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Die Leerstelle Walter Benjamin : zur Verfehlung einer kulturwissenschaftlichen Wahlverwandtschaft
(2023)
Unter den 53 Namen der Autoren, deren Beiträge in dem Jahrzehnt zwischen 1921 und 1931 in den neun Bänden der Vorträge der Bibliothek Warburg erschienen sind, springt eine signifikante Lücke ins Auge; es fehlt darin der Name Walter Benjamins. Die Tatsache, dass keine seiner Arbeiten den Weg in die Vorträge fand, ist mehr als bemerkenswert - dies nicht nur wegen der zahlreichen Korrespondenzen seiner Schriften zu den Forschungen der KBW und der deutlichen Nähe zwischen den Interessen Benjamins und Warburgs, die gegenwärtig zu den bekanntesten Köpfen der 'ersten Kulturwissenschaft' gezählt werden. Ihre Namen werden nicht selten zusammen diskutiert. Die Abwesenheit Walter Benjamins in den Publikationen der KBW wie überhaupt in deren gesamtem Netzwerk ist besonders irritierend, weil er sich seinerseits intensiv und ausdauernd darum bemüht hat, mit der Forschergruppe um Warburg in Kontakt zu treten, und seine Wertschätzung für Aby Warburg und dessen Bibliothek mehrfach in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte. Die latente Wahlverwandtschaft der beiden herausragenden Kulturwissenschaftler aber konnte nicht manifest werden, weil ihre Formulierung einseitig blieb und eine Resonanz von der anderen Seite ausblieb.
Den folgenden Ausführungen geht es nicht primär um eine Exegese des Trauerspielbuches und auch nicht um die traurige Geschichte seiner Rezeption, die Klaus Garber und Uwe Steiner an anderer Stelle dargestellt haben. Sie zielen eher darauf ab, aus Benjamins Denken relevante und immer noch kaum abgegoltene Perspektiven für das Verstehen des Barock zu erarbeiten und insbesondere eine Alternative zur weitgehenden Verdrängung oder Einhegung der Religion in der literaturwisenschaftlichen Erforschung der frühen Neuzeit zu entwickeln. Denn Benjamins Überlegungen zur Kratürlichkeit, die sich immer wieder in verschiedenen Konstellationen des Trauerspielbuches finden, stellen das freilich problematisch gewordene Religiöse präzise in das Zentrum der barocken Spiegelstruktur.
Peter Szondi hat sich mit Walter Benjamins Trauerspielbuch bereits in seiner Dissertation 'Theorie des modernen Dramas' beschäftigt. In seiner Habilitationsschrift 'Versuch über das Tragische' setzt sich diese Auseinandersetzung fort, um dann, so scheint es, jäh mit dem Antritt des Ordinariats an der FU Berlin 1965 abzubrechen. Zwar publiziert er noch zwei Aufsätze, die Benjamin gewidmet sind. Doch ist das Trauerspielbuch in ihnen peripher. In der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung ist dieser Sachverhalt bisher kaum reflektiert worden, weil sich nur punktuelle Anknüpfungspunkte zwischen dem Trauerspielbuch und den Untersuchungsgegenständen ergeben, denen sich Szondi nach 1965 zugewandt hat.
Die vorliegenden Überlegungen stellen die These auf, dass Szondis Vorlesungen zum bürgerlichen Trauerspiel 1968 konkrete Folge seiner Beschäftigung mit Benjamins Studie sind. Das scheint zwar paradox, weil im Sinne Benjamins kein direkter Weg vom barocken zum bürgerlichen Trauerspiel führt. Wohl nicht zuletzt deswegen wurde dieser Zusammenhang bisher auch weder von der Benjamin - noch von der Aufklärungsforschung in den Blick genommen. Gleichwohl erlaubt ausschließlich eine solche Deutung es, Szondis Interesse am bürgerlichen Trauerspiel programmatisch zu deuten. Das ist das Ziel der nachfolgenden Betrachtungen.
One of the cruxes of Walter Benjamin’s work is the tension between an indebting and an expiating "memoria", i. e. the afflicting and the salvific insistence of history within the present moment. On the one hand, memory inscribes itself onto spaces and bodies in the violent and painful fashion of Kafka's "Penal Colony" apparatus. On the other hand, it can, in the form of rememoration ('Eingedenken'), sublate these very inscriptions. This sublation usually involves some form of redemptive, timely (re-)verbalization, but Benjamin’s conception of it varies. To gain a better insight into this inherent, varying tension, the article will take a closer look at the connection between pain, memory and law-positing violence in some Benjaminian texts, occasionally relating them to the historical background of his discussion.
Wer nach positiven Bestimmungen der Desorientierung sucht, wird bei Benjamin schnell fündig. So ist der Flaneur, eine zentrale Figur im Passagen-Projekt, nicht zu denken, ohne die Fähigkeit, sich zu desorientieren. Beim Flanieren wird die Stadt erkundet, ohne den jeweils eigenen Standort genau bestimmen zu können (vgl. z. B. GS V, 524 f. u. 1052 f.). Die Probleme, die mit Benjamins "Irrkünsten" (GS VI, 469) einhergehen, werden von ihm kaum expliziert, sondern zeigen sich lediglich in der Praxis. Am Beispiel einer Handschrift der Vorrede zum Trauerspielbuch lässt sich nachzeichnen, wie Benjamin trotz des emphatischen Plädoyers für eine "Kunst des Absetzens" (GS I, 212, 931) die Desorientierung beim Schreiben als Problem ausmacht, das praktische Lösungsmöglichkeiten erfordert.
In a letter to Scholem, dated 22 December, 1924, Benjamin famously writes of the manuscript that was to become his 'Trauerspiel' book: "[I]ndessen überrascht mich nun vor allem, daß, wenn man so will, das Geschriebene fast ganz aus Zitaten besteht" (GS I.3, 881). Much has been made of the mosaic-like citational technique to which Benjamin refers here; his "Zitatbegriff" is said, for example, to subtend the theory of a "mikrologische Verarbeitung" of "Denkbruchstücken" into "Ideen" that Benjamin develops as his theory of representation in the "Erkenntniskritische Vorrede", which in turn figures the relation between individual phenomena and their "ideas" in astral terms. Because, however, the 'Trauerspiel' book is so often understood only on this theoretical level, e.g. as either an early articulation of Benjamin’s "avant garde" and "messianic" philosophy of history (Jäger, Kany, and Pizer) or as a performance of his systems of allegory (Menninghaus) and "constructivism" (Schöttker), his "Zitierpraxis" and the actual citations that form large parts of 'Der Ursprung des deutschen Trauerspiel' have seldom been read for the purchase they provide on the vexed status of the period and concept that was the book’s direct subject, namely, the German Baroque.