CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges blühte das deutschsprachige Berufsschauspiel auf - und mit ihm auch das Marionettentheater. Beide agierten in denselben Räumen und fußten auf demselben Repertoire, das hauptsächlich aus dem Englischen und Niederländischen, seltener aus dem Französischen, Spanischen und Italienischen übertragen wurde. Da es in Deutschland im Gegensatz zu den Niederlanden keine professionellen Dramatiker gab, bearbeiteten die Prinzipale die Texte meist selbst oder übertrugen die Aufgabe einem angehenden oder abgeschlossenen Akademiker gegen Lohn. Der Einfluss des evangelischen Schultheaters und des katholischen Jesuitentheaters ist dagegen zu vernachlässigen, da deren Texte nicht für eine professionelle Aufführung konzipiert waren bzw. einen übermäßigen szenischen Aufwand verlangten. Auf der Suche nach neuen Texten wurden dagegen die Opernsammlungen von Cicognini und anderen Librettisten, deren Werke überwiegend im höfischen Kontext entstanden waren, aufmerksam studiert. Der grundlegende Unterschied zwischen dem Puppen- und dem Schauspielertheater bestand in der Betriebsorganisation. Man konnte eine Marionettenbühne bereits mit einem Bruchteil des Personals einer Schauspieltruppe betreiben. Dies senkte die Betriebskosten und erweiterte die Auftrittsmöglichkeiten. So spielten die Marionettenspieler nicht nur an Höfen und auf Rathäusern, auf Jahrmärkten und Messen in Bretterbuden und Gasthäusern. Sie waren auch in den Vorstädten und selbst in kleinen Dörfern zu finden. Für die Genehmigung waren ausschließlich die Kommunen zuständig. [...]
Ludwig Anzengruber wurde zu Lebzeiten zum 'Klassiker der Bauernkomödie' stilisiert, was seinen in der Stadt angesiedelten Dramen aufgrund der "eingerastete[n] Erwartungshaltung des Publikums" mitunter zum Verhängnis wurde. Dass sich die am Land dargestellten gesellschaftlichen Probleme nahtlos auf die Stadt übertragen lassen, hat Anzengruber im Nachwort zu seinem Roman "Der Sternsteinhof" angedeutet, das auch als poetologischer Schlüsseltext für seine Dramenproduktion gelesen werden kann. Demnach diene ihm "der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens" zu einer einfacheren und verständlicheren Darstellung, "wie Charaktere unter dem Einflusse der Geschicke werden oder verderben." An den Vorstadtbühnen muss in theatraler Hinsicht wohl zudem die Schaulust der Großstädter an den ländlichen Bauernfiguren mitbedacht werden. Und - so das Fazit des vorliegenden Beitrags - auch im Hinblick auf die Überwachung des Wiener Unterhaltungstheaters dürfte besonders der Gattung der Bauernkomödie ein erweiterter dramaturgischer Handlungsspielraum zugestanden worden sein. Während sich die Zensur im Falle der "Kreuzelschreiber" vor allem dem 'vorgeschobenen', tagesaktuellen Kirchenkonflikt widmete, der in Anzengrubers Komödie nach der Exposition allerdings keine größere Rolle mehr spielt, tolerierte sie die satirische Kirchenkritik wohl auch, weil sie den politisch und moralisch nicht gerade integren Bauernfiguren in den Mund gelegt wurde.
Sozial- und politikromantische Einbildungen haben eine lange, vielleicht sogar unendliche Lebensdauer, vor allem - aber nicht nur - in den Massenmedien. Zu solchen Vorstellungen gehört, dass die Oper vor allem im 19. Jahrhundert eine revolutionäre und systemkritische Wirksamkeit entfaltete oder die Komponisten dies zumindest beabsichtigten. [...] Die Opernzensur, so wird umgekehrt geschlossen, sei dazu dagewesen, all dies zu unterdrücken. Und die freiheitsliebenden und aufgeklärten Komponisten hätten einen steten Kampf gegen die Zensoren zu führen gehabt. Das hier skizzierte Bild der Operngeschichte darf man, auch wenn es immer noch in wissenschaftlichen Kontexten erscheint, als groben Unfug bezeichnen. [...] Viel wichtiger als das politische Argument war sowohl im 18. wie im 19. Jahrhundert das moralische Argument von Zensoren gegen einzelne Opern.
Erstens: Der Begriff der Zensur löst Assoziationen an vergangene Welten oder an autoritäre Systeme aus. Aber Zensur ist Gegenwart, auch in der klassischen Form durch Staaten und Religionen; und sie gewinnt ganz neue Facetten und Dynamiken durch die Systeme der digitalen Welt. Zweitens: Zensur wird grundsätzlich als negativ wahrgenommen, als Einschränkung der Rede- und Meinungsfreiheit. Aber mindestens die Hälfte des Problems besteht auch in der westlichen freiheitlichen Welt darin, wie man - im Dienste der Freiheit - Zensur aufbaut, intensiviert und durchsetzt. Drittens: Die zahlreichen Bereiche gesellschaftlicher Tabuisierung, die in einer (oft massiven) Zensurierung des Sagbaren münden, sind nicht zu unterschätzen. Es gibt Prozesse einer partiellen Sensibilisierung, die sich in sozialer Sprachkontrolle ausdrücken. Neben den sprachlichen gibt es aber auch inhaltliche 'Verbote'. Viertens: Aus einem dogmatischen Relativismus erwächst oft ein normativer Postfaktizismus. Eine dieser Varianten ist der "gefühlige Postfaktizismus", demzufolge Fakten, die den Gefühlen vieler Menschen widersprechen, nicht mehr vorgebracht werden dürfen. Linksintellektuelle und Rechtsautoritäre sind sich in der Verwendung dieser Muster sehr ähnlich.
Manfred Prisching: Die Verbotsgesellschaft : Zeitdiagnostische Befunde zur Zensur - Georg Kamphausen: Der Laie als Experte seiner selbst, oder : was heißt moralische Selbständigkeit? - Irmtraud Fischer: Vom kreativen Effekt der Zensur alttestamentlicher Gottesbilder : das alttestamentliche Bilderverbot in seinen historischen Kontexten und seinen Auswirkungen auf die metaphorische Rede von Gott - Michael Walter: Zensur und Political Correctness auf der Opernbühne - Matthias Mansky: Ludwig Anzengruber und die Zensur : Anmerkungen zur Bauernkomödie "Die Kreuzelschreiber" - Lars Rebehn: Vorzensur, Nachzensur, Selbstzensur : das Puppentheater, der Staat und die Moral - Elisabeth Böhm: Was sich einfach nicht sagen lässt : Sagbarkeit, Gattungskonzeption und kulturelle Identität anhand von Charlotte Salomons "Leben? oder Theater?" - Dieter Haselbach: Political Correctness : zur politischen Kultur in Nordamerika (1995)
Der Entwicklungsstand von Wirtschaft und Kultur war in den einzelnen Provinzen sehr unterschiedlich. In den Erbländern, in den italienischen Provinzen und in Böhmen mit alten kulturellen Zentren wie Wien, Prag, Venedig oder Mailand und einem entwickelten Bürgertum war das Theaterleben vergleichsweise sehr intensiv, die übrigen Gebiete blieben bis weit ins 19. Jahrhundert hinein agrarisch dominiert. In den deutschsprachigen Ländern konzentrierte sich das Theater auf Hofbühnen und auf Wandertruppen. Wien, das im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen wird, war geradezu ein europäisches Zentrum höfischer Unterhaltungsangebote. An seinem multinationalen Hof bestand das Theaterrepertoire im 18. Jahrhundert vor allem aus italienischen Opern und französischen Stücken. Daneben bestand seit dem frühen 18. Jahrhundert eine Tradition volkstümlichen Theaters mit einer permanenten Spielstätte. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden aber privat geführte und kommerziell orientierte Theater gegründet. Zusammen mit diesen Entwicklungen wurde eine systematische Theaterzensur etabliert. Zunächst stellte sich die Zensur in den Dienst der Aufklärung, unterdrückte Obszönitäten, Unsinniges und Derbheiten, im 19. Jahrhundert wandelte sie sich zu einem Instrument der Unterdrückung der politischen Veränderung. Ihr Hauptziel war die Verteidigung des monarchischen Systems, daher wurden der Kaiser und seine Beamten gegen Angriffe verteidigt, und zwar mit einem heute geradezu lächerlich erscheinenden Eifer. Eine ständige Bedrohung für die multinationale Monarchie bildeten die Unabhängigkeitsbestrebungen der regierten Völker. Nationale Propaganda wurde daher von der Zensur ebenso sorgsam überwacht und nach Kräften verhindert. In der zweiten Jahrhunderthälfte trat die soziale Frage in den Vordergrund und lieferte Motive für Verbote und Eingriffe in die Spieltexte. Insgesamt wurden das herrschende gesellschaftliche System und seine Hierarchie gegen Angriffe und Kritik aller Art verteidigt. Die Aristokratie, der Klerus, die Beamten, nicht einmal einzelne Gewerbe oder Unternehmenssparten, sollten auf der Bühne in unvorteilhaftem Licht dargestellt werden.
In den Jahren 1931 und 1932 erschien das dreibändige sexualwissenschaftliche Werk "Die Erotik in der Photographie" im Verlag für Kulturforschung. Nur wenige Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten gelang einer Gruppe von Wissenschaftern die Publikation eines Werks, das heute als einzigartig gelten muss. Zwar hatten Sexualwissenschaftler bereits zuvor Fotografien veröffentlicht, allerdings nur, wenn diese der Bebilderung eines beschriebenen Sachverhalts dienten. Nie zuvor war das erotische Lichtbild Gegenstand sexualwissenschaftlicher Betrachtungen gewesen. Dies hatte auch pragmatische Gründe: Fotografien boten neues Forschungsmaterial in einer Zeit, in der "die Zahl der Personen, die um irgendwelcher sie persönlich bedrängender Triebabsonderlichkeiten willen den Arzt aufsuchen, sich im Laufe der Jahre außerordentlich vermindert [hat]". Mit anderen Worten, die Klientenbasis der Sexualwissenschaft war geschrumpft. Der Fokus auf das erotische Lichtbild war jedoch ein relativ gewagtes Unterfangen, weil in der Zwischenkriegszeit sowohl die kulturwissenschaftlich orientierte Sexualwissenschaft vonseiten der Zensur kritisch beäugt als auch der handelsmäßige Vertrieb erotischer Lichtbilder regelmäßig gerichtlich belangt wurde. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie sich die Gefährdung durch die Zensur auf den Habitus von Autoren und Verlag auswirkte, von welchem Standpunkt aus die Autoren der Erotik in der Photographie die Objektivierung des relativ neuen Mediums Fotografie vollzogen, wie also der Habitus des "Homo academicus sexologicus" in unserem Werk sichtbar wird.
Johann Josef La Roche wirkte von 1781–1806 als Kasperl-Darsteller an der von Karl Marinelli (mit)begründeten, stehenden Bühne in der Leopoldstadt. Dieser Zeitraum, der identisch ist mit dem noch in den Kinderschuhen steckenden "Zeitalter der belletristischen Lesekultur" (zu beachten ist dabei, dass der Großteil der Bevölkerung noch im Analphabetismus verhaftet war, was das Theater für die bildungsfernen Schichten besonders interessant machte, da hier die zeitgenössische Dramenkunst unabhängig von der Lesefähigkeit des Einzelnen zu konsumieren war), bedarf einer näheren Betrachtung, um die historischen und soziologischen Bedingungen der Produktion, des Konsums sowie der Rezeption der für den Kasperl-Darsteller La Roche eigens gefertigten Komödientexte besser verstehen zu können. Auf den folgenden Seiten soll nun nichts anderes als der wirkungsgeschichtliche Kontext der Literaturproduktion wie der Literaturrezeption am Leopoldstädter Theater erhoben werden - oder mit anderen Worten - sollen epochale Charakteristika des literarischen Feldes herausgestrichen werden, die ausgehend von der Feldtheorie Pierre Bourdieus eine literatursoziologische Verortung erfahren.
Die von 1934 bis 1938 bestehende Kleinkunstbühne 'ABC' genießt den Ruf eines subversiven Horts, wenn nicht gar einer widerständigen Vereinigung vornehmlich linker Kräfte. Bereits in Ingeborg Reisners 1961 erschienener, bis heute in vielen Teilen maßgeblicher Dissertation über die Wiener Kleinkunst vor dem Zweiten Weltkrieg umweht das 'ABC' eine Aura des Aufmüpfigen: "Das ABC stand eindeutig weit links und ließ dies auch erstaunlich klar erkennen, trotz 'Vaterländischer Front'. Das ABC war wohl sogar ziemlich direkt 'von illegalen Kommunisten beeinflußt'." Dass diese Beschreibung einen Zeitzeugenbericht wiedergibt und auf eine mündliche Äußerung Friedrich Torbergs zurückgeht, ist ein Charakteristikum der österreichischen Kabarettgeschichtsschreibung zur Zwischenkriegszeit. Allen voran haben nämlich die zu dieser Zeit vornehmlich als Autoren in Erscheinung tretenden Hans Weigel und Rudolf Weys mit ihren Lebenserinnerungen an die Kleinkunstszene der 1930er Jahre das Bild dieser Zeit geprägt.
In jedem Fall wurde die Zensur im Vormärz, im Kontrast zur Van Swietenschen Büchercensurs-Hofkommission des 18. Jahrhunderts, deutlich als direktes Instrument der Polizei betrachtet. So heißt es in einem Vortrag des Polizeipräsidenten Josef von Sedlnitzky schon 1821, dass die Bücherzensur "keine gelehrte oder Bildungssondern eine reine Polizei-Anstalt" sei. Diese Haltung wird umso klarer, wenn man bedenkt, dass die Zensur des Theaters und der Zeitschriften aufgrund ihrer politischen Unmittelbarkeit und Aktualität direkt der Polizeidirektion und nicht den dieser untergeordneten Zensoren der Zensurbehörden überlassen war. Gleichzeitig erschließt sich aus der Korrespondenz der Zeit jedoch auch eine weniger unmittelbar restriktive und deshalb moderner wirkende Methode der Kontrolle öffentlicher Meinung, nämlich eine der direkten oder indirekten Diskurssteuerung mittels finanzieller Methoden, Personalpolitik oder direkter Intervention.