CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Neben dem hervorgehobenen Profil einer Epoche, das nicht zuletzt anhand öffentlicher Gedenkfiguren und regelmäßig gefeierter Geistesheroen entsteht, gibt es so etwas wie einen Negativabdruck: All dasjenige, was ein Zeitalter nicht bereit ist, im Gedächtnis zu behalten, was es an sich selbst vergisst. Als mir vor einiger Zeit der Begriff Krausismus begegnete, in einer Zeitschrift mit kleiner Auflage, hatte ich sofort das Gefühl, eine solche verlorene Spur berührt zu haben. Nicht nur war mir der Begriff ungeläufig, noch mehr überraschte mich meine Ignoranz, nachdem mir durch Nachforschen zunehmend klar wurde, was mir bis zu diesem Tag entgangen war. Ich fragte mich, wie das jemandem passieren konnte, der sich, neben Literatur und Medien, seit Jahrzehnten intensiv mit Philosophen und ihren verschiedenartigen Denkweisen beschäftigte? Was war Krausismus? Eine philosophische Schule wie der Hegelianismus, eine ideologische Richtung ähnlich dem Marxismus, eine politische Bewegung wie der Leninismus? Karl Christian Friedrich Krause, auf ihn ging die Bezeichnung Krausismus zurück, und offenbar war er Teil einer Nicht-Erinnerung geworden, die vermutlich nicht bloß bis zu mir reichte.
Die kantische Juridifizierung des philosophischen Denkens ist hier im Zusammenhang mit einem Anti-Juridismus zu sehen, den Ian Hunters engagierte Darstellung der Rivalität zwischen einer "zivilen", juristisch geprägten, und einer "metaphysischen" Tradition der Aufklärungsphilosophie überdeutlich gemacht hat: Indem sie das positive Recht transzendiert, um es dem Urteil einer reinen Vernunft zu unterwerfen, stellt die Philosophie eine rechtliche Friedensordnung in Frage, die durch eine religiöse Neutralisierung und immanente Begründung des Gesetzes erreicht worden war. Nach Kant sollte es den letzten Grund seiner Geltung nicht im Willen des Souverän haben, sondern in transzendentalen Prinzipien, die sich den empirischen Kenntnissen der Juristen entziehen und allein den Philosophen zugänglich sind.
Wenn dem Vater die Tochter abhanden kommt und das Rechtssystem weder helfen kann noch helfen will, dann ist zweifelsohne der Vater im Recht, wenn er sich - angefeuert von seiner geschiedenen Frau - selbstdazu ermächtigt, die Entführer zu verfolgen und die Tochter zu befreien. Pierre Moreis Thriller '96 Stunden' (96 Hours, Frankreich 2008), der mit Liam Neeson in Sachen Gerechtigkeit prominent besetzt ist, inszeniert die väterliche Rettungsaktion aber nicht allein als legitime Selbsthilfeaktion, sondern als Gewaltorgie und Serienmord. Der vormalige Darsteller eines "Gerechten" (Schindler's List, USA 1993) zehrt offensichtlich in der öffentlichen Wahrnehmung von seiner großen Rolle und überträgt deren Auszeichnung anscheinend immer noch auf neue Rollen, wenngleich verstärkt in Umkehrungen. So war er bereits in 'Batman begins' (USA 2005) als selbstgerechter Kämpfer gegen das Böse in der Welt besetzt worden, der sich freilich gegen den nicht minder eigengesteuerten fledermausähnlichen Superhelden nicht nachhaltig durchzusetzen vermochte. Während sich der von Neeson vorgestellte Kämpfer für die Gerechtigkeit in 'Batman' aber offensichtlich verrannt hatte und mit seinen diabolischen Plänen knapp scheiterte, ist der Vater in '96 Stunden' sehr, sehr erfolgreich.