CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
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Bourdieu sah sich vor die Aufgabe gestellt, die Vorstellung einer totalen Freiheit des Individuums, die ihm als eine Projektion der privilegierten Situation der Intellektuellen erschien, zu überwinden, ohne ins Gegenteil zu verfallen, in die Vorstellung einer völligen Determination des Menschen, die freilich nicht mehr biologisch bestimmt wurde wie zu Zeiten des Positivismus im 19. Jahrhundert, sondern eher kulturell als Determination durch Diskurssysteme, ökonomisch durch wirtschaftliche Verhältnisse, sozial durch Klassenstrukturen. Es ging ihm darum, die Erfahrungen der Akteure in ein Erklärungsmodell ihres Handelns zu integrieren. [...] Bourdieu gelangte zu der Erkenntnis, dass Handeln nicht bloß Vollzug einer Regel ist. Auf der Basis seiner Dispositionen kann ein Akteur „Spielzüge“ durchziehen, die nicht vorhergesagt werden können. Es galt, das Paradox zu beschreiben, dass ein Verhalten auf Ziele gerichtet sein kann, ohne bewusst durch sie geleitet zu sein. Der Rekurs auf das Bewusstsein des Akteurs kann hier nicht weiterhelfen, das Prinzip der Regel ebenso wenig. In seinen frühen Arbeiten griff Bourdieu auf Max Weber zurück, der auch die Beziehung zwischen den objektiven Chancen und den subjektiven Erwartungen thematisierte. Er bezog sich zunächst auf den Weberschen Begriff des Ethos, um die Verinnerlichung objektiver Beziehungen zu bezeichnen. [...] Dann aber wird der Begriff des Habitus für ihn zu einer zentralen Kategorie. [...] Bezog Bourdieu den Begriff des Habitus zuerst auf Körpertechniken, so weitete er dieses Konzept später auch auf intellektuelle Wahrnehmungsweisen (in ihrer kollektiven Form) aus.
Zwischen 1790, als Josef II. verstarb und Hoffnungen auf eine Lockerung der Zensur bestanden, und La Roches Todesjahr 1806 präsentierte das Leopoldstädter Theater in schneller Abfolge eine Unzahl von Possen, Singspielen, Maschinenkomödien, Zauberopern, Volksmärchen, Pantomimen, Ritterstücken, Soldatenstücken, Tanzspielen, Feenmärchen und komischen Zeitstücken. Sie stammten zu einem Gutteil von den Hausautoren des Theaters. [...] Aus den insgesamt 30 im Rahmen des FWF-Projekts "Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche" edierten Komödien von fünf Autoren und einem Anonymus wählt Beatrix Müller-Kampel zwei von jedem Autor aus, um sie auf Themen und Motive der Affekte, der Emotionen und ihrer Kontrolle hin zu durchforsten. Ausnahmslos alle Stücke sind Komödien, ausnahmslos allen geht es um Liebesgeschichten und Heiratssachen und den meisten auch um Geld. Das Prinzip der repräsentativen Stichprobe rechtfertigt sich durch die Gattung Komödie, wie sie am Leopoldstädter Theater gepflegt wurde: nämlich als "Schema-Dramatik", die im Gegensatz zur sogenannten "künstlerischen" Dramatik, d. h. in den theatralen Feldern dieser Zeit: im Gegensatz zum Bildungstheater einerseits, zum Hoftheater andrerseits, weder auf ästhetische Innovation noch auf Originalität abgestellt war, sondern im Gegenteil Variationen altbekannter Themen und Geschichten bieten wollte - und das immer auch komisch drapiert. [...] Mit dem Aspekt der Affekte und der Affektkontrolle der Lustigen Figur ist das Erkenntnisperspektiv einerseits auf Liebesgeschichten und Heiratssachen, Sich Verlieben wie Verlassen Werden, auf gelebte und gespielte Leidenschaften eingestellt, andrerseits auf die Lustige Figur und ihre Komik, welche letztere, so steht zu vermuten, in den Spielen wohl die großen wie die kleinen Gefühle modelliert. [...] Prinzipiell sind zwei Möglichkeiten der philologischen Emotionsforschung zu unterscheiden: die Analyse von "literarischen Thematisierungen und Darstellungen von Emotionen, wobei es in der Regel um Emotionen geht, die in einem Text irgendwelchen Figuren oder personifizierten Gegenständen zugeschrieben werden", und zweitens, die "historische Rekonstruktion kultureller Bewertungen und Repräsentationsformen diverser Emotionen." Was die dramatisch-sprachliche Darstellung von Emotionen anlangt, stehen in der Emotionsforschung mediale und mentalitätsgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt. Worin bestehen sie nun, die Emotionen, die sich zwischen Kasperl und den Frauen um 1800 auf dem Leopoldstädter Theater entspinnen, sich steigern, ausbreiten und verflüchtigen, und mit welchen dramaturgischen Techniken führen die Theaterautoren diese Emotionen dem Publikum vor? Kasperl, so das überraschende Fazit vorweg, ist um 1800 Hagestolz oder treuer Ehemann geworden. [...] Jedenfalls erstaunt Kasperls narrative, dramaturgische und komödiantische Bedeutungslosigkeit im Leopoldstädter Repertoire um 1800 - das doch für ihn und um ihn herum geschrieben worden war, wie es heißt. Wie, wenn mit seinen Affekten und seinem Affekthaushalt, das heißt beim Kasperl: mit seiner Obszönität, sich die Komik verflüchtigt und die Autoren tatsächlich nicht mehr gewusst hätten, was anzufangen sei mit ihm? In dem Maße, wie der Kasperl kein Frauensammler und Sexualphantast mehr sein darf, kein Zotenreißer und Hosenscheißer wie Hanswurst, kommt ihm textlich auch das Komische abhanden, das wohl tatsächlich ganz prinzipiell von einem lebt: dem Bruch von und dem Spiel mit Tabus.
Am 20. Oktober 1781 wird das neue Theater in der Leopoldstadt (das "Kasperltheater") eröffnet, und es dauert nicht lange, bis Kasperl zur tragenden Figur der Bühne wird, die auch schnell den Spielplan prägt. La Roche betritt in jedem Monat etwa fünfzehnmal als Kasperl die Bühne und beherrscht diese fortan für viele Jahre. Ungeachtet der anderen Komiker, die ihr Glück als Kasperl versuchen, die aber tatsächlich nicht in der Lage waren, La Roches Ausdrucksweise zu erreichen, gelang es La Roche, sich förmlich in die erste Reihe der Wiener Vorstadtkomiker "zu spielen". Ein Weiterleben der Figur wurde nach La Roches Tod ebenso wie eine Renaissance unmöglich; auch auf anderen Theatern mussten die Akteure, die sich der "längst stereotyp gewordenen Mätzchen" befleißigten, und die Theaterdichter einsehen, dass eine das Repertoire derart bestimmende Typenkomik mit La Roche zu Grabe getragen worden war. Die Wirkung, welche die Person und vor allem das Spiel Johann Josef La Roches auf sein Publikum ausübte, wird in vielerlei Quellen beschworen: Zeitgenössische Kritiken stehen neben Erinnerungen von Schriftstellern, Chronisten sowie Biografen und geben ein vielfach beschworenes Bild, wie es La Roche gelang, seine Zuschauer zu fesseln. So illustrativ diese Erinnerungen auch sein mögen, so vermitteln sie doch ein rein subjektives Bild der Darstellungskunst La Roches. Pamphlete und Erwiderungen gibt es zuhauf, der Kasperl spaltete die Gemüter, Lob auf der einen, Verständnislosigkeit und vehemente Kritik auf der anderen Seite prägen mitunter die Rezensionen in den Zeitungen und auch einige der Broschüren Wiens. Ein wesentlicher Teil der Komik La Roches rührt von den Extempores her, steht Kasperl ja in der hanswurstischen Tradition. Auch wenn die "Anreden eines Schauspielers an das Parterre […] auch auf kleinen Volkstheatern […] nicht immer wohl schicklich" sind, so sollen La Roches Anspielungen auf Stadtereignissen gerade in seinen frühen Jahren "einen besonderen Reiz seines Spieles ausgemacht haben, obwohl es natürlich Gegner gab, die sich über 'Grobheiten und antastende Worte' entrüsteten". Die Wienerische Kronik spricht von "launichte[n] Einfälle[n]", die einer "gewissen schalkhaften Feinheit" nicht entbehren. Karl Marinelli engagierte Dichter, die eigens für den Wiener Kasperl Johann Josef La Roche Komödien verfassten. Schon sein Aussehen bewog das Publikum zu lachen, seine Sprache tat ein Übriges und vor allem die Verbindung von Sprache mit Spiel, Gestik und Mimik, Unausgesprochenem und Dargestelltem schien den besonderen Reiz auszumachen, mit dem La Roche das Publikum jahrzehntelang begeisterte. Leider sind die Berichte über La Roches darstellerischen Esprit auf Anekdoten und kaum verifizierbare Aussagen in Broschüren oder Chroniken beschränkt – für eine weitere Analyse muss auf die erhaltenen Textgrundlagen zurückgegriffen werden: auf Szenare und Kanevasse, auf die textlich fixierten Spielgrundlagen, deren Ausgestaltung durch die Sänger und Schauspieler nur erahnt werden kann. Aus den 30 im Projekt "Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung" (2008/09) edierten Kasperliaden wurden vier hinsichtlich ihrer Kasperl-Komik analysiert. Die Auswahl erfolgte einerseits durch die Präsenz der Kasperlrolle im jeweiligen Text sowie andererseits durch die ihr je intendierte Relevanz für die komische Handlung (Qualität und Quantität der Kasperlrolle). Kasperl, der als Kaspar, Kasperl oder auch Käsperle auf die Bühne tritt, ist stets und in allen Stücken der Leopoldstädter Bühne als "besondere Person" gekennzeichnet – nicht durch seine ständische Zugehörigkeit oder durch seinen Beruf, sondern durch sein Verhalten, das ihn zum ersten von den anderen Rollen klar unterscheidet und das er gleichzeitig und zum zweiten dem Publikum gegenüber zeigt. Immer wieder fällt Kasperl aus der Rolle und durchbricht die Bühnenillusion für lustige Zwischenbemerkungen, um die Handlung zu kommentieren oder gar zu hinterfragen und um die Protagonisten zu bewerten. Die bemerkenswerteste "Entwicklung" durchläuft Kasperl im Oeuvre Karl Friedrich Henslers. Dabei avanciert die Figur vom rührigen und meist redlichen Familienvater in den bürgerlichen Stücken zum verschlagenen und bramarbasierenden Knappen in den romantisch-komischen Volksmärchen, als deren "Vater" Hensler in die Literatur- und Theatergeschichtsschreibung eingegangen ist. Dabei verläuft die Metamorphose vom bürgerlichen Biedermann zum komischen Faktotum in märchenhafter Kulisse in die eigentliche Handlung stets begleitenden Rollen, obschon Kasperl in vielen Fällen die Titel gebende Person ist. Der Kasperltypus wandelt sich merklich, doch immer bleibt er dumm, feige aber auch grundehrlich - damit sind seine Haupteigenschaften umrissen, die ihn in allen Komödien "begleiten". Der Furchtsamkeit, wie auch der Infantilität, die sich die Kasperlrolle im Laufe der Entwicklung beibehalten hatte, gesellt sich in den Volksmärchen ein Lazzo hinzu, nämlich der des Nachäffens, der typisch für den Kasperl La Roches wird.
Der Aufsatz untersucht die Frage, inwiefern die theatrale Konstruktion von christlichen Märtyrerfiguren eine Dynamik der Konversion zum bzw. des Abfalls vom Glauben voraussetzt, die in Figuralität und Ostentation zu begründen ist. Gegenstand der Untersuchung sind die Trauerspiele 'Catharina von Georgien', 'Papinian' und 'Carolus Stuardus'.
In memoriam Gert Mattenklott
(2010)
Am 5. Juni 2008 starb im Alter von achtzig Jahren Lea Ritter-Santini, emeritierte Professorin der Literaturwissenschaft an der Universität Münster. Bereits früh hatte sie verfügt, dass innerhalb des Instituts von persönlichen Ereignissen kein Aufhebens gemacht werden sollte. Da ich 1997 ihre Nachfolge antreten durfte, möchte ich dennoch wenigstens kurz an ihr Wirken erinnern, wie dies andere bereits unmittelbar nach ihrem Tod in der überregionalen Presse getan haben.
Tagungsbericht zu 'Lexikographik als künstlerisch-literarische Schreibweise', Ruhr-Universität Bochum, 27. bis 29. Mai 2010.
Die Form des Lexikons ist nicht nur unter dem Blickwinkel der Wissensproduktion und -vermittlung von Interesse, sondern stellt sich auch als ein Phänomen an der Schnittstelle zwischen Literatur und bildender Kunst dar. Entsprechend vielfältig gestalten sich die Erscheinungsformen der Lexikographik, sei es als reines Ordnungssystem oder als künstlerisch-literarisches Projekt. Diese Vielfalt spiegelte sich auch in der von Monika Schmitz-Emans, Kai Fischer und Christoph Schulz vom Bochumer Lehrstuhl für Komparatistik im Rahmen des DFG-Projekts 'Literarische Darstellungsexperimente' organisierten Tagung wider, die die Lexikographik nicht nur literaturwissenschaftlich in den Blick nahm, sondern auch im Rahmen einer Ausstellung von Arbeiten des Künstlers Paul Mersmann den bildkünstlerischen Aspekt des Themas betonte.
Tagungsbericht zu 'Fusion Culture: Fashion beyond Orientalism and Occidentalism', Universität Potsdam, 5. bis 7. November 2009
Die von Gabriele Mentges (Dortmund) und Gertrud Lehnert (Potsdam) veranstaltete und von der Volkswagen Stiftung geförderte Tagung befasste sich mit dem Thema 'Orientalismus und Mode' zum einen unter historischen Aspekten, zum anderen unter gegenwärtigen Bedingungen, in denen von 'Orientalismus' kaum noch die Rede sein kann. Denn längst haben wechselseitige Bezüge Mode zu einer globalen Angelegenheit gemacht. Vernetzung, Vermischung, Globalisierung, aber auch neue Regionalisierung bestimmt (nicht erst seit) heute die Mode.
Tagungsbericht zu 'Die Räume der Mode'. Internationale Tagung der Universität Potsdam, Kulturforum Berlin, 5. bis 7. Mai 2010
Die von Gertrud Lehnert (Potsdam) im Berliner Kulturforum ausgerichtete Tagung 'Die Räume der Mode' (5.-7. Mai 2010) betrachtete aus kulturwissenschaftlicher und praktischer Perspektive das Wechselverhältnis von Mode und Raum.
Tagungsbericht zu 'Comparative Arts - Neue Ansätze zu einer universellen Ästhetik'. 14. Tagung der DGAVL in Münster, 26. bis 28. November 2008
Unter dem Titel 'Comparative Arts - Ansätze zu einer universellen Ästhetik' veranstaltete die DGAVL vom 26. bis zum 28.11. 2008 in Münster ihre 14. turnusmäßige Tagung.
1987 überraschte der chinesische Künstler Xu Bing sein Pekinger Publikum mit einem Set von vier Büchern, die im Stil der kanonischen Bücher gestaltet waren und über tausendzweihundert chinesische Schriftzeichen enthielten. Obwohl auf den ersten Blick den alten chinesischen Zeichen täuschend ähnlich, unterschieden sie sich jedoch von ihnen in einigen wenigen Details, die entscheidend für das Verständnis waren. Xu Bings Idee bestand darin, einem alten Wörterbuch reale Zeichen zu entnehmen, sie in ihre Grundbestandteile zu zerlegen und sie wieder zusammensetzen, jedoch nicht so, wie sie vorher waren, sodass sie ihrer Bedeutung beraubt wurden. Angesichts dieser gekonnt inszenierten und verwirrenden Lektüreerfahrung stellt sich die Frage: Ist das überhaupt Literatur, wo es doch nichts zu lesen gibt? Diese Frage mag ungewöhnlich klingen und nicht wenige werden sie vielleicht sogar für falsch gestellt halten. Schließlich gilt Xu Bing als Künstler und nicht als Schriftsteller und seine ausgestellten Bücher sind in dem Ausstellungsraum eines Museums zu finden und nicht in einer Bibliothek. Und dennoch, so die Hypothese dieser Überlegungen, findet man in seinen Büchern etwas zur Darstellung gebracht, was nach Foucault so etwas ist wie der unsagbare Kern der Literatur. In Xu Bings Ausstellung geht es um die sichtbare Manifestation dessen, was Literatur im sprachontologischen Sinne begründet, um ihre Existenzbedingung: das Nichtsignifikative im Zeichen, das die Signifikation erst ermöglicht. In Analogie zu Blanchots Begriff "desoeuvrement" (vgl. Blanchot 1955, 48 f) könnte man von einer 'désignification' sprechen: Durch winzige Veränderungen am Gefüge der Striche wird dem Zeichen der Sinn entzogen. Doch wie lässt sich der Bezug dieses unlesbaren Buches, das aufgrund seiner Unlesbarkeit nur noch als Ausstellungsobjekt taugt, zum literarischen Buch herstellen?
Die Wissens'poetologie' bezeichnet eine 'Praxis', die ein Tableau verschiedener Wissensfelder freilegt, um die Bedingungen der historisch-epistemologischen Möglichkeiten verschiedener Wissensordnungen zu hinterfragen und zu untersuchen. Doch wie werden diese Praktiken 'in concreto' von der Literatur vollzogen? Zwei mögliche wissenspoetologische Praktiken sollen anhand der Schriften Walter Benjamins und Jorge Luis Borges' verdeutlicht werden, um sie weiterführend als Paradigma für komparatistische Nachforschungen in der Wissenspoetologie zu verwenden: die 'Fiktionalisierung' und das 'Experiment'.
Das Wechselspiel von kulturellen und hermeneutischen Grenzerfahrungen bildet die wohl deutlichste Gemeinsamkeit zwischen Borges und Jarmusch: Beide Autoren verorten ihre Figuren in zahlreichen Erzählungen an der Schnittstelle verschiedener und bisweilen gegensätzlicher Kulturen und Lebenswelten, die sich im Inneren der Figur gegenseitig durchdringen. Während Borges vor allem in seinem Frühwerk kulturelle Grenzsituationen entwirft, die den Gegensatz zwischen der europäischen und kreolischen Kultur zum Ausdruck bringen, widmen sich Jarmuschs Filme insbesondere den kulturellen Spannungen in den Vereinigten Staaten. Doch gleichzeitig entwerfen sie die Utopie einer 'Hyperkultur', in der die Gegensätze zugunsten kultureller Synergien aufgehoben sind. Als kulturelle Grenzgänger oszillieren ihre Figuren auf einer Schwelle zwischen den Kulturen, die sich den agonal-dialektischen Gegensätzen kontinuierlich entzieht (vgl. Han 2005, 17). Gleichzeitig legen sie dem Phänomen der kulturellen Heterogenität eine Erzählstruktur zugrunde, die selbst von einer wesentlichen Ambiguität geprägt ist und die Dynamik kultureller Grenzerfahrungen überhaupt erst sichtbar macht. Borges' berühmte Erzählung 'El Sur' und Jarmuschs Kunstfilm 'Dead Man' offenbaren dabei erstaunliche strukturelle Gemeinsamkeiten.
Daß in die Visionen des Jorge Luis Borges Reminiszenzen an Werke der bildenden Kunst eingeflossen sind, erscheint evident, wenn man etwa die Beschreibung der 'La biblioteca de Babel' (Borges 1989a, 465-471) mit den Kerkerphantasien Giovanni Battista Piranesis ('Carceri', 1745-1750) oder auch mit der Darstellung des Babylonischen Turmbaus (1563) durch Pieter Breughel d.Ä. vergleicht. Auch bestehen vielfaltige Beziehungen der Borges'schen Labyrinth-, Spiegel- und Doppelgängerphantasien zu Gemälden der Surrealisten sowie zu anderen Werken, insbesondere der modernen Kunst. Inzwischen hat Borges der bildenden Kunst gleichsam mit Zinsen zurückerstattet, was er ihr verdankt. Bildende Künstler verschiedener Stilrichtungen haben aus seinen Werken Anregungen bezogen, Borges'sche Visionen visualisiert, mit Gemälden, Photographien und Graphiken auf die Denkbilder des Argentiniers geantwortet.
Die Parallelen zwischen Cortázars 'Rayuela' und Musils 'Mann ohne Eigenschaften' wurden von wissenschaftlicher Seite schon mehrfach untersucht. Die Frage, ob und inwieweit sich die Berührungspunkte der Romane auf einen direkten Einfluss Musils zurückführen lassen, ist dabei weitgehend ausgeklammert geblieben. Einen ersten Schritt dahingehend soll hier durch die Aufarbeitung von Umständen und Umfang von Cortázars Musil-Rezeption, die bisher ebenso wenig beachtet wurde, getan werden. Ein weiterer Schritt ist die Analyse von Kontext und Funktion, die den Nennungen Musils in 'Rayuela' zukommt. Die im Zuge der Rezeptionsaufarbeitung durch die Durchsicht von Cortázars Exemplaren der Musilschen Werke gewonnenen Kenntnisse über jene Passagen, die ihm bedeutend erschienen sein dürften, erleichtern es außerdem, Musilsche Intertexte in 'Rayuela' aufzuspüren, die als Indiz eines Einflusses gewertet werden können. Dass es davon mehr gibt, als bisher angenommen, soll an einer exemplarischen Analyse des 71. Kapitels von 'Rayuela' verdeutlicht werden.
Ausgehend von zwei Punkten - die Gefühle als zentraler Inhalt dieser Werke und ihre spezifische aus dem Sujet hervorgehende Form - lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen Ovid und Kluge beobachten, die die Substanz dieser Werke betreffen. Das bedeutet, wenn wir zunächst bei der Form bleiben, dass Ovids Werk keine Ganzheit ist, jedenfalls keine Ganzheit im traditionellen Sinn, und das bedeutet umgekehrt, dass Kluges Werk die 'disiecta membra' eines Ganzen entwirft, auf das es sich virtuell zubewegt. Die These ist, dass Kluges und Ovids Werk von derselben Formidee getragen ist und dass diese sich dieser Formidee lediglich von zwei verschiedenen Seiten nähern, Kluge von der Seite der modernen Kleinstform des Fragments, Ovid von der Seite der antiken Großform des Epos.
In dieser Betrachtung wird versucht, die Besonderheiten und Schwächen von Ehrensteins 'Pe-Lo-Thien' zu erläutern und aus einer chinesischen Perspektive zu bewerten, ob seine Nachdichtungen den ursprünglichen Stil und Wert von Pe Lo Thiens Gedichten beibehalten, ferner: durch die Analyse der Hauptthemen und des Sprachgebrauchs herauszufinden, ob seine Nachdichtungen expressionistische Elemente enthalten. Außerdem wird Pe Lo Thiens Gedicht 'In der Nacht einen Singenden hören. Übernachten in E Zhou' mit Ehrensteins Nachdichtung 'Ein Mensch weint in der Nacht' und mit Klabunds Nachdichtung 'Das nächtliche Lied und die fremde Frau' verglichen, um die Mehrdeutigkeit von Pe Lo Thiens Gedicht aufzuzeigen und einige Unterschiede zwischen der westlichen und der chinesischen Dichtung zu verdeutlichen.
Meine Ausführungen gliedern sich in zwei Teile. Zunächst zeige ich anhand einer Analyse der Charaktere der Erzählung 'Der Bruder des Gavillans', wie Bodo Uhse sich in die zeitgenössische Diskussion um die mexikanische Identität einfugt, indem er seine Figuren durch Rückgriff auf wesentliche Kennzeichen des 'homo mexicanus' gestaltet. Im Anschluss werden die gewonnenen Ergebnisse anhand der Erzählung 'Reise in einem blauen Schwan' überprüft und erweitert.
Die Erfahrung des Exils spielt im Leben Iosif Brodskijs eine große Rolle, zumal er nach seiner Umsiedlung nach Amerika wusste, dass er niemals nach Russland würde zurückkehren können und sein weiteres Schaffen als Schriftsteller in einer neuen, fremdsprachigen Umgebung würde gestalten müssen. Bevor ich auf die hier im Vordergrund stehende exilbedingte Sprachproblematik bei Brodskij eingehe, möchte ich einige allgemeine Anmerkungen zum Exil vorwegschicken, damit man Brodskijs Verarbeitungen der Exilereignisse und die damit zusammenhängenden Auseinandersetzungen in seinen Texten besser verstehen kann.
In der aktuellen Diskussion kursieren eine ganze Reihe von Fragen nach dem Umgang mit bzw. dem richtigen Zugriff auf die mehrsprachige Luxemburger Literatur. Wie sollen aus kulturpolitischer Perspektive und wie können vom Ort der Wissenschaft aus Konzepte der Literaturgeschichtsschreibung für den Raum Luxemburg aussehen? Was ist jenseits der Tatsache der Dreisprachigkeit (und damit einem per se komparatistischen Gegenstand) das Spezifische an der Luxemburger Literatur? Wie könnte (sollte?) diese Spezifik gefördert werden? Und wie sieht die aktuelle Lage aus der Perspektive der Luxemburger Literaten selbst aus? Wann ist jemand eigentlich ein Luxemburger Autor? Die Antworten darauf sind nicht weniger vielfaltig als die Fragen und ließen sich selbst in einer ganzen Vortragsreihe kaum hinreichend behandeln. Es lassen sich jedoch einige wiederkehrende Grundtypen der Thematisierung der Luxemburger Literatur im öffentlichen Raum ausmachen, die zunächst skizziert werden sollen.