CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Zu gegenseitigen Begegnungen der Tschechen mit den Deutschen samt deren Kultur und Denkweise kommt es auf dem tschechischen geografischen Gebiet seit jeher. Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass Deutschland Tschechiens größtes Nachbarland ist, sondern auch darauf, dass die deutsche Bevölkerung in Böhmen, Mähren und Schlesien stark vertreten war. Die gegenseitigen Beziehungen beider Nationen wurden dadurch stark geprägt. Sie kennzeichneten sich durch gewisse, oft auch dramatische Schwankungen. Es ist stets an die Licht- und Schattenseiten in den Beziehungen beider Völker zu erinnern, um die gegenseitigen Beziehungen nicht auf Emotionen und kurzfristigen Einflüssen, sondern auf gegenseitiges Verständnis und Respekt zu bauen. Dazu könnte auch das vom Brünner Germanisten Aleš Urválek verfasste Buch "Vyměřování Německa. Promluvy o podstatě němectví" [Die Vermessung Deutschlands. Reden über das Deutschsein] beitragen, das sich damit beschäftigt, wie ein Teil der deutschen Nachkriegsintelligenz über das Deutschsein etwa in den Jahren 1960‑2010 reflektierte. Das Buch basiert nicht nur auf literarischen, sondern auch auf politischen und geschichtswissenschaftlichen Texten.
Die Frage nach dem "Erbe der Literatur" steht ihrerseits in einer Erbfolge. Nach 1945 stellte sie sich schon einmal im Kontext der Legitimierung einer sich neu definierenden Gesellschaftsformation. Der Anspruch der DDR, ein Hort der Bewahrung und Pflege des klassischen, bürgerlich-humanistischen Erbes zu sein, wurde in der westdeutschen Sicht der sechziger Jahre kritisch umgedeutet als Kulturkonservatismus, Traditionalismus und Antimodernismus, die als "bürgerliche" Haltungen genuin sozialistisch-revolutionäre Neuerungen und Traditionen abblockten. Erst in den siebziger Jahren wurde die literarische Erbetheorie in der DDR grundsätzlich reformuliert und für Modernisierungen zugänglich. Wie stellt sich aber die Frage nach dem (bürgerlichen) Erbe in der ostdeutschen Literatur nach der Wiedervereinigung? Hier können nur einige historische Skizzen und ästhetische Teilaspekte in einer feldanalytischen Perspektive im Sinne der Soziologie Pierre Bourdieus vorgestellt werden. Sie münden in die Betrachtung eines spezifischen Erbes von drei Vertretern der sogenannten Generation der "Hineingeborenen", nämlich Ingo Schulze, Durs Grünbein und Uwe Tellkamp.
Da Literatur, die in den digitalen Medien entsteht, häufig in Bewegung und ephemer ist, braucht es neue literaturwissenschaftliche Methoden, um dieser Literatur zu begegnen. Der Beitrag skizziert die Schwierigkeiten, mit denen die Literaturwissenschaft konfrontiert ist, und schlägt vor, sich an den Methoden der Tanz- und Theaterwissenschaften zu orientieren, um methodologische Zugänge zu finden, die die Spezifika digitaler Literatur einbeziehen.
Nina Tolksdorf verdeutlicht in ihrer Analyse von Pantomimen um 1900, dass diese, wie Puppen und Marionetten, in zweifachem Sinn auf Oberflächen verweisen, zum einen auf die des Körpers bzw. Materials der Figuren und Körper, zum anderen auf die Oberflächenrhetorik der literarischen Texte selbst. Auf diese Weise wird der "hermeneutische Tiefenblick" als Lektüre- und Analysepraxis gleichermaßen offengelegt wie durchkreuzt.
Trotz der Annäherung der Begriffe 'Geschichte' und 'Evolution' unter dem Vorzeichen einer semantischen Verschiebung kulturellen Kapitals haben sich bis in die Gegenwart auch begriffliche Differenzen erhalten. So gibt es neben der unbekümmerten Anwendung von 'Geschichte' und 'Evolution' auf alle sich in der Zeit verändernden Dinge auch Versuche, die Begriffe terminologisch stark zu machen und in der Folge dessen 'Evolution' für den Bereich der Natur und 'Geschichte' für den der Kultur zu reservieren. Der Beitrag liefert eine historische Rekonstruktion dieser Entwicklung. Am Anfang stehen dabei einige quantitative sprachwissenschaftliche Beobachtungen zur Entwicklung der Häufigkeit der Begriffe in verschiedenen Textgattungen und zur gegenwärtigen Semantik durch einen Vergleich der häufigsten Genitivattribute. Im zweiten Abschnitt wird die Veränderung des Ausdrucks 'Geschichte' untersucht, zunächst in seiner terminologischen Bedeutung in den Geschichtswissenschaften, dann in seiner Ausweitung auf Gegenstände der Natur. Der dritte Abschnitt liefert eine analoge Untersuchung zu 'Evolution', ausgehend von den Naturwissenschaften und in der Ausweitung auf kulturelle Phänomene. Im vierten Abschnitt wird eine Verbindung der beiden Begriffe näher betrachtet, die im Sinne einer semantischen Verschränkung wirksam ist und sich unter anderem daraus ergibt, dass das Wort 'Evolution' eine teleologische Konnotation hat, die bei 'Geschichte' nicht vorliegt. Der fünfte Abschnitt schließlich beleuchtet die wissenschaftliche Stellung der Begriffe in der Gegenwart und erwägt die Aussichten ihrer terminologischen Differenzierung.
Diversität: Bemerkungen zur Begriffsgeschichte der Diversität ausgehend von drei Sammelbänden
(2019)
Auffallend an der Geschichte des Begriffs der Diversität ist die Spannung zwischen der sehr langen Geschichte seines Gebrauchs und seinem dementsprechend sehr weiten Anwendungsbereich einerseits und der spezifischen Signalwirkung in der politisch-sozialen Sprache seit den 1980er Jahren andererseits. Bis zu dieser Zeit erscheint der Ausdruck in den großen deutschsprachigen Enzyklopädien meist nur mit einer kurzen Erläuterung seiner Bedeutung als "Verschiedenheit". Bereits in der Antike fungiert dieses Wort allerdings - ebenso wie die in seinem semantischen Umfeld stehenden Ausdrücke 'ποικiλία' und 'varietas' - als ein Wertbegriff, und zwar vor allem im Kontext der Ästhetik. Das Bunt-Schillernde, das die primäre Bedeutung von 'poikilia' im Griechischen ist, wird von Platon zwar noch abgelehnt, weil es etwas Oberflächliches sei, das nur für Kinder und Frauen Unterhaltung biete und von dem Eigentlichen, das in die Tiefe geht, ablenke. Später, besonders in der römischen Antike, avanciert die Darstellung von Vielfalt aber zu einem zentralen Prinzip der Ästhetik (so dass die Vielfalt ein "römisches Prinzip" genannt wurde). Erklärt wird dies mit politischen und kulturellen Entwicklungen wie der Verfasstheit des römischen Reiches als ein Vielvölkerstaat, der den vielfältigen Sinnenfreuden nicht abgeneigten römischen Alltagskultur (der Oberschicht) und nicht zuletzt dem Polytheismus. Auch in den christlichen Kontext wird die Vorliebe für Vielfalt übernommen und der eine Gott über die Vielfalt der Erscheinungen seiner Welt gepriesen. Dieser Hintergrund des Begriffsfeldes bildete eine Bedingung für die Konjunktur des Ausdrucks Diversität am Ende des 20. Jahrhunderts. Falko Schmieder beleuchtet anhand von drei in den letzten Jahren erschienenen Sammelbänden, wie diese Konjunktur sich entfaltete.
Organismus
(2022)
'Organismus' ist eine Form des Ganzen, in der Vielfalt mit Einheit zusammengedacht werden kann. Der Begriff bezeichnet sowohl ein abstraktes Prinzip als auch konkrete, in der sinnlichen Anschauung erfahrbare und der kausalen Analyse zugängliche Gegenstände. Daher wurde er zu einem der zentralen Modelle von Ganzheit, vor allem in den empirisch orientierten Naturwissenschaften. Zu einem eigenen Typ der Ganzheitsform wird der Organismus nicht, weil er eine bestimmte Gestalt im Räumlichen bezeichnen würde - die Morphologie von Organismen ist bekanntlich überaus vielfältig -, sondern weil er ein bestimmtes Muster der Abhängigkeit von kausalen Relationen auf den Begriff bringt. Dementsprechend werden Organismen als 'dynamische' oder 'funktionale' Ganzheiten bezeichnet und gelten geradezu als das Paradigma dieser Ganzheitsform: Sie sind "das eindringlichste Beispiel einer dynamisch geordneten Ganzheit" oder auch "das Paradebeispiel einer strukturell-funktionalen Ganzheit".
Biodiversität
(2017)
'Biodiversität' ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit, auf dem Forschungsprogramme, ethische Debatten zum Mensch-Natur-Verhältnis und politische Aktivitäten basieren. In der öffentlichen und politischen Kommunikation funktioniert der Begriff offenbar gut. Er transportiert Achtung und Verantwortung für die Natur, Toleranz gegenüber dem Fremden, Freude an der Heterogenität und Mannigfaltigkeit. Biodiversität steht parallel zur kulturellen Vielfalt und passt in unsere durch Pluralismen geprägte Gegenwart. Denn der Begriff drückt nicht nur Enthierarchisierung und Pluralisierung der Perspektiven aus, Verzicht auf eine übergreifende, durchgängig gültige Ordnung und den Eigensinn und Eigenwert jedes einzelnen, auch nichtmenschlichen Wesens. Er steht auch für das Zusammenführen von wissenschaftlichen mit ethischen, ästhetischen und ökonomischen Aspekten eines Gegenstands und für die Hoffnung auf den letztlich harmonischen Zusammenklang des vielstimmigen Mit- und Gegeneinanders.
"There is grandeur in this view of life", so beginnt der letzte Satz von Charles Darwins "On the Origin of Species". In der ersten Auflage verzichtete Darwin noch auf einen Bezug zu Gott. Ab der zweiten Auflage von 1860 fügte er ihn dann allerdings doch ein. Großartig und erhaben ist die Ansicht aber doch vielleicht gerade ohne Gott. Darauf jedenfalls scheint Raoul Schrotts "Erste Erde Epos" hinauszulaufen. Es ist eine von den Naturwissenschaften beeindruckte Erzählung, die diese nicht als nüchtern und seelenlos inszeniert, sondern die Bedeutsamkeit naturwissenschaftlichen Wissens für uns feiert, indem sie neue Formen und sprachliche Bilder für dieses Wissens sucht. Das Ergebnis ist eine eigene dichterische Verzauberung der Welt durch naturwissenschaftliches Wissen und zugleich eine Verzauberung der Naturwissenschaften. "Reenchanting Science, Wiederverzauberung der Naturwissenschaft" - auf diese Formel ließe sich das Programm Schrotts bringen.
Wissenschaft
(2018)
Das Wort 'Wissenschaft' markiert eine lexikalische Lücke - im Englischen. Es ist für diese Sprache ein 'intraduisible'. Mindestens zwei Wörter braucht das Englische, um das Gemeinte zu bezeichnen: 'science' für die Naturwissenschaften und - symptomatisch in Pluralform und Variabilität - 'arts' oder 'humanities' für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Einheit 'der Wissenschaft' lässt sich im Englischen und anderen Sprachen, die über das inklusive 'Wissenschaft' nicht verfügen, also nicht einfach ausdrücken.
Der Beitrag untersucht die Stellung des Synergiebegriffs in naturwissenschaftlichen, besonders biologischen Erklärungen. Der langen Geschichte des Konzepts entsprechend, reichen die betrachteten Anwendungsfälle von der Antike bis in die Gegenwart. Die epistemische Rolle des Synergiebegriffs wird dabei im Kontext verwandter Begriffe diskutiert, die ebenfalls holistische Relationen bezeichnen, etwa dem des Emergenzbegriffs, mit dem aber, im Gegensatz zu 'Synergie', vom Ganzen zu den Teilen geblickt wird. Ein besonderer Fokus der Untersuchung liegt auf der Frage, wie es diesen Brückenbegriffen gelingt, eine analytische und eine synthetische Perspektive in der Betrachtung von ganzheitlichen Systemen miteinander zu verbinden.
Der Pelz des Hermelins ist im Sommer braun und im Winter weiß. Das ist ein schönes Phänomen für sich, zumal das Weiß von einer Reinheit ist, die sich im Tierreich selten findet. Die Reinheit ihres weißen Fells wurde vielen Hermelinen zum Verhängnis: Sie endeten als Stück in einem adligen Mantel, ihr Weiß noch unterstrichen durch die schwarze Schwanzspitze, die mitverarbeitet wurde. Das reine Weiß des Winterpelzes machte das Hermelin auch zu einer brauchbaren Projektionsfläche des Volksglaubens. Als Symbol der Keuschheit und Reinheit erscheint es schon im antiken Aberglauben: Um sein Fell nicht zu beflecken, empfange das Hermelin durchs Ohr und gebäre durch den Mund - oder umgekehrt, wie der 'Physiologus' behauptete. Auch galt es als ein besonders kultiviertes Tier, weil es sich eher von einem Jäger fangen lasse, als durch den Kot zu gehen, sein reines Weiß also höher schätze als Freiheit und Leben. Sein Fellwechsel machte das Tier darüber hinaus zu einem beliebten Objekt für Zauber und Gegenzauber, Wetterorakel und Verwandlungssagen.
Wissenschaft
(2022)
Georg Toepfer wendet sich Ganzheitsidealen der Wissenschaft und ihrer Theorie von der Antike bis zur zeitgenössischen Wissensgeschichte zu. Ganzheit kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommen. Die Wissenschaft beschäftigt sich mit ihrer inneren Einheit auf methodologischer Ebene, sie fragt nach der Ganzheit oder Ganzheitlichkeit ihrer Gegenstände (im Rahmen etwa einer Überwindung des Leib-Seele-Dualismus), sie kann eine Summe aller Wissenschaften als Ganzheit in Aussicht stellen oder den Versuch unternehmen, eine Einheit oder Ganzheit der gesamten Menschheit zu befördern. Insgesamt sei festzuhalten, dass Forderungen nach einer Einheit der Wissenschaft verstärkt zu Zeiten aufkämen, in denen sich epistemologisch wie praktisch das exakte Gegenteil beobachten lasse. Auch wirke die Ganzheitsrhetorik der Wissenschaft "mitnichten integrativ", sondern arbeite im Gegen teil oft "mit massiven Ausgrenzungen". Das Ganzheitsproblem habe die wissenschaftliche Selbstreflexion oft auch hinsichtlich ihrer eigenen Visualisierbarkeit beschäftigt. Dies findet seinen Niederschlag in frühneuzeitlichen Diagrammtypen wie dem Baum, dem Haus oder dem Bergwerk, in der zweidimensionalen Landkarte der 'Encyclopédie' oder in einer von Jean Piaget noch im 20. Jahrhundert bearbeiteten Kreisfigur. Solche Formen des Ganzen offenbarten die "Simplifikation" des wissenschaftstheoretischen Zugriffs und müssten oft ganze Wissensbereiche ausschließen; im Fall Piagets etwa die kompletten Geisteswissenschaften.
Politische Korrektheit ist kein Rechtsbegriff, der in irgendeiner gesetzlichen Regelung definiert wird. Primär geht es – und dieses Verständnis wird den folgenden Überlegungen zugrunde gelegt – darum, Ausdrücke und Handlungen zu vermeiden, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können, vor allem bezogen auf Geschlecht oder Herkunft. Ebenso soll eine Diskriminierung hintangehalten werden. Der Begriff ist zweifellos vielschichtiger, als er hier kurz zunächst als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen beschrieben wurde. Folgt man dieser oberflächlichen Begriffsbestimmung, dann stehen Formen des Zusammenlebens von Menschen im Vordergrund. Mitmenschen nicht zu beleidigen oder zu kränken, ist für das Zusammenleben zweifellos von Wert. Auch das Strafrecht betrifft das Zusammenleben von Menschen, indem Rechtsgüter durch Einwirkung auf menschliches Verhalten geschützt werden. Gerade hinsichtlich des Beleidigens gibt es mehrere in Betracht kommende Strafnormen. Kränkungen können auf vielerlei Weise entstehen, einzelne Formen sind strafrechtlich verboten. Da das Strafrecht wohl die schärfste Waffe des Staates ist, um ein Zusammenleben von Menschen durch Verhaltensregeln zu ermöglichen oder zu erleichtern, wird diese Waffe nur rudimentär eingesetzt, um ihre (theoretische) Wirkung nicht zu vermindern. Strafrecht soll daher nicht zu oft eingesetzt werden, sondern nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt ("ultima ratio"). Die Anforderungen an das Verhalten sollen dabei klar und eindeutig sein, strafrechtliche Normen müssen dementsprechend sehr bestimmt sein.
Der Begriff der 'Ausdrucksästhetik' entstammt nicht dem 18. Jahrhundert, das selbst nur die beiden Elemente des Kompositums, also 'Ausdruck' und 'Ästhetik' hervorbrachte. Die Genese des Begriffs ist in der Forschung bislang noch nicht aufgearbeitet worden. Das ist paradox, weil es der zentralen Bedeutung des Konzepts für die Ästhetikgeschichtsschreibung der Aufklärung entgegen läuft. 'Ausdrucksästhetik' scheint im wissenschaftlichen Sprachgebrauch eines jener Begriffsphantome zu sein, die zwar ständig benutzt, aber kaum je eingehender bestimmt worden sind.
Hugh Blairs umfangreiche "Lectures on Rhetoric and Belles Lettres" sind eines der erfolgreichsten Werke der englischsprachigen Rhetoriktradition. Der Stilbegriff bildet das Zentrum von Blairs Ästhetikkonzept. Blair greift einerseits auf die rhetorische Tradition zurück, bezieht sich andererseits aber auch auf wahrnehmungstheoretische Überlegungen aus der zeitgenössischen empiristischen Psychologie. Neben den ästhetischen Qualitäten des Stils rücken dabei Fragen der Verständnissicherung durch stilistische Klarheit in den Fokus. Blairs "Lectures" greifen damit über das Feld der Ästhetik entscheidend hinaus.
'Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit', dieser Titel sowohl eines Films von Alexander Kluge aus dem Jahr 1985 als auch eines Songs der Hamburger Pop-Band 'Blumfeld' von 1992, scheint einen zentralen Aspekt einer weit verbreiteten soziokulturellen Problemwahrnehmung des 20. Jahrhunderts auf den Punkt zu bringen. Die zeitgenössische Verhandlung dieses Problems soll in den folgenden Ausführungen für die theoretische Rahmenerzählung einer Genese der Historischen Semantik nutzbar gemacht werden.
Rettung
(2016)
Der griechische Begriff 'soteria', der sich mit 'Rettung', aber auch mit 'Erlösung' übersetzen lässt, steht im Zentrum eines der Masternarrative zur Produktion von Zukunft in der abendländischen Kultur. Das Narrativ verpflichtet die Gegenwart, die Vergangenheit von einem Ursprung her ereignishaft zu strukturieren und auf einen mehr oder weniger genau bestimmten Punkt der Zukunft hin zu spannen, an dem jene Pflicht sich erfüllt haben wird. Die strukturierenden Ereignisse dienen dazu, die dramatische Spannung auf den Endpunkt hin aufrechtzuerhalten und diesen sowie den Weg und die Zeit zu ihm im Licht jener Ereignisse jeweils neu zu entwerfen.
Im Folgenden werden zunächst punktuell symbolische und literarische Codierungen des Schwarzmeerraumes aus russischer bzw. sowjetischer Perspektive skizziert, um dann erneut auf Brodskys Entwurf einer mentalen Topographie in "Flucht aus Byzanz" zurückzukommen. Die (sowjet-)russischen Erfahrungen und Einschreibungen konnotieren den gesamten Essay. Brodskys antiöstliches Pathos erweist sich vor dem autobiographischen Hintergrund als eine antiimperiale Geste, als Abrechnung mit der Unfreiheit des Sowjetimperiums.
Die offizielle Rhetorik der "unverbrüchlichen Freundschaft" ("nerušimaja družba") und der Brüderlichkeit zwischen den Völkern der Sowjetunion vermochte bereits zu Sowjetzeiten nur schwer zu verbergen, dass Konzept und Praxis der sowjetischen "Völkerfreundschaft" keineswegs identisch waren. Die angestauten Spannungen entluden sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Spannungen, die sogar den Charakter bewaffneter Auseinandersetzungen annehmen konnten. (Davon war im Beitrag von Giorgi Maisuradze die Rede.) Zur Ambivalenz der sowjetischen Nationalitätenpolitik gehörte, dass die nationalen Kulturen durchaus eine Förderung erfuhren, ihre Entfaltung jedoch den machtpolitischen Interessen und dem ideologischen Rahmen untergeordnet wurde. Und schließlich gab es eine reale Praxis des Zusammenlebens im Raum des Sowjetimperiums, die von vielen Menschen in ihrem Alltag als reale Freundschaft erlebt wurde. Der Zerfall der Sowjetunion wurde daher von vielen Sowjetmenschen als ein dramatischer Verlust erlebt. Es geht mir nachfolgend aber nicht darum, die Nachwirkungen des Konzepts der sowjetischen (in ihrem Kern stalinschen) "Völkerfreundschaft" oder Nationalitätenpolitik bis heute zu untersuchen. Vielmehr will ich an einem Text aus der russischen Literatur der 1970er - 80er Jahre und des vom gleichen Autor aus der postsowjetischen Perspektive und somit gleichsam als Postscriptum zu lesenden Textes untersuchen, auf welche Weise in beiden der traditionelle russisch (bzw. sowjetisch)-georgische literarische Freundschaftsdiskurs fortgeschrieben oder aber, im Gegenteil, unterlaufen wird. Bei dem Beispieltext handelt es sich um Andrej Bitovs "Georgisches Album" ("Gruzinskij al’bom") und den von ihm 2003 ursprünglich als Vorwort zur deutschen Ausgabe geschriebenen Essay "Wofür wir die Georgier geliebt haben" ("Za čto my ljubili gruzin").
Am 17. Januar 2022 jährt sich der Todestag des russischen Dichters und Schriftstellers Warlam Schalamow zum vierzigsten Mal. Mit seinen sechs Zyklen umfassenden "Erzählungen aus Kolyma" setzte er den Tausenden Toten in den Zwangsarbeitslagern des GULag ein bleibendes literarisches Denkmal. Der Jahrestag bietet nicht nur Anlass, sich mit Schalamows Ringen um eine literarische Aufarbeitung des staatlich organisierten Massenterrors gegen die eigene Bevölkerung auseinandersetzen. Ein Archivfund rückt auch seine Sorge um die Rezeption seiner Texte ins Blickfeld. Da in der Sowjetunion die Erinnerung an Terror und Gewalt tabuisiert wurde, kursierten diese zu Lebzeiten nur in Abschriften des Samisdat ('Selbst-Verlag') und blieben für das breite sowjetische Lesepublikum unzugänglich. Die ersehnte Anerkennung blieb ihm verwehrt. Mittlerweile werden seine Werke in Russland gedruckt und aus Anlass des Todestages würdigen Konferenzen seine literarische und menschliche Lebensleistung. Doch Schalamows Imperativ des Erinnerns, der Wahrung des Gedächtnisses an die stalinistischen Verbrechen trifft heute zugleich auf das Bestreben der russischen Machthaber, dieses Gedächtnis erneut mit repressiven Mitteln auszulöschen.
Vor dem Hintergrund der stalinschen Nationalitätenpolitik und des propagierten Bildes von der UdSSR als einer in "brüderlicher Freundschaft" vereinten "Völkerfamilie" kam der zeitlichen Nähe beider Dichterjubiläen eine besondere Bedeutung zu. Bereits der erste sowjetische Schriftstellerkongress im Spätsommer 1934 diente als Bühne einer akribisch vorbereiteten Inszenierung der "nationalen Vielfalt" der Sowjetliteratur. Diesem propagandistischen Ziel entsprach die Absicht, in pompösen Jubiläumsfeiern jeweils national tradierte Dichterbilder an die veränderten ideologischen Prämissen anzupassen. Jede Möglichkeit, ein rundes Datum für eine öffentliche Inszenierung der sowjetischen Kulturheroen zu (er)finden, wurde wahrgenommen. In der Forschung ist gezeigt worden, dass sich der sowjetische, staatlich organisierte Dichterkult leichter mit toten Dichtern umsetzen ließ, da sich diese einer politisch motivierten Manipulation ihrer Texte und ihrer Biographien nicht mehr widersetzen konnten. Nachfolgend werden am Beispiel der 1937 sowjetweit begangenen Jubiläen von Puškin und Rustaveli einige Strategien untersucht, mit denen sie als sowjetische Kulturheroen inthronisiert wurden.
Troika
(2018)
Im (west-)europäischen politisch-administrativen Sprachgebrauch der Gegenwart finden sich kaum russische Wörter. Die Karriere des russischen 'Troika' ist so ein seltener Fall, der auch in Russland Aufmerksamkeit weckte. Ins öffentliche Bewusstsein gelangte der Begriff erst nach 2000, als die EU eine Dreiergruppe - die Troika - aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission einsetzte, um die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung während der Staatsschuldenkrise zu überwachen. Die begriffliche Assoziation zu den unter gleichem Namen bekannten außergerichtlichen Straftribunalen in der Sowjetunion der Stalinzeit war wohl zu offensichtlich, weshalb die EU auf Drängen Griechenlands die Bezeichnung 'Troika' später durch den neutralen Begriff 'Institution' ersetzte. Warum die EU einen politisch derart kompromittierten Begriff überhaupt in ihren Sprachgebrauch aufnahm, scheint nur schwer nachvollziehbar. Reduziert man allerdings die Begriffsgeschichte der 'Troika' allein auf die semantische Spur des Straftribunals, bleiben die Registerwechsel zwischen höchst unterschiedlichen kulturellen Bereichen im 20. Jahrhundert ausgeblendet.
Die Schuluniform ist bis heute umstritten. Befürworter betonen, sie überbrücke soziale Unterschiede, nivelliere den Konkurrenzdruck durch die Fixierung auf teure Markenartikel und fördere so den Zusammenhalt der Kinder untereinander. Kritiker hingegen sehen in der Schuluniform ein Instrument der Disziplinierung und folglich das Bestreben, Kindern ihre Individualität zu nehmen. Im Russischen Imperium wurde die einheitliche Schuluniform für Gymnasiasten - russisch: 'mundir' (von 'Montur' bzw. Uniformrock) - 1834 eingeführt, im Zuge der Kodifizierung von Ziviluniformen für Staatsbeamte. Eine entsprechende Verfügung für Mädchen folgte erst Ende des 19. Jahrhunderts.
Ausgehend von Šalamovs Poetik und mit Blick auf die Positionen von Solženicyn und Semprún sollen im Folgenden einige Aspekte des vielschichtigen Problemfeldes 'Überleben und Schreiben' diskutiert werden. Dabei geht es mir, das sei betont, nicht um einen Vergleich zwischen dem sowjetischen GULag und den nationalsozialistischen Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslagern. Ein solcher Vergleich war auch von keinem der drei Autoren intendiert, selbst wenn sich deren Refl exionen mitunter auch auf die europäischen Terrorpraktiken des 20. Jahrhunderts insgesamt erstreckten. Die Art und Weise, wie das Überleben in literarischen Texten thematisiert wird, hängt eng mit der Frage nach den poetologischen Konsequenzen zusammen, nach Möglichkeiten und Grenzen des Sprechens über das Erlebte, nach der Modellierung des Lagers in fiktionalen Räumen. Mit Ausnahme von Solženicyns 'Archipel GULAG', in dem gestützt auf zahlreiche mündliche und schriftliche Berichte von Überlebenden der "Versuch einer künstlerischen Untersuchung" des GULag-Systems als Ganzes unternommen wird, handelt es sich bei den nachfolgenden Beispielen um literarische Darstellungen des Lagers aus der Perspektive eines Einzelnen. Die literarische Rekonstruktion des im Lager Erlebten verlangte jedem Schreibenden ethische und ästhetische Entscheidungen ab.
Die Machtergreifung der Bolschewiki 1917 führte zu einer jahrzehntelangen tiefen Spaltung der russischen Literatur und Kultur, viele Vertreter von Literatur und Kunst verließen das Land oder wurden in die Emigration getrieben. Epochen- und Biographiebrüche, Kriege, Terror- und Gewaltexzesse hatten zur Folge, dass zahlreiche literarische Archive und persönliche Sammlungen geplündert, vernichtet, in alle Winde verstreut wurden oder gänzlich verloren gegangen sind. Die rigide ideologische Kontrolle, die in den ersten Jahren der Sowjetmacht vorrangig für das gedruckte Wort galt, betraf zunehmend auch jegliches unveröffentlichtes literarisches Wort. Jegliche schriftliche Äußerung einer eigenen Weltsicht kam in dieser Kultursituation einem Wagnis gleich. Das Aufbewahren unveröffentlichter Manuskripte in einem privaten, mitunter (insbesondere in den Jahren des Terrors unter Stalin) aber auch in einem staatlichen Archiv, konnte lebensbedrohlich sein.
Der Proust'sche Fragebogen dient traditionell dazu sich kennenzulernen, sei es in einem französischen Salon, wo er einst entstand, sei es auf der letzten Seite eines deutschen Magazins. Wir haben unseren eigenen Fragebogen für den ZfL-Blog entworfen. Hier antwortet jetzt Franziska Thun-Hohenstein, die Anfang der 1970er Jahre in Moskau an der Lomonossow-Universität in Moskau russische Sprache und Literatur studiert hat und aktuell an einem von der DFG geförderten Projekt zu Warlam Schalamow arbeitet.
Zum Repertoire sozialistischer Helden und Märtyrer gehört die Figur des Kindermärtyrers, die auch in der sowjetischen Kultur seit den 1920er und 1930er Jahren Hochkonjunktur hatte. In der Presse, der Literatur wie im Film wurden zahlreiche Geschichten über Kinder und Jugendliche erzählt, die an die 'lichte Zukunft des Kommunismus ' glaubten und bereit waren, selbstlos ihr Leben für diese zu opfern. Solche Geschichten über jugendliche Opfer zählten - wie traditionell in vielen Kulturen und Gesellschaften - zu den zentralen Gründungs- und Opfermythen des Sowjetsystems. Das Selbstverständnis der Sowjetmacht als Schöpferin einer neuen Weltordnung, das radikale Zerstörungspraktiken zu legitimieren schien, war mit einer Neuordnung des gesamten symbolischen Kapitals russischer Geschichte verbunden. Einerseits wurden tradierte Symbole den veränderten Bedingungen angepasst und semantisch umcodiert, andererseits wurden den Anforderungen der Ideologie entsprechende neue Zeichen und Symbole in Umlauf gebracht. Mit den realen wie fiktiven Märtyrerfiguren wurden insbesondere in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution von 1917 wirkmächtige Symbole zur Regulierung der für die Menschen nahezu täglich spürbaren Gewalt bereitgestellt. Die Märtyrerfigur als kulturelles Deutungsmuster funktionierte offenbar weiterhin - ungeachtet der radikalen Absage der Sowjetmacht an die Religion - als propagandistisches Instrument und ermöglichte Verknüpfungen (wie z. B. von Gewalt und Kult, Tod und Verehrung, Opfer und Quasi-Sakralem).
Leidtragende Körper
(2019)
Warlam Schalamow (1907–1982) ist der einzige Schriftsteller in der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, der dem Körpergedächtnis für sein eigenes Schreiben wie für das menschliche Gedächtnis an sich besonderen Stellenwert beimaß. Nahezu all seine überlieferten Prosatexte und Gedichte sind nach den vierzehn Jahren Gefangenschaft in den Lagern der Kolyma-Region, am Kältepol der Erde, verfasst worden. Alles, was er dort, am "Pol der Grausamkeit" des GULag durchleben musste, hat sich unauslöschlich in sein Gedächtnis wie in seinen Körper eingebrannt. Die Goldgrube der Kolyma, in der die Häftlinge bei Temperaturen bis zu minus 55 Grad arbeiten mussten, ließ den Überlebenden zeitlebens nicht los. Seinen eigenen Erfahrungen entnahm Schalamow ein neues, erschreckendes Wissen über die Verfasstheit des Menschen, über "das Gesetz des Verfalls" ebenso wie über "das Gesetz des Widerstands gegen den Verfall". Dieses Wissen mit literarischen Mitteln gegen das Vergessen wachzuhalten, hieß vor allem eines: "Wichtig ist das Wiedererwecken des Gefühls". Eben dieses Heraufholen des damaligen Gefühls ist für ihn die Garantie von Wahrhaftigkeit.
Ende 1972, vielleicht war es auch Anfang 1973, lief im Hauptgebäude der Moskauer Lomonossow-Universität eine Voraufführung von Andrej Tarkovskijs Spielfilm "Solaris". Auf einer Forschungsstation über dem riesigen Ozean des Planeten Solaris soll der Psychologe Chris Kelvin dabei helfen, seltsame Vorgänge aufzuklären. Die Wissenschaftler werden dort von menschlichen Wesen 'besucht', die Projektionen ihrer eigenen quälenden Erinnerungen sind. Ohne die Aussicht, das Rätsel des Ozeans je zu lösen und ins Vaterhaus auf der Erde zurückzukehren, bleibt Kelvin schließlich auf der Station. [...] Andrej Tarkovskij (1932–1986) zählt heute zu den großen, weltweit bekannten russischen Filmregisseuren des 20. Jahrhunderts. Unter Cineasten war er 1972 schon längst kein Geheimtipp mehr; "Solaris" war sein dritter abendfüllender Spielfilm. Der Sohn des Dichters Arsenij Tarkovskij hatte bis 1960 am Moskauer Staatlichen Filminstitut in der Regieklasse von Michail Romm studiert. Seine Anfänge als Regisseur fielen in die sogenannten Tauwetter-Jahre, als sich der sowjetische Film von der heroischen Ästhetik der Stalinzeit befreite, individuelle Schicksale stärker in den Blick nahm und in Anlehnung an den Avantgardefilm der 1920er Jahre teils mit subjektiver Kameraführung experimentierte. [...] Das Drehbuch zu "Solaris" schrieb Tarkovskij gemeinsam mit dem Schriftsteller Fridrich Gorenstejn (1932–2002). Später bekannte Tarkovskij, dass ihn Lems eigentliche Science-Fiction-Geschichte über das Aufeinandertreffen von menschlicher Vernunft und einem so unergründlichen kosmischen Phänomen wie dem schweigenden, aber offenbar lebendigen Ozean auf dem Planeten Solaris wenig interessiert habe. Deshalb verschober im Film die Perspektive auf die ethische Dimension jeglichen Handelns des Menschen - sowohl gegenüber seinen Mitmenschen als auch gegenüber der Zukunft der Erde.
Denis Thouard geht der Frage nach, inwiefern aufklärerische Forderungen nach Verständlichkeit und Popularität auf Inhalt und Zuschnitt der Philosophie zurückwirken. Indem das moderne Systemdenken nach den Bedingungen des (eigenen) Wissens frage und es folglich nicht mehr von außen darstellbar sei, müsse das System dem Leser nunmehr im Prozess des Entstehens vorgeführt und nachvollziehbar gemacht werden. Dies habe zwar - etwa bei Kant oder Hegel - oft eine besonders esoterische Ausdrucksweise zur Konsequenz, doch könne diese ihrer Intention nach nichtsdestotrotz eminent pädagogische oder gar populäre Zwecke verfolgen.
Mein Beitrag handelt von zwei Begriffen, die gleichermaßen gut eingeführt sind, aber üblicherweise nicht gemeinsam verhandelt werden: Sympathie und Synergie. Die Disziplinen und Kontexte, in denen sie heute auftreten, sind weit voneinander entfernt: Die Synergie hat ihre Domänen in Technik und Wirtschaftswissenschaft, der Sympathie sind vor allem Philosophie und Psychologie zugetan. Freilich sind diese Wörter so nahe miteinander verwandt, dass es verwunderlich oder gar bedauerlich ist, sie beziehungslos nebeneinander stehen zu sehen. Immerhin gibt es Diskussionen, in denen dieses Tandem zwar nicht namentlich auftritt, aber der Sache nach zum ema gemacht wird. Diese Diskussionen möchte ich aufgreifen und vorantreiben, denn das Tandem Synergie/Sympathie hat, wie ich meine, erhebliches sozialtheoretisches Potential.
Nach Günter Thomas, der sich mit verschiedenen Formen religiöser Zeugenschaft befasst und kritisch in Frage stellt, ob es sich ausgerechnet beim Märtyrer um den paradigmatischen religiösen Zeugen handelt, ereignet sich Zeugenschaft in Situationen und Konstellationen. Stärker als um eine Suche nach einem Grundmodell von Zeugenschaft geht es Thomas um eine Untersuchung der "spezifischen Differenzen und Differenzierungen" in verschiedenen sozialen Sphären. Eine genauere Untersuchung der religiösen Zeugenschaft erlaubt es, unterschiedliche "Modi der Gewissheit" und "Techniken der Überzeugung" zu differenzieren und die der religiösen Zeugenschaft eigenen "originären Konstellationen" herauszustellen. Dabei thematisiert er vier Typen des religiösen Zeugnisprozesses: den Auferstehungszeugen, den Märtyrer, das diakonische Zeugnis und die Zeugniskette. Das Zeugnis des Märtyrers wird als Tatzeugnis dargestellt, das von einem weiteren Zeugen (mündlich oder vor allem schriftlich) beglaubigt werden muss. Ein unsichtbares Martyrium kann nicht Zeugnis sein; "[d]ie Gewissheit der Märtyrer ist so eine diskursive Konstruktion von Beobachtern". Auch hier findet sich die doppelte Struktur des Zeugnisses. Thomas weist darauf hin, dass es gerade im Bereich der religiösen Zeugenschaft nicht nur natürlich-sprachige Zeugnisse, sondern - wie am Beispiel der Diakonie zu beobachten - Handlungen gibt, die als Tatzeugnisse Ereignisse mit performativer Dimension sind. Da diese Handlungen selbst Medien der Kommunikation sind und im sozialen Kontext Dynamiken entfalten, ist auch hier von einer hohen Komplexität der jeweiligen Konstellationen zu sprechen.
Im Vorwort zu dem 1971 erschienenen ersten Band des 'Historischen Wörterbuchs Philosophie' bezieht Joachim Ritter Stellung zu einer bewusst gewählten Leerstelle im begriffsgeschichtlichen Projekt: "Der Herausgeberkreis", so Ritter, habe "nicht leichten Herzens darauf verzichtet, Metaphern und metaphorische Wendungen in die Nomenklatur des Wörterbuches aufzunehmen". Obwohl man die Bedeutung von Metaphern im Prozess der philosophischen Begriffsbildung anerkenne, habe man sich gegen eine Berücksichtigung figürlicher Ausdrücke entschieden, weil das Lexikon mit einem solchen Unternehmen "überfordert" und auf "unzureichende Improvisation" angewiesen gewesen wäre. Gegenstände der Artikel seien deshalb ausschließlich "Begriffe und Termini". Diese apologetische Passage hat eine konkrete Adresse. Sie nimmt Bezug auf die Verselbstständigung eines Forschungsansatzes, der von Hans Blumenberg erstmals 1958 im Rahmen einer Tagung der Senatskommission für Begriffsgeschichte unter dem Titel Paradigmen zu einer Metaphorologie vorgestellt wurde und sich von einem "Teilbereich" oder einer bloßen "Erweiterung" der Begriffsgeschichte "um ein spezifisches Kapitel" bald zu einem "Alternativprojekt" zur begriffsgeschichtlichen Forschung entwickelte. Als Ritter Blumenberg bei der Planung des 'Historischen Wörterbuchs der Philosophie' Mitte der 1960er Jahre um Beiträge unter anderem zur Begriffsgeschichte der Metapher und zur Metaphorologie bat, erhielt er eine "höflich[e]" Absage.
Der Grund für diese Entscheidung dürfte ein zweifacher gewesen sein. Zum einen ist eine Unterscheidbarkeit von "metaphorischen Wendungen" und präziser Terminologie, wie Ritter sie in der Vorrede nahelegt, aus der Perspektive Blumenbergs gar nicht aufrechtzuerhalten. Der metaphorische Gehalt philosophischer Begriffe, so lautet eine Hauptthese der Paradigmen, tritt oftmals nicht explizit "in der sprachlichen Ausdruckssphäre in Erscheinung", sondern ist als bildlicher Hintergrund, als latente Leitvorstellung auch da wirksam, wo augenscheinlich bloß terminologische Aussagen auftreten.
Wenn ich im folgenden markanten Zeit- bzw. Kulturdiagnosen in einigen Texten Enzensbergers nachgehe, dann geschieht dies in dem Bemühen, nicht nur einzelne Themen von gesellschaftlicher und politischer Relevanz aufzugreifen und zu rekonstruieren, sondern sie im Rahmen von Enzensbergers Selbstverständnis als Intellektueller und Essayist zu erörtern. […] Als unabhängiger, frei denkender Schriftsteller fühlt er sich weder einer philosophischen oder wissenschaftlichen Theorie noch einer politischen Fraktion auf Dauer verpflichtet, und in diesem Weder-Noch hat der Essay als Form seinen traditionellen Ort.
Ich möchte mich im folgenden mit einem Autor beschäftigen, dessen Schreiben von vornherein niemand als spannend und unterhaltsam bezeichnen würde, der aber unter den Autoren einer Generation ganz unzweifelhaft als einer der bedeutendsten und reflektiertesten gilt: Durs Grünbein. Grünbein hat seine
Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken während des Jahres 2000 kontinuierlich aufgezeichnet und sie in dem Buch "Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen" veröffentlicht. Der Titel ist mehrdeutig, da er sich sowohl auf diese kulturell und historisch einschneidende erste Jahr des neuen Jahrhunderts und Jahrtausends bezieht als auch auf das erste Jahr einer Vaterschaft verweist. Und so finden sich in dem Tagebuch zum einen Aufzeichnungen, kleine Essays und verdichtende Beschreibungen zu Themen der Zeit (etwa zum Beginn des biopolitischen und -wissenschaftlichen Zeitalters), der zeitgenössischen Literatur, zur Poetik des Gedichts, zur Philosophie und zur eigenen Familiengeschichte während der DDR-Zeit und im vereinigten Deutschland. Zum anderen zeichnet
das Tagebuch die einzelnen Stationen seiner Vaterschaft vor und nach der Geburt seiner Tochter Vera nach. Seine ersten Begegnungen und Erlebnisse mit der im Sommer 2000 geborenen Tochter werden auch in Gedichten manifest, die den täglichen Tagebuchaufzeichnungen beigefügt sind.
Es geht im Folgenden vor allem darum zu untersuchen, wie männliche Autoren in ihren literarischen Texten das Verhältnis von Familienmännlichkeit und künstlerisch-literarischer Arbeit modellieren. Das impliziert, dass es um den Blick auf männliche Autorenexistenzen geht, nicht aber um die Rekonstruktion und Interpretation etwa von x-beliebigen Vater-Sohn-Verhältnissen in der Literatur. Gefragt werden soll, wie Männer ihr Leben als Partner, Ehemänner, Väter und zugleich als literarisch Schreibende formen; wie sie ihre Zeit auf die Familie und auf das Arbeiten verteilen; schließlich, wie sich die Schriftsteller-Protagonisten in dieser geteilten Existenz räumlich einrichten. Letzteres ist besonders interessant angesichts der Tatsache, dass Schriftsteller bzw. Intellektuelle oftmals zu Hause arbeiten und von daher nicht in der räumlichen Aufspaltung von Arbeitsplatz (Büro) und privater Wohnung leben.
Weiter lässt sich fragen, wie die geistigen Arbeiter in den literarisch-autobiographischen Texten den Verlust an Autonomie, an Unabhängigkeit, an Ruhe, Einsamkeit und Konzentration vor allem in der Lebensphase erleben, in der sie Väter werden und sich mit Frau und Kind zu Hause einrichten müssen. In welcher Weise sorgen sie sich um ihr Kind? Wie betrachten sie das Verhältnis zu ihrer jeweiligen Lebensgefährtin, welche Bilder und Projektionen stellen sich in ihnen angesichts einer sie als Familienmann ganz neu und anders fordernden Situation ein? Und schließlich: In welcher Weise verändern sich durch die Tatsache, in einer eigenen Familienbeziehung zu leben, ihre Wahrnehmungen, ihr intellektuelles Selbstbild, ihre Einstellung zur literarischen Arbeit, die Bedingungen, Umgebungen und Formen des Schreibens (sowohl im Sinne des Schreibprozesses als auch im Sinne des Produkts, der literarischen Form)?
Erst allmählich wird der Autor Alexander Lernet-Holenia wiederentdeckt. Dabei war er in der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit einer der bekanntesten österreichischen Schriftsteller. Sein weitgehendes Verschwinden aus der literarischen Öffentlichkeit und der literaturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte dürfte wohl vor allem seinem politischen Konservatismus - manche bezeichnen ihn als reaktionär, er selbst hat sich einmal einen konservativen Revolutionär genannt - wie seiner ihm von den Interpreten wiederholt attestierten Zwitterstellung zwischen 'hoher' und unterhaltender bzw. Trivialliteratur geschuldet sein. Daß er nicht zu den kanonisierten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört, hat sicherlich auch mit der bis heute von Literaturwissenschaftlern vertretenen Einschätzung zu tun, daß sich an seiner Prosa nicht ähnlich innovativ wie bei Musil, Broch und anderen die Formproblematik des modernen Erzählens erörtern läßt. Wenn sein Prosa-Werk ernsthafte Berücksichtigung erfährt, dann vor allem in der Forschung zur literarischen Phantastik zwischen dem fin de siècle und den dreißiger Jahren. In diesem Zusammenhang ist oft von einem zentralen Charakteristikum seines Schreibens die Rede. Bezug genommen wird dabei auf die von Lernet-Holenia selbst verwendete Metapher des 'Zwischenreichs'. So heißt es in einer häufig zitierten Studie von Franziska Müller-Widmer, daß Lernet-Holenia "das Ineinanderfließen von Wirklichkeit und Fiktion, von Realität und Traumwelt, Leben und Tod zum wesentlichsten Prinzip seiner schriftstellerischen Arbeit erhoben hat". Allein schon dieses Zitat belegt, wie aktuell sein Werk, das die Aufhebung bzw. die Ununterscheidbarkeit solcher Gegensätze und darüber hinaus ihr Zwischen zum zentralen Thema hat, in einer Zeit (wie der unsrigen) sein müßte, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion unscharf werden. Neben der auch kürzlich wieder vorgenommenen Abwertung des Autors und seines Werkes gibt es gleichwohl auch Stimmen, die die Modernität der Texte Lernet-Holenias andeuten.
Die Großstadt als apokalyptischer Raum in der frühexpressionistischen Lyrik und Bildenden Kunst
(2013)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Apokalypse eine prominente Form der künstlerischen Artikulation. Ihre immanente Zerstörungsgewalt schlägt sich nicht nur sozial und politisch nieder, sondern auch ideengeschichtlich und ästhetisch, wobei Negation, Abkehr von mimetischen Darstellungen sowie Abstraktion und Destruktion gängige Darstellungsmittel sind. Besonders in der Zeit um den Ersten Weltkrieg lässt sich dabei eine "Hochkonjunktur apokalyptischer Bildlichkeit und Tonlagen" erkennen.
Doch was verstehen wir eigentlich unter Apokalypse? Im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in den Künsten operieren wir mit einem Begriff, der aus dem letzten Buch der Bibel stammt, welches seinen Namen aus dem ersten Wort im griech. Original erhielt: άποκάλυψις, was mit Enthüllung oder Offenbarung übersetzt wird. Als Gattungsbezeichnung Apokalyptik wird der Begriff auf religiöse Schriften angewandt, die geheimes Wissen über die Geschichte und Zukunft der Welt und deren Ende offenbaren. Obwohl sich apokalyptische Schriften schon im Alten Testament finden, ist die Johannesoffenbarung aus dem Neuen Testament Namensgeberin dieser literarischen Gattung und hat die europäische Geisteshaltung maßgeblich beeinflusst.
Die Johannesoffenbarung ist geprägt durch ein dichtes Handlungs- und Bildgeflecht. Mit einer Fülle an Bildfolgen werden die Schrecken der kommenden Endzeit, das Weltgericht und die Errichtung eines kommenden Heils dargestellt. Die Apokalypse enthält Motive, die zum kulturellen Gemeingut avancierten. So verbinden wir mit apokalyptischen Szenarien beispielsweise folgende Beschreibung aus der Offenbarung: "da ward ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der Mond ward wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde" (Offb 6,12–13).
Ferner sind die apokalyptischen Reiter sowie Plagen, Sintflut und Finsternis Motive, die wir mit Zerstörung und Weltuntergang assoziieren. Zudem findet sich in der Apokalypse ein steter Dualismus zwischen Alt und Neu, Ende und Anfang, Gut und Böse, den wir auf qualitativer, moralischer sowie personaler und bildlicher Ebene auch in der expressionistischen Kunst finden.
Henning Theißen entwirft das Modell einer religiösen Zeugenschaft, die eine Alternative darstellen soll zu den vorherrschenden Kategorien: der Mission als persuasivem Zeugnis und dem Martyrium als einem Zeugnis der existentiellen Involviertheit. Er diskutiert dies zunächst vor der Folie juridischer und epistemischer Zeugenschaft. So thematisiert er die Vereidigung des Zeugen vor Gericht als eine Metastruktur, als Zeugnis für die Glaubwürdigkeit des Zeugen, das die Aussage überzeugend machen soll. Theißen verwendet hier den aus dem Neuen Testament (Hebr. 12:2) stammenden Begriff der "Wolke von Zeugen", in die der beeidigende Zeuge eintritt und in der wiederum Gott zum Zeugen angerufen wird. Wir finden hier eine ähnliche Struktur wie beim Zeugenschaftshelfer und bei den Überzeugungsfiguren. Glaubwürdigkeit muss selbst in irgendeiner Weise bezeugt sein. Das bedeutet, dass Szenarien und Konstellationen von Zeugenschaft notwendigerweise immer eine komplexe Struktur haben; beim religiösen Bekenntniszeugen, der in eine "Wolke von Zeugen" eintritt, ist dies durch Zeugenketten gewährleistet. Schließlich entwickelt Theißen das Modell einer 'angenommenen' (adoptierten) Gewissheit, der er eine unmittelbar gezeugte Gewissheit gegenüberstellt: Gewissheit entsteht durch einen Vertrauensvorschuss; das Zeugnis muss sich in einem dynamischen Prozess in der Folge (zum Beispiel im Abgleich mit anderen Zeugnissen) bewähren.
Mantik
(2016)
Die etymologischen Wurzeln der Mantik liegen im Umkreis der griechischen Orakel, in der 'manteía', der Weissagung, und im 'mántis', dem Seher. Hiervon ausgehend bezeichnet Mantik zunächst einmal ein prärationales Bewusstsein von Wirklichkeit. Es handelt sich dabei nicht zwingend um das Bewusstsein eines zukünftigen Geschehens (die mantisch wahrgenommenen Sachverhalte können ebenso gut auch in einer verborgenen Vergangenheit liegen), in jedem Fall aber um das Bewusstsein eines Geschehens, das erst noch Wissen werden muss, in jedem Fall also ein 'zukünftiges Wissen' ist.
Die Kunst der Mode
(2004)
Tagungsbericht zu Die Kunst der Mode : erste Interdisziplinäre Tagung des Instituts für Künste und Medien der Universität Potsdam vom 8. bis 10. Oktober 2003
Die erste Tagung des Instituts für Künste und Medien der Universität Potsdam zum Thema 'Die Kunst der Mode' sollte deshalb Wissenschaftlern und Praktikern aus verschiedenen Disziplinen, Literatur-, Medienwissenschaftlern, Historikern und Theaterwissenschaftlern, Journalisten, Modedesignern und Unternehmern, ein Forum bieten, sich über dieses "Medium der Selbstgestaltung und der Gestaltung der Identität" (Prof. Gertrud Lehnert) auszutauschen. Dabei war es eindeutig nicht das Ziel der Tagung, die Mode auf Kunst oder Nicht-Kunst festzuschreiben, vielmehr sollte ihr ein eigener Raum innerhalb der Alltagskultur eröffnet werden. Ein Schwerpunkt war die Betonung ihrer Zwischenstellung: zwischen Kunst und Konsum, zwischen Kunst und Handwerk, zwischen Alltagsinszenierung und großem Theater. Der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung ermöglichte die Annäherung an das Thema aus vier verschiedenen Perspektiven.
Für fantastische Literatur werden neue Welten durch Autor_innen erdacht, neue Räume eröffnet. Fremdes wird dargestellt und beschrieben. Dabei sind es selten komplett "neue Welten". Es wird nichts oder nur wenig beschrieben, was uns absolut "fremd" ist. Häufig werden Symbole und Darstellungen verwendet, die auch in der primären Welt als "fremd" konstruiert werden und damit für "Fremdes" stehen, ohne uns tatsächlich fremd zu sein. Denn das, was als "fremd" gilt, wird nicht nur in oder besser für fiktive Welten konstruiert, sondern vor allen Dingen in gesellschaftlichen Diskursen. Das Fremde ist uns also – so paradox das auch zunächst klingen mag – häufig bekannt.
So wurden die verschiedenen "Anderen" in der europäischen Kulturlandschaft so häufig beschrieben, dass sich ganze Beschreibungsgebäude aufgebaut haben. Das reicht von Rosseaus "edlem Wilden" über die Darstellungen von Native Americans in sogenannten "Indianer"- oder "Wild-West-Filmen" sowie Darstellungen in Kinderbüchern wie z.B. Pippi Langstrumpf über ethnologische und biologische Abhandlungen über "die Anderen" bis hin zu Darstellungen der kolonisierten Menschen auf Keksdosen oder Schokoladenverpackungen. Diese Stereotype sind nicht in einem ahistorischen oder gar machtfreien Raum entstanden. Sie sind durch Schlagwörter wie "Verallgemeinerung" oder "historisch gewachsen" nicht ausreichend beschrieben. Diese gängigen Stereotype, die sich auch heute noch in vielen Publikationen wiederfinden, suggerieren ein "Wissen" über "die Anderen" und werden in der ideologiekritischen Rassismusforschung als Bestandteil einer Ideologie bzw. eines machtvollen "Ideensystem[s]" begriffen – nämlich des Ideensystems Rassismus.
Den Namen der Pazifistin, Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner im Zusammenhang mit der sich erst etablierenden Gesellschaftswissenschaft zu sehen, mag auf den ersten Blick verwundern. Zu Unrecht. Denn Bertha von Suttner beschäftigte sich seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts intensiv mit Soziologie. Viele ihrer Schriften sind als "soziologisch", "soziopolitisch" beziehungsweise "sozialanalytisch" zu werten oder enthalten Gedanken, die im Zusammenhang mit einer soziologischen Weltanschauung stehen. Ein Bewusstsein für diese intensive Auseinandersetzung Bertha von Suttners mit der Soziologie zu schaffen, ist das Anliegen dieser Textsammlung: Ausgewählte Essays, journalistische Artikel und Romanausschnitte geben einen Einblick in die soziologisch geprägte Weltsicht der Schriftstellerin und öffnen unseren Blick für bislang unentdeckte Facetten in ihren Schriften. Eingebettet in den Entstehungskontext zeigen uns die Textpassagen, dass auch Bertha von Suttner zur Verbreitung der Gesellschaftswissenschaft im deutschsprachigen Raum beitrug.
Personenverzeichnis
(2017)
Angeführt sind die in Eveline Thalmanns Einleitung sowie in Bertha von Suttners Beiträgen zitierten bzw. erwähnten Personen. - Mit Kennungen wurden nur Personen am Rande oder außerhalb des westlichen künstlerisch-literarischen Kernkanons versehen sowie Personen aus den Bereichen Soziologie, Evolutionstheorie u. a. mit Bezug zu Suttner.
Mimesis
(2012)
Tagungsbericht zum Jubiläumssymposium des Promotionsstudiengangs Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, Kloster Seeon, 29. bis 31. Juli 2011.
Wie stellt die Kunst Wirklichkeit dar? Um welche Auffassung von Kunst (Literatur, bildende Kunst, Musik), um welche von Wirklichkeit (Welt, Natur, Schöpfung) handelt es sich? Um diese Fragen kreist der Begriff der Mimesis. Der 'Promotionsstudiengang Literaturwissenschaft' feierte im Juli 2011 in Kloster Seeon sein zehnjähriges Bestehen mit einem Jubiläumssymposium, das Perspektiven auf diese äußerst vielschichtige, historisch wandelbare Kategorie der Ästhetik und Poetik öffnete.
Sula Textor nimmt sich Rilkes Rodin-Buch vor und rekonstruiert darin eine "Sprache der Hände": Diese präge die Studie nicht nur als Charakterisierung der Kunst des von Rilke bewunderten französischen Bildhauers und Zeichners. Textor analysiert den Übergang der "Sprache der Hände" von der Beschreibung des Rodin'schen Werks, also von der Objektebene, auf Rilkes Schreiben selbst, das, präzise modelliert an Rodin, ein "plastisches" wird.