr oder minder plausiblen Ansprüche von Feierabendlesern, Zensoren, Polizeispitzeln, Westredakteuren, Parteikontrolleuren und Stasi-Überwachern wenn schon nicht zu befriedigen, so doch wenigstens so weit in die eigene Arbeit einzubeziehen, dass einer wohlwollenden Aufnahme, sei es im Osten, sei es im Westen, nichts im Wege gestanden wäre. Dass dem nicht so war, hat im gegebenen Fall einen einzigen Grund. Das Konzept, dem Körner sich verschreibt, fordert die totale Überschreibung der Selbstbeschreibung des Gemeinwesens, des ›gemeinen Wesens‹, das zugleich das ›böse‹ ist, wie es süffisant zu Beginn des Fragments vom Mensch mit einem Nietzsche-Zitat heißt.
The current article analyzes the film Der Himmel über Berlin (1987) with regard to its intermediality with literary texts. It has been suggested that Wenders’ film creates a stylistic world, both unique and provocative in its depiction of the relationship between words and images and between literature and media. More than twenty years after its first screening it continues to defy simple analysis. As a consequence, this article supports the employment of various studies to explain the aforementioned relationships, first by reviewing German theories of medial and historical transformations and then by detailing a multifaceted analysis of the film.
Wir leben in einer Welt voller Bilder. Unser Denken funktioniert in Bildern, die menschliche Kommunikation bedient sich verschiedener Sprachbilder und das mediale Zeitalter überrollt uns mit einer wahren Flut aus bewegten und unbewegten Bildern. Die Moderne greift dabei nicht nur auf den reichen Bilderschatz vergangener Jahrhunderte zurück, sondern es werden auch traditionelle Motive variiert, verändert und verworfen. Das ursprüngliche Bild wird ergänzt durch Gegenbilder und Alternativkonzepte. Letztlich ringen sie alle, Bilder und ihre Gegenbilder, um die Deutungshoheit. Die Veranstalter Corina Erk, M.A., und Christoph Naumann, M.A., eröffneten als Promovierendenvertreter der Bamberger Graduiertenschule für Literatur, Kultur und Medien den Workshop „Gegenbilder – literarisch/filmisch/fotografisch“ und stellten das anspruchsvolle Tagungsprogramm vor, das sich in fünf Sektionen gliederte. Jedes Panel näherte sich aus einer anderen Perspektive dem Themenbündel „Gegenbild“ an.
The study offers a comprehensive overview on the works and activity of József Eötvös, central personality of the 19th-century modernisation of political culture and educational system in Hungary. It also reveals the paradoxical consequences of his efforts, namely the fact that while the first and second generation of Hungarian intellectuals returning home from Germany in the early ’40s and after the Austro-Hungarian Compromise in 1867 successfully contributed to the building of the modern cultural nation, at the end of the century the generation of émigrés chose Germany on purpose to escape the nationalistic institutional framework of Hungarian culture and sciences.
Macunaíma : eine Rhapsodie
(2007)
During the first decades of the 20th century emerges a Brazilian artistic movement that aims to break with the cultural models imported from Europe. As a landmark one may cite the Week of Modern Art in São Paulo and Mário de Andrade as one of its main figures. His novel Macunaíma stands for one of the central pieces of modern Brazilian literature and was considered by Andrade as a literary rhapsody. This article aims to compare the formal elements of the rhapsody with the actual text written in 1928.
Der Aufsatz spricht sich für eine intensivere Auseinandersetzung der germanistischen Mediävistik mit den Postkolonialen Studien aus. Diese haben seit den 1970er Jahren im englischsprachigen Raum eine wirkmächtige Diskussionskultur ausgebildet, die seit der Jahrtausendwende auch auf die Mediävistik übergreift, im deutschsprachigen Raum aber bisher kaum rezipiert wird. Um zu zeigen, dass eine Postkoloniale Mediävistik möglich und sinnvoll ist, wird die Frage diskutiert, ob es einen mittelalterlichen Kolonialismus gibt und es wird erörtert, worauf sich das ›Post‹ in ›postkolonial‹ bezieht. Ein kurzer Blick auf die angloamerikanische Forschung zeigt, welche Wege bereits beschritten wurden. Schließlich werden anhand von fünf hochmittelalterlichen Texten (Gesta Francorum, Willehalm, Rolandslied, Parzival, Herzog Ernst) exemplarische postkoloniale Lektüren vorgestellt. Solche Postkolonialen Lektüren sind, so die grundlegende Annahme, keine kulturwissenschaftliche Spielerei, sondern ein Verfahren zur Auseinandersetzung mit elementaren kulturellen und narrativen Konstellationen.
In meinem Beitrag möchte ich der Frage nach den heterotopischen Räumen im Werk Annemarie Schwarzenbachs nachgehen. Zunächst werde ich mein Verständnis des Heterotopiebegriffs nach Foucault erläutern und mich dabei besonders auf den Aspekt des “anderen” Raums und der Beziehung zum Raum konzentrieren. In einem zweiten Schritt werden die verschiedenen Räume im fiktionalen Werk der Schweizer Autorin auf ihren heterotopischen Gehalt hin überprüft.
Mit der Abwendung von Norm- und Regelpoetiken […] wird der Weg frei für individuell-besondere, dezidiert anti-systematische Reflexionen über Literatur. Im 20. Jahrhundert ist es für die Mehrzahl der Schriftsteller selbstverständlich, das eigene literarische Schaffen theoretisch-reflektierend zu begleiten. Oft knüpft sich die poetologische Reflexion an persönliche Geschichten über Erlebnisse und Erfahrungen des Schriftstellers, unbeschadet der sogenannten poststrukturalistischen Totsagung des Autors (vielfach allerdings in direkter oder indirekter Reaktion auf diese). Erinnert sei an Uwe Johnsons „Begleitumstände“, an Peter Härtlings „Finden und Erfinden“, an Peter Bichsels „Der Leser, Das Erzählen“, an Hermann Lenz' „Leben und Schreiben“ als einige Vorlesungsreihen aus der Folge der Frankfurter Poetikvorlesungen, die hier stellvertretend für viele andere stehen können. Erscheint vielen Autoren das eigene Œuvre als nachhaltig durch persönliche Erfahrungen geprägt, so ist es nur folgerichtig, wenn Auskünfte über dieses Œuvre sich mit Berichten über eigene Erlebnisse verbinden. […] Zwischen Autobiographie und Fiktion bestehe allenfalls eine fließende Grenze, so […] Hermann Lenz in seiner (programmatisch betitelten) Vortragsfolge „Leben und Schreiben“; entsprechend sei das Schreiben über die Genese der eigenen Fiktionen reflexive Selbstdarstellung. Die Vortragssituation wird zur Spiegelfläche, auf der das Gesicht des Schriftstellers erscheint. Aber was für ein Gesicht ist das?
Wie Enzensberger […] verdeutlicht, eröffnen literarische Texte […] einen Raum, in dem unterschiedliche und kontroverse wissenschaftliche Theorien […] miteinander kollidieren, wodurch ihre Bedingtheit und Relativität erkennbar wird. Die modernistische […] Vorstellung, Literatur sei subversiv, stelle in Frage, was immer sich als absolute Wahrheit ausgebe, relativiere die Ordnungen des Wissens und insbesondere alle sich verbindlich gebenden Theorien über den Menschen und die natürliche Welt, hat an Aktualität nicht verloren. […] Philosophen und Literaturtheoretiker verschiedenster Denkrichtungen kommen […] darin überein, daß Literatur subversiv ist: Gegen falsche Sicherheiten und gegen die Illusion absoluter Wahrheit gerichtet, deutet sie auf die Vieldeutigkeit aller Dinge und die Vielzahl inkompatibler Betrachtungsperspektiven hin, indem sie selbst vieldeutige und multiple Welten erzeugt. In dieser Eigenschaft ist das literarische Schreiben durch keinen anderen Diskurs ersetzbar. Die ihr hier zugeschriebene subversive Rolle als Instanz kritischer Reflexion über Begriffe, Theoriebildungen und Wissenschaft kann die Literatur allerdings nur dann spielen, wenn sie in engem und dauerhaften Kontakt zu den Wissenschaften bleibt. Die Kritik an Wissensdiskursen setzt einen ständig zu aktualisierenden .Informationsstand voraus: über die jeweils dominanten wissenschaftlichen Paradigmen, Kernbegriffe und Moden, die Strategien wissenschaftlicher Konstruktion und Darstellung dessen, was ist.
[D]ieser Veranstaltungstyp [wurde] 1996 etabliert […] und die komparatistisch angelegte Konferenz der Abteilung 2012 [wird] nunmehr zum 17. Mal in Folge ausgerichtet […]. Über den Kreis der 15 Referenten hinaus war sie mit etwa 120 aktiv mitdiskutierenden Teilnehmern gut besucht. Thematisch orientiert sich die Konferenz jeweils an einem Semesterkurs, den die Studierenden der am Department angebotenen Master‐Studiengänge (Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch) durchlaufen.
Um den vielfältigen und komplexen Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Architektur nachzugehen, versammelte die School of Language & Literature des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) unter Federführung von Dr. Robert Krause und Jun.‐Prof. Dr. Evi Zemanek Wissenschaftler aus philologischen und kunsthistorischen Disziplinen zu einer dreitägigen Tagung (1.‐3. Dezember 2011). Die Breite der Annäherungen an die „Baukunst (in) der Literatur“, wie sie sich in den Vorträgen abzeichnete, verdeutlichte nicht nur, wie stark das – selbst mit dem 'spatial turn' – nicht unbedingt systematisch perspektivierte Forschungsfeld sich unabhängig und dezentral ausdifferenziert hat sondern auch inwiefern ein endliches Zusammentreffen versierter Forscher längst überfällig gewesen ist.
Wie im Vorwort zur Plurale-Ausgabe # 1 angemerkt, scheint die „Bewegung des Falls […] prototypisch für Phänomene des Kontrollverlustes, des ungeregelten Heraustretens aus realen und symbolischen Ordnungen zu stehen.“ Diese Einschätzung möchte ich am Beispiel einiger netzkünstlerischer Werke hinterfragen. Wie das angeführte Zitat nahe legt, wird die Bewegung des Falls wesentlich durch das Moment des „ungeregelten Heraustretens“ aus einer Ordnung bestimmt. Daher kommt es mir vor allem darauf an, nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Zuschreibung von Ordnung bzw. Unordnung zu fragen. […] Die folgenden Ausführungen greifen auf Arbeiten zur Ästhetik der Netzkunst zurück. Ihre Werke zeichnen sich durch eine spezifischen Oberflächlichkeit aus, die mit ihren technischen und technologischen Bedingungen zusammenhängt. Aufgrund dieser Kontextualisierung spielt in der Netzkunst die Frage nach der ästhetischen Qualität von Störungen eine wesentliche Rolle. Die Dysfunktionalität von Software wird häufig zum Thema künstlerischen Schaffens gewählt. Netzkunstwerke stehen als Produkte eines auf Geordnetheit ausgerichteten Verlaufs – den formatierten bzw. programmierten Web-Seiten – mit der Relationalität von Ordnung und Nicht-Ordnung in Verbindung. Aus diesem Grunde bieten sich Netzkunstwerke für eine Analyse der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Zuschreibung von Ordnung bzw. Unordnung an. In besonderer Weise laden einige Werke der Gruppen Jodi und 0100101110101101.org dazu ein, sich gemäß dem formulierten Erkenntnisinteresse mit ihnen auseinanderzusetzen.
An keinem anderen fallenden Objekt der Natur scheint sich die Literatur so ausgelassen zu haben wie am Wasserfall. Die Reisenden des 18. Jahrhunderts waren vom fallenden Wasser so beeindruckt, dass sie in quasi-religiöser Ehrfurcht erstarrten. Der Fall der Twin Towers am 11. September 2001 hat die Welt in seiner Apokalyptik so stark erschüttert wie schon lange nichts mehr. Das Ereignis hat tausende von Menschen an die Bildschirme gefesselt und die Zuschauer versteinert. Meines Erachtens ist es der Fall an sich, der die Naturbetrachtung um 1800 und die Ereignisse vom 11. September verbindet. Denn in diesem Fall kreuzen sich auf merkwürdige Weise der ästhetische und der politische Diskurs. Die beiden Fälle als Zentrum des Diskurses verhindern nicht nur durch die strukturelle Gewalt, die von ihnen ausgeht, sondern auch durch ihre prinzipielle Unrepräsentierbarkeit jede ästhetische wie poetische Erkenntnis.
Die Bezeichnung »Philosophie des Beobachtens« – auch jetzt noch spüre ich seine Eigenartigkeit – hat eine eigene kleine Geschichte. Im Jahre 1969 begannen David Beniaminovič Zil‘berman (der in Moskauer philosophischen Kreisen dieser Zeit durchweg als Ėdik auftrat) und ich, über ein philosophisches Thema nachzudenken, das wir mit der Wortneuschöpfung »Psychologie des Beobachtens« bezeichneten. Im Rahmen eines Vortrags legten wir 1971 einige Prämissen einer Psychologie des Beobachtens in einem Seminar Jurij Aleksandrovič Levadas vor. […] Abgesehen von einem kurzen Artikel, den ich über Zil’berman nach seinem Tod im Jahre 1979 schrieb, wendete ich mich mindestens 20 Jahre nicht mehr dem Thema des philosophischen Beobachtens zu. Ich kehrte zu diesem zurück angelegentlich heutiger historiosophischer Versuche der Bewusstwerdung über »unsere« Zeit, denen zufolge »unsere« Zeit über eigentümliche Charakteristika verfüge, welche dem konzeptualisierenden Denken gegenüber unabhängig seien. Diese Versuche der Theoretiker der Postmoderne – in ihrer Sinnlosigkeit höchstens denen ihrer Opponenten ebenbürtig (welche darauf beharren, dass die Geschichte dem Menschen »naturgegeben« sei) – gaben mir den Anlass, einige grundlegende Ideen philosophischen Beobachtens zu überdenken, und zwar ganz ohne sie an die Psychologie anzuschließen. Ich begann zu denken, dass gerade der Zugang über die Beobachtung beim Erfassen einiger theoretischer und lebensweltlicher Situationen hilfreich sein kann, in denen es vom Standpunkt der Metatheorie der Erkenntnis oder von dem der Phänomenologie aus schwer wäre, sich zurechtzufinden (wenngleich die Philosophie des Beobachtens sowohl mit dieser als auch mit jener vieles gemein hat). Einige allgemeine Überlegungen zum philosophischen Beobachten legte ich 1994 in den ersten vier Vorlesungen über die Phänomenologie der Religion, gehalten vor Studenten der Schule für Orientstudien an der Londoner Universität (SOAS), dar. Diese allgemeinen Überlegungen bildeten auch die Grundlage der vorliegenden Arbeit. [Aus dem Vorwort]
Unendlichkeit
(2001)
Es ist der Begriff der Kraft, durch den die Begriffe Oberfläche und Unendlichkeit eine erste gemeinsame Dimension gewinnen. Folgt man der Dialektik der Kraft in Hegels "Phänomenologie des Geistes", so ist jede Kraft mehr als ihre Äußerung, da jede Kraft ein innerer Überschuß über die zur Ursache gehörenden Wirkung ist. […] Vom Glauben an die Gegebenheit und Abgeschlossenheit von Dingen und Personen, von der Beruhigung an Form und Fassade des Gegenständlichen bleibt nichts mehr übrig, sobald deren Oberfläche als Schauseite der sie bevölkernden Kräfte erkannt wird. Weil die dingkonstitiuerenden und räumlichen Momente, obzwar in der Anschauung untrennbar, dennoch nicht identisch sind, dringt in das Verhältnis des Körpers zu seiner Grenze etwas zweifach Unbegrenztes ein, das sämtliche Eigenschaften (Oberflächenbeschaffenheit, Härtegrad, Gewicht, Farbe, Klanglichkeit) in seine permanente Veränderlichkeit hineinzieht. Einmal, insofern die Grenze die äußere Umschlagszone bildet, an der sich alle möglichen Austauschprozesse des Körpers mit seiner Umgebung vollziehen, zum zweiten als infiniter, indefiniter Zustand des Körpers selbst, was seiner Präsenz den Charakter bloßer Vorhandenheit nimmt und ihm seine Unendlichkeit zurückgibt. [...] Die nachfolgenden Ausführungen zum Begriff der Unendlichkeit summieren sich nicht. Als geregelte Variationen, als freie Fügungen einer ausgegliederten Mitte unterstehen sie keiner Einheit, die ihre Zusammenfassung bereits vorgängig leitet, so wenig wie sie Resultate zu bieten haben. Nur eine Spielregel: Um den ‚Grand ouvert‘ der Oberfläche zu gewinnen, ist der höchste Trumpf schnell aus der Hand zu geben.
Der folgende Text wählt sich ein Motto, das er methodisch nicht zu erfüllen scheint: Er sieht es ganz offensichtlich auf die Oberfläche ab; er versucht ihre Beschreibung. Doch indem er sich (im)materiell beschriebenen Oberflächen widmet, kehrt er – sich über seinen Gegenstand entfernend – wieder zur Maxime zurück. Im Nachvollzug dessen, was passiert, wenn Oberflächen be-schrieben werden und graphische Qualität gewinnen, will der Text auf die […] Phänomene des Nicht-Hinsehens, des Kommen-Lassens aufmerksam machen, bei denen man von Absichtslosigkeit sprechen könnte. Angesprochen sind damit Fragen sowohl nach dem Status von Oberflächen als nachgiebigem Untergrund, osmotischer Grenz- und stabiler Trägerfläche oder aber beschichtender Auflage als auch nach der Materialität und Dimensionalität der Schrift und ihrer Fläche. Mit beschriebenen Oberflächen sind sowohl solche des Schriftauftrags gemeint als auch – und diese sind hier besonders relevant – Schriftflächen, die ihre Literalität aus sich selbst heraus zu generieren scheinen. Der Begriff »Schriftflächen« fokussiert eine Überschneidung – das Flächigwerden der Schrift in der Verschriftlichung der Oberfläche, das Hervorbringen der Fläche aus der Schrift und der Schrift aus der Fläche. Während die materielle Spezifik des »Grundes« die Gestalt der Graphie wesentlich beeinflußt und sie sogar hervorbringt, konstituiert Schrift in ihrem jeweiligen Auftrag erst die Schriftfläche als Oberfläche, und zwar über ihre Funktion als graphematischer Bewegungsträger.
Oberfläche. Projektvorstellung: AES [Lev Evzoviè, Evgenij Svjackij] – Körperoberfläche; Dimitrij Gutov – Tabula Rasa; Die Textur der Hautoberfläche – Der Abstand zum Sichtbaren; Die Oberfläche als weiße Leinwand. – Die Lüge des Künstlers; Valerij Podoroga: Kommentar ( Januar–Februar 1996); Oberfläche. Abschließende Diskussion – Vorbei reden.
[D]ie Kulturgeschichte der Allergie. Sie zeigt, so meine Behauptung, dass die Allergie – die erfolgreichste chronische Krankheit der Gegenwart – ein Symptom der Trocken- und Stilllegung des Leibes ist, ein Symptom einer ausgebliebenen Krankheit, eines Mangels an Motilität, die zur Genesung führt. Wir wehren uns dagegen, stehen zu müssen. Und wir besitzen zunehmend hypertrophe Abwehrreaktionen, die uns mit den gesündesten Absichten elend machen. Wo die Allergie erscheint, diagnostiziert sie die Pathogenese der Zivilisation, die an einer Reinheitsneurose leidet. Ob und wie eine Kulturgeschichte der Allergie der Literaturwissenschaft dienlich sein kann, lasse ich zunächst dahingestellt. Wir müssen uns dem medizinischen Befund erst annähern.
Wenn ich mir meine Erfahrungen mit aktuellen deutschen Filmproduktionen […] vergegenwärtige, so sehe ich drei unterschiedliche Ansätze. Erstens die Filme von Thomas Arslan (Der schöne Tag, D 2001) und Angela Schanelec (Mein langsames Leben, D 2001). Beide erzählen von Personen und Orten unserer Gegenwart. […] Das Geworden-sein von Personen und Konstellationen läßt sich anhand dieser Zeitschnitte begreifen, während andere Zeitschichten im Film ausgeblendet bleiben.
Zweitens denke ich an die Filme von Andres Veiel (Black Box BRD, D 2001) und Christian Petzold (Die Innere Sicherheit, D 2000). In diesen Filmen wird auf unterschiedliche Weise die Gegenwart mit der Vergangenheit konfrontiert. Diese Zeitbilder beschreiben gleichsam innere Räume, deren Konstellationen für den Zuschauer weniger sichtbar und erklärbar werden, als dass man sie erfühlen und ertasten kann. Schließlich nenne ich die Filme von Tom Tykwer mit der Hauptdarstellerin Franka Potente (Lola rennt, D 1998 und Der Krieger und die Kaiserin, D 2000). Diese Filme haben auf den ersten Blick gar nichts mit der Erfahrung von Geschichte oder Zeitgeschehen zu tun. Um mit Kracauer zu sprechen, könnte man sie als »ausgezeichnet gemachte Sachen« bezeichnen, die gleichzeitig nichts als »Staffage« und »leeres Schaugepränge« sind. Es handelt sich im Vergleich zu den obengenannten Zeitschnitten und Zeitbildern um leere Bilder, um reine Oberflächen, in denen die Projektionen zweier deutscher (Film-) Mythen auf spezifische Weise gebrochen werden. Tykwers (und Potentes) Arbeit am Mythos funktioniert anders als jene, die Kracauer bei Josef von Sternberg (Der Blaue Engel, D 1930) kritisierte. Der Romanvorlage Heinrich Manns wurde in „Der Blaue Engel“ die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft entzogen und damit ihr historischer Bezug, was ihn in eine mythische Filmerzählung verwandelte. Tykwers Filme erscheinen dagegen als synthetische Produkte, die sich punktuell auf Mythen deutscher Filmgeschichte konzentrieren. Nur in diesem Sinne ist in ihnen historische Erfahrung enthalten, die als Spur über die Namen der weiblichen Hauptfiguren – Lola und Sissi – in die Filme eingeschrieben ist. Man kann sich also fragen, ob Tykwer mit seinen künstlichen Mythen nicht gerade deutsche Geschichte sichtbar macht – und damit eine Strategie verfolgt, die auch Roland Barthes vorschlägt, um einen Mythos zu dekonstruieren, – oder ob zumindest eine solche Lektüre für die Zuschauer seiner Filme offen steht.
Ebenen : eine Skizze
(2001)
Ohne dass es tatsächlich notwendig wäre, kann die Frage gestellt werden, warum man es macht: Warum man wissenschaftlich tut – schreibt, spricht, arbeitet. Keine oder nicht nur Romane, Gedichte oder Theaterstücke schreibt, Berichte, Kritiken, feuilletonistische Essays verfasst. Nicht oder nicht nur moderiert, unterhält, Witze erzählt, lügt und verkauft. Nicht oder nicht nur einer geregelten Arbeit nachgeht mit geregelten Arbeitszeiten. Mit klaren Grenzen zwischen Arbeits- und Frei-Zeit. Warum man es sich antut, die gesamte Zeit damit zu verbringen, auch wenn man einen Großteil dieser Zeit nichts oder etwas anderes tut, wenn ein großer Teil dieser Zeit immer wieder, im Sinne eines nachweisbaren oder vorzeigbaren Ergebnisses, ergebnislos vergeht. Warum man mitunter am intensivsten daran arbeitet, die wesentliche Kontinuität des wissenschaftlichen Lebens als jene des Nichts-Tuns zu begreifen, mit dem Nicht-Tun-Können oder -Wollen zurecht zu kommen. Mit der fixen Idee, man sei damit allein, die Ausnahme der Regel, die uns im Kantschen Ideal vom metronomisch Arbeitenden als Vorbild vorgegeben ist. Nie, als impliziter Aspekt des kontinuierlichen Nichts-Tuns, werden die Dinge ohne Gewaltakt fertig. Was nicht heißt, dass es sie nicht gäbe, die Pünktlichen, Korrekten, Disziplinierten, die immer schon (vorzeitig) Fertigen.
Der Begriff der ornamentalen Prosa ist ausserhalb der slavischen Philologie kaum etabliert; neuerdings hat er ausser in die Goethe- auch Eingang in die Doderer-Forschung gefunden. Das methodische Werkzeug, das dieser Begriff für die Textanalyse bereitstellt, lässt ihn aber besonders zur Untersuchung von Texten geeignet erscheinen, die im Spannungsfeld unterschiedlicher Kulturen angesiedelt sind: Ihre jeweiligen Symbolisierungssysteme von Sprache, Religion, Kunst, Weltanschaung, Wissenschaft, wirtschaftlicher und staatlicher Organisation stellen hier unterschiedliche Codes dar, nach denen die narrative Konstitution von Bedeutung vorgenommen wird. In einer solchen Situation kann ornamentales Erzählen nicht nur Ausdruck neomythischer Bewusstseinszustände, sondern auch ein Verfahren zur Mehrfachkodierung von Texten sein. Eine Fabel, die ›zu ebener Erde‹ in einem Kulturraum angesiedelt ist, kann auf der Ebene v. a. der Lexik und Metaphorik von Äquivalenzen überlagert werden, die für ein oder mehrere Symbolisierungssysteme der anderen Kultur charakteristisch sind und als dieser Kultur zugehörig wahrgenommen werden. So vervielfältigt sich der eine, kulturell generierte Sinn zu einer Dualität oder gar einem Plural, den von dem abstrakten Nomen »Sinn« zu bilden die deutsche Sprache eigentlich nicht zulässt. […] Eine vergleichbare strukturelle Spannung legt Dževad Karahasans Östlicher Diwan (Istoèni diwan, 1989) zwischen der monotheistischen Gottesvorstellung des Islam als dem einen Sinn und der Pluralität erfahrener Sinneseindrücke offen. Die Einheit des Vielfältigen benennt bereits der Titel, den der 1953 geborene Bosnier Karahasan seinem ersten Roman gab: Als »Polsterbank« und auf dieser stattfindende »Versammlung« hat der Diwan im Persischen, Arabischen, Türkischen auch die sekundäre Bedeutung einer »Sammlung altorientalischer Gedichte«. Karahasans Orthographie, die in den originalsprachlichen Ausgaben »diwan« mit w und damit in Widerspruch zur einheimischen Norm setzt, gibt ein deutliches Signal in Richtung dieser Tradition. Zugleich kann jedoch die dargestellte Welt des Ostens nur einem westlich(er) verorteten Standpunkt als »östlich« erscheinen.
Die Sprache ist so hybrid wie ihr Gegenstand, springt vom konventionell Musikalisch- Akustischen (tunes und scores, Glocken und Synthesizer, Dröhnen und Sägen) zum Name-Dropping und zum Ding und Körper als Klangbild. Alles kommt zupass, wenn es irgend hilft, einen Weg um die alte Idee von der Unsagbarkeit der Musik herum zu finden (auch wenn die Umwegigkeit sie indirekt bestätigt). Das flinke al fresco, mit dem Filmmusik […] beschrieben wird, mag zumindest auch im publizistischen Ort der Texte begründet sein, von denen sich keiner an ein musikalisches Fachpublikum (in einem engeren und traditionellen Sinne) wendet. Und allgemeiner und deutlicher noch verweist es auf die Unsicherheiten und Krücken, mit denen sich – jenseits der spröden professionellen Terminologien – fast alles Sprechen über Musik abmüht. Gerade im Fall des Spaghetti-Westerns aber, und nirgends so sehr wie bei Sergio Leone/Ennio Morricone, ließe sich auch andersherum argumentieren: Dass die Oberflächig-, wenn nicht Oberflächlichkeit, die Orientierung der Beschreibungen von Musik am Effekt, vor allem am Effekt ihrer klanglichen ›Außenseite‹ (wie problematisch die Ortszuweisung auch ist), nicht nur einen blinden Fleck unseres konzeptuellen und sprachlichen Zugriffs auf Musik markiert, sondern einen Aspekt der Sache spiegelt. Was das heißt, sei am Beispiel von C’era una volta il West (1968) entwickelt.
In der Definition einer spezifisch Islamischen Kunst wird das Ornament als wesentliches Charakteristikum dieser Kunst hervorgehoben. […] Es wird behauptet, die Ornamentierung in der Islamischen Kunst geschehe ohne Sinn für eine hierarchische Gliederung der Oberfläche eines Gegenstandes. Immer wieder erklingt der Vorwurf, auf diese Weise verschleiere das islamische Ornament den dreidimensionalen Körper […]. Seit dem 15. Jahrhundert gilt das Ornament in der westlichen Kunstphilosophie als akzidentelle Verschönerung der substantiellen Schönheit, gewissermaßen als verführerische Verschleierung des wahren Guten. […] Man ging (geht) von der Annahme aus, das Ornament könne nicht Träger einer tieferen Bedeutungsebene sein. […] Eine solche Interpretation führt dazu, dass man die Islamische Ornamentkunst als bedeutungslosen Flächendekor einschätzen kann. Sicherlich sind im Einzelfall Kunstwerke anders beschrieben und bewertet worden. Es ist jedoch erstaunlich, wie weit die […] skizzierten Ideen nicht nur bei interessierten Laien verbreitet sind. […] Ich halte es für möglich, dass die Beschreibung der Islamischen Kunst als Ornamentkunst auf ungenauer Beobachtung beruht, mindestens die Beschreibung des Ornaments als zweidimensionalem, flächenfüllendem, hierarchielosem, formnegierendem Dekor. […] In meinen Beschreibungen geht es darum, verschiedene Tiefen in der Kunst zu erblicken, die bislang als oberflächliches Ornament beschrieben wurde. Als Beispiele habe ich Objekte aus dem Bestand der Sammlung Islamischer Kunst des Pergamonmuseums zu Berlin ausgewählt, unter Hinzuziehung einiger Architekturbeispiele, die von unterschiedlichen Orten und aus unterschiedlichen Zeiten stammen. So habe ich herrscherliche Auftragsarbeiten neben alltäglicheren Werken ausgewählt und profane Gegenstände neben solchen, die für eine spezielle religiöse Funktion geschaffen wurden. Dies soll eine dem Umfang dieses Beitrages gemäße Repräsentation all jener Kunstobjekte sein, die bislang unter dem Begriff Islamische Kunst zusammengefasst werden.
Gemeinsamer Bezugspunkt aller wissenschaftlichen Bemühungen ist die Lebenswelt. Infolge ihrer Eigendynamik, die auf der Beantwortung selbstgestellter Fragen beruht, entfernt sich eine Fachdisziplin jedoch gewöhnlich immer weiter von diesem Zentrum, mit dem Ergebnis, dass das gegenseitige Interesse schwindet. Daraus erwächst u. a. ein Problem für die interdisziplinäre Verständigung, die zum einen schwieriger wird, weil sie auf lebensweltliche Begriffe angewiesen ist, die aber nicht mehr mit den Fachbegriffen korrelieren; die zum anderen aber auch unnötig erscheint, weil das verbindende Element zwischen den Disziplinen nur der beiderseitige lebensweltliche Bezug sein kann. Wie sollen sich die in subtilen, aber oft wenig scharfen Begriffen gefangenen Diskurse in den Geisteswissenschaften mit den stark technisch vermittelten Forschungen in den experimentellen Naturwissenschaften begegnen, deren Ergebnisse sich nicht mehr von den Geräten, mit denen sie gewonnen wurden, trennen lassen? Die Techniken von Diskurs und Messung verstellen hier eben auch die Kommunikation. Die physikalische Chemie der Oberflächen ist stark mit diesem Problem behaftet, weil sie kaum an Alltagserfahrung anschließt. Der folgende Text versucht ein verbales Entgegenkommen, ohne den apparativen Kontext zu verleugnen.
Seine Ansätze zu einer Ästhetik der Oberfläche entwickelte Semper – gleichzeitig wie Marx seine Theorie des Fetischcharakters der Ware – angesichts der unabsehbaren Auslagen der Kunstindustrie, in denen sich das fortschrittsgläubige Bürgertum des technischen Zeitalters auf den nationalen und internationalen Gewerbeausstellungen feierte und aus denen es seine vitalsten Energien schöpfte. Semper verfasste seine epochemachende Schrift „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ als Reaktion auf die Londoner Weltausstellung von 1851, wo Joseph Paxtons berühmter Crystal Palace der neuen Warenherrlichkeit nicht nur reichlich Raum zur Ausbreitung bot, sondern die neuen Materialien Eisen und Glas auch gleich selbst eindrücklich zur Schau stellte. Die Schrift nimmt frühere Überlegungen zur Bemalung antiker Tempel und Statuen auf und mündet später in Sempers Hauptwerk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten“ (1860–1863). Das Prinzip, unter das Semper seine »praktische Ästhetik« (so lautet der Untertitel des Werks) stellt, ist jenes der Bekleidung. Damit wären wir bei der im Titel angekündigten Mode angelangt. Am Leitfaden der Mode möchte ich im Folgenden die Anfänge einer modernen Ästhetik der Oberfläche bei Semper exemplarisch für die deutschsprachige Kunsttheorie verfolgen. […] Ihre Produktivität ist nicht nur in der von industriell-technischen Entwicklungen inspirierten ›praktischen‹ Ästhetik zu beobachten, für die Semper ein Beispiel ist. Sie schlägt sich ebenso in der von den schönen Künsten und der Kunstphilosophie herkommenden ›idealistischen‹ Ästhetik nieder, wie sie etwa Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) vertritt. Hier scheint die Mode ihre für die Reflexion über Kunst innovative Funktion gerade ihrer Randständigkeit, ihrem provokativen Außenseitertum im Verhältnis zum ästhetischen Kanon zu verdanken. Dieser Umstand verbindet sie mit der Karikatur und dem Hässlichen.
Eine der primären Aufgaben nicht nur der Komparatistik, sondern der Literaturwissenschaft im Allgemeinen sollte es sein, Literatur als ein globales Phänomen zu erfassen und zu beschreiben. Manifestiert sich der globale Charakter von Literatur auch am augenscheinlichsten im Rahmen einer Poetik der imitatio in motivischer, thematischer und gattungsgeschichtlicher Hinsicht, so besteht er dennoch auch dann, wenn bestimmte Techniken eine internationale Präsenz besitzen. Dies gilt beispielsweise für die Konkrete Poesie, deren Funktion als einer der Katalysatoren der Globalität von Literatur im Folgenden erläutert wird.
Konkrete Poesie ist per se ein internationales Phänomen, oder wie Eugen Gomringer es formuliert hat: „die konkrete poesie […] ist einer der konsequentesten versuche, poesie inter- und übernational zu begründen.“ Zunächst müssen wir – im Sinne wissenschaftlicher Eindeutigkeit – zwischen einem engeren und einem weiteren Begriff der Konkreten Poesie unterscheiden. Die Konkrete Poesie im engeren Sinne meint eine seit den 1970er Jahren historisch gewordene Dichtung. Ihre ‘Geburtsstunde’ lässt sich zu Recht als „transatlantic baptism“ , nämlich durch Eugen Gomringer und Décio Pignatari in der Hochschule für Gestaltung im Jahre 1955 in Ulm, bezeichnen. In den frühen 1950er Jahren sowohl in Deutschland als auch Brasilien entstanden, findet sie Aufnahme in fast allen europäischen Ländern, Nordamerika und Japan. Im Folgenden soll der Begriff der Konkreten Poesie jedoch nicht in diesem unnötig eingeschränkten historischen Sinn gebraucht werden, sondern in einem sehr viel umfassenderen Sinn: Er ist all jenen Gedichten vorbehalten, in denen eine Transpa-renz des Zeichengebrauchs nicht gegeben ist, sondern stattdessen die Materialität der jeweils eingesetzten Zeichen im Vordergrund steht, wie dies auf ähnliche Weise schon im Futurismus und Dadaismus betrieben wurde, bevor der Surrealismus diesen Experimenten ein jähes Ende bereitet hat. Gilt dies auch für die Bereiche der Lautdichtung, der Gedichtobjekte u. ä., so beschränken sich die folgenden Ausführungen auf den visuellen Bereich, und zwar auf visuelle Konkrete Poesie nach 1945, zumal in der Dichtung aus dieser Zeit eine starke Tendenz zu konkretistischen Verfahrensweisen herrscht.
„Die Lose ähneln sich, die Odysseen“. Dieser Vers Ingeborg Bachmanns aus ihrem Gedicht Von einem Land, einem Fluss und den Seen behauptet, die Irrfahrten und Schicksale der vielen Odysseus-Gestalten seien einander ähnlich. Wenn sich aber die Schicksale und Heimkehrreisen der Umherwandernden ähneln, dann könnten sich auch ihre literarischen Werke ähnlich sein. Ausgehend von dieser Vermutung sollen im folgenden Beitrag zwei große Lyriker des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt werden, die sich mit der Frage des Exils und seiner Überwindung beschäftigt haben: die Österreicherin Ingeborg Bachmann und der Iraker Sa'dī Yūsuf. Zwar gehören beide unterschiedlichen Sprachräumen und Literaturtraditionen an. Zugleich sind sie aber aus diesen Räumen ausgebrochen, um neue geografische, sprachliche und gedankliche (W)orte zu erkunden, die keine fest umrissenen Grenzen mehr kennen. Darüber hinaus haben sie in ihren Texten auf ähnliche Weise Untergänge und Auferstehungen inszeniert, die meines Erachtens den Erfahrungen ihres Exils entspringen. Ihre Sichtweisen auf das Eigene und Fremde fordern uns auf, unseren eigenen Blick in einer Zeit zunehmenden und zugleich konfliktreicheren Zusammenlebens zu öffnen und zu hinterfragen.
Der Aufsatz analysiert die Sudelbuchaufzeichnung J 528 als Modellstudie zu grundsätzlichen aufklärerischen Fragen und als Beispiel für Lichtenbergs besonderes Denk- und Schreibverfahren in drei Hinsichten: 1) in epistemologischer beleuchtet Lichtenbergs Text das Verhältnis der Vernunft zu anthropologischen und sozialen Faktoren und gibt eine Art Genealogie des Rationalen; 2) in methodologischer und poetologischer ist der Text ein Paradigma für den Transfer wissenschaftlicher Methodik auf nichtwissenschaftliche Gegenstände; 3) in rezeptionstheoretischer findet diese Poetik ihr Pendant in einer von Lichtenberg ebenfalls bedachten aktiven, gegenstandgenerierenden Lektüre. In anderen Notaten in den Sudelbüchern ist er wahrnehmungsphysiologischen und -psychologischen Problemen auf der Spur, die die Gestalttheorie des 20. Jahrhunderts beschäftigen werden. Kritisch gegen selbstverschuldete Unmündigkeit wie gegen Rationalismus betreibt er Aufklärung über Aufklärung.
The present essay outlines a project, which aims to catalogue and tap the potential of medieval German manuscripts in the collections of both church and secular libraries and archives in Romania. The project complements current efforts to catalogue and explore medieval German manuscripts in Eastern European countries. At the same time, the project prepares the ground for a regionally oriented literary history of Transylvania. Here, too, the aim is to build on current trends in medieval German studies in particular. Instead of a concept of literary history based almost exclusively on individual authors and their work, these trends advocate a literary historiography that turns to regional factors and manuscript transmission in describing literary activity in a particular area.
Die postmoderne Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben und die daraus resultierende Frage, wieviel Wirklichkeit ein Roman verträgt, wird verstärkt von den Gerichten beurteilt und nicht von Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Das in der Praxis schon übliche Gegenlesen von Manuskripten durch die Verlagsjustitiare auf die potentielle Verletzung Rechte Dritter birgt in sich die Gefahr einer ›Vorzensur‹. Die zunehmende Verrechtlichung und die damit einhergehende Regulierung ist eine bedenkliche Entwicklung, die schleichend zu einer Unterwanderung der Kunstfreiheit führen könnte. Besonders dringlich erscheint eine zunehmende Beteiligung von Literaturwissenschaftlern an dem Diskurs. Ein Ringen im Einzelfall scheint aus Mangel an generellen Lösungen und Definitionen, in literaturwissenschaftlicher sowie juristischer Hinsicht, auch in Zukunft unumgänglich zu sein.
[...] Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler verkörpert die Leidenschaftskomponente des französischen Wagnerismus mit ihrer Verquickung von Ablehnung und Bewunderung, von partieller Unwissenheit und tiefer geistiger Verbundenheit besser als Stéphane Mallarmé. […] [S]ein Wagner-Tableau scheint symptomatisch einerseits für die Übertragungsmechanismen jener elektrisierenden künstlerischen Substanz aus Deutschland und andererseits für die Modalitäten ihrer Integration in eine ihr fremde intellektuelle Landschaft. Aus diesem Grunde ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass bis heute die Beziehung des französischen Dichters zum Parsifal-Komponisten den weniger bekannten Seiten der Geschichte des Wagnerismus in Frankreich zuzurechnen ist. Die „Rêverie d’un poète français“ und die „Hommage à Wagner“ haben sich in der Wagner-Forschung nie jener Beliebtheit erfreut, die ein Thomas Mann oder […] Baudelaire, in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Die hermetische Dignität der Texte Mallarmés mag hierfür sicherlich eine Erklärung sein. Dennoch wäre es bedauerlich, Mallarmé nur einigen wenigen Lyrik-Spezialisten zu überlassen, die sich oft damit begnügen müssen, die Missverständnisse des Dichters zu perpetuieren, ohne dabei nach tieferen Zusammenhängen suchen zu können, deren Bedeutung jedoch, gerade im Hinblick auf die unterschiedlich gearteten intellektuellen und kulturellen Kontexte beider Künstler, besonders aufschlussreich sein könnten. Dementsprechend soll im weiteren Verlauf versucht werden, den »gravierenden Konflikt« (Philippe Lacoue-Labarthe) zwischen Wagner und Mallarmé neu zu deuten und besonders den ästhetischen Standpunkt des Komponisten zur Geltung kommen zu lassen. Hierdurch kann schließlich vermieden werden, dass, wie so oft, die Auseinandersetzung des französischen Dichters mit der Kunst Richard Wagners zur Philippika gegen die Anmaßungen des deutschen Gesamtkünstlers umfunktioniert wird.
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus‚ Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint«
waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.
Von den Evidenzen der Kunst
(2008)
Vom Enden der Kunst heute spreche ich unvermeidlich im Anschluss an Dieter Henrich. In seinem Zugriff schlägt das Fragen nach dem Enden von Kunst und Subjektivität in hochreflexiver Weise selbstwiderlegend aus. Henrich bindet die Kunst an das Subjekt. Damit entsteht sie in einer Dynamik zwischen beschränkter, endlicher Suche und der Möglichkeit des Erfahrbarmachens eines kleinen oder, logisch und erfahrungsmäßig, auch unverhältnismäßig großen Abschnitts des unendlichen Unausgeschöpften. Subjektivität bestätigt Henrich als Modus des (endlichen) Lebensvollzugs, der ›in einem Wissen von sich selbst steht‹ und dessen ›Aktionen unter der Voraussetzung eines solchen Wissens von sich‹ organisiert sind. Der Grund des Selbstbewusstseins bleibt jedoch dunkel und das Subjekt somit der Selbstdeutung bedürftig. Als ein Modus der Selbstverständigung mit bestimmten Eigenschaften wird die Kunst verankert.
Migration ist in den letzten Jahren ein aktuelles Thema der Forschung geworden, das auch von der lyrischen Gattung bzw. in Liedern behandelt wird und viele populäre Sänger auf der Welt beschäftigt. Die vorliegende Studie untersucht Lieder, die die Migration thematisieren. Migration wird hier als globales Phänomen aufgefasst. Zwar wird der Begriff oft hauptsächlich auf afrikanische Migranten bezogen, aber in der Tat betrifft die Migration viele andere Nationen: Überall auf der Welt, wo Armut oder Krieg herrscht, erlebt man dieses Phänomen. Natürlich ist es in Afrika stärker ausgeprägt: Der Traum vieler junger Afrikaner ist es, ihr Land zu verlassen, um ihre Träume in Europa oder in Amerika zu verwirklichen. Dafür sind sie bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Je strenger die Grenzen Europas bewacht werden, desto mutiger werden die „Migrationskandidaten“: Sie suchen alle Umwege, um das „Eldorado“ zu erreichen. Untersucht werden entsprechende Erfahrungen, die in zwei Liedern nacherzählt werden. Es handelt sich um die Lieder "Ouvrez les frontières" und "Un Africain à Paris" des aus der Côte d’Ivoire stammenden populären Sängers Tiken Jah Fakoli, den man als "Botschafter" der afrikanischen Jugend betrachtet. Dabei wird den Fragen der stilistischen Darstellungen und Komponenten dieser Lieder nachgegangen, wobei sowohl die Texte der Lieder als auch deren Videoclips in Betracht gezogen werden.
Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, die bestehende Analogie von zwei Märchen zu untersuchen. Es handelt sich um das Märchen "Mawu et ses trois enfants" aus Togo und Grimms Märchen "Der Arme und der Reiche". Bei der Untersuchung kommt ein wichtiger Punkt zum Vorschein: Beide Male geht es um Gott, der Menschen auf eine Probe stellt. In "Mawu et ses trois enfants" zum Beispiel hat Gott drei Söhne, deren Gehorsamkeit ihm gegenüber er überprüft. In "Der Arme und der Reiche" hingegen kommt er in Gestalt eines einfachen Reisenden zu Besuch zu einem reichen Mann und dann zu einem armen. Die Weise, wie sich die Besuchten in den jeweiligen Märchen verhielten und wie sie vom Gott belohnt worden sind, wird analysiert. Interessant ist es auch bei den zwei Märchen die Tatsache, dass obwohl sie aus so weit entfernten Ländern wie Togo und Deutschland stammen, jedoch Einflüsse nachweisen, die dazu beitragen, Brücken zwischen den vielfältigen Kulturen zu bilden und somit einen Dialog zwischen den Kulturen unterstützen.
Mehrere Werke Christian Boltanskis zitieren das Arrangement der Photowand mit den Bildern von Familienangehörigen. Ein Beispiel dafür ist die Installation "Album de photos de la famille D. entre 1939 et 1964" (1971): Rund 180 Schwarzweiß-Familienaufnahmen aus dem Besitz von Boltanskis Freund Marcel Durand wurden abphotographiert, geordnet und ohne Kommentar aufgehängt. Doch wer diese Installation betrachtet, kennt – anders als die korsischen Trauernden in der Gesellschaft ihrer photographierten Ahnen-Gespenster – die dargestellten Personen nicht. Sie haben für uns keine Namen, keinen Status, keine Geschichten. Die Installation steht metaphorisch für ein beliebiges Familien-Gedächtnis, hat eben darum aber keine memoriale Kraft. In einem Selbstkommentar bekräftigt der Künstler, dass es ihm nicht darum ging, einer bestimmten Familie ein Denkmal zu errichten, die Gesichter bestimmter Personen aus der Vergangenheit in die Gegenwart ›blicken‹ zu lassen. Im Gegenteil stehe hier eine Familienphotosammlung für alle möglichen anderen, und Voraussetzung dafür sei die Unbestimmtheit der Abgebildeten: »Warum es gerade dieses Album sein musste? Durand ist ein echter Franzose, trägt den geläufigsten Namen Frankreichs und hat eine total normale Kindheit erlebt – anscheinend. Natürlich hätte ich auch mein eigenes Fotoalbum nehmen können. Aber das wäre viel zu speziell gewesen. Deshalb habe ich ein völlig austauschbares Album ausgewählt.«
Der mythische-sakrale Bericht scheint dazu bestimmt zu sein, eine Verkörperung zu finden, die der zu Grunde liegenden Vorstellung eine größere Anziehungskraft verleiht, wobei beides, Verkörperung und Vorstellung, nur eng miteinander verbunden ihre religiöse Wirkung erlangen können. Das sehen wir am Beispiel einer Pilgerfahrt, bei welcher die Pilger danach streben, ihrem ›Heiligen Objekt‹ körperlich wie geistig näher zu sein. [...] Unter dem ›Rätsel der Mythologie‹, sofern davon die Rede sein kann, würden wir eine Art Bewegung der Mythologie verstehen, die darin besteht, die sakralen Werte für bestimmte Institutionen wie Religion oder Politik festzulegen und ebenso in einer zweiten Phase ihrer Selbstbewegung die eigene ›Identität‹ als Mythologie aufzugeben und unter anderen ›Gestalten‹ in Erscheinung zu treten: Sie heißt ab jetzt nicht mehr ›Mythologie‹, sondern ›heilige Geschichte‹ oder ›nationale Identität‹.
Goethe wie Hugo machten gelegentlich Gebrauch von Bruchstücken der Alchemie, die bei den Adepten früherer Zeiten zur Rezeptur des Okkulten zählten. Das Interesse der beiden Schriftsteller an der Ars Magna galt weniger den Ritualen magischer Operationen, als der in alten Bildern und Schriften enthaltenen häretischen Symbolik. Verankert war diese im geozentrischen Weltbild und in einem kosmosophischen Ideenhimmel, dessen Grund eine geheimnisvolle, zu allerlei Deutungen herausfordernde Verschmelzung der Erkenntnis mit der Imagination bildete. Der wahre Alchemist sah sich daher selber gern in der Rolle des Demiurgen, der mehr als nur eine Kunst zu beherrschen wusste, um mit ihrer Hilfe eigenwillige Werke hervorzubringen, in denen – wie flüchtig auch immer – Unsichtbares sichtbar und das Trübe ins Lichte verwandelt werden sollte. Rege Geister vom Schlage Goethes und Hugos konnten sich in diesem Selbstverständnis durchaus wiedererkennen und frei nach eigenem Gutdünken Figuren wie Faust und Claude Frollo schaffen, die – auch wenn sie von einem anderen Zeitgeist beseelt waren – ihre Verwandtschaft mit den antiquarischen Masken nicht verbergen.
The revival of Carl Schmitt’s partisan theory on both sides of the Atlantic confirms the return of one of the most contentious political thinkers of the last century. His Theorie des Partisanen (1963) is only now appearing in English, its prophetic voice recalled by the aftermath of 11 September 2001.
Dichterlesungen boomen. Man muss nur in das Tagesangebot der Zeitungen schauen, man muss nur in Buchhandlungen gehen, in Volkshochschulen, in Stadtbüchereien: überall sieht man Plakate und Programme, die Lesungen zeitgenössischer Autoren anbieten. Das ist umso verwunderlicher, weil im Allgemeinen Dichterlesungen nicht allzu beliebt sind, auch bei vielen Autoren nicht. Das einschlägige Motto „Nichts ist widerlicher als eine sogenannte Dichterlesung“ stammt aus Thomas Bernhards Schimpfroman „Alte Meister“, in dem der 82jährige Musikkritiker Reger seinen typischen Wiener Schmäh über fast die gesamte österreichische Kunst, Literatur und Musik, in seitenlangen Monologen ausgießt.