CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Im vorliegenden Beitrag geht es um die Frage, wie sich Natürlichkeit als ein zentrales Stilkonzept im 18. Jahrhundert auf die syntaktische Gestaltung von Texten ausgewirkt hat. Grundlage der empirischen Untersuchung sind neunzig Musterbriefe, die aus drei Ausgaben des Schröter'schen Briefstellers (1,1743, 7,1767, 8,1785) stammen und die im Sinne der 'neuen' Stilauffassungen überarbeitet wurden. Die Briefe zeigen unter anderem einen Rückgang in der Satzkomplexität, eine Aufwertung der Selbstreferenz und eine verstärkte Einbindung mündlichkeitsnaher Strukturen.
Um 1750 zeichnet sich eine grundlegende Verschiebung in der Funktion des Stilbegriffes ab, die sowohl die Theorie als auch die Praxis literarischen Schreibens veränderte. Während sich das an der frühaufklärerischen Erkenntnistheorie orientierte Ideal der ersten Jahrhunderthälfte als analytischer Stil beschreiben lässt, zielt die Dichtungstheorie und -praxis in der zweiten Jahrhunderthälfte auf einen synthetischen Stil, der sich im poetischen Text als "übersummatives Ganzes" (Ulf Abraham) manifestiert; die poetische Absicht wird durch diesen Stil in einem korrelativen Verhältnis von Text und Einbildungskraft verwirklicht. In einer vergleichenden, den historischen Kontext einbeziehenden Analyse zweier Gedichte von Barthold Heinrich Brockes und Friedrich Gottlieb Klopstock wird nachgewiesen, dass sich das Verständnis von Stil von einer Art Verdoppelung des Erkenntnisprozesses (Brockes) zu einer kognitiven Funktion (Klopstock) hin verschiebt.
Hugh Blairs umfangreiche "Lectures on Rhetoric and Belles Lettres" sind eines der erfolgreichsten Werke der englischsprachigen Rhetoriktradition. Der Stilbegriff bildet das Zentrum von Blairs Ästhetikkonzept. Blair greift einerseits auf die rhetorische Tradition zurück, bezieht sich andererseits aber auch auf wahrnehmungstheoretische Überlegungen aus der zeitgenössischen empiristischen Psychologie. Neben den ästhetischen Qualitäten des Stils rücken dabei Fragen der Verständnissicherung durch stilistische Klarheit in den Fokus. Blairs "Lectures" greifen damit über das Feld der Ästhetik entscheidend hinaus.
Um 1750 gelangt die ethopoetische Funktion des Stils in den Fokus verschiedener Autoren, welche die Kategorie in Rhetorik, Poetik und Ästhetik neu vermessen. Johann Christoph Gottscheds Rhetorik weiß den Stil als Übung zu nutzen, um Empfinden und Denken der Schüler zu trainieren. Der Charakter der Schüler resultiert somit aus einem Ausbildungsprogramm, das vom Spracherwerb bis zum Verfassen von Reden reicht. Johann Jacob Breitinger erläutert in seiner Poetik, wie die Sprache auf einer semiotischen Ebene auf verschiedene Arten Kraft ausübt, um das Gemüt zu bewegen und damit sinnliche Erkenntnisse zu generieren. Stil als Übung und Stil als Darstellungsverfahren vereint Alexander Gottlieb Baumgarten in seiner Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis, die sowohl eine Vervollkommnung des sinnlichen Erkennens anstrebt als auch die Verfahren beleuchtet, die für die Darstellung der sinnlichen Erkenntnis verantwortlich sind.
Der interdisziplinäre Sammelband eröffnet neue Perspektiven auf den Stil als bislang unterkonturierte literaturwissenschaftliche Leitkategorie unter transnationalen, wissens-, gattungs- und sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten. Im 18. Jahrhundert zeichnet sich im Nachdenken über Schreibarten eine Neujustierung der Stilkategorie ab, die den Stil zur Reflexionsgröße für ästhetische Diskurse macht. Der Band sondiert die Pluralisierung, Historisierung und Individualisierung der Stilkategorie, die ihr neue literatur- und kulturtheoretische Anwendungsbereiche eröffnet. Die Bewegungen zwischen den Sprachen, Literaturen, Medien und semantischen Feldern erschließt die Publikation, indem sie europäische Vergleichshorizonte eröffnet und literatur- ebenso wie sprachwissenschaftliche Ansätze präsentiert. Damit leistet sie einen Beitrag zum Feld der komparatistisch ausgerichteten Germanistik, insbesondere der Literatur- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts und des europäischen Kulturtransfers.
Der interdisziplinäre Sammelband eröffnet neue Perspektiven auf den Stil als bislang unterkonturierte literaturwissenschaftliche Leitkategorie unter transnationalen, wissens-, gattungs- und sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten. Im 18. Jahrhundert zeichnet sich im Nachdenken über Schreibarten eine Neujustierung der Stilkategorie ab, die den Stil zur Reflexionsgröße für ästhetische Diskurse macht. Der Band sondiert die Pluralisierung, Historisierung und Individualisierung der Stilkategorie, die ihr neue literatur- und kulturtheoretische Anwendungsbereiche eröffnet. Die Bewegungen zwischen den Sprachen, Literaturen, Medien und semantischen Feldern erschließt die Publikation, indem sie europäische Vergleichshorizonte eröffnet und literatur- ebenso wie sprachwissenschaftliche Ansätze präsentiert. Damit leistet sie einen Beitrag zum Feld der komparatistisch ausgerichteten Germanistik, insbesondere der Literatur- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts und des europäischen Kulturtransfers.
In der Bibliographie sind alle bisher ermittelten Publikationen von und über Curt SigmarGutkind verzeichnet. Belegexemplare der von ihm verfassten Aufsätze und Zeitungsbeiträge(Rezensionen, Theaterkritiken usw.) befinden sich in seinem im Mannheimer Stadtarchivaufbewahrten Nachlass. Alle Einträge wurden autoptisch geprüft.
Unter Experten in Sachen Übersetzungsgeschichte ist Johann Diederich Gries kein Unbekannter. Er zählt z. B. zu den zehn "bedeutende[n] Übersetzerpersönlichkeiten von der frühen Neuzeit bis heute", deren Leben und Werk in der Europäischen Übersetzungsgeschichte von Jörn Albrecht und Iris Plack dargestellt wird. Friedmar Apels von Gottsched und Bode bis Dedecius und Enzensberger reichende "Leseliste zur Geschichte des Übersetzens in Deutschland" umfasst 60 Übersetzer, von Gries werden dessen Calderón- und Tasso-Übersetzungen zur Lektüre empfohlen.
Felix Paul Greve, 1879–1948
(2022)
Felix Paul Greve (1879–1948) bzw. Frederick Philip Grove, wie er sich in Nordamerika nannte, war einer der produktivsten deutschen Übersetzer der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Innerhalb von acht Jahren übertrug er rund siebzig Werke unter anderem von Balzac, Browning, Flaubert, Gide, H.G. Wells und Oscar Wilde ins Deutsche. Daneben war er als Schriftsteller und Herausgeber tätig.
Ursula Gräfe, Jg. 1956
(2022)
"Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte […]. Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und 'Oui Monsieur' verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen." Diese vernichtende Kritik Lessings von 1759 beeinflusst bis heute das Urteil über den einstigen "Literaturpapst" Gottsched in deutschen Literaturgeschichten. Das kann aber kein Hindernis sein, um für eine Geschichte des Übersetzens Gottscheds Verdienste als Verfasser, Herausgeber und Förderer von Übersetzungen (insbesondere aus der französischen Literatur der Aufklärung) genauer in den Blick zu nehmen.
Luise Gottscheds Übersetzungen können als wichtiger Beitrag zur Vermittlung zentraler Texte der Aufklärung und der französischen und englischen Literatur für ein deutsches Publikum betrachtet werden. Sie übersetzte literarische, philosophische, journalistische, geistes- und naturwissenschaftliche Texte aus dem Französischen und Englischen, u.a. Werke von Molière, Bayle, Voltaire, Destouches, Fénelon, Addison und Pope sowie von zahlreichen weniger bekannten Autoren und Autorinnen. Darüber hinaus verfasste sie eigene literarische Werke, insbesondere Dramen.
Dorothea Gotfurt, 1907–1995
(2024)
Dorothea Gotfurt kam 1935 als Exilantin nach England. Dort wurde sie zur Übersetzerin. Zwischen 1955 und 1970 veröffentlichte sie vor allem im Scherz-Verlag (Bern), aber auch bei Fischer (Frankfurt/M.), Rowohlt (Reinbek) oder Szolnay (Wien) über dreißig von ihr ins Deutsche gebrachte Romane aus der zeitgenössischen englischsprachigen Literatur.
Elisabeth Göhlsdorf wurde 1890 geboren, so erfährt man es von der Ausländerbehörde in Reykjavík, allerdings ohne Angabe des Geburtsortes. Sie war wohl eine Übersetzerin, zumindest sind Anfang der 1930er und 1950er Jahre Übersetzungen unter ihrem Namen erschienen. Es wurde allerdings bezweifelt, ob die Übersetzungen wirklich immer von ihr stammten. In Deutschland blieb sie unbekannt. In Island jedoch erweckte sie Aufmerksamkeit.
Anna Gmeyner, 1901–1991
(2021)
Anna Gmeyner (1901–1991) zählte um 1930 zur literarischen Avantgarde. Bekannt wurde sie vor 1933 mit Theaterstücken, in dieser Zeit übersetzte sie zwei Romane aus dem Amerikanischen. Im Exil schrieb sie Drehbücher und Romane. Sie geriet in Vergessenheit, bis sie und ihr Werk in den 1980er Jahren wiederentdeckt wurde.
In seiner 1986 veröffentlichten Autobiographie erwähnt Fischer, dass er aus dem Russischen Gedichte übersetzt habe. Nachweisen ließen sich die in "Sinn und Form" erschienenen Texte. Seine im "Wiener Tagebuch" und der "Volksstimme" veröffentlichten Nachdichtungen konnten bisher nicht ermittelt werden.
Die Bibliographie nennt alle in der Deutschen Nationalbibliothek vorhandenen Bücher Grete Fischers. Die Titel wurden mit Ausnahme der drei 1945/46 in Glasgow erschienenen Bücher autoptisch überprüft. Als Verlagslektorin hat sie durch mehrere Jahrzehnte an deutschen und englischen Übersetzungen mitgewirkt, die sich bisher jedoch bibliographisch nicht nachweisen ließen.
Mutoni im Un/Happyland : die Bürde weißer Retter*innen in Tete Loepers Roman "Barfuß in Deutschland"
(2023)
In Tete Loeper's novel "Barefoot in Germany" (2020), Black first-person narrator Mutoni from Rwanda recounts her experiences as a marriage migrant, sex worker, maid, and caregiver in Germany, a supposed "Happyland" where racism is considered the offense of "others": bad individuals and Nazis. However, Loeper's white savior characters are both nice people and (unwitting) racists, while some of Mutoni's Black sisters behave in discriminatory ways as well. Drawing on critical race theory and imagology, this article shows how the novel deconstructs and appropriates stereotypical images from "'colorblind' Europe" on both a thematic and formal-aesthetic level. By engaging with a comparative and transnational frame of reference that goes beyond a monolingual white canon of theory and literature, the article reveals the novel's connections to other Black texts and genres, as well as its literary strategies in dealing with identity (politics).
Darlegung der strategische Entwicklung der FID der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg aus fachlicher und struktureller Sicht: in Hinblick auf ihre Rolle als Partner für die Wissenschaft, der Synergien an der UB JCS durch sechs FID und ihre Positionierung im FID-Netzwerk.
Die strategische Entwicklung der FID aus technischer Sicht wird in Hinblick auf Infrastruktur, Datenmanagement und Community-Arbeit vertieft.
FID Afrikastudien | africanstudieslibrary.org
FID Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | avldigital.de
FID Biodiversitätsforschung | biofid.de
FID Darstellende Kunst | performing-arts.eu
FID Jüdische Studien | jewishstudies.de
FID Linguistik | linguistik.de
"Finnegans Wake" bildet den Gipfelpunkt der klassischen Moderne und hat die Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg so nachhaltig geprägt wie kaum ein anderes Einzelwerk. 17 Jahre lang arbeitete James Joyce daran, bevor es 1939 publiziert wurde. Über 80 Jahre später arbeitet Ulrich Blumenbach derzeit an einer kompletten Übersetzung ins Deutsche. In seinem Work-in-Progress-Journal bringt Blumenbach gemeinsam mit seinen Leser·innen die anarchische Assoziationsmaschinerie auf Touren, illustriert an sprechenden Beispielen, was es braucht, um die wilde Semiose des Werks ins Deutsche zu übertragen und beschreibt, welche Freiheiten er sich nehmen muss, um der deutschen Leserschaft eine Ahnung davon zu vermitteln, wie Sinnenergien Synergien generieren.
In der Form eines Reisetagebuchs nimmt der Übersetzer, Schauspieler und Regisseur Leopold von Verschuer uns sowohl mit in die Tiefenschichten seines nun bereits 25 Jahre währenden Abenteuers der unmöglichen Übersetzung des französischen Sprachkünstlers Valère Novarina - Novarina gibt der französischen Sprache eine Dinglichkeit wieder, die sie seit Rabelais verloren hat - als auch in seine detektivische Recherche zur Übersetzung einer gewaltigen Aufzählung von dialektalen Gebirglerspitznamen aus der Haute-Savoie. Wenn Sprechen Handeln ist und die Sprache das eigentliche Fleisch des Menschen, dann gilt es hinabzusteigen in die geologischen Tiefenschichten auch der Zielsprache. Denn Übersetzer·innen sind "Erdarbeiter der Sprache".
Die Funken der Erlösung : Journal zur Übersetzung des Romans "Die Jakobsbücher" von Olga Tokarczuk
(2020)
"Für unsere Übersetzung waren all diese Überlegungen insofern bedeutsam, als wir zu entscheiden hatten, welche kulturhistorischen Verortungen wir schaffen, welche Konnotationen wir aufrufen wollten - durch die Verwendung eben dieses oder jenes Wortes -, und mit welchen Mitteln es möglich wäre, auch das Prozesshafte der Geschichte abzubilden, den Weg, den Jakob und Frank und seine Compagnie zurücklegen, im Sinne der physischen wie der kulturellen Topographie."
Brecht zufolge birgt die Frage nach den Verpflichtungen der Kunst eine unauflösbare Dialektik: Kunst und politischer Zweck sind einander nicht äußerlich, ihre Beziehung ist nicht durch Konflikt oder gegenseitigen Ausschluss gekennzeichnet, sondern vielmehr durch das Versprechen schöpferischer Reibung und gegenseitiger Bereicherung. Dies entspricht nicht der Art und Weise, in der die Literaturwissenschaft traditionell über die Beziehung der Literatur zur Sphäre der Politik nachgedacht hat. Sie hat vielmehr dazu geneigt, den Versuch, Kunst als politische Arbeit zu begreifen, als Kategorienfehler zubetrachten - als eine von außen herangetragene Zumutung, die beiden schadet: der Kunst und der Politik. [...] Wenn wir verschüttete literaturgeschichtliche Genealogien wiederherstellen, um der theoretischen Untersuchung alternative Wege aufzuzeigen, orientieren wir uns an neueren Bemühungen, ausgewählte Episoden politisierten Schreibens nicht als literaturgeschichtliche Anomalien zu betrachten, sondern als Schlüsselmomente in der Konfiguration der Beziehung zwischen Literatur und Politik - als einflussreiche Epizentren interventionistischer Kunst, von denen aus Debatten über Literaturpolitik und Praktiken engagierten Schreibens in neue und global ausgedehnte Kontexte ausstrahlen können. Die von uns vorgeschlagene Periodisierung verbindet experimentell drei Perioden intensiv politisierter und aktivistischer Kunst und Schriftstellerei: die Zwischenkriegszeit, die langen 1960er Jahre und die Gegenwart. Damit sollen alternative Traditionen sichtbar gemacht werden, die Raymond Williams zufolge oft an den Rändern des Jahrhunderts zurückgelassen wurden. Diese Periodisierung verzichtet auch bewusst darauf, eine einzige oder eindeutige Geschichte politisierter Literatur nachzuzeichnen.
Aspekte Schwarzer Geschichte(n) in "Berlin Global" : eine Führungs- und Ausstellungsreflexion
(2024)
Februar ist Black History Month und damit der ideale Zeitpunkt, eine Blogserie über Berliner Orte zu beginnen, die wir - Gianna Zocco und Sandra Folie - im Zuge unseres neuen Forschungsprojekts "Schwarze Narrative transkultureller Aneignung" besuchen: Museen, Theater, Verlage, Archive usw., die für eine afroeuropäisch fokussierte Literatur- und Kulturforschung relevant sind und mit denen wir ins Gespräch kommen wollen. Die erste Exkursion führte mich zur Ausstellung BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum, die zu zeigen versucht, "wie die Stadt und ihre Menschen mit der Welt verbunden sind". Sie beruft sich dabei auf eine vielstimmige, partizipative Konzeption und Umsetzung und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema des Kolonialismus und seinen Nachwirkungen. Unter dem Titel "Sichtbar werden" führten eine externe afrodeutsche Expertin und eine Museumsvermittlerin im Gespräch - miteinander, aber auch mit der Gruppe - durch die Spuren Schwarzer Geschichte(n) in der Ausstellung. Welche Aspekte Schwarzer Geschichte(n) müssen aber in einer solchen Ausstellung erst im Rahmen einer speziellen Führung "sichtbar werden", fragte ich mich vorab. Und würde sich die Führung mit ihrem Anspruch der Sichtbarmachung als ein Akt des 'narrating back' und damit der partiellen oder temporären Aneignung eines (zu) weiß kodierten Raumes wie des Humboldt Forums begreifen lassen? Die Expertin, die den thematischen Fokus setzte, war Tanja-Bianca Schmidt, freie Kuratorin und Kunsthistorikerin an der TU Dresden mit den Schwerpunkten Black Identity, rassismuskritische Kunstgeschichte, Ästhetik der Migration und Postkoloniale Theorie. Zusätzlich zu ihrer beruflichen Expertise brachte sie ihre persönlichen Erfahrungen als Schwarze Deutsche mit ein. Sophie Eliot, die als Outreach-Spezialistin für das Stadtmuseum Berlin tätig ist und sich in der diskriminierungskritischen und -sensiblen Museumsarbeit verortet, war ihre Gesprächspartnerin.
Let's call it Nachbarschaft
(2024)
Im Sommer 2023 zogen das ZfL, das ZAS und die gemeinsame Verwaltung der Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin aus der Schützenstraße in Berlin-Mitte nach Wilmersdorf. In dem an der Pariser Str. 1, Ecke Meierottostr. 8 neu errichteten Gebäude ACHTUNDEINS von Eike Becker_Architekten bespielen die Zentren nun insgesamt drei Etagen. Im Erdgeschoss befinden sich, von außen einsehbar, die Forschungsbibliotheken von ZfL und ZAS sowie der Eberhard-Lämmert-Saal. Während des Neujahrsempfangs, mit dem sich ZfL, ZAS und die GWZ am 11. Januar 2024 der unmittelbaren Nachbarschaft vorstellten, entstand die Idee zu dieser Glosse.
Erika Fuchs, 1906–2005
(2015)
Erika Fuchs gilt als die Grande Dame des deutschen Comics. In ihrer über 30 Jahre andauernden Tätigkeit als "Chefredakteurin" des Micky-Maus-Magazins übersetzte die Kunsthistorikerin unzählige US-amerikanische Disney-Comics ins Deutsche. Sie verlegte mit dem für sie charakteristischen extrem freien aber sprachlich sehr gehobenen Übersetzungsstil die Welt von Donald Duck und Mickey Mouse nach Deutschland und prägte dadurch die Sprache mehrerer Leser-Generationen.
Helmut Frielinghaus war Literaturvermittler und Übersetzer aus dem Spanischen und Englischen. Nach einigen Jahren als Buchhändler in Spanien kam er wieder nach Deutschland und arbeitete als Übersetzer, dann als Lektor, u.a. von Günter Grass, und Verlagsleiter. Während seiner Jahre im deutschen Buchgewerbe hat er viele Menschen inspiriert und den Übersetzernachwuchs gefördert.
Marie Franzos, 1870–1941
(2024)
Die aus Wien stammende Marie Franzos darf als produktivste Übersetzerin und Vermittlerin der skandinavischen Literatur ihrer Zeit gelten. Sie brachte zwischen 1896 und 1938 insgesamt 112 Bücher von 33 Schriftstellern aus dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen ins Deutsche, darunter Werke von Selma Lagerlöf und Per Hallström.
Wilhelm Fraenger, 1890–1964
(2017)
Meta Forkel, 1765–1853
(2018)
Sophie Margarethe ("Meta") Dorothea Liebeskind, als Mitarbeiterin in der "Übersetzungsfabrik" Georg Forsters besser bekannt unter dem Namen ihres ersten Mannes, Forkel, gehört mit über 20, zum Teil mehrbändigen übersetzten Werken zu den produktivsten Übersetzerinnen ihrer Zeit. Ihre beachtliche Leistung als Übersetzerin wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass ihre Übersetzungen bis auf wenige Ausnahmen in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen 1788 und 1799 entstanden sind.
Walter Fischer, 1901–1978
(2022)
Walter Fischer studierte Medizin und arbeitete in Österreich bis 1934 als Arzt. Schon als Student engagierte er sich in der Sozialdemokratischen Partei, schloss sich 1934 der KPÖ an. Im Moskauer Exil wurde er als Redakteur, Nachrichten-Übersetzer und Sprecher für die Österreich-Sendungen von Radio Moskau eingesetzt, nach dem Krieg beschäftigte er sich mit Lyrik-Übersetzungen.
Hartmut Fähndrich, Jg. 1944
(2022)
Hartmut Fähndrich zählt zu den bedeutendsten Übersetzern aus dem Arabischen. Als Gymnasiast lernte er Bibel-Hebräisch und fühlte sich von dem "Anderssein der semitischen Sprachen" angezogen. Diese Faszination führte zum Studium der Semitistik und Islamwissenschaften, doch erst die politische Situation Ende der 1970er Jahre brachte ihn zum modernen Arabisch. Seine Laufbahn als Literatur-Übersetzer begann in den 80er Jahren. Seither hat er siebzig Romane und zahllose kürzere Texte übersetzt.
In den Jahren um 1968 entwickelte sich aus einem kleinen literarischen Magazin eine der meistgelesenen Theoriezeitschriften der Bundesrepublik. Unter der Herausgeberin Hildegard Brenner wurde die "alternative" zu einem Forum intellektueller Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Ideengeschichtliche Traditionen des westlichen Marxismus wurden hier ebenso diskutiert wie der französische Strukturalismus und die feministische Kritik der Psychoanalyse, literaturpolitische Auseinandersetzungen in Ost und West ebenso wie die politischen Bewegungen der Zeit.
Einen Leitfaden der "alternative" bildete die fortlaufende Reflexion darüber, wie mit intellektuellen Mitteln gesellschaftliche Wirkung zu erzeugen sei - bis im linken Krisenjahrzehnt der 1970er Jahre vermehrt das Scheitern an diesem Anspruch zum Thema der Zeitschrift wurde. Moritz Neuffer rekonstruiert die Kollektivbiografie der Redakteurinnen, Autoren und Leserinnen und fragt, was das Publizieren in der "journalistischen Form" der Zeitschrift von anderen Formen des Denkens und Schreibens unterscheidet.
Die Tagung "Vom Gehen und von Übergängen in den Künsten" konzipiert und geleitet von Uta Degner und Hildegard Fraueneder, fand am 16. Juni 2023 am Programmbereich "Figurationen des Übergangs" der interuniversitären Einrichtung Wissenschaft und Kunst (Paris Lodron Universität Salzburg / Universität Mozarteum Salzburg) statt. Anhand von konkreten künstlerischen Arbeiten aus den Feldern Literatur, Musik und Kunst wurde das transformative Potential von Übergängen entlang der Fragen nach der Bedeutung von Gerichtetheit oder Richtungslosigkeit beim Gehen, den Beziehungen des sich bewegenden Subjekts und der Umgebung und der Situierung von Wahrnehmung und Reflexion zueinander vorgestellt und diskutiert.
Die Tagung und Ausstellung "Nachhaltig vergänglich" in Salzburg erörterte mit Fragen nach Dauerhaftigkeit und Schnelllebigkeit ein äußerst produktives Spannungsfeld, um verschiedene Ansätze der Kunst- und Kulturwissenschaft zusammenzubringen. Weiß wie Schnee, schwarz wie Kohle, filigrane Netzwerke und wuchtiges Geschirr. Von 17. bis 19. November 2022 waren in der Stadtgalerie Mozartplatz in Salzburg künstlerische Arbeiten zu sehen, die mit ganz unterschiedlichen Materialien operierten.
Ukrainische Bricolage : wie die Kulturszene der Ukraine dazu beiträgt, ihr Land zu verteidigen
(2023)
Der im Februar 2022 begonnene völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die benachbarte Ukraine führte neben flächendeckender Zerstörung in manchen Gebieten zur Vertreibung zahlloser Menschen und zum Tod einer Vielzahl von Zivilist:innen und Soldat:innen. Außenpolitisch markiert der Ukrainekrieg damit das Ende der postsowjetischen Transformationsphase und bildet den Beginn einer wohl länger währenden Konfrontation zwischen dem Aggressor und den NATO-Staaten. Die westeuropäische Berichterstattung behandelt den Krieg umfangreich, jedoch kommen nur selten Stimmen aus der Ukraine zu Wort. Die hiesige Diskussion wird somit von westlichen Expert:innen bestimmt, die meist aus einer gewissen Distanz heraus über das Land und seine Bewohner:innen sprechen. Im Fokus der Diskussion bleiben vorwiegend die militärisch-politische Entwicklung sowie die überregionalen und globalen Auswirkungen des Konflikts. Sichtweisen und Positionen einzelner und vor allem 'kleinerer' Akteur:innen, die abseits staatlicher Organisationen und Institutionen agieren, geraten auf diese Weise aus dem Blick oder werden einem breiteren Publikum gar nicht erst bekannt. Es verwundert somit nicht, dass bisher Formen ästhetischer Kommunikation und künstlerische Projekte im Kontext des Krieges in der Ukraine zu wenig behandelt werden. [...] Ziel der von Herwig Höller und Peter Deutschmann konzipierten hybriden Diskussionsrunde "Von der Kunst im Krieg. Künstlerische Strategien im ukrainischen Kommunikationsdesign" und der ebenfalls hybriden Tagung "Ukrainische Bricolage", die vom 1.-2. Dezember 2022 stattfanden, war es, die nicht zu unterschätzende Rolle der ukrainischen kreativen Szene im derzeitigen Krieg hervorzuheben. So beeinflussen und prägen seit Beginn der Kampfhandlungen diese Akteur:innen u.a. über soziale Medien oder mittels Crowdfunding finanzierte Design-Kampagnen den Widerstand im Land sowie die öffentliche Diskussion im Westen. Statt aus distanzierter Sicht über die ukrainische Kunst und ihre Produzent:innen zu sprechen, kamen im Rahmen der von Peter Deutschmann und Herwig Höller organisierten Veranstaltungen verschiedene Kunstschaffende zu Wort, deren Projekte im Weiteren kurz skizziert werden. Bevor jedoch die Beiträge der Tagung "Ukrainische Bricolage" im Einzelnen betrachtet werden, soll zuvor auf die Diskussionsrunde am Abend eingegangen werden.
Selbst in einer Disziplin wie der Kunstgeschichte, die sich täglich mit sichtbaren Formen aller Art befasst, kommt es vor, dass Fachleute einander um Rat fragen, weil sie Literatur zum Thema "Bildbeschreibung" suchen. Zwar wird die Betrachtung und Beschreibung von Bildern vielerorts schon in der Schule praktiziert, z.B. um die Ausdrucksweise zu schärfen, und es gehört auch an der Universität zu den fachlichen Standardübungen, Kunstwerke in Worte zu fassen, um ihr konkretes Erscheinungsbild oder ihre Wirkung überhaupt diskutieren zu können. Dennoch bleibt die Übersetzung des Visuellen ins Verbale ein eher stummes Wissen, für das es offenbar keine verbindlichen Regeln gibt. [...] Einen Ausweg scheint hier Erwin Panofsky (1892–1968) zu bieten. Der in Hannover geborene und an der noch jungen Hamburger Universität tätige Kunsthistoriker, der während der NS-Herrschaft in die USA emigrierte, hatte 1932 in seinem Aufsatz "Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst" eine Methode zur Deutung von Bildern der Renaissance skizziert, die später eine unerwartete Karriere gemacht hat. In den USA griff Panofsky den Text und dessen Kerngedanken 1939 noch einmal für ein englischsprachiges Publikum unter dem Titel "Studies in Iconology" auf. Dieser Aufsatz wurde von ihm weiter ausgebaut, er wurde in zahlreiche Sprachen übertragen und schließlich auch ins Deutsche zurückübersetzt. Begünstigt wurde der Erfolg durch eine beigefügte Synopse, die als eine schrittweise Anleitung zur Interpretation von Bildern verstanden werden konnte. Auch unabhängig vom Text erwies sich diese Tabelle als griffige Handreichung zur Bildanalyse, sie wurde zur Grundlage von Propädeutika und ist bis heute Thema in fast jeder Einführung in die kunsthistorische Methodik zu finden. Da sie obendrein in allen erdenklichen Disziplinen, von der Geografie bis zur Soziologie und von der Pädagogik bis zur Geschichtswissenschaft zum Einsatz kommt, wird sie heute womöglich sogar häufiger außerhalb als innerhalb der Kunstgeschichte verwendet. Dies gibt Anlass zum Nachdenken und zur Rückschau.
Vor uns liegt ein Kupferstich auf Papier: er misst 27,5 cm in der Höhe und 20 cm in der Breite, ein handlich-mobiles, druckgraphisches Objekt also. Am unteren Rand, innerhalb des von feinen Linien markierten Druckrahmens der Platte, stehen die drei Signaturen der an der Produktion des Blatts Beteiligten: "L.Cigoli Florent. figuravit. Cornelius Galle sculpsit. C.Galle excudit", entwerfender Florentiner Künstler ("figuravit"), Kupferstecher ("sculpsit") und Verleger ("excudit"). Das Blatt befindet sich heute im Amsterdamer Rijksmuseum. Ein geringfügig kleinerer, beschnittener Druck (26,2 cm × 19,3 cm) im British Museum in London trägt am unteren Rand nur die Marke des Verlegers aus Nürnberg: "B. Caimax excudit". Der in Florenz und Rom aktive Maler Ludovico Cigoli (1559–1613) hatte um 1595, wohl in Florenz, Zeichnungen als Vorlage für den Stich angefertigt. Er greift mit seiner Teufelsfigur eine Figuration Giovanni Stradanos von 1588 auf, die wiederum, nicht im Detail, aber in der monumentalen Anlage der Figur des Satans auf Botticellis Zeichnung vom Ende des 15. Jahrhunderts rekurriert. Vermutlich sollten die dann gestochenen Blätter zunächst als eine Art Anschauungsmaterial im Rahmen akademischer Vorlesungen und Debatten über Dante dienen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren regelrechte Wort- und Argumentschlachten unter Florentiner Intellektuellen, vornehmlich an den neu gegründeten Sprachakademien, um den Stellenwert von Dantes Dichtung im Allgemeinen und um die konkreten Formen seiner poetisch konstruierten Jenseitsräume im Besonderen ausgetragen worden. Das Londoner Blatt, in Nürnberg gedruckt und verlegt, zeigt, dass Cigolis gestochener Lucifer um 1600 auch überregional reüssierte: ein gleichsam intellektuell eingehegtes und doch ästhetisch eindrücklich neu formuliertes Bild des Teufels Dantescher Lesart, das im Medium des Kupferstichs Verbreitung findet.
Oksana Mikheieva beschäftigt sich mit dem eigentlichen Kriegsgebiet im Osten der Ukraine und untersucht in Mikrostudien die Reaktionen der Zivilbevölkerung auf den andauernden Konflikt, die Veränderungen der Alltagswelt sowie die Antworten und Erklärungsmodelle, die Menschen im Ausnahmezustand entwickeln.
Jan Zofka wendet sich dagegen den Grenzgebieten im Südosten zu und untersucht, welche Mobilisierungsdiskurse die russischsprachigen Separatisten im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus aktivierten und wie sehr diese noch von sowjetischen Nationalitätenkonzepten geprägt waren.
Sencovs Camera
(2023)
Einen Gegenentwurf zu all den Kriegshelden und Märtyrern des Vaterlands stellt Oleh Sencov dar, der als Filmschaffender in seiner Gefängniszelle, wie Kateryna Mishchenko ausführt, in Zeiten des Revanchismus und der Gegenrevolution wie kein anderer für das Versprechen des Euromaidan stand, dass auch eine andere, bessere Zukunft möglich gewesen wäre.
Unsere Helden. Eine Inventur : zu einer Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine 2014/2015
(2023)
Aus Anlass seiner kuratorischen Tätigkeit bei einer Ausstellung in Kiew im Zeichen des Euromaidan verfolgt Michael Fehr die aktuelle Renaissance von Heldennarrativen bis zum sowjetischen und antiken Heroenmythos zurück und zeigt am Beispiel der Sammlung des Nationalen Kunstmuseums der Ukraine auf, welche unterschiedlichen Funktionen verschiedene Heldentypen in bestimmten Konstellation erfüllen können.