CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Germanistisches Seminar der Universität Bonn, 18.-20. Februar 1999, Tagungsbericht
Die Frage nach der eigentümlichen Visualität der Literatur selbst, nach der innermedialen Dynamik von Bild und Begriff, Anschaulichkeit und Abstraktion stand im Zentrum des von Helmut J. Schneider, Ralf Simon und Thomas Wirtz organisierten Bonner Symposions 'Bildersturm und Bilderflut um 1800'.
An dem von Marianne Zerner 1964 gefällten Urteil, "the definitive book on Mann and Dostoevski is still to be written", hat sich nichts geändert. Die einschlägige Literatur besitzt geringen Umfang, wobei natürlich Nebeneinanderstellungen im Sinne einer typologischen Komparatistik ebenso auftreten wie genetisch orientierte Studien. Nodar Kakabadse erklärt, Thomas Mann sei "nicht ganz bewußt" gewesen, "wieviel er Dostoevskij schuldete." In diesem Horizont seien der Zauberberg und der Doktor Faustus "am meisten Dostoevskijsche" Romane, denn im ersteren würden "fiktive, experimentelle Laboratoriumsbedingungen geschaffen, wo die entgegengesetzten Ideen, Positionen, Weltauffassungen geprüft, provoziert und zusammengestoßen werden." Das ist sehr allgemein formuliert, würdigt aber doch die Verwandtschaft der narrativen Konzeptionen, der Unparteilichkeit und der Gedankenlastigkeit.
Der erste Teil des Briefwerks von Ricarda Huch liegt nun zum ersten Mal vor. Er gibt Aufschluß über die Beziehung der Liebenden und über den Prozeß ihrer Liebe, die sich der neuen Situation und der Zeit anpassen muß. Da Treffen, die den allmählich anonym werdenden Briefpartner als Menschen zu erneuern vermöchten, außerordentlich selten arrangiert werden können, gleiten die Briefe immer mehr in die Fiktion hinüber, formen sich zu Literatur, die nur noch unwesentlich an (Liebes)Leben gebunden ist. Darüber hinaus zeigen die Briefe eine Ricarda Huch, die sich ihre Selbständigkeit und ihr Eigenleben zu bewahren wußte. Und sie zeigen eine Schriftstellerin, die die Entstehung und die Entwicklung ihres Werkes durchaus von ihrer Lebensgeschichte trennen konnte.
„Was bedeutet es, einen Anruf zu beantworten?“ Diese, von Avital Ronell zu Beginn ihres ‚Telephone Book’ aufgeworfene Frage nach dem Telefon muß im folgenden als Frage nach dem Anrufbeantworter radikalisiert werden. Während das „Annehmen eines Anrufs“ eine Situation heraufbeschwört, „deren gestische Syntax ‚ja’ bedeutet, selbst wenn der Affirmation ein Fragezeichen folgen sollte: Ja?“ (Ronell 1989, S. 5), führt das Anschalten des Anrufbeantworters geradewegs in ein Paradox, denn der Anrufbeantworter sagt weder „Ja?“ noch „Nein!“. Das Paradox des Anrufbeantworters gründet in seiner widersprüchlichen Aufgabenstellung: Er soll einerseits der Aufrechterhaltung der Telekommunikation dienen und wird zugleich als ein „Kommunikationshemmnis“ empfunden. Deshalb kann er, so Knirsch, seine „eigentliche Funktion nicht uneingeschränkt erfüllen“ (Knirsch I998, S. 1). Doch was ist die „eigentliche Funktion“ eines Anrufbeantworters? „In dem Maße, in dem du das wurdest, was du bist“, schreibt Ronell mit Blick auf das „transzendentale Dilemma“ des Angerufenwerdens, „nämlich, zum Teil, ein automatischer Anrufbeantworter, wird es notwendig, Fragen zu stellen“. (Ronell 1989, S. 5). Fragen wir. Was bedeutet es, im metaphorischen oder gar im wörtlichen Sinn, „answering machine“ einer transzendentalen Telekommunikationsgemeinschaft zu sein, die nur auf eines zu warten scheint: den wunderbaren Moment der Verbindung?
Rezension zu Harald Kämmerer: "Nur um Himmels willen keine Satyre ..." Deutsche Satire und Satiretheorie des 18. Jahrhunderts im Kontext von Anglophilie, Swift-Rezeption und ästhetischer Theorie. Heidelberg (Universitätsverlag C. Winter) 1999 (= Probleme der Dichtung; Bd. 27).353 Seiten.
Von der Metapher über die Metonymie bis zur Ironie - gleichgültig, um welche Form der uneigentlichen Rede es sich handelt, allen diesen Tropen bzw. Figuren ist gemeinsam, daß sie den Hörer oder Leser immer wieder vor die (meist unausgesprochene) Frage stellen, was mit dem Uneigentlichen denn eigentlich gemeint ist. Einer ganz ähnlichen Frage widmet sich Harald Kämmerer in seiner Dissertation: Die Grundproblematik, auf die Kämmerer aus unterschiedlichen Blickwinkeln immer wieder zurückkommt, läßt sich zugespitzt so formulieren: Ist das satirische Schreiben (und zwar jenseits der rhetorischen Mittel der uneigentlichen Rede, die im satirischen Schreiben zweifellos in ausgesprochenem Maße zur Anwendung kommen), selbst als eine Art literarischer Großform uneigentlicher Rede anzusehen? Oder trifft das Gegenteil zu, und enthält das satirische Schreiben weit mehr Anteile an eigentlicher denn an uneigentlicher Rede?
Sammelrezension zu Steven Tötösy de Zepetnek: Comparative Literature: Theory, Method, Application. Amsterdam; Atlanta (Rodopi) 1998 (= Textxet 18).
Steven Tötösy de Zepetnek, Milan V. Dimic, Irene Sywenky (Hg.): Comparative Literature Now: Theories and Practice / La Littérature Comparée à I'heure actuelle. Théories et réalisations. Paris (Champion) 1999.
Es ist stets erfrischend und beruhigend, neue Einführungen in die Komparatistik zu lesen, zumal damit der Fluch Susan Bassnetts, dass die Vergleichende Literaturwissenschaft tot sei, zumindest ein wenig gebannt scheint. Steven Tötösy de Zepetnek unternimmt den Versuch, die Komparatistik in den Kontext der 'cultural studies' zu setzen und seinen bereits aus anderen Arbeiten bekannten "systemic and empirical approach to literature and culture" quasi einem Praxistest zu unterziehen.
Rezension zu Mallarmé in the Twentieth Century. Edited by Robert Greer Cohn. Associate Editor Gerald Gillespie. Madison (Fairleigh Dickinson University Press); London (Associated University Presses) 1998.298 Seiten.
Der pünktlich zum hundertsten Todestag Mallarmés erschienene Sammelband geht zurück auf ein "Mallarmé Festival", das auf Anregung des Komparatisten Ricardo Quinones im Oktober 1996 an der Stanford Universität stattgefunden hat und von Robert Greer Cohn, einem der international führenden Mallarmé-Forscher, organisiert worden ist. Er versammelt Beiträge zu grundlegenden Aspekten des Mallarméschen Gesamtwerks, zu einzelnen seiner Texte, zu Problemen der Mallarmé-Übersetzung, zur weltweiten Wirkung des Dichters sowie zu Beziehungen Mallarmés zu anderen Autoren.
Rezension zu Akos Doma: Die andere Moderne. Knut Hamsun, D.H. Lawrence und die lebensphilosophische Strömung des literarischen Modernismus. Bonn (Bouvier Verlag) 1995 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 396). 284 Seiten.
In methodischer Hinsicht beruft sich der Verfasser auf René Welleks Ausführungen "The Crisis of Comparative Literature" ('Concepts of Criticism', New Haven 1963: 282-295): es geht nicht darum, ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen D.H. Lawrence (1885-1930) und Knut Hamsun (1859-1952) aufzuspüren, "vielmehr sollen, mit ständigem Blick auf den gemeinsamen Hintergrund des Modernismus, jene geistigen Voraussetzungen der zwei Dichter untersucht werden, die ihre innere Verwandtschaft begründen".
Rezension zu Rostislav Danilevskij: Schiller in der russischen Literatur. 18. Jahrhundert - erste Hälfte 19. Jahrhundert. Dresden (Dresden University Press) 1998 (= Schriften zur Kultur der Slaven. Neue Folge der MAISK-Schriften. Hg. von Hans Rothe; Bd. 1 (20)). 365 Seiten.
Rostislav Danilevskij vom Institut für Russische Literatur der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg unternimmt mit der hier vorgelegten Studie eine Auslotung des russischen "Schiller-Bildes", worunter der gesamte Komplex literarischer und ideengeschichtlicher Vorstellungen zu verstehen ist, die für russische Leser mit diesem Namen verknüpft sind.
Rezension zu Horst Dieter Rauh: Heilige Wildnis. Naturästhetik von Hölderlin bis Beuys. München (Wilhelm Fink) 1998. 367 Seiten.
Das Vorwort des Verfassers vermerkt: "Dem Legitimationsschwund der Geschichtsphilosophien [...] entspricht das Vordringen eines im weitesten Sinne naturreligiösen Denkens". Und daraus folgt die Zuspitzung der These: "Im Fortgang der Säkularisierung der Kultur bietet sich Natur, verdichtet zur 'Wildnis', als letzte Zuflucht des Heiligen dar. Solche Sakralisierungsprozesse setzen mit Hölderlin ein, der das Schlüsselwort 'heilige Wildnis' prägte, und reichen über Nietzsches Dionysos-Komplex bis hin zur Remythisierung von Natur bei Joseph Beuys".
Wasser, Wolken und Steine formieren das Landschaftserleben nicht nur der europäischen Kulturen. Zwar bestimmen einzelne Steine, Findlinge oder Basaltsäulen, nur gelegentlich das Bild der Landschaft. Doch immer sind es steinerne Formationen, welche der Landschaft Halt und Gestalt verleihen – als ragende Gebirgszüge, wellige Hügel, in die Ferne ziehende Täler, dunkle Schluchten und Gründe, strebende Gipfel oder auch als schroffe Felsküsten, die sich dem Meer entgegenstemmen, das aufschäumend sich an ihnen bricht. Das Steinerne ist, vom Typus der Hochgebirgs-Malerei abgesehen, zumeist verhüllt vom Mantel der Pflanzen, der Felder und Wiesen, der Wälder und Büsche. Leonardo nannte, noch ganz im Bann der leibmetaphorischen Deutung der Terra, die Felsen das Skelett der Erde, das vom Gewebe des Erd- und Pflanzenreichs bedeckt wird, doch diesem erst die morphologische Stabilität verleiht. Die Flüsse und Bäche, ober- wie unterirdisch dahinströmend, sind die Adern des Erdleibs, ein ewiger Kreislauf des Wassers. Und mächtig atmet in Ebbe und Flut die Lunge der Erde, die auch die Zirkulation der Ströme und Rinnsale antreibt. So werden für Leonardo Landschaften zu beredten Zeugnisse des lebendigen Organismus der Erde – und seiner Geschichte. Auf dieser Linie ist Landschaftsmalerei ist immer auch Bio-Graphie des Erdkörpers. Und vielleicht gilt von aller Landschaftskunst, daß sie sich mit der Geschichte der objektiven Natur verwebt – auch wenn sich gerade in ihr die subjektiven Stimmungen des Betrachters oder Malers verkörpern. ...
Der Politologe Rudoph J. Rummel hat 1994 und 1997 in zwei Bänden eine breit angelegte Untersuchung von staatlich verantworteten Massenmorden im 20. Jahrhundert vorgelegt: Death by Government und Statistics of Democide. Danach werden an jedem der 36 500 Tage dieses Jahrhunderts, nach vorsichtigen Berechnungen, eta 4650 Menschen pro Tag gewaltsam zu Tode gebracht. Bis zum erfaßten Jahr 1987 sind dies 161.782.000 Terrortote, nach anderen Berechnungen 341.076.000 Tote, also etwa 9.400 am Tag. Nicht eingerechnet sind ungezählte Opfer, die Gewalthandlungen überlebt haben, doch verletzt, verstümmelt, vergewaltigt, ausgeraubt, dauerhaft traumatisiert, verfolgt, demarkiert, verelendet oder vertrieben wurden. In der Untersuchung Rummels geht es ausdrücklich nicht um quasi-legale Kriegstote, nicht um außerstaatliche Gewalt, nicht um Einzelfälle des staatlichen Terrors, sondern allein um die massenhafte Ermordung von wehrlosen Menschen in staatlicher Verantwortung. ...
Popular culture is always in process; its meanings can never be identified in a text, for texts are activated, or made meaningful, only in social relations and in intertextual relations. This activation of the meaning potential of a text can occur only in the social and cultural relationship into which it enters. (Fiske, 1991a: 3)
Unter den zahlreichen Motiven, die in der mittelalterlichen Literatur mit Frauendienst verbunden sind, gehört das vom Ritter mit dem Hemd zu den besonders interessanten. Es erscheint zunächst in dem ersten von fünf Fabliaux aus einer verlorenen Turiner Handschrift, die dem sonst unbekannten altfranzösischen Dichter Jacques de Baisieux zugeschrieben werden, einer heiteren Kurzgeschichte mit dem Titel "Des trois chevaliers et del chainse". In der vorliegenden Untersuchung gilt es, der Frage der Rezeption im deutschsprachigen Raum anhand der Fassungen des Wiener Chronisten Jans Enikel und der etwas späteren "Weihenstephaner Chronik" nachzugehen und die Verschiedenheit der drei Fassungen zu ergründen. Die mhd Erzählung "Frauentreue" (c. 1300) wird dabei außer Acht gelassen; zwei gemeinsame Hauptmotive legen zwar eine grundsätzliche Verwandtschaft nahe, eine Vielfalt an fremden Erzählelementen schließen diese Märe jedoch aus dem engeren Kreis der hier zu besprechenden Werke aus.
Schreiber schreiben, Leser lesen. Leser schreiben, Schreiber lesen. Schreiber schreiben, Leserinnen lesen. Dichter schreiben, Literaturwissenschaftler lesen. Dichterinnen schreiben, Literaturwissenschaftlerinnen lesen. Literaturwissenschaftler schreiben, Dichterinnen lesen... Es ist ein fast unendliches Spiel der Permutationen, das man über Hunderte und vielleicht Tausende von Jahren, als ein immer weiter sich differenzierendes, nachspielen kann.
Verbote erregen Neugier und verstärken die Nachfrage, das mußte auch die vormärzliche österreichische Zensur zur Kenntnis nehmen. Immer wieder ist vom "Einschwärzen", d.h. vom Schmuggel durch Privatpersonen die Rede, aber auch die Buchhändler versuchten, den Wünschen ihrer Kunden nach im Ausland erschienenen, in Österreich aber verbotenen Werken gerecht zu werden. Verschiedene im Allgemeinen Verwaltungsarchiv erhaltene Akten der für die Zensur zuständigen Polizeihofstelle dokumentieren die – nicht immer erfolgreichen – Bemühungen, die ausgesprochenen Verbote auch durchzusetzen. Selbstverständlich wurden alle aus dem Ausland für Wiener Buchhändler eingelangten Bücherballen genauestens auf verbotene Titel hin durchsucht. Damit nicht genug, visitierte man gelegentlich auch die Geschäftslokale.
Es soll engeführt werden auf etwas, das man - vielleicht erscheint die Formulierung paradox - eine Veränderung in der "Semantik des Zufalls" nennen könnte, die durch seine Anwendung in diversen poetischen Verfahren stattgefunden hat. Der Zufall selbst ist ohne Semantik, hat per definitionem keinen Sinn, er ist das sinnlose Ereignis par excellence. Aber er beendet den Sinn, oder er treibt auf die Suche nach einem verborgenen Sinn, einer versteckten Kausalität, göttlichen Absicht... also er destruiert oder konstruiert notwendige Ordnungen und bildet insofern ein poetisches Prinzip.
Die Beurteilung gedruckter Texte und Editionen hat eine lange Tradition in der Literaturwissenschaft, und die entsprechenden Kriterien sind – bis auf einige umstrittene Punkte – mehr oder weniger selbstverständlicher Teil des Fachs. Ganz anders sieht die Lage für die digitalen Medien aus: Elektronische Editionen sind neue Gegenstände im philologischen Alltag, und ihre Gestalt scheint zur Zeit noch eben so schwankend wie die Bewertungskriterien der Anwender solcher Editionen. Andererseits steigt seit wenigen Jahren die Menge der verfügbaren CD-ROMs, es liegen also inzwischen mehrere Beispiele wissenschaftlich brauchbarer Texte vor, und – was vielleicht noch wichtiger ist – sie werden auch verwendet. [...] Im Nachfolgenden wird ein {...] Kriterienkatalog diskursiv entwickelt – in der Hoffnung, andere finden ihn interessant genug, um ihn weiterzudiskutieren. Im Anhang findet sich eine Stichwortliste mit den genannten Bewertungsaspekten.