CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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"Liebe Deinen Nächsten" von Remarque war als Fortsetzungstext für das US-Magazin "Collier's Weekly" gedacht und wurde 1941 zuerst in der englischen Übersetzung von Denver Lindley aufgelegt. Der Roman, dessen deutsche Fassung im selben Jahr in einem Stockholmer Verlagshaus erschien, nimmt sich eines Themenfeldes an, das auch heutzutage hochaktuell ist: des Problems der Emigration, des Heimatverlustes, der Heimatsuche und der (abhanden gekommenen) Humanität in Zeiten einer moral-menschlichen Krise, in denen Hass und Hetze gegen den Nachbarn hoch auf der Agenda stehen und toleriert werden. Remarque, der nach 1933 vor den Nationalsozialisten ins Ausland fliehen musste, brachte seinen Roman zunächst im österreichischen, später auch im französischen und Schweizer Exil zu Papier, nachdem ihm die Geschichte von einem deutschen politisch verfolgten Flüchtling zu Ohren gekommen war, der, um seine in Berlin gebliebene und im Sterbebett liegende Ehefrau zum letzten Mal zu sehen, in die Hauptstadt fährt und von seinem Widersacher verhaftet wird. Das Ziel der folgenden sich an Film und Literatur orientierenden Untersuchung besteht darin, Remarques Roman "Liebe Deinen Nächsten" aus dem Blickwinkel eines räumlichen Filmerzählens zu beleuchten, um somit auf die metamedialen Korrespondenzen aufmerksam zu machen. Ausgearbeitet werden einige narrative Aspekte, anhand deren man den literarischen Text auf sein Filmpotential hin abfragen kann.
Der Artikel zeichnet im Anschluss an eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Erzähltheorie an Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" (2020) die im Text entworfenen Familienbeziehungen nach. Fokussiert wird, wie die Erzählerin sich über das Erzählen selbst mit ihrer eigenen intersektionalen Identität als Schwarze ostdeutsche queere Frau auseinandersetzt. In Rückgriff auf zentrale Forschungsbeiträge zum Konnex von Gender, Erinnerungsstrukturen und Erzähltextanalyse wird erstens gezeigt, dass durch die Erzähltechnik Situationen und gesellschaftliche Herausforderungen wie z.B. auch die staatlich-systematischen Ungleichheitsbehandlungen im Falle von Personenüberwachung akzentuiert werden, mit denen die Frau konfrontiert wird. Wenzels Erzählweise lässt sich als serpentinenartiges Erzählverfahren beschreiben, das in Erzählschlaufen und über narrative Umwege funktioniert. So wird gerade durch die Darstellungsweise des Romans deutlich, welche Schwierigkeiten in der persönlichen wie kulturellen Verortung der Figur liegen. Der Text wird zweitens als Erinnerungs- und Familienroman gelesen. Die intersektionale Identität der Erzählerin lässt sich dabei über die verschiedenen Lebensgeschichten ihrer Familienangehörigen, und besonders in der Abgrenzung von diesen, wie auch über ihre eigene Schwangerschaft rekonstruieren. Es zeigen sich übergenerationale und sich gegenseitig bedingende Faktoren für Ausgrenzungen und Stigmatisierung, welche Interdependenzen zwischen Geschlecht, Körperlichkeit, Öffentlichkeit, Identität und nationaler Zugehörigkeit offenlegen.
Biopolitik und Biomacht in der Jugendliteratur. Thanatopolitik in Lois Lowrys "Hüter der Erinnerung"
(2023)
Was verstehen wir unter "Freigabe"? Das Freigeben, das Freigegebenwerden. Synonyme: Entlassung, Freilassung. [...] In Lois Lowrys 1993 erschienenem Roman "Hüter der Erinnerung" - im Original "The Giver" - ist die Tragweite dieses Terminus enorm: "Freigegeben zu werden ist für einen aktiven Bürger eine endgültige Sache, eine schreckliche Strafe, ein niederschmetternder Beweis menschlichen Versagens." Während es im Original "release" heißt, enthält die deutsche Übersetzung durch "frei" im Begriff im Kontext des Verfahrens eine Mehrdeutigkeit, die am Ende erörtert wird. Es soll im Folgenden sowohl mit dem Original als auch mit der Übersetzung textnah gearbeitet werden. [...] Es wird deutlich, dass mit dem Begriff des Freigebens eine ganz neue Denotation einhergeht, sodass "Freigeben" letztlich nichts anderes als ein Euphemismus ist, der die eigentliche Bedeutung, die Konsequenz des Vollzugs für die Sprecher*innen verschleiert. Ein ausgeprägtes Sprachregime und eine Vernichtungspolitik treten hier eng verflochten auf. Das Bezeichnen von Dingen, Handlungen und Ritualen ist dabei eine Voraussetzung für die Umsetzung des totalitären Regimes, wie im Folgenden unter anderem deutlich werden soll. Zusätzlich soll beispielhaft betrachtet werden, welche stilistischen Mittel für die Darstellung eines extremen biopolitischen Gesellschaftsmodells in einem Jugendroman für ein Lesepublikum ab dem jungen Alter von zwölf Jahren vorliegen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie in "Hüter der Erinnerung" ein totalitäres System etabliert und welche Wirkung auf die Leser*innenschaft erzeugt wird. Lässt sich vielleicht eine gewisse schonende Vermittlung gegenüber der jungen Zielgruppe bezüglich des ernsten, 'belastenden' Themas feststellen?
Kluges Schreiben ist tief in der Zeitgeschichte verankert, in den großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts, die aber heute neu bilanziert werden müssten, sowohl objektiv wie subjektiv, wobei das Subjektive, das wissen wir als Leser Kluges, nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Erzählens betrifft. Denn die spezifische Irrealität der Gefühle erlaubt es Kluge, jene Romane umzuerzählen, Geschichte nicht einfach wiederzugeben, sondern sie zu variieren, Fakt und Fiktion, Reales und Irreales zu mischen. Allerdings, und das ist bemerkenswert, verbindet Kluge diesen Materialismus der Gefühle mit der Form der Chronik, die doch zunächst eine objektive Form zu sein scheint. Aber weiß man denn eigentlich wirklich, was eine Chronik ist? Kluge scheint hier verschiedenes zu meinen: das Moment der Gleichzeitigkeit, das Moment der Aufzählung, der Serie der Jahre, die variierende Reichweite (das Jahr der Gleichzeitigkeit, die eigene Lebenszeit, die 2000 Jahre). Welche poetologischen Implikationen haben diese Eigenschaften, welche darstellerischen Potentiale, welche Autor- oder Chronistenfiguren gehen mit ihnen einher? Wie erlaubt es diese Form, historisches und persönliches Leben zu vermitteln, also gewissermaßen 'kollektive Autobiographie' zu schreiben? Um diese Fragen zu erörtern, stelle ich Kluge einen Autor und eine Autorin zur Seite, die sich auf den ersten Blick deutlich von ihm wie auch voneinander unterscheiden: Rainald Goetz und Annie Ernaux.
Le "Printemps olympien" de Spitteler est considéré comme une oeuvre plutôt ennuyeuse dans laquelle la recherche a vu, en partie, une mythologie construite par l'auteur. Cette impression est contredite par le plaisir que procure encore aujourd'hui la lecture de ce texte. Cet article vise à cerner ce "plaisir du texte" en analysant les procédés poétiques de Spitteler. La contribution examine la structure du monde fictionnel et démontre qu'elle ne correspond nullement au modèle mythologique. Dans l'univers du "Printemps olympien", les dieux souffrent comme les humains et sont généralement dépourvus de pouvoirs surnaturels. De plus, Spitteler dissout l'identité des dieux en les dotant de nouveaux attributs par rapport au pré-texte (par exemple les Légendes de l'Antiquité classique de Schwab) ou en les faisant entrer dans de nouvelles constellations. Sa langue non plus ne correspond pas à la conception "classique", puisqu'il mélange le dialecte et la langue standard avec nombre de termes de sa propre création, et il a une prédilection particulière pour les mots composés longs. C'est dans le recours à ces moyens et dans le refus de se contenter d'une simple reproduction de la réalité quotidienne que se manifeste sa modernité.
Glaubt man den Diskursen um das breit gefächerte Gebiet der Manipulation, wie sie in der Literatur selbst seit den letzten Jahrhunderten geführt werden, stellt sich rasch heraus, dass die gezielte und verdeckte Einflussnahme, als welche Manipulation subsumiert werden kann, letzten Endes niemals und unter keinen Umständen funktioniert. Gleichgültig, wie perfide, brachial, sinn- und phantasievoll oder auch nur gut gemeint die dargestellten Versuche der Beeinflussung auch sein mögen, stets scheitern sie; oder besser gesagt: Bis zur Jetztzeit scheiterten sie im Grunde regelmäßig, da auch die Vorstellungen über Wohl und Wehe der Manipulation kulturell geprägt und somit Änderungen unterworfen sind. So haben sich in den letzten Jahren auf unmerkliche und an dieser Stelle näher zu beschreibende Weise die Narrative der Manipulation verändert – und damit einen Anschluss an längst überwunden geglaubte Vorstellungen ermöglicht, wie sie bis zu Beginn des Aufklärungszeitalters das optimistisch und zugleich mechanistisch geprägte Menschenbild beherrschten. Es gilt an dieser Stelle demnach, die dreifache Transformation der Manipulation im Verlauf der Kulturgeschichte näher zu beschreiben; ich beginne mit dem Scheitern in der Zeit der Mittelachse, also von der Phase der Aufklärung bis zur unmittelbaren Gegenwart.
Zum einen gilt es zu klären, inwiefern die im Zuge der empiristischen Neuausrichtung der Wissenschaften erfolgende Aufwertung von Beobachtungs- und Tatsachenwissen dem Archiv allgemein und der Bibliothek im besonderen die Rolle eines universalen Wissensspeichers zuweist und diesen Institutionen somit eine Schlüsselposition in der geplanten rationalen Erforschung und Beherrschung der Natur zukommen läßt. Zum anderen ist zu untersuchen, welchen Einfluß gesellschaftliche Demokratisierungsprozesse auf die Neukonzeption der Bibliothek ausüben, indem sie letztere in den Rang eines öffentlichen und möglichst pluralistisch verfaßten Meinungs- und Diskussionsforums zu erheben trachten. Erst im Kontrast zu diesen und doch auch im Anschluß an diese beiden historischen Typen eines Generalarchivs soll schließlich die Frage nach der Traum- bzw. Alptraumhaftigkeit des babylonischen Schriftkosmos erörtert werden, indem also eruiert wird, wie in Borges' literarischem Entwurf einer vollständigen Bibliothek der utopische Charakter des geschichtlichen Vollständigkeitsideals zugleich übernommen, radikalisiert und dabei doch auch im Geiste der Kombinatorik konsequent umgedeutet wird.
Für das Kunstgespräch schöpfte Büchner aus Lenz "und" Goethe, und zwar positiv aus deren ästhetischen Sturm- und -Drang-Positionen sowie – in negativer Abgrenzung – aus Goethes klassischer Ästhetik. Von hier aus ließ sich der Weg begehen, den wir als Selbstverständigung des Autors charakterisiert haben […]. Die Probleme, die im Kunstgespräch angeschnitten werden, lassen sich auf zwei Hauptaspekte zurückführen […].
1. Welche Konsequenzen ergeben sich angesichts der für Büchner zentralen politisch-sozialen Problematik für die in der Kunstperiode ästhetizistisch verengte "Gegenstandswahl"?
2. Wie ist, gegenüber einer traditionell "idealistischen" Kunstpraxis eine neue "realistische" "Technik" zu finden?
Als High-End-TV-Drama sprengt die HBO-Serie "Game of Thrones" nicht nur regelmäßig Zuschauerrekorde, sondern ist auch als progressives Serial-Format unter dem Aspekt der seriellen Narration richtungsweisend. Ihre komplexe Handlungsstruktur verdankt die Produktion des US-Pay-TV-Senders der Verortung in einem mittelalterlich anmutenden, von Konflikten dominierten Fantasy-Universum mit mehreren 'Brennpunkten' und einem umfangreichen Charakterinventar. Ebenso wie ihre literarische Vorlage, George R. R. Martins Fantasy-Saga "A Song of Ice and Fire" (seit 1996), präsentiert die Serie den Machtkampf zwischen den verschiedenen Adelsfamilien. Eine Untersuchung der äußerst verschachtelten seriellen Strukturen von "Game of Thrones" vermag die erzählerischen Techniken sowie deren für die Zuschauerbindung essentiellen Funktionsweisen offenzulegen, und bietet so einen Erklärungsansatz für den Publikumserfolg durch die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen komplexem Narrationsgefüge, der Art und Weise der Darbietung, und Rezeptionsverhalten. Die vorliegende Analyse von "Game of Thrones" vollzieht sich aus diesem Grunde in zwei Schritten: In einem ersten Teil soll zunächst die Produktion als Ganzes anhand ihrer spezifischen Merkmale serieller Narration charakterisiert werden. Als Fallbeispiel einer strukturbildenden seriellen Sequenz rückt sodann in einem ausführlichen zweiten Teil die herrschaftliche (Selbst-)Legitimation King Joffreys in der Abgrenzung zu weiteren Herrschergestalten in den Blick, der sich durch die Fragwürdigkeit seines Thronanspruchs dazu veranlasst sieht, seine Macht wie kein anderer zu zementieren. Auf welche Art und Weise Joffrey dies mittels typisch höfischer, und zwar ikonographisch-medialer, d. h. visueller Verfahren bewerkstelligt, bildet einen Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags.
Der Beitrag unternimmt einen Vergleich zweier Romane, die inhaltlich, erzähltechnisch und sprachlich eng miteinander verknüpft sind, obwohl ihre Entstehungszeiten etwa 50 Jahre auseinander liegen: Juan Rulfos "Pedro Páramo" und Yuri Herreras "Señales que precederán al fin del mundo". Beide Autoren lassen ihre Figuren aus einem Nicht-Ort oder einem "unsichtbaren Ort" (was die wörtliche Übersetzung von 'Hades' wäre) sprechen, aus dem Paradox des "Ich-bin-tot"-Sagens, und verweisen damit auf altmexikanische, altgriechische sowie mittelalterliche Unterweltreisen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass von dort niemand zurückkehren kann, dennoch ist es einigen mythologische Figuren gelungen, die Grenze zwischen Leben und Tod gewissermaßen kurzzeitig außer Kraft zu setzen: Orpheus, Odysseus, Herakles, Aeneas, Dante, bei den Mayas sind es Junajpu und Xbalanq'e, die im Ballspiel die Herren Xibalbas, der Unterwelt der Maya, besiegen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die eigentlich unerlaubte Wiederkehr bzw. Rückkehr hängt eng mit der Schau einer Vergangenheit zusammen, die zentral ist für ein Verständnis der regionalen/nationalen Gegenwart. Den Romanen Rulfos und Herreras ist eine inszenierte Abwärtsbewegung gemeinsam, der schrittweise Abstieg in eine politische Vergangenheit, die die Gegenwart der Protagonist*innen verstehen helfen soll. Beide Romane verbinden damit auch eine Suche nach einem abwesenden Familienmitglied. Zudem greift Herrera auf die besondere Erzählweise Rulfos zurück, die sich erst aus einem Sprechen aus dem Tod ergeben kann.
Intermediale Konstellationen haben sich in zeitgenössischen Film- und Fernsehproduktionen als wichtiges sowohl ästhetisches als auch narratives Gestaltungsmittel etabliert. Aufgrund der Ubiquität digitaler Medien im Alltag spielen seit einigen Jahren insbesondere auch neuere Technologien als Bezugsmedien eine zentrale Rolle. Filmische Internetanwendungen werden dabei vor allem als grafische Benutzeroberfläche, als Nutzungsschnittstelle zwischen Anwender und technischem Gerät visualisiert, die Darstellung der Hardware - etwa des Smartphones oder des Computers - erscheint meist nachrangig. Textnachrichten oder Webseiten werden entsprechend immer seltener in Großaufnahme auf abgefilmten Displays präsentiert; Schrift- und Bildeinblendungen fungieren so nicht mehr als Inserts, sie überschreiben als nicht gerätgebundene Fragmente eines Interfaces, etwa als frei schwebende Sprechblasen oder Icons, das Filmbild. Diese Darstellungsmöglichkeit erweist sich nicht nur von einem produktionstechnischen Standpunkt aus als ökonomischer, sie kann zudem erzähltechnisch dynamischer wirken und rekurriert darüber hinaus auf die durch Digitalisierungsprozesse bedingte zunehmende Dematerialisierung von Daten und Informationen.
Die fragmentierte und scheinbar kontingente Struktur von Goethes Roman "Wilhelm Meisters Wanderjahre" folgt, so soll hier gezeigt werden, nicht zuletzt auch einem besonderen Zeitregime. Der Roman erprobt vor allem in seiner um Wilhelm und Lenardo gruppierten Handlung Formen des analeptischen Erzählens, das die Ereignisse nicht chronologisch-linear, sondern in wiederholten Rückgriffen und Zeitschleifen entwickelt. Dieses Erzählen 'von' und 'in' Vorgeschichten folgt einem Schema, das Goethe in den homerischen Epen vorgeprägt sieht, das aber auch mit Zeitreflexionen aus seinen geologischen Studien korrespondiert.
Resolution
(2019)
Many parodies operate through temporal strategies that distort the narrative proportions of their targets. This essay discusses two texts that manipulate time for parodic purposes: the contemporary animated sitcom "Bojack Horseman" and the twelfth-century romance "Ipomedon". Their shared method involves the absurd prolongation of narrative structures of resolution and satisfaction in order to reveal these structures' arbitrary nature. But this method, in turn, shows that resolution - a retrospective determination of shape and meaning - can never be avoided entirely, even if it can be deferred.
In Stephanie Willekes Beitrag ""Nichts mehr stimmt, und alles ist wahr." Tabubrüche in Herta Müllers "Atemschaukel"" steht die literarische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen im Vordergrund der Betrachtung. Herta Müllers "Atemschaukel" fokussiert das Schicksal in Rumänien lebender Deutscher, die zum Kriegsende in Arbeitslagern interniert werden. Damit wird in gewisser Weise ein Tabu im Sinne des Unausgesprochenen berührt, da das Schicksal der internierten Rumäniendeutschen im Kollektivgedächtnis weitestgehend ausgespart bleibt.
Von Natur aus, so Döblin, kannte das Epische in seiner "unbegrenzten Form" kein bestimmtes Ende. Realität, Traum und Phantasie waren noch nicht voneinander geschieden; berichtet wurden "Elementarsituationen des menschlichen Daseins" in "immer neuen Abwandlungen", in der "Serienarbeit" der mündlichen und kollektiven Erzählungen und Nacherzählungen, im Grunde der "Wahrheit" ohne Begründung. Auf Einladung des Germanistikprofessors Julius Petersen hielt Döblin am 10. Dezember 1928 seinen Vortrag "Der Bau des epischen Werks" im Auditorium Maximum der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Darin erstellt er ein Programm zur Erneuerung des Romans unter den Bedingungen der modernen Kollektiverfahrungen von Masse, Technik und medialer Öffentlichkeit, in Verbindung mit den Wissensbeständen von Medizin, Psychiatrie und Soziologie und deren "Resonanz", wie er in seiner ganz persönlichen Universalschrift 'Unser Dasein' von 1933 schrieb, seiner letzten in Deutschland vor dem Exil erschienenen Publikation. Die Literatur hätte die Aufgabe, die neu entstandene Wirklichkeit zu "durchstoßen", das Menschenmögliche, auch die destruktiven Energien zur Sprache zu bringen: im Produktionsprozess eines als "dynamisches Netzwerk" zu begreifenden und plastisch zu gestaltenden Weltganzen, der Dinge und Vorgänge mit den in ihnen wirkenden Kräften. Die Vitalisierung und Elementarisierung der Sprache sollte den Ursprung des Epischen wiedergewinnen und die vorherrschende Repräsentationslogik der medialen Vermittlung außer Kraft setzen: "Das Buch ist der Tod der wirklichen Sprache."
Wenn im Folgenden von Masken des Erzählens die Rede sein wird, dann geschieht dies durchaus absichtsvoll mit Blick auf das Verständnis von Maske als Verstellung und als einer Form des Verbergens. Hinter der (Gesichts-)Maske liegt das wahre Gesicht. Die Rhetorik der Maske ist mithin immer schon ein Spiel mit der Figur des wahren Antlitzes und des wahren Blickes, eine Szene des Sehens und des Gesehenwerdens. Als Spielform des literarischen Diskurses ist die Maske ein genuin theatrales Moment. Das lateinische 'persona' meint in diesem Kontext die Maske im Sinne der durch die Schauspieler dargestellten Figuren, die 'dramatis personae'. Im Drama wird die gegenständliche, leblose Maske zur personalen Identität, die durch den Schauspieler buchstäblich Stimme und Leben erhält. Aus dieser Perspektive mag es widersinnig erscheinen, von Masken des Erzählens zu sprechen, zeichnet sich doch gerade das narrative Moment durch die Diegese aus. Die Erzählung als solche bedarf gerade nicht der theatralen Maske als Vermittlungsinstanz. Der Erzähler übernimmt hier die Funktion, die im Drama die Maske einnimmt. Die 'persona' kommt dabei allenfalls in einer uneigentlichen Bedeutung zur Geltung, in der Figuren- oder Personenrede. In der narratologischen Textanalyse ist es üblich, die Form der Rede als dramatischen Modus zu bezeichnen. Insofern schreibt sich dann doch das theatrale Moment der Maske in den narrativen Text ein. Doch nur selten wird die Person als 'persona', die Maske als Maske gelesen. Der folgende Versuch, das Erzählen als ein Modell der Maske zu lesen, ist nicht einer spezifisch narratologischen Perspektive geschuldet, sondern einigen Textbeobachtungen anhand einer Lektüre von John von Düffels Roman 'Houwelandt'. Vergleichend wird außerdem die Schlusssequenz aus Thomas Manns 'Buddenbrooks' in den Blick genommen, in der von Düffels narratives Masken-Spiel schon vorgezeichnet ist.
Friederike Mayröckers Bekenntnisschrift 'ich bin in der Anstalt. Fusznoten zu einem nicht geschriebenen Werk' stellt das vorläufige Ende einer Reihe von IchTexten dar. Zur Besonderheit dieser Prosa - teilweise in Briefen oder in Form von Essayistik verwirklicht - gehört, dass Sprache und Dinge wie magisch miteinander verbunden scheinen. Wobei der Fusznoten-Text eine weitere Verdichtung vollzogen hat. Die Welt ist ins Buch eingegangen und das Buch Welt geworden. Hinzu kommt die paradoxe Konzeption: Mit Blick auf Fernando Pessoas 'Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares', mit dem erstmals in der Geschichte der europäischen Literatur eine Autobiographie ohne Ereignisse vorgestellt wurde, ließen sich die 243 Fusznoten als Bekenntnis ohne Wahrheit und als Werk ohne Werkanspruch bezeichnen. Dissonante Stimmen fließen in ein Bekenntnis-Ich zusammen und bilden eines von mehreren Heteronymen Friederike Mayröckers. Die Anstalt, in dem das Individuum den Gesetzmäßigkeiten des Lebens - bis hin zur Invalidität - unterworfen ist, ist der symbolische Ort eines mit dem Alter voranschreitenden allgemeinen Ausnahmezustands.
Geister versammeln : Vorwort
(2011)
Bereits zu Beginn seiner Abhandlung "Das Unheimliche" (1919) weist Sigmund Freud darauf hin, dass "dies Wort nicht immer in einem scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht wird". Entsprechend charakterisiert sich für Freud das Unheimliche durch eine Vielzahl an schwer zu fassenden Eigenschaften: Es bezeichnet eine seltsame Nähe zwischen Wissen und Nichtwissen, erscheint als etwas Vertrautes in fremder Gestalt oder als etwas Fremdes mit vertrauten Eigenschaften. Diese Unfassbarkeit und Definitionsresistenz führt Freud implizit darauf zurück, dass das Unheimliche als "abseits liegendes" Thema vom ästhetischen Fachdiskurs weitgehend vernachlässigt wurde. Dieser Vorwurf hat mittlerweile deutlich an Aktualität eingebüßt: Längst fehlt es nicht mehr an einschlägigen Abhandlungen, deren Faszination für das Thema sich allerdings nicht daraus speist, dass das Unheimliche inzwischen eine eindeutige Bestimmung erfahren hätte, sondern umgekehrt daraus, dass es so vielgestaltig und schwer zu fassen ist.
Although Dante’s influence on modernism has been widely explored and examined from different points of view, the aspects of Virginia Woolf's relationship with the Florentine author have not yet been extensively considered. Woolf's use of Dante is certainly less evident and ponderous than that of authors such as T.S. Eliot and James Joyce; nonetheless, this connection should not be disregarded, since Woolf's reading of Dante and her meditations on his work are inextricably fused with her creative process. As Teresa Prudente shows in this essay, Woolf's appreciation of Dante is closely connected to major features of her narrative experimentation, ranging from her conception of the structure and design of the literary work to her reflections concerning the meaning and function of literary language.