CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Fröhliche Wissenschaft - traurige Theorie? : lose Bemerkungen zu einem spannungsreichen Verhältnis
(2018)
Im Rückblick auf seine langjährige Teilnahme an den Kolloquien von "Poetik und Hermeneutik", der institutionell wie theoretisch in Deutschland sicher erfolgreichsten geisteswissenschaftlichsten Gruppierung nach 1945, kam der bekannte Romanist Karlheinz Stierle jüngst auf die gemeinsamen Wurzeln der ehemaligen Mitglieder zu sprechen. Gegenteiligen Bekundungen zum Trotz dürften solche nicht etwa in einer eigenständigen "Theorie", sie müssten vielmehr in einem bestimmten Gebrauch des Deutschen als Wissenschaftssprache gesucht werden. [...] Stierles Beobachtungen stehen in ihrer prononcierten Ausrichtung auf Darstellungsfragen und Sprachgebrauch in einer langen wissenschafts- wie theoriegeschichtlichen Tradition. Wenn Stierle der Poetik und Hermeneutik-Gruppe eine "gemeinsame Theorie" abspricht und er ihren "Pep" und ihren Zusammenhalt allein in ihrer Sprache verortet, dürfte dies zunächst von dem schlechten Leumund zeugen, den die 'Theorie' derzeit in weiten Teilen der geisteswissenschaftlichen Debatte besitzt. Seine Bemerkungen sind für das heutige Verständnis der Beziehung von Theorie und Wissenschaft vor allem in den Philologien symptomatisch. Die Zeit eines "Pep" gerade der Theorie selbst scheint längst verflogen, ihr "langer Sommer" endgültig vorbei.
Der Entwicklung einer sprachwissenschaftlichen Terminologie bei Jacob Grimm gilt das Interesse von David Martin. Für das Problem sowohl des Deutschen als auch der Wissenschaftssprache bilde Grimm insofern ein schlagendes Beispiel, als eine potentielle Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache die (frühe) Sprachwissenschaft zwangsläufig vor besondere Herausforderungen habe stellen müssen. Grimms Lösung dieses Problems bestehe nun darin, eine solche Differenz gar nicht erst aufbrechen zu lassen, das Subjekt dem Objekt der Erkenntnis regelrecht 'auszuliefern' und weniger "über die Sprache" als "mit ihr" zu sprechen. Dadurch komme es bei Grimm zwar durchgehend zu einer Annäherung der Darstellung an ihren Gegenstand, doch dürfe diese über die tendenzielle Artifizialität insbesondere seiner Fachausdrücke nicht hinwegtäuschen. Grimm untersuche eine Sprache, "die er zu deren Beschreibung zugleich entdeckt und erfindet".
Ernst Müller beschäftigt sich mit der "Umcodierung der europäischkonfessionellen in eine national-säkulare Bestimmung der Universität" im Werk Friedrich Schleiermachers. Da eine sprachliche Verfasstheit des Wissens für Schleiermacher außer Frage stehe und er deren Vermittlung in der "verschriftliche[n] Mündlichkeit" seiner Vorlesungen auch durchaus Rechnung zu tragen versuche, wolle er den Gebrauch des Lateinischen auf den einer akademischen Festsprache reserviert wissen. Ferner führe die neue Verbindung von Philosophie, Wissenschaft und Bildung bei Schleiermacher beinahe zwangsläufig zu einer Gegenüberstellung von deutscher Universität und französischer Spezialschule, da Letztere sich dem staatlichen Nutzen und der Berufsausbildung verschrieben habe. Die deutsche Universität binde Schleiermacher dabei zwar an die Nation, mitnichten aber an den Nationalstaat.
Thorsten Roelcke beleuchtet sowohl die Koexistenz als auch die Reflexion auf den Gebrauch von Volkssprache und Latein in Barock und Frühaufklärung. Dabei interessiert er sich insbesondere für die 'Arbeitsteilung' von Latein und Deutsch etwa in Kirche und Universität und für ihren Strukturvergleich unter grammatischen wie lexikalischen Gesichtspunkten im Hinblick auf die 'Eignung' der jeweiligen Sprache im Rahmen bestimmter (Spezial-)Kommunikationen.
Einleitung
(2019)
Über Wissenschaft zu reden ist keine Selbstverständlichkeit, ist doch Wissenschaft selber die Rede über alle möglichen Gegenstände, eine Rede zumal, die ihre eigenen Prinzipien setzt und sich autonom bestimmt, also auch die Rede über sich kontrolliert und davon ausgeht, eine nichtwissenschaftliche Rede über Wissenschaft müsse diese wesentlich verfehlen. Dieser Anspruch auf Autonomie manifestiert sich sprachlich etwa in der Ausbildung von Terminologien, von Ausdrücken, deren Bedeutung sich von ihrem allgemeinen Sprachgebrauch ablöst und weitgehend selbstreferentiell funktioniert, weshalb es auch wenig produktiv scheint, über Terminologien zu sprechen, man muss sie vielmehr benutzen. Doch auch wenn man sie beherrscht, wird man im gleichen Maße von ihnen beherrscht. Freilich ist diese Autonomisierung - wie jede gesellschaftliche und diskursive Differenzierung - niemals absolut, denn auch die Wissenschaft muss bei verschiedenen Gelegenheiten nach außen kommunizieren: pädagogisch, um neue Mitglieder auf die interne Kommunikation vorzubereiten, aber auch politisch, um der allgemeinen Öffentlichkeit Rechenschaft über das eigene Tun abzulegen. In der wissenschaftlichen Selbstverständigung kommt es daher zu einer permanenten Vermischung von wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Kommunikation, und es ist just diese Vermischung, die das Reden über Wissenschaft möglich und auch nötig macht.
Um 1800 verstärkt sich das Problembewusstsein für eine der wissenschaftlichen Reflexion adäquate Darstellung, da sich die Überzeugung durchsetzt, die Sprache sei nicht nur ein Werkzeug, sondern vielmehr ein "bildendes Organ des Gedankens" (Wilhelm v. Humboldt). Das enge Verhältnis von Aussage und Ausdruck rückt die Wissenschaft in der deutschen Tradition geradezu zwangsläufig in die Nähe zur Literatur. Dabei zeigt sich das wissenschaftliche Selbstverständnis dieser Jahre in der Frage v.a. seiner Adressierung von einer interessanten Paradoxie geprägt. So soll der jeweilige Sprachgebrauch überhaupt erst den szientistischen Anspruch wissenschaftlicher Projekte beglaubigen und diese gleichsam als Spezialdiskurse legitimieren, zugleich muss der ideale Adressat der Wissenschaft solche Spezialdiskurse aber immer auch überschreiten. J. G. Fichte etwa weist den Vorwurf der "Unverständlichkeit" seiner "Wissenschaftslehre" als implizites Verlangen nach "Seichtigkeit" seitens der Leser zurück, zugleich aber erlegt er dem Wissenschaftler die Aufgabe auf, einen Beitrag zum "Fortgang des Menschengeschlechts" zu leisten. Derartigen Spannungen spürt der Band im Kontext vornehmlich des Niedergangs (wie Fortlebens) der Rhetorik und der Neubegründung der Universität nach.
Der Beitrag setzt sich zum Ziel, auf eine verstärkt auftretende Entwicklungstendenz aufmerksam zu machen, die sich in Texten der Textsorte Einführung beobachten lässt. Die charakteristischen Ausprägungen dieser Tendenz lassen sich den Stilmustern 'Dialogisieren', 'Attraktiv machen' und 'Selbstdarstellen' zuordnen. Im Beitrag wird gezeigt, wie spezifische Inventare dieser drei Muster - abweichend von den stilistischen Konventionen der Wissenschaftssprache - eingesetzt werden bzw. eingesetzt werden können, um eine besondere Nähe-Beziehung zur Adressatengruppe der Studierenden zu gestalten. Dies wird an Einführungen aus dem Kommunikationsbereich der Linguistik illustriert. Anschließend wird die Frage aufgeworfen, ob diese Gestaltungstendenz ein Anzeichen eines sich anbahnenden Textsortenwandels sein könnte.
Der immer stärker spürbare Bedarf nach schnell rezipierbaren kurzen Textformen hängt unter anderem mit der Erwartung einer effektiven Informationsverdichtung zusammen. Eine sehr wichtige Rolle spielen dabei Sprachökonomie und Informationskondensierung. Der Beitrag konzentriert sich auf infinite Konstruktionen mit Partizipien und Infinitiven, die in bestimmten Textsorten ein besonders effektives stilistisches Mittel darstellen. Partizipien sind dank ihres verbalen Charakters fähig, durch Ergänzungen und Angaben erweiterte Partizipialattribute zu bilden und somit eine Aussage zu verdichten. Der instruierende Infinitiv wird häufig als Ersatzform des Imperativs verwendet. Als sprachökonomisches Stilmittel trägt er zur Übersichtlichkeit des Textes bei. In Fachtexten ist es dann vor allem der modale Infinitiv, der zur Einsparung von sprachlichem Mehraufwand dient.
'Innovation', 'Technologie', 'Grundlagenforschung' oder 'Exzellenz' gehören - wie viele andere Schlagworte auch - zum Vokabular, mit dem in unserer Gesellschaft über Wissenschaft, Forschung und Technik kommuniziert wird. Wissenschaftspolitische Expertinnen ebenso wie Laien, die sich auf die eine oder andere Weise mit Wissenschaft und Technik auseinandersetzen, scheinen ein Grundverständnis von dem zu haben, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Versucht man sich jedoch an konkreten Deinitionen, so erweist sich das schnell als ein schwieriges Unterfangen. Die Begriffe sind vielschichtig, kontextabhängig und mitunter sehr unscharf. Als Bestandteile unserer wissenschaftspolitischen Sprache sind sie hochgradig normativ aufgeladen und können dabei sowohl negativ als auch positiv konnotiert sein.
Since the late 1950's Paul Celan has been deeply interested in scientific questions in regard to history and society as well as in the terminology of scientific language. Therefore, since the publication of “Sprachgitter” up to “Schneepart”, many of his poems include terms out of texts that deal with topics as different as geology, biology, astronomy, nuclear physics, and medicine. This essay addresses the problem of this form of adaptation by a close reading of Celan's poem »In der Blasenkammer« (published in 1970). Celan's poems turn against any notion of ›communicative functionality‹ of language; especially the languages of the sciences are here a prominent challenge because of their claim to be semantically objective. So the mentioned adaptation is a serious problem indeed, because the turning of scientific terms into words of poetry does not imply that these terms are simply transferred from one determined semantic context into another. It is rather the question of semantics itself that is at stake. So it has to be stressed that Celan does neither intend to equip scientific terms with ›poetical connotations‹ nor does he turn them into simple metaphors nor poetic or metapoetic concepts. His poems rather deal with the dispensation of semantics and metaphoricity – the language of these poems is a language of abundance and privation at the same time.