CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Der vorliegende Beitrag versucht, am Leitfaden der Scham einen Zugang zu Agambens Theorie der Subjektivität zu gewinnen, um die theoretischen und historischen Voraussetzungen seiner Ethik einer Prüfung zu unterziehen, die zugleich an die Kritik Thomäs anschließen kann. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bietet Agambens Untersuchung zum 'homo sacer'. In einem zweiten Schritt geht es um die Theorie der Scham, die "Was von Auschwitz bleibt" vorlegt. Die kritische Diskussion von Agambens Ethik leitet die Auseinandersetzung mit dem Gewährsmann ein, den "Was von Auschwitz bleibt präsentiert", mit Primo Levi. Sie wird weitergeführt und zugespitzt durch die Überbietung, die Levis' Frage "Ist das ein Mensch?" in Imre Kertész' "Roman eines Schicksallosen" gefunden hat. Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung der Scham bei Primo Levi und Imre Kertécs kehrt der letzte Teil zu Agambens Ethik zurück, um deren Grundlagen im Rückgriff auf Aristoteles einer Revision zu unterziehen.
Dennis Bock stellt in seinem Beitrag "'Denn es geht hier nicht um Mögen oder Nichtmögen. Die Muselmänner stören ihn, das ist es' - Erzählungen über Muselmänner in der Literatur über die Shoah heraus", wie durch die narrative Variation der im Rahmen der Shoah-Literatur inventarisierten Figur des Muselmanns und dem mit ihr verbundenen konventionalisierten Narrativ ein Störpotential erzeugt wird, das den Fokus auf die Berührbarkeit eines Tabus legt. Es ist die Berührbarkeit des Todes, die durch die erzählerische Identifikation mit einer zwischen Leben und Tod begriffenen Figur evoziert wird, und dergestalt einen Reflexionsprozess in Gang setzt.
Die untersuchten Romane von Mann und Kertész schaffen beide eine eigenartige Atmosphäre aus überbordender Subjektivität und deren gleichzeitiger Auslöschung; aus Traditionstreue, Konventionsverbundenheit und ihrer souveränen Übertretung zugleich. Beide vergegenwärtigen über die Unverständlichkeit, über das Mysterium des eigenen Todes hinaus die zerstörerischen Kräfte der Weltgeschichte. Serenus Zeitblom berichtet über Ereignisse des zweiten Weltkriegs zur Zeit der Entstehung des Romans, er sinniert über Fragen seiner Gegenwart, während die Handlung - die Geschichte Adrian Leverkühns - anderthalb Jahrzehnte früher spielt. Die Handlung des Kertész-Romans spielt Jahrzehnte nach Kriegsende, um doch mit ihrer ganzen Struktur auf dieselbe Origo, auf den historischen Tiefpunkt des Krieges und der Geschichte, auf Auschwitz, hinzuweisen.
Für die parallele Lektüre der beiden Werke sind sowohl die Verschiedenheiten als auch die Übereinstimmungen ihrer Blickwinkel fruchtbar. Sie betrachten jene Epoche, über die sie berichten, mit den Augen von Zeitgenossen. Beide haben den Krieg unmittelbar erfahren müssen, Mann als Deutscher, Kertész als Jude, beide als Verfolgte. Der Träger des Literaturnobelpreises als Emigrant, dem die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, Kertész als KZ-Insasse, kaum dem Kindesalter entwachsen. Beide bemühen sich in ihren Werken um das bestmögliche Verständnis der Ungeheuerlichkeit, beide versetzen sich, so gut es geht, in Psyche und Gefühlswelt der von der totalitären Macht Verführten, der Gefolgsleute und der Täter, um die Massenpsychose schriftstellerisch zu erfassen und vermitteln zu können. Weder Thomas Mann noch Imre Kertész streben allerdings die einfache Wissensvermittlung an. Sie zeigen vielmehr mit ihren kompliziert konstruierten Romanen, dass selbst die Ergebnisse ihrer Recherchen die ständige Hinterfragung durch die Leser benötigen, um Sinn stiften zu können.
Wie keine andere kulturelle Handlung spiegelt das Tätowieren eine intentionale Ästhetisierung des menschlichen Körpers, zwischen individueller (und damit hoch-persönlicher) Schönheitsvorstellung auf der einen und öffentlicher (Selbst-)Inszenierung auf der anderen Seite schwankend. Die Haut wird dabei – quasi lebenslang beschrieben – zum Medium der Erinnerung. Zwar wurde bereits in der Antike 'tätowiert', der heutige Begriff sowie die 'Wiederentdeckung' dieser Praxis geht allerdings auf die Forschungs- und Entdeckungsreisen des 18. Jahrhunderts zurück, in denen Europäer mit fremden Kulturen in Kontakt kamen, die solche Verfahren mit einem ästhetischen oder rituellen Hintergrund praktizierten. So übernahm James Cook in seinen Aufzeichnungen den samoanischen Begriff "tatau", etymologisch die Grundlage für "to tattoo" und das deutsche "tätowieren". Inzwischen gilt die Modifikation des eigenen Körpers durch eine Tätowierung längst nicht mehr als 'verrucht' und stellt ebenso auch keine Ausnahmeerscheinung mehr dar, was sich vor allem an der explosionsartig gestiegenen Zahl von Tattoo-Studios in der Bundesrepublik ablesen lässt – und so trägt in Deutschland heute (konservativ geschätzt) etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung und 23 Prozent der 16- bis 29-Jährigen mindestens ein Tattoo auf der Haut. Aber längst nicht jede Tätowierung ist auch der Ausdruck des eigenen Schönheitsempfindens oder eine vom Träger intentional auf dem Körper eingeschriebene Botschaft. Denn bereits in der griechischen Antike wurde das Verfahren auch dazu benutzt, Sklaven zu markieren, Besitzverhältnisse und damit ihre Unfreiheit auf der Haut einzuritzen; diese entpersonalisierende Markierung setzt sich mit der Häftlingstätowierung in Gefängnissen und schließlich den nationalsozialistischen Konzentrationslagern fort, die vor allem in literarischen Texten des Shoah-Diskures aufgegriffen und verhandelt wird.