CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Blickte Carl Schmitt dieser Tage auf Georgien, so müsste er seinen berühmten Anfangssatz aus dem dritten Kapitel der "Politischen Theologie" ändern. Statt "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", müsste es heißen: Souverän ist, wer sich dem Ausnahmezustand nicht beugt. Denn die Georgische Orthodoxe Kirche hat erklärt, sich notfalls über alle vom Staat im Zusammenhang mit der Corona-Krise verhängten Beschränkungen hinwegzusetzen, um Liturgien und vor allem die Kommunion feiern zu können - so geschehen bei den Ostermessen am letzten Sonntag. [...] Der Konflikt ist jedoch nicht nur rechtlich, sondern auch politisch sehr bedeutsam. Politisch geht es um die freiheitliche demokratische Grundordnung Georgiens und den Versuch der Kirche, diese zu untergraben. Die Orthodoxe Kirche Georgiens, Ende der 1980er Jahre noch eine randständige gesellschaftliche Kraft, ist zu einer der reichsten und mächtigsten Institutionen in Georgien aufgestiegen, der die Mehrheit der georgischen Gesellschaft vertraut und die deshalb großen politischen Einfluss ausübt.
Der wichtigste Vermittler Lukians im deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert, Christoph Martin Wieland, machte die Stadt Abdera in seiner Geschichte der Abderiten zum Schilda der Antike. Und mit Bezug auf diese sublimierten Schwankerzählungen allzu menschlicher Irrsale eines Gemeinwesens von Dummköpfen bildete Kant einige Jahre später wiederum den Begriff des "Abderitismus". Damit bezeichnete er diejenige Auffassung des Gangs der Weltgeschichte, der zufolge in den menschlichen Angelegenheiten bloß ein Auf und Ab vergeblicher Bemühungen und bodenloser Torheiten zu beobachten sei. Kant hielt diese Vorstellung für moralisch unerträglich. Die "zum Besseren fortschreitende" Struktur des historischen Geschehens sollte zur Abwehr des Abderitismus regelrecht bewiesen werden. Vom Tragödienfieber zur Geschichtsphilosophie: sobald der Faden einer Trope einmal angesetzt ist, spinnt sie sich von selbst weiter. Die "Daseinsmetapher" (Hans Blumenberg) der Ansteckung lässt uns nicht los und wird auch die gegenwärtige Pandemie weiterhin begleiten.
Einer bekannten Redensart zufolge soll man die Feste feiern, wie sie fallen. Zynisch könnte man fragen: Gilt das auch für Epochenwenden? Sind die auch hinzunehmen wiewiederkehrende Feiertage, Grippewellen oder unerwartete Naturkatastrophen? Dass die Covid-19-Pandemie schon jetzt in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen als Epochenwende verstanden wird, merkt man nicht nur an der Häufung des vordem eher vermiedenen Epochenbegriffs, sondern auch am Gebrauch der Formel 'vor und nach Corona' - obwohl doch ein Ende der Pandemie derzeit nicht in Sicht ist und deshalb auch und gerade Feste nicht wie üblich begangen werden können (oder sollten).
In der Bekämpfung eines Virus scheint die Zeit aus den Fugen, Unsicherheit und Prekarisierung werden normal - es ist eine Zeit identitärer, individualisierender Immunisierung. Wie kann dann aber eine Zeitlichkeit verstanden werden, die das "Normale" infrage stellt? Isabell Lorey argumentiert für eine queere Zeitlichkeit, die es ermöglicht, in der Gegenwart unruhig zu bleiben. Sie plädiert für eine Sozialität, die auf wechselseitiger Sorge und queeren Schulden basiert und an gemeinsamer kontaminierender Immunisierung interessiert ist.
Seuchenjahr
(2021)
"Theorie" spricht gerne im Präsens. Allein, es handelt sich um ein unechtes Präsens, das über der Zeit zu stehen beansprucht. Die Ausnahmesituation der Pandemie lädt dazu ein, dieses Präsens zu überdenken und die unvermeidlichen Bindungen der Theorie an gegenwärtiges Geschehen sichtbar zu machen. Durch die klaustrophobische Situation des Lockdown ist eine unheimliche Korrelation von Theorie und Phobie kenntlich geworden. Beide suchen nachträgliche Bestätigung durch die Wirklichkeit. Durch diese Parallele wird auch der Lockdown, in dem das kulturtheoretische Denken ohnehin feststeckte, für sich selbst sichtbar wie in einem Spiegel. Unter dem Stichwort einer "Geschehensethik" erstellen Henning Trüpers Betrachtungen eine Inventur der Probleme und Lektionen, denen sich insbesondere die Theorie der Moral und verwandter Gebiete in der Schule der Pandemie ausgesetzt sehen.