CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Refine
Document Type
- Article (3) (remove)
Language
- German (3)
Has Fulltext
- yes (3)
Is part of the Bibliography
- no (3)
Keywords
- Öffentlichkeit (3) (remove)
Sowohl Etymologie als auch Metaphorik des Transparenzbegriffs kreisen um die Verbindungen von Licht zur Erkenntnis und wiederum zur Moral, die an den Transparenzbegriff weitergegeben wurden, was den Fokus auf den übertragenen Gebrauch von Transparenz lenkt. 'Transparenz' verweist folglich auf mehr als eine bloße Zustandsbeschreibung, denn sie stellt einen Begriff dar, der aus historischen, sozialen sowie technologischen Gründen wirkmächtig wurde und sich auf eine zunehmende Zahl von Gesellschaftsbereichen bezieht. Die medialen Veränderungen, die sich durch Digitalisierung und ständige Vernetzung ergeben, stoßen somit ein tieferes und allgemeines Nachdenken über das Verhältnis von Öffentlichkeit, Transparenz und Demokratie an. Gerade im digitalen 21. Jahrhundert werden Begriff und Konzept, die auf ideengeschichtliche Wurzeln in der Aufklärung zurückgreifen und die beiden Bedeutungshemisphären von Staat und Individuum nachzeichnen besonders wichtig. [...] 'Transparenz' wohnt eine deutlich deskriptive sowie eine normativ-metaphorische Ebene inne, die in der Originalität des Begriffs in der Optik und im optischen Bereich wurzeln, wie besonders im Bereich der Architektur manifest wird. Transparenz vereinfacht die Herstellung der für die Demokratie notwendigen Öffentlichkeit, stellt dabei allerdings eine Art vorgelagerten Zustand beziehungsweise eine grundlegende Eigenschaft dar, welche Öffentlichkeit erst ermöglicht. Als normativ und metaphorisch anschlussfähige Ideologie bezieht sich Transparenz jedoch auch auf das Individuum. Die Transparenz des Individuums, die sich im digitalen Bereich besonders deutlich am digital gläsernen Menschen zeigt, stellt nicht nur eine Gefahr für die individuelle Privatsphäre dar, sondern macht den Einzelnen überwachbar und erhält so eine politische Dimension. Insgesamt prägt Transparenz daher als gesellschaftliche Ideologie moderne Lebenswelten.
In den gegenwärtigen Debatten über politische Verantwortung und Wirkungsmöglichkeiten kultureller Formen wie Literatur und Theater, Film, Fernsehen und neue Medien, Performance-Kunst und Street Art ist ein gewandeltes, zivilgesellschaftlich erweitertes Verständnis des Politischen auffällig, das auch den erstarrten Dualismus von Engagement und Autonomie der Künste neu infrage stellt. Das Politische in der Literatur wird nicht mehr wie lange Zeit üblich von der ästhetischen Eigenart abgegrenzt und daher auch nicht auf unmittelbare und direkte Thematisierung impliziter politischer Bezüge reduziert. Im Mittelpunkt der Debatten stehen häufig die nicht zuletzt durch die jüngsten Medienentwicklungen, insbesondere die sozialen Netzwerke, bedingten Veränderungen im Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, vor allem die Sorge um den Schutz der Privatsphäre vor allgegenwärtiger Überwachung und auch ästhetisch neuartige Strategien in der Herstellung von Öffentlichkeit für existenziell bedeutsame Problemlagen. Im nachfolgenden Beitrag soll gefragt werden, inwieweit das Verhältnis zwischen dem ästhetisch Eigenwertigen und dem politisch Wirkmächtigen auch in zeitgenössischen Literaturdebatten zur Sprache kommt, wie auch, welchen Anteil Literaturtheorie und -ästhetik an den Auseinandersetzungen um einen komplexeren Begriff des Politischen haben.
Einer vor allem nach 1989 verbreiteten Meinung zufolge bildete sich 1945 "ein tragischer Zwiespalt zwischen den Ereignissen und der Geschichte der Ideen, der die Welt im Dunkel lässt und über wenigstens dreißig Jahre Folgen haben wird". Denn "die Menschen, die sich mit den Aufgaben des Geistes befassen und deren Berufung es ist aufzuklären, Verbindungen zwischen den im Unklaren gebliebenen Tatsachen aufzuzeigen, Spiritualisten, Christen, klassische Liberale, Existentialisten, Marxisten sind keineswegs darauf vorbereitet, die Ereignisse zu erklären [...]: ihre allzu begrenzten, ihrer selbst kaum bewussten Traditionen lenken sie nicht nur von den auszuarbeitenden Analysen, sondern von den Tatsachen selbst ab."
Weshalb verfehlten sie ihre Berufung? Nach "dem schrecklichsten Rückschritt der Menschheit", der durchlebt worden war, sei "ein Befragen der Demokratie und des Christentums" erforderlich gewesen. Stattdessen treffe man nach dem Zweiten Weltkrieg allzu oft auf die "Faszination des Kommunismus" und auf "das Verknüpfen der Auffassung von Modernisierung mit denen des Fortschritts und der Perfektibilität". Die hier zitierte Überlegung führt hin zu der Feststellung einer "'französischen Krise der Aufklärung', einer 'intellektuellen Verwirrung' in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die weder 1945 noch seitdem bewältigt worden ist".
Dieser Beschreibung zufolge begriffen die damaligen Intellektuellen in ihrer allzu großen Mehrheit nichts oder fast nichts von dem, was sich ereignete. Und noch wer sich heute mit "fortschrittlicher" Kultur und ihrer Geschichte beschäftige, liefe Gefahr, die Blindheit fortzusetzen, die sich in jener Zeit offenbart haben soll.