CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.
Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.
Der Beitrag widmet sich der Figurenanalyse als Bestandteil der Texterschließung im intersektional ausgerichteten Deutschunterricht und konzipiert ein konkretes methodisches Analyseverfahren, das intersektionale Fragestellungen bei der Figurenanalyse zu erarbeiten und darzustellen vermag. Über eine erste literaturdidaktische Fundierung der Figurenanalyse als Texterschließungsverfahren werden Anknüpfungspunkte zum Intersektionalitätsparadigma aufgezeigt Der Beitrag versteht sich als Vorschlag für eine mögliche kulturtheoretische Fundierung der Figurenanalyse durch das Intersektionalitätsparadigma, welches mit dem Kollektivansatz von Klaus P. Hansen und dessen Fortführung durch Jürgen Bolten zum fuzzy culture-Ansatz in Bezug gesetzt wird. Aus dieser theoretischen Verbindung wird ein konkretes Instrumentarium zur intersektional orientierten Figurenanalyse in literaturdidaktischen Settings entwickelt, das sich durch eine strukturierte visuelle Aufarbeitung intersektionaler Fragestellungen in Bezug auf literarische Figuren auszeichnet. Die folgenden Ausführungen bieten zunächst einen kurzen Überblick über die literarische Figur allgemein und ihre Merkmale sowie die Bedeutung der Figurenanalyse im Deutschunterricht, bevor letztere unter intersektionalen Gesichtspunkten beleuchtet und in ein konkretes Analyseinstrumentarium überführt wird. Dieses wird abschließend an Eleonora Hummels Roman "Die Fische von Berlin" beispielhaft erprobt.
Hans Castorp auf der Umlaufbahn : über die Personenkonstellation in Thomas Manns "Der Zauberberg"
(2008)
Pluto ist kein Planet mehr. Nach der neuesten Entscheidung existiert wieder eine Planeteneinteilung in unserem Sonnensystem, die der Situation zur Entstehungszeit von Thomas Manns Zauberberg, als der Pluto noch nicht entdeckt war, entspricht. Die Erde hat ihre alten sieben Begleiter wieder. Die Zahl sieben ist im Zauberberg von übergeordneter Bedeutung, so daß es nicht zu sehr verwundern kann, die sieben Götter, die mit den Planetennamen verbunden sind, hier wiederzufinden. Mit diesem Text soll gezeigt werden, daß die sieben Hauptfiguren, die sich mit Hans Castorp zusammen auf dem Zauberberg aufhalten, mit diesen Götterfiguren korrelieren. Dabei soll es selbstverstandlich nicht um eine monokausale Betrachtungsweise des Zauberbergs gehen, sondern um eine ergänzende Studie und einen weiteren Interpretationsansatz dieses überaus vielschichtigen Werks.
In Musils essayistischem Erzählstil hat die Erzählinstanz - mehr noch als direkte oder indirekte Figurenrede und Bewusstseinsdarstellung in Form von innerem Monolog oder erlebter Rede - tragenden Anteil an der erzählerischen Figurencharakterisierung. Wie Gunther Martens in seiner narratologisch ausgerichteten Analyse des "Mann ohne Eigenschaften unlängst gezeigt hat", existieren "bei Musil sehr viele erklärende Hinweise auf das Ungewusste und das Unbewusste der Figuren, wobei es sich eher um ein soziales als um ein psychologisches Unbewusstes handelt." Die im Folgenden unternommene Sozioanalyse der in ihrer Relevanz für den gesamten romanesken Handlungsaufbau bisher meist unterschätzten Figur des Generals Stumm von Bordwehr kann über weite Strecken direkt auf die Bemerkungen der Erzählinstanz zurückgreifen und die erhaltenen Informationen durch eine angemessene Berücksichtigung indirekter Charakterisierungsformen sinnvoll ergänzen, denn "Musil charakterisiert seine Nebenfiguren vor allem über ihre unfreiwilligen Tics, Reflexe und Gewohnheiten." [...] Aus den Überlegungen sollte insgesamt Folgendes ersichtlich werden: Die umsichtige literarische Gestaltung eines "zivilen Habitus" sowie das damit einhergehende tölpelhafte Auftreten des "unmilitärischen" Generals, der als Vertreter der "Pastoralmacht" im Romankontext eine figurale Verkörperung des "strukturellen Herrschaftsmodus" der Moderne darstellt, ermöglichen Stumm von Bordwehrs Funktion als "tätiges Werkzeug" des kakanischen Militarismus bzw. als Vertreter der "auf den Krieg hinarbeitenden gesellschaftlichen Kräfte". Mit dieser subtilen literarischen Habitusformung gelingt Musil nicht nur eine erzählerisch überzeugende Motivierung des geplanten romanesken Handlungsverlaufs, sondern zudem eine bestechende Analyse entscheidender sozialer Entwicklungstendenzen des 20. Jahrhunderts.
The biography and cultural activities of Count Albert Josef Hodic has become a central theme of a whole series of publications on the history and cultural history, in which this nobleman is approached from the biographical as well as cultural and historical perspective. Although in the specialized literature Albert Joseph Hoditz is associated with the attributes oscillating between creativity, versatility, pacifist and cosmopolitan attitude, the pursuit of literary history to illuminate his numerous representations in European literature is rather marginal. The article aims to contribute to the approximation of the image of Count Hoditz in German literature.
In den Rahmen der Erforschung, Klassifikation und Erklärung literarischer Selbstreferenzphänomene im engeren Sinn gehören Sujets wie Bücher, Bibliotheken, Leser, überhaupt Aktanten des Sozialsystems Literatur in der Literatur, aber auch alle spielerischen und auto reflexiven Elemente vorweggenommener Kritik ('criti-fiction'). Insbesondere wurden der Literatur zwischen Moderne und Postmoderne ihre Gestaltungsmittel verdächtig, Linda Hutcheon subsumiert alles unter "De-naturalizing the natural" bzw. "postmodern de-naturalizing" (Hutcheon 1989, 32 u. 49); man kann auch von 'foregrounding' sprechen (vgl. Wolf 2001, 187f.). Wie man aber Ausstattung oder Landschaftsschilderung selbstkritisch und ironisch inszenieren kann, so erst recht die eigene poetische Personalpolitik. Sie ist ein Sonderfall des Verlusts der Grazie, wie an einer Reihe von Beispielen geprüft werden soll. Und zwar komparatistisch-bunt, so dass systematische Ähnlichkeit vor Chronologie rangiert, aber stets mit abstrahierenden Beobachtungen, denen eine knappe Systematisierung folgen soll.
Figur
(2011)
Wenn literarische Geschichten ('mythoi') gemäß der Bestimmung des Aristoteles "menschliche Handlungen" darstellen ('mimesis praxeōs'; Aristoteles 1982, 1449b), dann sind die Akteure dieser Handlungen zweifellos ein zentrales Element von Erzählungen, genauer gesagt: eine Grundkomponente der erzählten Welt (Diegese). Die Bewohner der fiktiven Welten fiktionaler Erzählungen nennt man 'Figuren' (engl. 'characters'), um den kategorialen Unterschied gegenüber 'Personen' (oder 'Menschen') hervorzuheben. Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte berichten von Personen. Aus diesem Unterschied folgen einige Besonderheiten, die Figuren. Fiktionaler literarischer Welten sowohl von der Darstellung realer Personen in faktualen Texten wie auch von der Wahrnehmung realer Personen in unserer Alltagswelt unterscheiden.
Figuren müssen nicht menschlich oder menschenähnlich sein. Viele literarische Akteure besitzen phantastische Qualitäten, die mit dem Begriff einer Person unvereinbar sind – man denke an die tierischen Handlungsträger in Fabeln. Selbst unbelebte Dinge wie Roboter in der Science Fiction oder die titelgebenden Protagonisten des Grimmschen Märchens "Strohhalm, Kohle und Bohne" können in der Fiktion zu Handlungsträgern und damit zu Figuren werden. Gibt es überhaupt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Textelement als eine Figur gelten kann? Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl. dass man ihr Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss.
In folk theories of art reception, readers and cinema audiences are said to experience fictional worlds vicariously 'through' characters, i.e. they 'identify' themselves with them, they partake in their experiences 'empathetically'. In the first section of my essay, I will argue that it is not character but focalization (point of view) which, on a fundamental level, guides our fictional experience, and I will exemplify several ways that characters (or similar ideas) can then in addition come into play. In the next two sections, I will discuss possible cognitive correlates of both the textual device of focalization and textual clues indicating ›persons‹. The aim is to show that what I call ›psycho-poetic effects‹ (that is, the mental representation of anthropomorphic instances) are best described as byproducts of various cognitive programs involved in the reception of narrative fiction. 'Empathy', as it is understood in the above mentioned folk theory of art reception, can then be analysed into individual algorithms of social cognition. And it can be differentiated, as is done in the last section, from other phenomena often confused with it, like emotional experience proper and emotional contagion. Also, I refer to the idea that mirror neurons provide the means to empathize with others, literary characters included. My general proposition is to revise and refine those concepts with the help of evolutionary theory and, thus, to hypothesize as cognitive correlates for textual features only programs specific enough to be correlated with a specific adaptive function which they may have performed in the process of human evolution.
Narrative Kommunikation
(2004)
"Eine engere Zusammenarbeit von hermeneutischen und stärker empirischexperimentell ausgerichteten Humanwissenschaften scheint endlich möglich geworden zu sein. Liegt ein sprachliches Phänomen vor, das mit rhetorischen Begriffen als Metonymie bezeichnet wird, so kann die Produktion und Verarbeitung eines solchen Textelements mit kognitionswissenschaftlichen Methoden untersucht und können die komplexen Inferenzprozesse rekonstruiert werden, die das Verständnis von den sehr unterschiedlichen Phänomenen, die darunter fallen, erst genauer ermöglichen. Dies führt notgedrungen zu einer immer stärkeren Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Text zur Rezipientenseite, ist also Teil eines allgemeineren Trends, der auch die Literaturwissenschaft seit der Rezeptionsästhetik prägt."