CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Seit 20 Jahren schreibt Philippe Forest, Literaturprofessor und Schriftsteller, an einem Werk, das die Grenzen zwischen Autofiktion, Essay und literaturwissenschaftlichen Texten verwischt. Innerhalb dieser Produktion versucht er am Beispiel von Marcel Proust und in der japanischen Tradition eine Poetik der Fehldeutung zu grunden. Dabei verweist er einerseits auf die Aussage vom Autor der Recherche, man konne von schonen Buchern nur schone Fehlinterpretationen machen, andererseits auf ein Missverstandnis im Kulturtransfer zwischen Europa und Japan, das ihm ruckwirkend erlaubt, die Autofiktion als Genre fur sich und sein Werk neu zu definieren. Als Autorenpoetik funktioniert diese Asthetik der Fehldeutung, die ausserdem eine Analogie zwischen Traumarbeit und Literaturkritik fundiert, ohne grossere Probleme. Als wissenschaftliches Instrument eines Literaturprofessors ruttelt sie jedoch an den etablierten Regeln der Universitat und der Literaturwissenschaft.
Rezension zu Carola Hilmes: Das inventarische und das inventorische Ich. Grenzfälle des Autobiographischen. Heidelberg (C. Winter) 2000 (= Frankfurter Beiträge zur Germanistik; Bd. 34). 446 Seiten.
Carola Hilmes' einleitenden gattungstheoretischen Reflexionen zur Autobiographie beginnen mit der These: "Die perfekte Biographie ist die einer erfundenen Person". Diese Einleitung faßt zum einen grundlegende gattungstheoretische und gattungspoetologische Erörterungen zusammen. Sie stellt zum anderen auch in der gebotenen Deutlichkeit die Beziehung gerade dieser literarischen Gattung zur Frage des Subjekts nach sich selbst und der Diskurse nach dem Subjekt heraus - und sie führt an die im folgenden vorgestellten und interpretierten Fallbeispiele autobiographischen Schreibens heran, indem Kriterien für deren Auswahl benannt werden.
Rezension zu Susanne Elpers: Autobiographische Spiele. Texte von Frauen der Avantgarde. Bielefeld (Aisthesis Verlag) 2008. 282 S.
Der vorliegende Band zeugt von gründlicher und fleißiger Arbeit einer Komparatistin, die ihre Dissertation durch die (in Deutschland wohl notwendige) Publikation einem breiteren Publikum zugänglich machen will.
Erfahrungen von Vertreibung und Exil nach 1933 werden in einer bemerkenswert großen Zahl von autobiografischen Texten bezeugt. Die oft traumatischen Erschütterungen, die mit Ausgrenzung, Vertreibung sowie existentiellen Verlusten einhergehen, aber auch die vielfältigen Herausforderungen durch die Konfrontation mit fremden Ländern, Sprachen und Kulturen sind offenkundig Auslöser für Schreibprojekte, die das Zerbrechen von Gewissheiten und Identitäten vorführen und reflektieren, aber auch darauf zielen, Brüche und Verletzungen zu überwinden und zu heilen. Elisabeth Bronfen hat in diesem Zusammenhang mit Bezug auf eine Formulierung Freuds davon gesprochen, dass Exilerzählungen als eine Art "Schutzdichtung" beschrieben werden könnten: Als sinnstiftende Narrative tragen sie dazu bei, den verlorenen Bezug zu vertrauten Welten zu kompensieren und Selbstvergewisserung und Neuerfindung des Selbst zu ermöglichen. Wenn sie dennoch auf Erlebtes bezogen sind, so nicht in einem Sinne einfacher Nacherzählung oder Repräsentation. Gilt prinzipiell für jede Autobiografie, dass das Schreiben des Lebens dieses nicht einfach mehr oder weniger genau wiedergibt, sondern in der sprachlichen Gestaltung immer auch konstruiert, so zeigt sich dies in autobiografischen Erzählungen über das Exil besonders zugespitzt: Ein Verstehen der Wirklichkeit erscheint nicht mehr möglich, wo die Zusammengehörigkeit von Ich und vertrauter Welt grundsätzlich in Frage gestellt ist und kulturelle Traditionen, auf die sich das Ich schreibend beziehen könnte, offenbar nachhaltig zertrümmert sind.
Die türkischen Schriftstellerinnen Halide Nusret Zorlutuna, Ismet Kür und Sevim Belli haben in ihren Autobiographien überwiegend ihre Jugendjahre ausführlich niedergeschrieben. Der Anlass ihres Schreibens ist zwar der gleiche, doch der Gegenstand ist unterschiedlich: Es geht bei der ersten um das Nachtrauern eines abgeschafften politischen Systems (das Osmanische Reich) und bei der zweiten um die Trauer, die eigenen Fähigkeiten nicht genügend entwickelt zu haben. Die dritte bedauert, keine angemessene Auswirkung der geleisteten politischen Arbeit (sozialistische Gedanken in der Türkei) erreicht zu haben. Sie wollen also mit ihren Werken zur Gedächtnisbildung der jungen Generationen beitragen.